Thema der Hausklausur:
Wo liegt die Gefahr der Demokratie: in der Tyrannei der Mehrheit oder der Minderheit? Aufgabe: Stellen Sie dar, wie und mit welcher Begründung die Ihnen bekannten Autoren - Rousseau, Madison, Tocqueville, Marx und Engels - diese Frage beantworten könnten.
Rousseau, Madison, Tocqueville, Marx und Engels sind alle Politikwissenschaftler, die eine Herrschaft des Volkes befürworten. Alle gehen davon aus, dass sich eine Gesellschaft auf dem Willen der Mehrheit bilden sollte. Sie sehen allerdings mehr oder minder Probleme bei der Ausübung des Mehrheitswillen. Rousseau ist so zwar für die direkte Demokratie, würde im Falle eines Staatsnotstandes aber auch eine Diktatur befürworten.
Vor allem aber Madison und Tocqueville sehen die Gefahr der Demokratie in der Tyrannei der Mehrheit. Wobei Madison den Begriff der Mehrheitstyrannei nutzt um die repräsentative Republik zu propagieren, während Tocqueville darin eine echte Gefahr für die Demokratie sieht. Für Tocqueville ist trotzdem der Wille der Mehrheit der Ursprung aller Gewalten, da er in seinem Werk auch Möglichkeiten sieht die Tyrannei der Mehrheit einzuschränken.
Marx und Engels sind aus der Reihe der hier ausgewählten Autoren die einzigen, die in der Tyrannei der Minderheit eine Gefahr ür die Demokratie sehen. Sie gehen dabei natürlich von ihrer Zeit aus, wo im Verhältnis zu Gesellschaft ein relativ kleiner Teil die Macht ausübte. Der große Rest, besser gesagt die Mehrheit hatte gar keine Zeit politisch aktiv zu werden, da sie sonst sofort in ihrer Existenz gefährdet waren.
Nachfolgend werde ich die zur Debatte stehenden Werke der oben genannten Autoren einzeln analysieren und meine These begründen.
Beginnen möchte ich mit Jean-Jacques Rousseau und seinem Werk „Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts“. Rousseau beschreibt in seinem Werk weniger die Demokratie. Vielmehr ist Rousseau auf der Suche nach dem geeignetsten Herrschaftssystem für die Menschen. So entwickelt er seine
Gesellschaftsvertragslehre, die für alle Individuen eines Staates gelten soll und allen auch eine größtmögliche Freiheit gewähren soll.
„Der Mensch ist frei geboren, und doch liegt er überall in Ketten“ (Contrat Social, 1.Buch, 1.Kapitel, S.5). Mit diesem Satz wirft Rousseau von Beginn an das für ihn wichtigste Problem einer Gesellschaft auf , nämlich die Verwandlung der natürlichen Freiheit des Individuums in die gesellschaftliche Ordnung. Er geht hierbei vom Naturzustand des Menschen aus. Im Naturzustand ist der Mensch unabhängig, besitzt „seine natürliche Freiheit und ein unbegrenztes Recht auf alles was er erreichen kann...“ (C.S., 1.Buch, 8.Kap., S.22). Durch die Entstehung der Sprache kommt es zur Umwandlung des Naturzustandes und somit zur Vergesellschaftung der Menschen. Es entwickeln sich Unterschiede im Besitz und Reichtum und dadurch auch Differenzen in Macht und Recht.
Ziel der Theorie Rousseaus ist allerdings nicht die Aufhebung der „Ketten“, die Rousseau als Synonym für Herrschaft deutet, sondern die Legitimierung der Herrschaft. Das Individuum soll als ein Teil der Gemeinschaft eine neue politische Freiheit erhalten und an allen Aktivitäten des Gemeinwillens mitwirken. Allerdings vollzieht sich der Schritt aus dem Naturzustand in den Zustand bürgerlicher und sittlicher Freiheit erst durch den Abschluss eines Gesellschaftsvertrages. Der Gesellschaftsvertrag soll von den Menschen freiwillig eingegangen werden. Dieser Vertrag sichert ihnen anstatt des Naturzustandes einen Zustand einer staatlichen Existenz. Indem die Menschen diesen Vertrag eingehen, begründen sie gleichzeitig den Staat als politischen Körper. Jeder Mensch muss als Staatsbürger am Gesamtwillen teilhaben und seine Einzelinteressen in den Hintergrund stellen.
Nach seiner Theorie begründet und legitimiert sich die Institution Staat durch das Scheitern von Naturrecht und Naturgesetz. Ein, von der Volksversammlung, durch Erfassung und Summierung der Einzelinteressen (volenté de tous), ermittelter Gemeinwille (volenté générale) gilt als letzte Entscheidung über das Gemeinwohl.
Rousseau geht es vor allem darum, dass das Recht die Macht begrenzt. Er geht, wie schon andere Theoretiker vor ihm, davon aus, dass Wahrheit, Recht und Freiheit nicht von Natur aus herrschen, sondern erst durch Einsetzung eines Souveräns, der diese konstituiert und einsetzt. Die politische Ordnung soll dabei durch die Zustimmung aller gebildet werden. Und sie soll so beschaffen sein, dass nach Abschluss des Vertrages niemand mehr Richter in eigener Sache sein kann. Der zum Staatsbürger gewordene Mensch ist dann Untertan und Souverän zugleich.
In seiner Gesellschaftsvertragstheorie legt Rousseau Exekutive und Legislative in die Hände des Volkes. Eine Gewaltenteilung findet bei ihm nicht statt, da der Wille unteilbar ist. Die Exekutive kann aber an einen Monarchen oder einen Magistrat übertragen werden. Eine Staatsform wie Demokratie lehnt Rousseau ab, da diese eine Staatsform nur für Götter ist. Damit wird es natürlich möglich, dass Entschlüsse auch von Einzelnen oder von Minderheiten getroffen werden können. Rousseau nimmt dies aber für eine ideale Gesellschaftsform in Kauf. Für ihn muss die ideale Gesellschaft demzufolge nicht zwingend eine Demokratie sein. Im Gegenteil, im Falle eines Staatsnotstandes würde Rousseau sogar die Einrichtung einer Diktatur vorsehen, dann wären die Menschen wieder einer uneingeschränkten Macht ausgesetzt.
Das von Rousseau beschriebene Prinzip ist aber auf große Staaten nicht anwendbar, da bei ihm ja jeder Bürger zur Erfassung des Gemeinwillens befragt werden muss. Rousseau trifft auch keine eindeutige Wahl, für welche Regierungsform er sich entscheiden würde. Alles in allem hat Rousseau aber für seine Zeit den revolutionären Gedanken geäußert, dass ein einzelner oder eine kleine politische Gruppe die Gedanken des Gesamtwillen wiedergeben kann. Von einer Tyrannei (egal ob von der Mehrheit oder der Minderheit) kann bei Rousseau aber nicht die Rede sein, da die Menschen im Gesamtwillen des Gesellschaftsvertrages einig sind.
James Madison sieht die Gefahr einer Demokratie in der Tyrannei der Mehrheit, daher lehnt er eine direkte Demokratie ab. Madison, ein Mitautor der Federalist Papers, ist ein Mann der politischen Praxis gewesen und unterstützt zusammen mit John Jay und Alexander Hamilton den Weg Amerikas vom Staatenbund zum Bundesstaat. Das Gesamtwerk der Federalist Papers erschien seinerzeit aus aktuellem Anlass, es sollte die Bürger des Staates New York zur Annahme des Entwurfes der amerikanischen Verfassung bewegen. Es sollte erstmals eine großräumige föderative Republik per Mehrheitsentscheid gegründet werden.
Das Konzept der großräumigen Republik verspricht eine Balance zwischen den Zielen Freiheit und Sicherheit, da sich in freiheitlichen Systemen eine
Interessenvielfalt mit ihrer Neigung zu Parteiungen einstellt. So schreibt Madison im Federalist Papers Nr.10 auch vor allem über Parteiungen. Damit meint er Vereinigungen, die von gemeinsamen Interessen oder Leidenschaften getrieben sind. Die Ursache für solche Gruppierungen liegt in der Natur des Menschen, es sind Umsetzungen religiöser, politischer und anderer Überzeugungen in Wort und Tat. Diese Parteiungen stellen für ihn die größte Gefahr dar, da sie (sei es Mehrheit oder Minderheit in der Gesellschaft) „von gemeinsamen Leidenschaften oder Interessen getrieben und geeint sind, welche im Gegensatz zu den Rechten anderer Bürger oder den Gesamtinteressen der Gemeinschaft stehen.“ (Fed. Papers Nr.10, S.94). Daher ist das große Ziel, „das Gemeinwohl und die privaten Rechte gegen die Gefahr einer solchen Parteiung zu sichern, zugleich aber den Geist und die Form der Volksregierung zu bewahren“ (Fed. Papers Nr.10, S.97).
Aufgrund der Gefahr solcher Parteiungen bietet die direkte Demokratie, wo die Gesamtzahl der Bürger sich versammelt und die Regierung in Person ausübt, „kein Heilmittel gegen die Übel der Parteiungen...da es nichts gibt, was den Antrieb hemmen könnte, die schwächste Partei oder einen verhassten Einzelnen zu opfern.“ (Fed. Papers Nr.10, S.97). Madison lehnt daher die direkte Demokratie, wie sie beispielsweise in Stadtstaaten vorkommt ab, da sie der Tyrannei der Mehrheit entgegen kommen würde.
Die Lösung des Ganzen präsentiert Madison auch, indem er eine repräsentative Republik vorschlägt. Er propagiert die Republik vor allem, da es die geeignetere Herrschaftsform für eine größere Anzahl von Bürgern, verteilt über ein größeres Gebiet, ist. Je größer die Republik (gemeint ist die Anzahl der Bürger), desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine der Parteiungen eine Mehrheit erlangt und ihre Unterdrückungsabsichten ausführen kann, desto kleiner ist also die Gefahr einer Tyrannei der Mehrheit.
Nachfolgend wende ich mich nun Alexis de Tocqueville zu. Tocqueville äußerst sich in seinem Werk „Über die Demokratie in Amerika“ den wesentlichsten Ordnungsproblemen demokratisch organisierter Großflächenstaaten zu. Zum einen ist Tocqueville begeistert von der Volkssouveränität in Amerika, die dort nicht nur als abstrakte Idee exsistiert, sondern in konkreten Institutionen und Regeln, wie z. B. in kurzen Wahlperioden, bürgerlicher Aktivität in Gemeinden, Vereinen und Verbänden, Realität ist. Zum anderen sieht er auch Nachteile und
Gefahren in der Demokratie. „Es gehört zum Wesen der demokratischen Regierungen, dass die Macht der Mehrheit unbedingt gilt...“ (Über die Demokratie in Amerika, Teil 2, Kap.7, S.284). Und diese Mehrheit, die zudem noch durch die öffentliche Meinung verstärkt und gestützt wird, stellt auch die größte Gefährdung in der Gesellschaft dar. Es gibt einfach keinen Ort und keine Institution in der demokratischen Ordnung, bei dem der durch Mehrheitsmeinung und Mehrheitsentscheid in die Minderheit gedrängte Andersdenkende Hilfe und Unterstützung finden kann. Und weil die meisten dazu tendieren, die Meinung der Mehrheit für richtig und wahr zu halten, kann die Allmacht der Mehrheit zur Tyrannei werden. Diese Mehrheitstyrannei kann in der Demokratie allerdings nicht beseitigt werden. Es gibt nur Mittel der Milderung. Ein Hauptmittel der Milderung ist die dezentrale Verteilung der Macht in Gemeinden, Verbänden, Vereinen und Gerichten. Diese lokalen politischen Institutionen und die mäßigende Wirkung der Schicht der Juristen auf das politische Leben in den USA bewirken, dass die Mehrheit sich nicht im ganzen Land zur Unterdrückung der Minderheit organisieren kann.
Trotz dieser enormen Kritik am demokratischen Herrschaftssystem in den USA ist Tocqueville ein Befürworter des Mehrheitswillens des Volkes.
Als nächstes nun zu den werken von Karl Marx und Friedrich Engels. Die Autoren Marx und Engels würden wohl eher in einer Tyrannei der Minderheit die Gefahr für die Demokratie sehen, da zu ihrer Zeit die Demokratie gerade in Europa noch in den Kinderschuhen steckte. Sie gehen davon aus, das die Politik von der Gesellschaft geprägt wird und die Gesellschaft wird durch das Eigentum geprägt. Über diese Formel ist zur damaligen Zeit nur eine Minderheit (nur 1/10 der Bürger besitzt Privateigentum) an der Gesellschaft beteiligt und kommt in den Genuss der Bürgerrechte, die ich später noch ausführlicher beschreiben werde. Für die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft, die arbeitende Klasse (die Proletarier), kommt eine Teilnahme an der Politik, wie z. B. bei Tocqueville gar nicht in Frage, da ihr Leben aus dem Sichern ihrer Existenz besteht.
Bei dem „Kommunistischen Manifest“ handelt es sich um ein Parteiprogramm auf der Basis der politischen Theorie des Bundes der Kommunisten. Die Autoren gehen in diesem Text auf die grundlegende politische Lehre des Kommunismus ein. Der erste Abschnitt („Bourgeois und Proletarier“) ist in vier thematische
Schwerpunkte aufgeteilt. Marx geht zuerst davon aus, dass „die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften eine Geschichte von Klassenkämpfen ist“. Dann deutet er das Wesen und die Entwicklung der modernen bürgerlichen Gesellschaft, um daraus den „gesetzmäßigen Verfall“ der bürgerlichen Gesellschaftsformation zu erklären. Abschließend wird der Aufstieg des Proletariats zur neuen Klasse der Zukunft, aufgrund der restriktiven Bedingungen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, erläutert. Die bürgerliche Gesellschaft „produziert vor allem ihre eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sinn des Proletariats sind gleich unvermeidlich.“
Im zweiten Abschnitt stellt Marx die Theorien und Zielvorstellungen des Kommunismus den weitverbreiteten Vorurteilen und Meinungen der damaligen Zeit gegenüber. Marx richtet seine Schrift zum einen an die breite Masse der Öffentlichkeit, zum anderen will er das Verhältnis der Kommunisten zum Proletariat, bzw. zu den anderen Arbeiterparteien, genauer bestimmen. Das Kommunistische Manifest sollte den Bund der Kommunisten zur führenden Arbeiterpartei machen. Das wird vor allem auch im dritten Abschnitt deutlich gemacht, wo Marx die verschiedenen Richtungen des Kommunismus und des Sozialismus kritisiert. Im letzten Abschnitt gibt Marx einige Empfehlungen an den Bund der Kommunisten. Marx geht es hierbei vor allem um die richtige Einstellung der Kommunisten zu politischen Gruppierungen nicht-proletarischer Herkunft, die für „unmittelbar vorliegende Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse“ notwendig ist.
Marx verfasst nicht nur eine Gesellschaftstheorie, sondern gibt auch regelrecht Anleitungen zum politischen Handeln. Das Ziel der Kommunisten muss es sein eine politische Klasse durch die Proletarier zu bilden, die Bourgeoisie zu stürzen und schließlich die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat. Wenn man nun noch die „Politische Ökonomie“ und die „Judenfrage“ von Marx/Engels hinzuzieht, stellt man fest, dass für Marx zwar der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erkämpfung der Demokratie ist, diese ist allerdings nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum Kommunismus. Marx geht davon aus, dass alle bisherigen Gesellschaften auf dem System von Unterdrückern und Unterdrückten basieren, allerdings ist die Bourgeoisie zu Marx Zeiten unfähig zu herrschen, da sie unfähig ist ihren Sklaven die Existenz zu sichern. In der momentanen Gesellschaft gibt es nur eine bürgerliche Freiheit und diese bedeutet, der freie Handel, der freie Kauf und Verkauf. Die Bürgerrechte stehen nicht in Einklang mit den Menschenrechten, sondern ihnen gegenüber. Die politischen Verhältnisse werden darüber hinaus von der Gesellschaft bestimmt und diese Gesellschaft spielt sich in der Ökonomie ab. Die Politik wird darauf aufbauend nur noch zum Anhängsel der Gesellschaft. Die starke Dominanz der Ökonomie in der Gesellschaft spiegelt sich auch im Privateigentum wieder, dies existiert zu Marx Zeiten nur für ca. zehn Prozent der Gesellschaft, eben für die Bourgeoisie. Das Ziel des Kommunismus ist so logischerweise die Abschaffung des Privateigentums. Marx lehnt sich gerade in seiner „Judenfrage“ sehr stark an Rousseau und Hegel an, so zählt für Marx nicht nur die politische Freiheit, sondern die Emanzipation des ganzen Menschen.
Zusammenfassend kann man sagen, würden Autoren Rousseau, Madison und Tocqueville zu dem Schluss kommen, dass die Gefahr der Demokratie in der Tyrannei der Mehrheit liegt, da es keine staatliche Institutionen gibt, die Minderheiten gegen den Mehrheitswillen schützen können. Marx und Engels hingegen könnten aus den Umständen ihrer Zeit zu der Auffassung kommen, dass nur eine Tyrannei der Minderheit eine Demokratie gefährden kann.
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- Bastian Vordank (Author), 2000, Wo liegt die Gefahr der Demokratie: in der Tyrannei der Mehrheit oder der Minderheit?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101227
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