Der Odenwald ist touristisch und politisch zersplittert, bildet aber eine grandiose geographische Einheit. Alleine durch seine unvergleichbaren Täler gewinnt dieses Gebirge seine charakteristische Vielfalt. Es werden vier geographische Fallstudien zu Abgrenzung, Entstehung, Großlandschaften, Limes, Talsystemen und Gewässernamen des Gebirges durchgeführt. Der Odenwald – ungeteiltes Gebirge und einzigartige Tal–Landschaften! Das ist der Blickwinkel dieser geographischen Analysen.
Die erste Studie beginnt mit einer Auseinandersetzung mit dem unzufrieden-stellenden Befund, dass der Odenwald ein touristisch und politisch geteiltes Gebirge ist. Dem wird die rein geographische Sicht einer Einheit des Gebirges gegenübergestellt, indem die geomorphologischen Grenzen des Gebirges herausgearbeitet werden. – Eine zweite Studie zeichnet die lange geologische Entstehungsgeschichte des Odenwaldes vom uralten Paläozoikum bis zum heutigen Holozän nach und betrachtet auch die Flussumkehr von Main und Neckar. – In einer dritten Studie werden entgegen der üblichen Zweigliederung des Odenwaldes sechs geomorphologisch abgrenzbare Großlandschaften erfasst, ergänzt durch eine kulturhistorisch geprägte siebte, die Landschaft des Odenwald-Limes. – Schließlich sind in einer vierten Studie alle Odenwald-Gewässer erfasst. Neben den Gebirgsabschnitten der beiden Ströme Main und Neckar wurden die größeren, eigentlichen Odenwald-Gewässer betrachtet: die Drei zum Rhein, die Vier zum Main und die Sieben zum Neckar strebenden. Diese vierzehn Flusssysteme bilden eigene Tal-Landschaften aus, die unverwechselbar und einzigartig sind. Jedes Talsystem ist geologisch, geomorphologisch, siedlungs- und kulturgeographisch eine Besonderheit und unterscheidet sich vom nächsten. Dabei wird auch die Namensanalyse der Gewässer zu einer spannenden kulturellen Zeitreise zurück zu den – sprachlichen – Quellen.
Einige Beispiele: Die Weschnitz hat einen alten Oberlauf zur Gersprenz angezapft; die Mümling findet ihren Weg in einem schräg gestellten Bruchschollental; die Itter fließt durch finsterste Wälder, enge Täler und vorbei an verlassenen Wildparkgattern und verschwundenen Dörfern; das Sensbachtal und das Haintal sind „ein Stück Allgäu im Odenwald“ mit Gras- und Almwirtschaft; der Ulfenbach legt im Buntsandstein überraschend Granitboden frei; der Kanzelbach trägt den geheimnisumwitterten alten Namen Ulvina.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 Einführung zur geographischen Methodik
2 Ein touristisch und politisch geteiltes Gebirge
2.1 Die heutige Wahrnehmung durch Straße und Auto ..
2.2 Touristische Vermarktung von Odenwald-Teilen
2.3 Zersplitterung durch Landkreise u. Bundesländer..
3 Die tatsächliche orografische Abgrenzung
3.1 Das orografisch definierte Mittelgebirge
3.2 Westliche Landschaftsgrenze Oberrheintalebene
3.3 Nördliche Landschaftsgrenze Rhein-Main-Tiefland
3.4 Östliche Landschaftsgrenze Main und Bauland
3.5 Südliche Landschaftsgrenze Kraichgau
4 Die Entstehung des Odenwaldes
4.1 Variskisches Gebirge
4.2 Paläo- und mesozoische Ablagerungen
4.3 Einbruch des Oberrheingrabens
4.4 Herausbildung der Schichtstufenlandschaft
4.5 Flussgeschichte von Main und Neckar
4.6 Pleistozäne Überformung der Landschaften
5 Die Großlandschaften des Odenwaldes
5.1 Kristalliner oder Vorderer Odenwald
5.2 Schichtstufe des Buntsandstein-Deckgebirges
5.3 Zertalter oder Mittlerer Odenwald
5.4 Hochflächen- oder Hinterer Odenwald
5.5 Durchbruchstal des Neckars
5.6 Kleiner Odenwald
6 Exkurs: Der römische Odenwald-Limes
7 Die einzigartigen Talsysteme im Odenwald
7.1 Die hydrologischen Grundstrukturen
7.1.1 Große Wasserscheiden
7.1.2 Landmarken als Quellorte
7.2 Tal-Landschaften zum Rhein
7.2.1 Quellenreichtum an der Bergstraße
7.2.2 Die Weschnitz
7.2.3 Die Lauter
7.2.4 Die Modau
7.3 Tal-Landschaften zum Main
7.3.1 Main und kleine Odenwald-Zuflüsse
7.3.2 Die Gersprenz
7.3.3 Die Mümling
7.3.4 Die Mud
7.3.5 Die Erf
7.4 Tal-Landschaften zum Neckar
7.4.1 Kleinere Zuflüsse von beiden Neckarseiten
7.4.2 Die Elz
7.4.3 Die Itter
7.4.4 Gammelsbach
7.4.5 Finkenbach
7.4.6 Ulfenbach
7.4.7 Die Steinach
7.4.8 Kanzelbach (Die Ulvina)
Schlusswort
Endnoten
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Vorwort
oder: Warum diese Arbeit geschrieben wird. Der Autor lebt um die 60 Kilometer vom Herz des Odenwaldes entfernt. Nach Geographie-Studium im Schwarzwald und über 40jährigem Unterricht an verschiedenen Gymnasien, wobei er das gesamte Spektrum der Schulgeographie unterrichtet hat, drängt es den Autor, sich doch auch einmal mit dem Gebirge zu befassen, in dem er geboren wurde und dessen Geschichten er von Vater und Großvater hörte. Deshalb ist diese Abhandlung besonders meinem Vater gewidmet, einem begeisterten Liebhaber des Odenwaldes. Leider verließen meine Eltern den Odenwald, als ich 14 Jahre alt war, und so konnten die beabsichtigten Wanderungen durch die Wälder und Täler nicht mehr stattfinden. Eine eigentümliche Verbundenheit blieb aber über all die Jahre erhalten - sagte man früher nicht einmal Heimatliebe dazu?
Sei’s drum, frisch gewagt! Jetzt wird das Thema Odenwald genauer betrachtet, und zwar unter gezielter geographischer Perspektive. Die politischen Aufteilungen im Gebirge sollen keine Rolle spielen; der Odenwald ist ein geographisches Ganzes, das allein durch seine unvergleichbaren Täler seine charakteristische Vielfalt gewinnt:
Der Odenwald - ungeteiltes Gebirge und einzigartige TalLandschaften! Das ist der Blickwinkel dieser geographischen Analysen, und der Leser möge seine Freude daran haben.
Igersheim, am 28. März 2021 Gert Heinz Kumpf
1 Einführung zur geographischen Methodik
Vor dem Leser werden vier geographische Fallstudien zum Odenwald ausgebreitet, die darauf abzielen, mit wissenschaftlicher und zugleich an den Erfordernissen der Schulgeographie erprobter Methodik ein klares Gesamtbild des Gebirges zu erstellen. Die heute so beliebte Aufteilung des Gebirgsraumes auf Bundesländer und seine Verflechtung mit benachbarten Räumen wird als Hemmnis gesehen, um seine Gesamtheit zu erkennen und zu begreifen.
Damit grenzt sich diese Arbeit doch vom rein wissenschaftlichen Arbeiten ab, um nicht in die Fachdiskussion von unübersichtlichen Detailstrukturen zu geraten1. Auf der anderen Seite wird aber auch die volkstümliche, romantisierende Darlegungsweise gemieden2. Zweifellos hohe Verdienste haben die tüchtigen Wanderbücher von Rainer Türk erworben. Aber sie zielen auf das ortsbezogene Wanderbedürfnis und nicht auf die geographische Gesamtheit. Damit sind sie in den Umkreis der touristischen Herangehensweise einzuordnen, um die es hier aber auch nicht gehen soll. Das InternetLexikon Wikipedia liefert zwar detaillierte Zusammenstellungen, ergeht sich beim Thema Odenwald aber auch in seitenlangen Aufzählungen von Bergen oder operiert mit geologischem Detailwissen, ohne dies eingeführt zu haben. Seine inhaltliche Palette reicht bekanntermaßen bis zu beliebten Bürgern der Orte, politischen Parteien, Kirchengemeinden oder Partnerstädten und geht damit weit über den geographischen, d. h. raumbeschreibenden und -erklärenden Ansatz hinaus. Auch die hydrologischen Artikel unter dem Stichworttyp „Das Flusssystem der...“ sammeln unnötige, teils unnütze Details in Listenform und lassen häufig den Zusammenhang vermissen. Mit abgehandelte Etymologien, also Namenserklärungen bleiben meistens an der Oberfläche und klären den Sinn nicht wirklich auf. Diese genannten Arten der Darstellung (reine Wissenschaft, Volkskunde, Wanderbuch und Lexikon) sollen nicht eingesetzt werden.
Die „Geographie des Odenwaldes“ geht exakt und wissenschaftsorientiert vor, zielt aber immer auf die Gesamtheit und das Verständnis der landschaftlichen Singularität Odenwald.
Die Methodik ist die der Fallstudie, eine „empirische Forschung, die einen Untersuchungsgegenstand in ihrem realen Umfeld untersuchen“3 will. Eingesetzt werden die direkte Beobachtung, die Auswertung von Texten und die teilnehmende Beobachtung aufgrund der Erfahrung vieler geographischer Exkursionen. Eine Fallstudie setzt zunächst keine Theorie voraus, die Durchführung ist somit unbeeinflusst von vorherigem Wissen. „Durch die Methode der Dichten Beschreibung wird versucht, ein holistisches Verständnis des Untersuchungsgegenstandes unter Einbeziehung von so vielen als relevant erkannten Variablen wie möglich zu errei- chen.“4 Die „Dichte Beschreibung“ ist eine „besondere Form der geistigen Anstrengung“5. Nicht das Sammeln von Daten ist die Aufgabe, vielmehr die verständnisorientierte Durchdringung und Interpretation dieser Daten. So sollen die geographischen Holismen im Sinne der Ganzheitslehre, der „Vorstellung, dass natürliche Systeme und ihre Eigenschaften als Ganzes und nicht nur als Zusammensetzung ihrer Teile zu betrachten sind“6, gesehen werden.
Die folgenden geographischen Ganzheiten werden untersucht: die orografischen Landschaftsgrenzen des Odenwaldes, seine Entstehung oder Geologie, seine morphologisch begründeten Naturräume und seine nach Talsystemen strukturierten Landschaften. Zur ersten Orientierung wird eine topografische Grundkarte des Odenwaldes beigefügt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Der Odenwald - Topographische Grundkarte Von Heidelberg am Neckar bis Miltenberg am Main sind es 52 km Luftlinie.
Quelle: Ausschnitt von: Odenwald. Thomas Römer. de.wikipedia.org
2 Ein touristisch und politisch geteiltes Gebirge
Die erste Fallstudie hat das Ziel, den Odenwald als Gesamtheit zu erfassen. Sie beginnt mit dem Bild, das der Tourismus und die moderne Zeit vom Odenwald geschaffen hat, um dann in einer exakten Beschreibung der Landschaftsgrenzen das wirkliche Gebirge zu erfassen.
2.1 Die heutige Wahrnehmung durch Straße und Auto
Die übliche Zugangsweise des modernen Menschen zu einer Landschaft ist ihre Befahrbarkeit auf gut ausgebauten Straßen, und, bei erwecktem Interesse, dann ihre touristische Verwertbarkeit. Außerdem werden Landschaften vorrangig nach politischer Zugehörigkeit, insbesondere zu Bundesländern wahrgenommen.
Der Odenwald ist ein mit ca. 150.000 Menschen7 relativ dünn besiedelter Lebensraum. An seinem Rande wohnen in den größeren und Großstädten Heidelberg, Mannheim, Ludwigshafen, Worms, den Orten an der Bergstraße, Darmstadt, Mainz, Frankfurt, Offenbach, Aschaffenburg und Heilbronn einige Millionen Menschen, die den Odenwald als Naherholungsgebiet nutzen.
Besonders von den beiden Autobahnen A 5 und A 67, die zwischen Heidelberg-Mannheim und Darmstadt in der östlichen Oberrheinebene verlaufen, wird beim „Blick aus dem Autofenster“ die steile Westseite des Gebirges deutlich erkennbar. Entschließt man sich, in den Odenwald hineinzufahren, wird man die größeren Straßen nutzen, z.B. die Bundesstraße 47 oder Nibelungenstraße von West nach Ost (Bensheim-Reichelsheim-Michelstadt-Amorbach-Walldürn), die B 45 von Nord nach Süd (Groß-Umstadt-Höchst-Erbach- Beerfelden-Eberbach) oder die B 37 durch das Odenwälder Neckartal (Heidelberg-Neckargemünd-Hirschhorn-Eber-
bach-Mosbach). Viele weitere kleinere, aber ebenfalls gut ausgebaute Straßen kommen hinzu, sodass der Odenwald heutzutage kein abgelegenes oder gar „vergessenes“ Gebirge mehr ist.
Die Gewohnheit des modernen Menschen, sich mit dem vierrädrigen, motorisierten und blechbewehrten Untersatz durch die Landschaft zu bewegen, ist einem wirklichen Erfassen derselben natürlich nicht zuträglich. Er-fasssen und An-sehen einer Sache ist haptisch und optisch an unsere menschlichen Sinne und nicht an ein Fahrzeug gebunden, weshalb diese „Sicht-Weise“ nicht „sach-bezogen“ ist. Der Moderne rollt auf tendenziell zu Rennpisten ausgebauten Asphaltbändern in Täler hinab, auf Höhen hinauf, durch leere Dörfer und Kleinstädte hindurch, in denen sich die Bewohner vor Automobilen verschanzt haben, oder vorbei auf „Straßen der Umgehung“ oder gar durch „anthropogene Höhlen“ (Tunnel), stets vorbei an der links und rechts vorbeihuschenden Landschaft, so flüchtig wie eine Melodie.
2.2 Touristische Vermarktung von Odenwald-Teilen
Wenn man statt des „Blicks aus dem Autofenster“ doch etwas mehr erfahren will, so wird man die touristischen Angebote konsultieren. Das touristische Erscheinungsbild des Odenwaldes ist aber alles andere als übersichtlich.
Wenn man sich für eine Ortschaft im Odenwald interessiert, kann man diese natürlich anschreiben, wird aber in der Regel an übergeordnete Tourismusverbände verwiesen. Sie gliedern sich entsprechend der Bundesländer. Sie seien hier in Kürze vorgestellt:
a) Hessischer Odenwald
Die Tourist-Information Nibelungenland hat ihren Sitz in Lorsch und beschränkt sich hauptsächlich auf den Landkreis Bergstraße, der vier Landschaften umfasst: Bergstraße, Odenwald, Ried und Neckartal. Außerdem firmiert der Verband für die touristischen Nibelungen- und Siegfriedstraßen quer durch den ganzen Odenwald.
Der Kur- und Touristikservice Lindenfels betreut Lindenfels, Lauter- und Modautal.
Das Buchungs- und Informationszentrum Reichelsheim ist für Reichelsheim, Gersprenz- und Fischbachtal zuständig.
Die Touristinformation und Kurverwaltung Gras-Ellenbach verwaltet Überwald und Weschnitztal.
Die Tourist-Information Bad König hat Bad König und das untere Mümlingtal auf dem Programm.
In der Mitte des Odenwaldkreises finden sich die TouristInformation Erbach, die Gästeinformation Michelstadt und die Touristinformation Mossautal.
Die Touristinformation Stadt Oberzent Verwaltungsstandort Beerfelden betreut das Beerfelder Land.
b) Badischer Odenwald
Die Touristikgemeinschaft Odenwald e.V. mit Sitz in Mosbach betreut das Neckartal, den Badischen Odenwald und das Bauland.
c) Bayerischer Odenwald
Das Informations- und Buchungszentrum Bayerischer Odenwald in Amorbach ist für Amorbach und die kleineren
Gemeinden der Umgebung im südlichen Landkreis Miltenberg zuständig.
Der touristische Verein Churfranken in Miltenberg betreut Miltenberg und das fränkische Maintal von Bürgstadt bis Niedernberg, also zwischen dem Main-Tauber-Kreis im Osten und Aschaffenburg im Norden.
Gibt es einen touristisch ungeteilten Odenwald? Zur Zeit der Abfassung dieser Schrift gibt es nur eine übergreifende Tourismusorganisation für den ganzen Odenwald, die Odenwald Tourismus GmbH mit Sitz in Michelstadt. Diese Gesellschaft gibt den gesamten Gebirgsraum abdeckende Schriften heraus, z.B. „Ausflugsziele“ oder eine „Erlebniskarte“. Allerdings führt sie nicht mehr die ursprüngliche Internetadresse (www.tourismus-odenwald.de)8. sondern www.bergstrasse-odenwald.de. Dies ist nach Auffassung des Autors missverständlich. weil jetzt zwei Landschaften im Titel stehen.
Es hat vermutlich mit einer Angleichung an den „Geo-Natur- park Bergstraße-Odenwald“ mit Sitz in Lorsch zu tun. der als weitere touristische Adresse in Erscheinung tritt (https://www.geo-naturpark.net). Hier wird allerdings ein anderes Ziel verfolgt. Zwar steht der Odenwald im Mittelpunkt. durch die Hereinnahme weiterer geologischer Räume wird aber ein größerer Rahmen abgesteckt. Er umfasst außerdem das Ried in der Rheinebene. die Bergstraße. die Mes- seler Grube nordöstlich von Darmstadt und den Randbereich des Baulandes. z.B die Eberstadter Tropfsteinhöhle. Überdies ist die Südbegrenzung sonderbar. der Kleine Odenwald scheint weggelassen.
2.3 Zersplitterung durch Landkreise und Bundesländer
Der größte Teil des Odenwaldes rechnet heute zum Bundesland Hessen. Südliche Gebiete um den Neckar und Gebiete im Osten rechnen zum Badischen Odenwald in Baden-Württemberg. Ein kleinerer Bereich im Osten um Amorbach liegt in Unterfranken und damit im Freistaat Bayern. Der Odenwald wird demnach auch als Hessischer, Badischer und Fränkischer (Bayrischer) Odenwald bezeichnet.
Das Gebirge ist also politisch in drei Teile aufgeteilt, genau genommen sogar in vier, weil der heute noch Fränkischer Odenwald genannte Anteil wiederum von Bayern regiert wird. Dabei ist auch die alte Grafschaft Erbach fränkisch, liegt aber in Hessen.
Warum das Gebirge politisch so aufgesplittert ist, bedürfte einer genaueren historischen Analyse.9
Falls man wenigstens auf der niedrigeren Verwaltungsebene der Landkreise eine klare Konturierung des Gebirges zu finden hofft, so geht man leider auch in die Irre.
Nur ein Landkreis liegt vollständig im Gebirge, es ist der Odenwaldkreis mit Sitz in Erbach (Kfz-Kennzeichen ERB).
Die anderen Kreise haben auch Anteil an anderen, umgebenden Landschaften. Im Westen liegt der Landkreis Bergstraße mit Sitz in Heppenheim (HP), der auch Teile der Rheinebene und der Bergstraße erfasst. Im Norden schließen sich die Kreise Darmstadt (DA) und Darmstadt-Dieburg (DA, DI) an, die auch die Reinheimer Bucht und Teile der Untermainebene umfassen. Am nordöstlichen Rand des Odenwaldes ragt mit dem Markt Großostheim der Landkreis Aschaffenburg (AB) herein, der zum allergrößten Teil Landschaften am Untermain und im Spessart beinhaltet. Im Osten liegt der Landkreis Miltenberg (MIL) mit drei Landschaftsteilen, dem Odenwald, dem Spessart und der kleineren Mainebene. Außerdem befindet sich dort der Neckar-Odenwald-Kreis mit Sitz in Mosbach (MOS), der das Bauland und kleine Teile des Kraichgaus mitumfasst. Im Süden liegen der RheinNeckar-Kreis mit Sitz in Heidelberg (HD), der auch Anteile am Kraichgau, an der Bergstraße und an der Oberrheinischen Tiefebene hat, außerdem der Stadtkreis Heidelberg (HD). Heidelberg liegt zum großen Teil im Odenwald, erstreckt sich aber im Westen auch an die Bergstraße und den Rand der Rheinebene.
Zu Hessen gehören die Landkreise Odenwaldkreis, Kreis Bergstraße, Stadtkreis Darmstadt und Landkreis DarmstadtDieburg; zu Baden-Württemberg Stadtkreis Heidelberg, Rhein-Neckar- und Neckar-Odenwald-Kreis; zu Bayern die Landkreise Miltenberg und Aschaffenburg.
Diese neun Landkreise (mit den Kfz-Kennzeichen ERB, HP, DA, DI, HD, MOS, MIL und AB) umfassen also den Odenwald, aber, außer dem Odenwaldkreis, auch Landschaftsteile über ihn hinaus. Vier liegen in Hessen, drei in Baden-Württemberg und zwei in Bayern.
Fazit der Untersuchung: Der Odenwald ist heute in drei Bundesländer, die von Wiesbaden, Stuttgart und München regiert werden, und neun Stadt- und Landkreise aufgeteilt und verwaltungsmäßig mit anderen, umgrenzenden Landschaften verkoppelt. Im Landkreis Aschaffenburg ist er sogar mit dem höchsten Gipfel des Spessart, dem Geiersberg 586 m10, in einer Verwaltungseinheit!
Zum Schluss dieser Überlegungen sei noch auf eine Kuriosität hingewiesen, die ich im Wikipediaartikel „Odenwald“ gefunden habe. Dort wird behauptet, dass die Wertheimer Hochfläche um die Städte Wertheim, Freudenberg und Küls- heim „landläufig dem Odenwald zugerechnet“ würden, „da sie südlich und links des Mains (liegen)“. In „dieser landläufigen Auffassung (habe) der Main-Tauber-Kreis Anteil am Odenwald“.11
Das ist schlichtweg falsch. Der nördliche Buntsandsteinteil des Main-Tauber-Kreises rechnet zum Sandstein-Spessart. (Diese naturräumliche Zugehörigkeit zum Spessart wird im o. g. Text zwar auch erwähnt, aber beiseite gewischt.) „Der Sandstein-Spessart wird im baden-württembergischen Teil von den im Buntsandstein angelegten Tälern des Mains und der unteren Tauber sowie der ... Wertheimer Hochfläche gebildet.“12 Der einzige Hinweis in Wertheim ist peripher: die Odenwaldbrücke über die Tauber, bevor sie in den Main mündet. Dass die Wertheimer Grafen Besitz im Odenwald hatten (die Herrschaft Breuberg), kann nicht zur Ausdehnung geographischer Sachverhalte führen.
3 Die tatsächliche orografische Abgrenzung
Bisher wurde gezeigt, dass alltägliche Erfahrungen, die Konsultation touristischer Angebote und ein Blick auf Bundesländer und Landkreise zu keinem klaren Begriff dessen führt, was den Odenwald als Gebirge ausmacht. Auch ein Blick auf eine gängige Straßenkarte lässt einen etwas ratlos zurück, weil man dort in grüner Umrandung zwei hervorgehobene Räume findet, die weit über das Gebirge hinausgehen, nämlich den „Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald“ und den „Naturpark Neckartal-Odenwald“. Der Odenwald als Anhängsel?
3.1 Das orografisch definierte Mittelgebirge
Zur Klärung müssen wir innerhalb der Geowissenschaften die Orografie, die Beschreibung der Reliefform eines Raumes heranziehen. Ein Gebirge ist zunächst einmal eine „zusammenhängende, durch Täler gegliederte Gruppe von hohen Bergen“13. Es ist „meist durch einen Gebirgsfuß von tieferer, ebenerer Umgebung abgesetzt“14 oder läuft in einem Hügelland aus. Zwischen Berg- oder Hügelland ist keine scharfe Trennung möglich. Man wird Hügelländer ab 300 m Höhe ü. d. M. ansetzen. Ab 500 m Höhe ü. d. M. spricht man von einem Mittelgebirge. Hinzu sollte eine Sprunghöhe zwischen Gebirgsfuß und Gipfel von mindestens 500 m kommen. Zur Bestimmung von Bergen verwendet man in der Orografie die Begriffe „Dominanz“ und „Schartenhöhe“15. Unter Dominanz versteht man den Radius des Gebiets, das ein Berg oder ein ganzes Gebirge überragt. Die Schartenhöhe, beim Mittelgebirge spricht man eher von „relativer Einsattelung“, ist die Differenz aus Gipfelhöhe und höchstgelegener Einsattelung, bis zu der man absteigen muss, um einen höheren Gipfel zu erreichen. Je nach Höhe ist die „Prominenz“ oder das Herausragen des Berges größer oder kleiner.
Mit genannter Definition ist der Odenwald ein Mittelgebirge, da Heidelberg auf 114 m liegt und der Katzenbuckel eine Höhe von 626 m erreicht. Somit haben wir im Neckartal eine Sprunghöhe von 626 - 114 = 512 m. Der Odenwald ist damit insgesamt ein eher niedrigeres, sanftwelligeres Mittelgebirge mit geringerer Reliefenergie, im Vergleich zum bis 1493 m (Feldberg) herausgehobenen Schwarzwald. Dieser Befund ist jedoch im Detail der Odenwaldränder noch zu differenzieren. Besonders vom Westen und vom Süden erhebt sich der Odenwald ziemlich mächtig aus dem Vorland, sodass ein schönes Panorama entsteht.
Ein Panorama ist ein Rundblick oder „Ausblick von einem erhöhten Punkt aus in die Runde, über die Landschaft hin“16. Ein solcher Rundblick ist z. B. vom Heiligenberg bei Heidelberg (440 m) oder vom Katzenbuckel (626 m) aus möglich. Das Wort Panorama stammt aus Altgriechisch pan=alles und oran=sehen, also „Allschau“. Eine andere Deutung bezieht den Berg, den Ort der Allschau, mit ein: Altgriechisch pan=alles und to oros=Berg, Gebirge, dazu tritt Lateinisch amare=lieben. So gedeutet, heißt Pan-or-ama „die alle Berge Liebende“: „Die Bergmutter war gleichzeitig die Quelle des lebensspendenden Wassers und die Himmelskönigin ... daher ihr Titel Panorama, <Universelle Bergmutter>“.17
3.2 Westliche Landschaftsgrenze Oberrheintalebene
Die höchsten Erhebungen des Odenwaldes sind im Süden, zugleich ist dort mit dem Neckar der einzige große Fluss, der im Unterlauf d u r c h das Gebirge fließt, und an seinem Ufer mit Heidelberg die einzige Großstadt, die sich mit ihrer Altstadt i m Gebirge befindet. Deshalb beginnt unsere Beschreibung an diesem wichtigen Platz ganz im Südwesten des Gebirges und geht dann im Uhrzeigersinn herum. Diese Reihenfolge der Betrachtung wird auch bei anderen Themen eingehalten werden.
Der Odenwald erhebt sich im Westen mit einem massiven Reliefsprung heraus aus der Oberrheinebene, der im Süden bei Heidelberg 454 m beträgt (Königstuhl 568 m - Heidelberg 114 m) und im Norden bei Zwingenberg noch 418 m (Melibokus 517 m - Zwingenberg 99 m). Auf einer Länge von 65 Kilometern zwischen Wiesloch und Darmstadt erheben sich die steilen Bergflanken über die Ebene.
Diese über 400 Meter Erhebung verläuft sehr geradlinig, und so haben schon die Römer dort eine Handels- und Heerstraße errichtet, die Bergstraße. Das ist heute im Wesentlichen die Bundesstraße 3, allerdings gibt es streckenweise weiter östlich am Gebirgshang einen älteren Verlauf. Die Straße verläuft nicht in der Ebene, die früher zu feucht war, sondern etwas oberhalb von ihr auf dem untern Abschnitt des Gebirgsfußes. Bei aus dem Gebirge in die Ebene mündenden Flüssen haben sich kleinere oder größere Schwemmkegel gebildet, auf denen die teils sehr alten Siedlungen errichtet wurden. Der Neckarschwemmkegel hat z.B. eine gewaltige Größe bis nach Mannheim-Friedrichsfeld hinein, und auf ihm liegt die uralte Keltenstadt Ladenburg, keltisch „Lokudunom“.
Daraus ergibt sich, dass die Orte der Bergstraße im Siedlungskern n i c h t i m Odenwald, sondern an dessen westlichem Gebirgsfuß auf austretenden Schwemmkegeln der vielen Gewässer liegen. Anders ist es bei der Stadt Heidelberg, worauf schon hingewiesen wurde. Sie liegt auf einer Talsohle am linken Ufer des Neckars, bevor er aus dem Gebirge austritt.
Die Bergstraße beginnt im Süden in Wiesloch, nicht aber der Odenwald, dessen Buntsandsteinwälder erst am Ostrand von Nußloch beginnen. Hart südlich davon liegen die großen Muschelkalksteinbrüche der Firma HeidelbergCement, die zur Landschaft des Kraichgaus gehören.
Der Odenwald zieht von Nußloch über Leimen und erreicht nach 10 km den Neckaraustritt aus dem Gebirge. Heidelberg liegt mit seinen Ortsteilen Rohrbach und Handschuhsheim schon in der Rheinebene. Über Dossenheim, Schriesheim und Hirschberg a. d. B. gelangt man nach Weinheim, das auf dem Schwemmkegel der Weschnitz liegt.
Weiter nördlich gelangt man über Hemsbach und Laudenbach nach Heppenheim. Der Schlossberg der Ruine Starkenburg rechnet schon zum Odenwald. Es folgt Bensheim auf dem Schwemmkegel der Lauter, dann Zwingenberg am Mal- chen (oder Melibokus), ein prominent über das Umland herausragender Odenwaldberg.
Über Alsbach-Hähnlein und Seeheim-Jugenheim gelangt man nach Eberstadt, an dessen Ostseite die letzten Odenwaldberge liegen. Eberstadt gehört schon zu Darmstadt, das v o r dem Odenwald liegt. Hier endet die Bergstraße.
Die Bergstraße ist ein dicht besiedelter Raum, der einen starken Kontrast zu den hochaufragenden, bewaldeten Bergen bildet, mit denen im Westen der Odenwald beginnt.
3.3 Nördliche Landschaftsgrenze Rhein-Main-Tiefland
So einfach und klar die westliche Landschaftsgrenze des Odenwaldes zu sehen ist, so schwierig wird es an dessen nördlicher Grenze. Denn hier flachen sich die Odenwaldberge zu einem Hügelland ab und die Täler verbreitern sich, sodass es einem vorkommt, als gäbe es einen fließenden Übergang in das anschließende Rhein-Main-Tiefland. Das ist aber nicht ganz richtig, denn außer dem doch noch erkennbaren Relief tritt die dichte Waldbedeckung zu Hilfe, die die Ausläufer des Odenwaldes von den anschließenden Hügelländern und Ebenen unterscheidet.
Der Nordrand erstreckt sich von Darmstadt im Westen bis Obernburg am Main im Osten, das sind etwa 37 km Luftlinie. Der Rand verläuft aber gar nicht geradlinig. Auffällig sind die große Einbuchtung um Reinheim, das Reinheimer Hügelland, eine großenteils waldfreie Hügellandschaft auf fruchtbarem Löss und Lösslehm, im Unterschied zum Odenwald intensiv ackerbaulich genutzt. Weiter östlich die große Ausbuchtung bis Großostheim, wo der Odenwald im Büschen 216 m und Hainberg 185 m seinen nördlichsten Punkt er- reicht18. Hier beginnen am Hang dann schon die Weinberge, das liebliche Maintal (Flusshöhe 105 m) und Aschaffenburg sind nicht mehr fern.
Es gibt an dieser Stelle zwei Sonderbarkeiten zu diskutieren. Der Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald nimmt in sein Gebiet noch das Rotliegende nördlich von Darmstadt hinzu, in dem sich die Grube Messel befindet, ein stillgelegter Ölschiefer-Tagebau, der seiner Fossilienfunde wegen 1995 als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt wurde. Es heißt in einem Faltblatt, die Grube Messel sei „das nördliche Eingangstor zum Geo-Naturpark“19. Dies mag man der Zielsetzung des Geo-Naturparks, Einblicke in geologische Fenster auch am Rand des Naturparks zu gewinnen, zurechnen. Die Grube Messel ist jedoch morphologisch und geologisch nicht mehr Teil des Odenwaldes.
Nicht mehr akzeptabel ist aber das Folgende: Raimund Dit- ter schreibt in seiner Diplomarbeit, „die nördliche Grenze des Odenwaldes folge der Abgrenzung des Rotliegenden (dieses ist vor allem im Sprendlinger Horst anzutreffen...)“. Im Fortgang seiner Arbeit bezeichnet er den Sprendlinger Horst sogar als naturräumliche Einheit und „nordwestlichen Ausläufer des Odenwaldes“. Zwar räumt er richtigerweise ein, dass es sich um ein „morphologisch wenig heraustretendes Plateau“ handele und wiederholt den Gedanken mit der Feststellung, „charakteristische Formen fehlen diesem nordwestlichen Ausläufer des Odenwaldes“20, hält aber trotz dessen an seiner sonderbaren Behauptung fest. Überdies handelt er den Gedanken auch noch unter der Überschrift „Kristalliner Odenwald“ ab. Schließlich zitiert er als Beleg Rittmayer, der auch beim Sprendlinger Horst „eine gewisse Eintönigkeit der flachhügeligen Oberfläche dieser Ge- gend“21 erkennt, sie aber trotzdem dem Odenwald zurechnet. Dies ist ein Beispiel dafür, wie sich durch Abschreiben Fehler fortpflanzen. Der Sprendlinger Horst ist nichts anderes als das Unterrotliegende, dessen Sand- und Tonsteine aus dem Paläozoikum morphologisch fast völlig einge- rumpft sind und sich optisch nicht oder fast nicht von der Rhein-Main-Ebene unterscheiden. Sie sind morphologisch Teil der Rheinmainebene und n i c h t Teil des Odenwaldes!
Wir wollen nun der Nordgrenze des Odenwaldes genau von West nach Ost folgen: „Die Grenze des Naturraums hält sich hier meist an den Nordsaum des Waldlandes...“22 Östlich von Darmstadt liegt am nordwestlichen Odenwald das Rabennest 236 m, hier schließt sich dann nördlich das Messe- ler Hügelland an. Roßdorf, Ober-Ramstadt und WembachHahn liegen vor dem Wald, außer zwei Ausbuchtungen bei Wembach-Hahn, die in das Reinheimer Hügelland hineinreichen (Dörnbach 257 m und Knöll 241 m). Weiterhin liegen vor dem Wald Groß-Bieberau und Brensbach. Hier erreicht das Reinheimer Hügelland seine weiteste Ausdehnung nach Süden. Die Odenwald-Grenze wendet sich jetzt nach Nordosten und streift die Veste Otzberg auf dem Gipfel des Otz- berges 368 m, an dessen Nordhang der Ort Hering liegt. Der Otzberg ist ein erloschener Vulkan aus Nephelin-Basalt, der die Umgebung deutlich überragt: Nieder-Klingen im Westen um 188 m, Reinheim sogar um 209 m.
Vor dem Odenwald wiederum liegt Groß-Umstadt, das im Jahr 741 als Autmundisstat belegt, aber wesentlich älter ist.
Hier ist seit römischer Zeit ein Weinanbaugebiet, die „Odenwälder Weininsel“. Etwa bis Groß-Umstadt (mit einer schmalen Verlängerung bis Schaafheim, die „Kleine Bergstraße“) erstreckt sich das Reinheimer Hügelland, dessen Form beim Rückblicken von hier aus gut zu sehen ist: bis Roßdorf im Westen und Brensbach im Süden prägt sich das offene Hügelland nördlich des Odenwaldes in der Form eines gleichseitigen Dreiecks dem Betrachter ins Gedächtnis ein. Wir gehen von Groß-Umstadt weiter nach Osten und gelangen lustigerweise nach Klein-Umstadt und Wenigumstadt, dazwischen noch die Schaafsheimer Ortsteile Radheim und Mosbach. Diese Ortschaften liegen alle auch vor dem Odenwald.
Schließlich gelangt man nach Großostheim mit seinem noch davor liegenden Ortsteil Pflaumheim. Großostheim liegt am Hang der nördlichsten Ausläufer des Odenwaldes, wie bereits dargelegt. Bis Aschaffenburg sind es nur noch 5 Kilometer. Die Stadt liegt aber schon in der nächsten Landschaft, der Untermainebene, die sich auch Richtung Süden erstreckt. Es folgen südwärts Niedernberg und Großwallstadt am Main, zu denen die Wälder respektvoll 1-2 km Abstand halten. Erst in Obernburg, das um die Einmündung der Mömling (in Hessen heißt sie Mümling) in den Main herum liegt, sind wir wieder im Odenwald, der hier bis an den Main herantritt.
Damit ist die nördliche Landschaftsgrenze des Odenwaldes von Darmstadt bis Obernburg beschrieben. Es bleibt nur noch nachzutragen, dass die drei angrenzenden Landschaften, das Messeler Hügelland, das Reinheimer Hügelland und die Untermainebene, Teile des größeren Rhein-Main-Tieflan- des sind.
3.4 Östliche Landschaftsgrenze Main und Bauland
Wir wollen nun die östliche Landschaftsgrenze des Odenwaldes zwischen Obernburg am Main im Norden bis Mosbach im Süden betrachten. Der Main stellt eine klare Abgrenzung des Odenwalds vom Spessart dar, der sich mit gleicher geologischer Struktur, dem Buntsandstein, rechts des Mains anschließt. Der Odenwald tritt aber nicht überall direkt an das Mainufer, sondern lässt kleinere, für Siedlungen geeignete Flächen frei. Hier handelt es sich wohl um alte Verläufe des Mains, die man nach heutiger Sicht als eine Verlängerung der Untermainebene nach Süden betrachten könnte. Südlich von Obernburg, im Obernburger Stadtwald, tritt der Odenwald direkt an das Mainufer, um dann bei Wörth (das Wort bedeutet „Inselfläche“, hier für eine Siedlung) wieder zurückzuweichen. Es folgen Trennfurt und Laudenbach am Main. Hier tritt der Odenwald mit Höhen um 350 m wieder direkt an den Main. Kleinheubach mit seinem Schloss Löwenstein liegt wieder auf der Fläche einer ehemaligen Mainschlinge zwischen Odenwald und Spessart. Sie geht in die breite Talniederung der Mud über, die hier von Amorbach kommend in den Main mündet. Es schließt sich der Greinberg 452 m mit seiner keltischen Ringwallanlage an, der zum Odenwald rechnet und südlich des Mainknies liegt. Kurz nach der Mainbiegung des Mainvierecks liegt am Fuße des Odenwalds die Kreisstadt Miltenberg, benannt nach der Mildenburg. Es schließt sich Bürgstadt (mit Wannenberg 482 m) an, das um die Einmündung der Erf in den Main herum entstanden ist. Es liegt am NO-Rand des Odenwalds.
Östlich der Bürgstadter Gemarkung endet das Bundesland Bayern und es beginnt Baden-Württemberg mit dem nördlichen Teil des Main-Tauber-Kreises. Diese anschließende Region besteht geologisch ebenfalls aus Buntsandstein wie der Odenwald, rechnet aber in der naturräumlichen Gliederung Deutschlands23 zum Sandstein-Spessart. Sie heißt „Wertheimer Hochfläche“ und erstreckt sich von Freudenberg und Külsheim bis Wertheim an der Tauber.
In Bürgstadt verlassen wir den Main und verfolgen die östliche Grenze des Odenwaldes weiter nach Süden. Es folgt Eichenbühl an der Erf, das wie Bürgstadt noch am Nordostrand des Odenwaldes liegt. Von hier aus verläuft der Odenwaldrand um das Tal der Erf (Name in Baden-Württemberg Erfa). Die östlich der Erfa gelegene Leiterholzspitze mit 435 m Höhe rechnet noch zum Odenwald, der sich bis zur Wohlfahrtsmühle24, 3 km vor Hardheim, erstreckt. Hard- heim liegt bereits im offenen Muschelkalkgebiet des Baulandes. Die Ostgrenze des Odenwaldes ist nun mit der Westgrenze des Baulandes identisch. Sie wendet sich an der Nordseite Höpfingens bis zur Ostseite Walldürns und verläuft dann mitten durch Buchen. Dies ist etwa der Weg der Bundesstraße 27. Auch im weiteren Verlauf folgt die Ostgrenze des Odenwaldes etwa dieser Bundesstraße: Heidersbach, Rittersbach, Auerbach, Dallau (Gemeinde Elztal). Vor Dallau schwenkt die Odenwald-Baulandgrenze aber westlich über das Elztal, verläuft zunächst südwestlich parallel der Elz neben Neckarburken, um dann auf den Höhen oberhalb Mosbachs ganz nach Westen abzubiegen. Mosbach und Neckarelz an der Mündung der Elz in den Neckar liegen schon im muschelkalkgeprägten Bauland25, ebenso die hochgelegenen Stadtteile Sattelbach und Lohrbach, an die sich nordwestlich der bewaldete Höhenzug Michelherd 376 m anschließt, der zu den südlichen Ausläufern des Odenwaldes gehört. Der Mosbacher Stadtteil Reichenbuch liegt dagegen nahe über dem Neckartal auf einer gerodeten Hochfläche des Odenwaldes. Die Buntsandstein-Muschelkalk- oder Odenwald-Baulandgrenze erreicht dann zwischen Mosbach und Binau den Neckar, und zwar „an der Ludolfsklinge, welche auch den Schreckberg mit dem Schreckhof nach Norden hin abschließt“26. Binau (ein sprechender Name: zwei Auen) in der langgestreckten Neckarschleife liegt im Buntsandstein-Odenwald.
Zum Schluss sei noch auf drei Kuriositäten der östlichen Abgrenzung des Odenwaldes hingewiesen. Die Stadt Hardheim tritt im Internet seit neuestem unter dem Titel „Hardheim im fränkischen Odenwald“ auf (www.hardheim.de), obwohl sie geologisch im Muschelkalk und landschaftlich im Bauland liegt. Dies scheint eine Sympathiebezeugung zu sein. - Der Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald bezieht in sein Gebiet den westlichen Baulandrand mit der Eberstadter Tropfsteinhöhle ein, was zwar seiner geologischen Intention, weniger aber seinem Namen entspricht. - Und schließlich noch Mosbach, das den Sitz der Touristikgemeinschaft Odenwald e.V. stellt, obwohl es im Bauland liegt.
Ein geologisches Fenster entdeckte der Autor im Nüsten- bachtal im nördlichen, hochliegenden Bereich von Mosbach. Der Nüstenbach verläuft im Oberlauf um die Siedlung Nüstenbach herum in der offenen, sanft geneigten Gäulandschaft des Muschelkalk, tritt dann kurz vor der Stadtgrenze Mosbachs am Sportplatz in eine bewaldete Buntsandsteinschlucht, um im Unterlauf durch Mosbach wieder sanft im Muschelkalk dahinzufließen.
Nur gut 4 Kilometer südlich Mosbachs liegt am Neckar bei Neckarzimmern die Burg Hornberg auf einem 228 m hohen Bergsporn. Die gut erhaltene und bewirtschaftete Burg war von 1517 bis 1562 der Wohnsitz des Ritters Götz von Ber- lichingen, der dem Ritterkanton Odenwald angehörte, im Bauernkrieg den Odenwälder Haufen anführte und gerne von seiner „Burg im Odenwald“ sprach. Heute gehört die Burg Hornberg zum Naturpark Neckartal-Odenwald. Trotz dieser vielen Namenshinweise bleibt aus geographischer Sicht aber festzuhalten, dass die Burg Hornberg auf einem Muschelkalksporn liegt und nicht zum Odenwald, sondern noch zum Bauland rechnet.
3.5 Südliche Landschaftsgrenze Kraichgau
Über diese Landschaftsgrenze schreibt Raimund Ditter: „Auch diese Grenze wird, wie die zum Bauland oder zur Untermainebene, verschieden gezogen. Die beiden Naturparks Bergstraße-Odenwald und Neckartal-Odenwald ragen deshalb weiter nach Süden als der Naturraum.“27 Dazu ist zu sagen: Diese Behauptung ist nicht ganz falsch, aber auch nicht richtig. Der Autor hat bereits gezeigt, dass die Nord- und Ostgrenze des Odenwaldes geographisch klar bestimmbar ist, und er wird es auch für die Südgrenze zeigen. Wenn sich Ortschaften aus Gründen touristischer Vermarktung Naturparks anschließen, ohne aber in der betreffenden Landschaft zu liegen, dann ist das aus geographischer Sicht eben nicht korrekt. Man muss sich entscheiden, wessen Brot man isst: das der Tourismus-Industrie oder das des redlichen Geographen. Wir sollten von der Morphologie und Geologie ausgehen, sie bildet längere Zeiträume ab als ein Tourismusbüro.
Die südliche Landschaftsgrenze des Odenwaldes erstreckt sich von Guttenbach am Neckar bis Nußloch an der Bergstraße, das sind etwa 29 km Luftlinie. Sie liegt klar und komplett südlich vom Neckar, weil sie den Kleinen Odenwald mitumfasst. Südlich des Odenwaldes schließt sich die Senke des Kraichgaus an, die sich bis zum Nordschwarzwald erstreckt. Der Kraichgau gehört wie auch das Bauland zum Naturraum der „Neckar- und Tauber-Gäuplatten“28 und besteht auch aus Muschelkalk und offenen, agrarisch intensiv genutzten Landschaften mit wenig Waldresten.
Die Buntsandsteinberge und -hochflächen werden in einen östlichen und einen westlichen Kleinen Odenwald unterteilt. Wir gehen die südliche Landschaftsgrenze von Osten nach Westen entlang. Am gegenüberliegenden Ufer von Binau springt die Landschaftsgrenze 3,5 km nach Norden bis Gut- tenbach, einem Ortsteil von Neckargerach. Die prächtige Minneburg auf 260 m Höhe liegt bereits im Odenwald. Die Landschaftsgrenze folgt den Nordrändern der Gemeinden Neunkirchen, Schwarzach und Michelbach bis zum südlichsten Punkt nördlich von Reichartshausen. Hier wendet sie sich nach Nordwesten und erreicht über Lobbach und Mückenloch die Nähe des Neckarufers, an dem der östliche Kleine Odenwald endet.
Die Bergfeste Dilsberg, auf der Kuppe eines von einer auffälligen Neckarschleife umflossenen Bergkegels mit 288 m Höhenlage errichtet, bildet die Fortsetzung des Odenwaldes am südlichen Neckarufer. Ein kleines Stück westlich der Ortschaft Dilsberg setzt am Blumenstrich der westliche Kleine Odenwald ein, dessen Landschaftsgrenze zum Kraichgau nordwestlich der Gemeinden Wiesenbach, Bammental, Gauangelloch, Ochsenbach und Maisbach verläuft, um dann im Buchwald 317 m seinen südlichsten Punkt zu erreichen. Es ist zugleich der südlichste Punkt des gesamten Odenwalds. Am Gebirgsfuß dieses Buchwalds tritt der Muschelkalk des Kraichgaus an die Oberfläche, der hier großräumig abgebaut wird. Gleich daneben ist Nußloch an der Bergstraße erreicht.
Die geschilderten Ortschaften liegen alle v o r dem Odenwaldrand, also schon im Kraichgau. Aber sie g r e n z e n alle an die Odenwald-Ausläufer. Es ist unsinnig, die Landschaftsgrenze weiter nach Süden verlegen zu wollen. Auf der Karte „Kleiner Odenwald“ setzt Wikipedia29 HelmstadtBargen, Neckarbischofsheim, Waibstadt und Eschelbronn i n und Wiesloch a n den Odenwald. Das ist falsch, alle genannten Orte liegen im Kraichgau.
Wem dies nicht einleuchtet, der soll über das Land fahren und nach dem Winter und vor der Wachstumsperiode, also im Frühjahr, auf die Färbung der Ackerböden achten. Wenn man sich noch im Odenwald befindet, sieht man die rötlichen, eher sandig-lehmigen Böden; gelangt man aber in den Kraichgau (oder das Bauland), färben sich die Böden durch den Kalk heller oder durch Löss- und Lösslehmauflagen gelblich. Oder noch praktischer: Nach einer Wanderung auf den Sandsteinböden des Odenwaldes werden die Stiefel wie von alleine gereinigt, während sie nach Wanderungen im Bauland, Kraichgau oder Tauberland gehörig mit gelblichem Kalklehm „verziert“ sind. Wer sich nach Wanderungen das Stiefelwaschen ersparen möchte, sollte in den Odenwald umziehen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Odenwald im Westen sprunghaft in die Höhe steigt und am besten als Gebirge erkennbar ist. Aber auch im Norden ist die Landschaftsgrenze erkennbar, die bewaldeten, auslaufenden Hügelländer gehören noch zum Odenwald, die Ebene nicht mehr. Im Nordosten ist der Main die Grenze, im Osten und Süden gehen die Buntsandstein-Hochflächen überwiegend ohne Reliefsprung in die offenen Gäulandschaften über. Hier schaut man diesseits auf den dichten Waldbestand und die Sandsteinböden, beides kennzeichnet den Odenwald. Jenseits im reliefärmeren Bauland oder im stärker reliefier- ten Kraichgau liegt das offene, landwirtschaftlich intensiv genutzte, bis auf kleine Inseln waldfreie Agrarland mit den gräulich-gelblichen Kalklehmböden. Der stark eingetiefte Neckar schließt das mächtige Sandstein-Deckgebirge des Odenwaldes auf, stellt aber keine Außengrenze des Gebirges dar, sondern fließt i m Odenwald, wie auch der Siedlungskern von Alt-Heidelberg i m Odenwald liegt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Abgrenzung und Randlandschaften des Odenwaldes
Qu.: Skizze Kumpf. Die Grundlage ist ein Ausschnitt von: Odenwald (Relief). Thomas Römer. de.wikipedia.org
4 Die Entstehung des Odenwaldes
Die zweite Fallstudie wirft einen Blick zurück in die Erdgeschichte und macht die Entstehung des Odenwaldes verständlich, indem sie sie in größere geologische Zusammenhänge einordnet. Wann und wie im Einzelnen ist der Odenwald entstanden? Wie erklären sich seine Formen? Auf diese Fragen soll dieses Kapitel Antworten liefern. Die Vorgehensweise ist chronologisch.
Grundsätzlich gilt dabei festzustellen, dass der Odenwald einer der geologisch ältesten Räume in Deutschland ist, dessen Basis über Gneis und Granit in den Erdmantel hinab- reicht.30
4.1 Variskisches Gebirge
Unsere Erde ist nach Merkur und Venus der drittnächste Planet unseres Sonnensystems und etwa 4,6 Milliarden Jahre alt. Nach der Abkühlung der heißen Oberfläche und der Bildung der Weltmeere finden sich erste Lebensspuren (Bakterien, Grünalge). Das ist die Zeit vor dem Kambrium (Präkambrium). An der Wende zum Kambrium vor 540 Millionen Jahren sind in einem geologisch winzigen Zeitraum von 5-10 Millionen Jahren im Meer fast alle heutigen Tierstämme entstanden (kambrische Explosion). Forscher sprechen vom „Big Bang“ der Evolution der Tiere. Ab dieser Zeit findet man in Gesteinen Fossilien.
Die Erdgeschichte im engeren Sinne setzt jetzt ein und wird, wie die Menschheitsgeschichte auch, in drei Teile eingeteilt: Erdaltertum (Paläozoikum), Erdmittelalter (Mesozoikum) und Erdneuzeit (Känozoikum). Im Erdaltertum formte sich ein einziger Großkontinent aus dem Urozean heraus: Pangäa (wörtlich: All-Erde). Dieser Prozess, der von Kollisionen einzelner Kontinentalplatten bestimmt war, führte in zwei Zeiten zur Herausbildung von Gebirgen. Die erste, ältere Ge- birgsentstehung (Orogenese) war die Kaledonische Gebirgsbildung, die sich in der Zeit des Ordovizium und Silur vor 450 Millionen Jahren ereignete. Es entstanden die ältesten Gebirge Europas in Schottland (lateinisch-keltisch Caledonia) und Skandinavien, die aufgrund ihres hohen Alters heute am stärksten eingerumpft sind.
Zu einer zweiten Gebirgsbildung im Erdaltertum kam es in der Zeit des Devon und Karbon vor 300 Millionen Jahren. Man nennt sie die variskische Gebirgsbildung. Der Geograph Eduard Suess führte 1888 den Namen in die Literatur ein. Er hatte alte Gebirgskerne in der Münchberger Gneismasse bei Hof/Oberfranken untersucht und sie nach dem germanischen Volksstamm der Varisker benannt, der bei mehreren römischen Schriftstellern bezeugt ist und sein Siedlungsgebiet im bayerischen Nordgau und im Vogtland (heutige Oberpfalz und westliches Sachsen) hatte. Die variskischen Gebirge durchziehen das mittlere und das südwestliche Europa. In Mitteleuropa gehören die Böhmische Masse und seine böhmisch-deutschen Randgebirge dazu, außerdem die beiden „Quartette“ am Rhein: am Oberrhein Vogesen und Schwarzwald, Pfälzer Wald und Odenwald; am Mittelrhein Hunsrück und Taunus, Eifel und Westerwald, um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen. Es handelt sich also um einen Großteil der deutschen Mittelgebirge. Aufgrund ihrer weit zurückliegenden Entstehung vor 300 Millionen Jahren sind sie durch die Kräfte der Abtragung auch schon ziemlich eingerumpft, jedoch noch nicht so stark wie die noch einmal 150 Millionen Jahre älteren kaledonischen Gebirge. Die meisten von ihnen verlaufen in der Richtung des Erzgebirges in SW-NO-Streichrichtung, die deshalb variskische Streichrichtung genannt wird.
Älteste Gesteinskomplexe aus Archaikum und Proterozoi- kum, teilweise metamorphisiert, füllten ein variskisches Meeresbecken, das das variskische Gebirge erzeugte. Von der Donau im Süden bis zum Harz im Norden unterscheidet man bei der variskischen Orogenese eine Zonierung. Für unseren Zusammenhang ist die mittlere Zonierung, die Mitteldeutsche Kristallinzone von Bedeutung, die sich vom Pfälzer Wald über Odenwald und Spessart bis zum Thüringer Wald und weiter erstreckt. Sie besteht „aus verschiedenen Plutoniten (Granite, Granodiorite, Diorite, Gabbros) und Me- tamorphiten ...(Gneise, Amphibolite, Glimmerschiefer, Quarzite)“31. Altpaläozoische Sedimente wurden teilweise schon in der kaledonischen Zeit von Magmen durchsetzt, die im Kontaktbereich dann wiederum metamophisierten. Im Oberdevon war die Kristallinschwelle Hebungen und Abtragungen ausgesetzt. „In der variskischen Hauptfaltung überfuhr sie die Phyllitzone“32. Beide Einheiten wurden auf weitere Serien des südlichen Rhenoherzynikums überschoben.
Diese äußerst komlizierten geologischen Vorgänge aus paläozoischer Zeit, die hier vereinfacht wiedergegeben wurden, bilden das variskische Gebirge, das im Vorderen oder kristallinen Odenwald an die Erdoberfläche tritt.
Die aktuelle Forschung unterteilt den kristallinen Odenwald „in drei durch Störungszonen voneinander getrennte Einheiten: 1. Böllsteiner Odenwald, 2. Frankenstein-Komplex und 3. Bergsträßer Odenwald“33. Diese drei Einheiten wurden me- tamorph überprägt und tektonisch durch Dehnungen getrennt, so dass sie sich unabhängig weiterentwickelten.
a) Böllsteiner Odenwald
Er liegt im Nordosten des Kristallinen Odenwalds um Böllstein herum bis zum Nordrand des Odenwaldes und besteht aus Granodiorit- und Granit-Gneisen, die von einer Schieferhülle umgeben sind. Die Gneise entstanden, als vor 410 Millionen Jahren Gesteinsschmelzen von unten in ältere Sedimente eindrangen, sie sind prävariskisch angelegt.
b) Frankenstein-Komplex
Dies ist der nördliche Teil des kristallinen Odenwalds um das Frankensteinmassiv mit dem Frankenstein 375 m herum, zwischen Seeheim, Darmstadt und dem Rand der Reinheimer Bucht. Hier liegen die ältesten magmatischen Gesteine des Odenwaldes, Gabbros und Diorite (beide dunkel), die vor 362 Millionen Jahren entstanden.
c) Bergsträßer Odenwald
Er umfasst den südwestlichen und größten Teil des kristallinen Odenwalds von der Bergstraße bis nach Heidelberg. Er besteht aus den Verbänden des Weschnitzplutons (grauer Granodiorit aus dem Unterkarbon vor 333-329 Millionen Jahren), des jüngeren Trommgranits (rötlicher Granit34 vor 320 Millionen Jahren) und des Heidelberger Granits (auch Unterkarbon: heller, porphyrartiger Granit mit eingeschobenen Inseln aus Gabbro, Schiefer, Ryolith und Tuffstein). Ry- olith wird als Baustein und Straßenschotter bei Weinheim, Schriesheim und Dossenheim abgebaut. Die Steinbrüche des vulkanischen, hellen Ryolith (früherer Name Quarzporphyr) sind von der Rheinebene aus sichtbar.
Die drei genannten Komplexe stecken zwischen noch älteren Altbeständen der Flasergranitoidzone (Schiefer und Gneise aus dem Unterkarbon), die von Heppenheim nordöstlich (variskische Streichrichtung) bis zur Otzberg-Störung streicht.
Von Ziegelhausen bis Heidelberg legte der Neckar, der hier durch den Buntsandstein fließt, in einem geologischen Fenster den Granitunterbau frei. „Auch im Schlossgraben (Heidelbergs) ist die Auflage des Sandsteins auf dem kristallinen Gestein zu sehen.“35 Auch um Neustadt im Mümlingtal und an Stellen im Ulfenbachtal, z.B. bei Heddesbach, kommt das Grundgebirge im Buntsandstein-Odenwald zum Vorschein.
In der folgenden Skizze sind die geologischen Haupteinheiten (Units) des kristallinen Odenwalds zu sehen:
Unit I = Frankenstein-Massiv Unit II = Flasergranitoid-Zone
Unit III = Bergsträßer Odenwald mit Weschnitz-Pluton, Tromm-Graniten und Heidelberger Graniten
Unit IV = Nach der Otzberg-Störung Otzberg-Zone und Böllstein-Odenwald
Der älteste und kleinste Teil des Kristallinen Odenwaldes ist der Böllsteiner Odenwald, der östlich einer Störungszone liegt und rheinisch (SSW- NNO) streicht. Die Granite und Gneise der Einheiten I, II und III sind 30 Millionen Jahre jünger und streichen variskisch (SW-NO), darunter ist der rötliche Trommgranit noch einmal 13 Millionen Jahre jünger.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Kristalliner Odenwald
Qu.: Stein: Uni Gießen. Petrologisch-geologische Exkursion Odenwald 2005
Trotzdem bleibt festzuhalten, dass alle kristallinen Einheiten des Vorderen Odenwaldes im Paläozoikum entstanden.
4.2 Paläo- und mesozoische Ablagerungen
Nachdem die Formationen des Kristallin sich manifestiert hatten, kam es am Ende des Paläozoikums im Perm (vor 296-251 Millionen Jahren) zu Ablagerungen des Rotliegenden und des Zechstein. Das Rotliegende überdeckt das abgesunkene Kristallin im Sprendlinger Horst nördlich von Darmstadt. Hier entstand im Tonschiefer die bereits erwähnte Grube Messel.
Auf die Gesteinseinheit des Rotliegenden folgt der Zechstein, der - wie der Name schon sagt - aufgrund seiner Ablagerungen wirtschaftliche Bedeutung hat. Im Odenwald tritt der Zechstein punktuell in einem schmalen Streifen als Auflagerung auf dem Kristallin vor der Buntsandsteinstufe zu Tage.
Besonders an diesen Stellen, z.B. bei Reichelsheim, aber auch im Kristallin, wurden seit dem Mittelalter Silber, Blei und Kupfer abgebaut. Östlich davon im Sandstein-Odenwald wurden Eisenerz und Mangan gefördert. An einigen Stellen gab es Schwerspatgruben. Im westlichen Odenwald gab es 52 Zechen, im nördlichen 65 und im mittleren Odenwald sogar 78 Gruben.36 Bei Schriesheim, Weinheim und Wald-Michelbach gibt es drei Besucherbergwerke.37 Bis vor kurzem gewann man Marmor bei Auerbach und Porphyr bei Dossenheim.
Auf das Paläozoikum folgte vor 251,9 Millionen Jahren das Mesozoikum oder Erdmittelalter. Es begann nach einer ökologischen Katastrophe, möglicherweise dem Einschlag eines Meteoriten nahe der Yucatanhalbinsel. 75-90 % aller Tier- und Pflanzenarten starben aus, wodurch die Evolution einer neuartigen Flora und Fauna ermöglicht wurde. Es entstanden Vögel, die ersten Säugetiere, Blütenpflanzen und Bäume.38
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- Quote paper
- M.A. Gert Heinz Kumpf (Author), 2021, Der Odenwald ungeteilt und einzigartig. Geographische Analysen zu Abgrenzung, Entstehung, Großlandschaften, Limes, Talsystemen und Gewässernamen des Gebirges, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1010553
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