Individualisierung als Form der Modernisierung der Gesellschaft hat die soziale Welt, zum Teil widersprüchlich, fragmentiert. Durch Freisetzungsschübe werden immer mehr Individuen aus den traditionellen Großgruppen herausgelöst. Bildungsexpansion und Wohlstand sowie gleichzeitige neue Abhängigkeit von Arbeits- und Bildungsmarkt ermöglichen und erzwingen individuelle Lebensläufe und Lebensstile.
Es gibt immer weniger allgemein verbindliche Normen und Werte, die dem Subjekt durch Sozialisation vermittelt werden und ein Rezeptwissen aufbauen, an dem sich die biografische Lebensplanung orientiert.
Das hat auch Konsequenzen für die Identität. Sie wandelt sich von einer selbstverständlichen, vielfach individuell nicht bewusst wahrgenommen, Identität einer traditionellen Gesellschaft in eine lebenslange, selbstbestimmt zu konstruierende Identität in der Moderne und Postmoderne.
Wie dieser Prozess gelingt, hängt von den verfügbaren und entfaltbaren Ressourcen des Einzelnen ab und kann daher einen riskanten Drahtseilakt abbilden, welcher auch misslingen kann.
Für mich lag daher nahe, in diesem Aufsatz einen interaktionistischen Standpunkt einzunehmen, der auf der Theorie des symbolischen Interaktionismus aufbaut.
Um die interdisziplinäre Ausrichtung der Identitätsforschung zu berücksichtigen, orientiere ich mich sowohl an den Standpunkten der interpretativen Soziologie, als auch der reflexiven Sozialpsychologie.
Gliederung
1 Einleitung
2 Identität- eine Begriffsexplikation
2.1. Entstehung von Identität – aus der Sicht des symbolischen Interaktionismus
2.2. Identität in der modernen Gesellschaft
3. Identitätskonstruktionen in verschiedenen sozialen Netzwerken
3.1. Ressourcenarbeit
3.2. Gesellschaftliche Barrieren
4. Die Synthese und Integration der einzelnen Teilidentitäten
5. Resümee
6. Literatur
Einleitung
Individualisierung als Form der Modernisierung der Gesellschaft hat die soziale Welt, zum Teil widersprüchlich, fragmentiert. Durch Freisetzungsschübe werden immer mehr Individuen aus den traditionellen Großgruppen herausgelöst. Bildungsexpansion und Wohlstand sowie gleichzeitige neue Abhängigkeit von Arbeits- und Bildungsmarkt ermöglichen und erzwingen individuelle Lebensläufe und Lebensstile (vgl.Beck,1986). Es gibt immer weniger allgemein verbindliche Normen und Werte, die dem Subjekt durch Sozialisation vermittelt werden und ein Rezeptwissen aufbauen, an dem sich die biografische Lebensplanung orientiert.
Das hat auch Konsequenzen für die Identität. Sie wandelt sich von einer selbstverständlichen, vielfach individuell nicht kognizierten Identität einer traditionellen Gesellschaft in eine lebenslang, selbstbestimmt zu konstruierende Identität in der Moderne und Postmoderne.
„Deutlich wird: Identitätsbildung in der Spätmoderne ergibt nur bei oberflächlicher Betrachtung ein Bild postmoderner Beliebigkeit, sondern ist eine aktive Leistung der Subjekte, die zwar risikoreich ist, aber auch die Chance zu einer selbstbestimmten Konstruktion enthält“ (Keupp.et.al., 1999, S. 7).
Für mich lag daher nahe hier einen interaktionistischen Standpunkt einzunehmen, der auf der Theorie des symbolischen Interaktionismus aufbaut.
Damit wird sich insbesondere der Punkt 2.1. befassen, indem die Genese der Identität durch reflexive Reziprozität der Individuen verstanden werden soll.
Der Punkt 2.2. schildert, ob Identität in der modernen bzw. postmodernen Gesellschaft gelingen kann. Dabei wird von mir auf die Dialektik zwischen dem Modernisierungsprozess der Gesellschaft und den verändernden Anforderungen an die gesellschaftlichen Akteure eingegangen.
Es soll klar werden, dass selbstbestimmte Identitätskonstruktionen in der postmodernen Gesellschaft als „riskante Freiheiten“ (Beck) zu betrachten sind.
Punkt 3 befasst sich hauptsächlich mit den Identitätskonstruktionen in sozialen Netzwerken.
Dort werde ich darauf hinweisen, wie wichtig persönliche Ressourcen sind, um in sozialen Netzwerken der Postmoderne selbstreflexive Erlebnisse zu kohärenten Teilidentitäten zu verdichten und dadurch Zugang zu weiteren „Kapitalien“ (sensu Bourdieu) zu bekommen. Das geschieht im Unterpunkt 3.1.
Unterpunkt 3.2. expliziert, dass Ressourcen individuell unterschiedlich entfaltet werden können, indem mangelnde Ressourcen die individuellen Wahlmöglichkeiten an verschiedenen Lebenswelten zu partizipieren sehr einschränken und welche Auswirkungen sich für die Identität des Einzelnen daraus ergeben.
Punkt 4 deklariert, wie kohärente Teilidentitäten im Individuum integriert und zu einer kontinuierlichen Identität synthetisiert werden können.
Punkt 5 rundet als Resümee diese Arbeit ab.
Ich werde mich des weiteren in meiner Abhandlung nicht nur an den Standpunkten der interpretativen Soziologie orientieren, sondern auch die reflexive Sozialpsychologie mit einbeziehen.
2. Identität- eine Begriffsexplikation
2.1. Entstehung von Identität - aus der Sicht des symbolischen Interaktionismus
Der Mensch besitzt im Gegensatz zu höheren Säugetieren keine Instinkte, die sein Verhältnis zur Umwelt klar determinieren und die Beziehungen zu seinen Artgenossen werden durch die biologische Konstitution nur unzureichend gestaltet. Leben die Tiere demzufolge in einer geschlossenen Welt, in der jedem Reiz eine adäquate Reaktion folgt, so ist der Mensch mit einer so genannten Weltoffenheit ausgestattet (vgl. Berger & Luckmann,1999). Während bei hoch entwickelten Tieren der organismische Entwicklungsprozess zum Zeitpunkt der Geburt abgeschlossen ist, verläuft er beim Menschen noch weiter und steht ab diesem Moment in Wechselwirkung mit der gesellschaftlichen Umwelt, einer kulturellen Ordnung. Die Weltoffenheit des neugeborenen Menschen besteht also darin, dass sich sein ständig weiterentwickelnder Organismus1 an die, mit ihm in Wechselbeziehungen stehenden, unterschiedlichsten kulturellen Bedingungen flexibel anpassen kann. Man könnte auch sagen, zunächst durch reflexive Austauschprozesse zwischen dem Kleinkind und seiner Bezugsperson, die Mead (1975) den signifikant Anderen nannte. „Die signifikant Anderen sind jene Menschen, zu denen wir eine so enge Beziehung bzw. Bindung haben, dass sie für unser Denken, Handeln und Verhalten wichtige Bezugspunkte sind“ (Abels & Stenger, 1984, S.110).
Erst bleiben die signifikant Anderen auf Familienmitglieder beschränkt, erst in einem späteren Entwicklungszeitraum werden auch außerfamiläre Beziehungen geknüpft.
In einem Prozess, den Mead „play“ nennt, übernimmt zunächst das Kind per nonverbaler und später verbaler Interaktion die Perspektive der Mutter durch Rollenübernahme. Es internalisiert die an ihn gerichteten Verhaltenserwartungen. Das Kind orientiert sein Verhalten am Standpunkt der Mutter.
„Durch die Verinnerlichung hat sich der Standpunkt z.B. der Mutter im Denken des Kindes verselbständigt“(ebd., 1984, S.110).
Dabei identifiziert sich das Kind mit ihr. Sie identifiziert sich gleichermaßen mit dem Kind, indem dessen soziale Erwartungen ihr Verhalten beeinflusst. In der weiteren Entwicklung lernt das Kind noch weitere signifikant Andere innerhalb der Familie kennen und verinnerlicht deren Perspektiven. „Durch seine Identifikation mit signifikant Anderen wird es fähig, sich selbst und mit sich selbst zu identifizieren, seine eigene subjektiv kohärente und plausible Identität zu gewinnen“(Berger & Luckmann, 1999, S.142). Durch ein „taking the role of other“ und das „spielen“ dieser Rollen entdeckt das Kind schrittweise sein „Selbst“.
Diese Austauschprozesse konstituieren sich zunächst, wie erwähnt, innerhalb eines vorsprachlichen Stadiums, aus Gesten. Während bei Tieren bestimmte Gesten auch bedingte Reflexe auslösen, kann der Mensch hinter diesen Zeichen eine sinnhafte Bedeutung erkennen. Die Geste dient als Symbol. Mead gibt dazu an, dass die symbolische Geste dann ein signifikantes Symbol ist, wenn sie beim „Anderen“ die gleiche Vorstellung über den dahinterliegenden Sinn hervorruft wie im Erzeuger (vgl. Abels, 1999, S.14).
Das trifft in der Weiterentwicklung auch auf die verbalen und schriftsprachlichen Symbole zu, welche die Bedeutung von Objekten und Ereignissen vermitteln. Die sinnhafte Verknüpfung der sprachlichen Symbole lässt Sprache entstehen.
Die Sprache, die weiterhin in den nonverbalen und paralinguistischen Kontext eingebunden bleibt, ermöglicht es wahrgenommene Objekte vom „Hier und Jetzt“ abzulösen und mit bereits verinnerlichten Objekten oder neuen Sinneseindrücken in Zusammenhang zu bringen und somit komplexe Strukturen und Funktionszusammenhänge der Alltagswelt zu erkennen.
„Weil Sprache das ‘Hier und Jetzt’ überspringen kann, ist sie fähig, eine Fülle von Phänomenen zu ‘vergegenwärtigen’, die räumlich, zeitlich und gesellschaftlich vom ‘Hier und Jetzt’ abwesend sind.(...) Kurz gesagt, durch die Sprache kann eine ganze Welt in einem Augenblick ‘vorhanden’ sein“ (Berger & Luckmann, 1999, S.41).
Sie ist ein Symbolsystem, welches das abstrakte Denken ermöglicht, indem sie die Bedeutungen der Symbole sinnvoll ordnet, klassifiziert. Durch dieses „semantische Feld“2 kann das Individuum Kognitionen entwickeln. Soziale Ereignisse werden erinnert, verdichten sich durch Typisierung zu allgemeinen Erfahrungen, die biografisch kumuliert werden. Dieses Herausbilden von Stereotypen sorgt für kognitive Entlastung und ermöglicht den Erwerb neuer Kenntnisse.
Persönliche Handlungsentwürfe werden möglich.
Neue relevante Ereignisse werden mit ähnlichen Erfahrungen interpretiert. Dabei handelt es sich um einen retrospektiven Vorgang. Die biografische Vergangenheit wird im Kontext gegenwärtiger Situationen rekonstruiert. Das geschieht umso häufiger, je problematischer die Routine für das Individuum wird (vgl. Fuchs-Heinritz, 1999).
Das Individuum weiß um die Normen, Werte und Rollenerwartungen innerhalb seiner gesellschaftlichen Umgebung. Dieses Wissen, man könnte auch Alltagswissen sagen, wird dem Individuum einerseits durch gesellschaftliche Agenten Schritt für Schritt mitgeteilt und andererseits individuell angeeignet. Bei Letzterem distanziert sich das Individuum reflexiv von den vermittelten Handlungsmodellen und ist dadurch in der Lage auf die gesellschaftliche Umwelt kreativ einzuwirken. Diese Aneignungsprozesse fordern beim Individuum bestimmte Mittel, wie Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kompetenzen, Wissen, Ressourcen, Rechte und Berechtigungen ein (vgl. Abels & Stenger, 1984, S.95f.).
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1 Berger und Luckmann verwenden den Begriff „Bildbarkeit des Instinktapparates“ (1999, S.51)
2 Ein semantisches Feld ist die Summe sprachlicher Objektivationen (Berger & Luckmann, 1999, S.43).
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