Diese Arbeit behandelt das Thema rund um hochbegabte Kinder mit schlechten Noten in der Schule. "Selbst Einstein hatte nur ‘ne vier in Mathe und war später mal total genial." Diesen Ausschnitt kennt wahrscheinlich jeder, der schon einmal die Serie Schloss Einstein gesehen hat. Albert Einstein ist vor allem durch seine bahnbrechenden Erkenntnisse in der Mathematik und Physik berühmt geworden. Dabei verhalf ihm unter anderem sein überdurchschnittlich hoher Intelligenzquotient von 160.
Genauso bekannt ist die Annahme, dass Einstein ein Schüler mit schlechten Noten gewesen sein soll, welcher im Unterrichtsfach Mathe die Note 4 hatte. Jedoch widerlegen dies einige Quellen und begründen dies mit dem Schulsystem in der Schweiz, bei dem die Noten in umgekehrter Reihenfolge verteilt werden. Nichtsdestotrotz erfüllt er mit einer 2 nicht die Vorstellungen eines Genies oder eines überintelligenten Wunderkindes, der im besten Fall nur eine gute Note hatte.
Dementsprechend scherzen viele Schüler mit dieser Annahme, dass sie selber auch hochbegabt seien, obwohl ihre Noten etwas anderes behaupten. Allerdings gibt es dieses Phänomen wirklich, dass sich hinter Schülern mit normalen oder sogar schlechten Noten eine besondere Begabung verbirgt und deswegen unentdeckt bleibt. Dabei handelt es sich um die Underachiever.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Was ist Hochbegabung?
1.1 Definition Begabung
1.2 Definition Hochbegabung
1.2.1 Marburger Hochbegabtenprojekt von Rost (1987)
1.2.2 Drei-Ringe-Modell (Renzulli 1993) und seine Weiterentwicklung
1.2.3 Münchner Hochbegabungsmodell (Heller 1992)
1.3 Merkmale
1.4 Identifikation von Hochbegabung
1.4.1 subjektive Verfahren
1.4.2 Objektive Verfahren
2. Underachievement
2.1 Definition
2.1.1 Merkmale
2.1.2 Underachiever-Typen
2.2 Ursachen
2.3 Identifikation
2.4 Studien
3. Underachiever in der Schule
3.1 Einmal Underachiever, immer Underachiever?
3.2 Leistungsverweigerung
3.3 Rolle der Motivation
3.4 Fördermaßnahmen
3.4.1 Montessori-Pädagogik
3.4.2 Sonderpädagogisches Modell der Erziehung und Bildung
3.4.3 Mentoring
3.4.4 Forder-Förder-Projekt
3.4.5 Lernstrategiekurse für begabte Kinder
4. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Eidesstattliche Erklärung
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Das Drei-Ringe-Modell von Renzulli
Abbildung 2 Das Triadische Interdependenzmodell von Mönks
Abbildung 3 Das Münchner Hochbegabungsmodell von Heller
Abbildung 4 Teufelskreis Underachievement
Abbildung 5 Das Forder-Förder-Projekt für begabte Kinder
Abbildung 6 Lernstrategiekurse für begabte Kinder
Einleitung
„Selbst Einstein hatte nur ‘ne vier in Mathe und war später mal total genial. “(Bartsch, Rock, & Witzel 1998)
Diesen Ausschnitt kennt wahrscheinlich jeder, der schon einmal die Serie Schloss Einstein gesehen hat. Albert Einstein ist vor allem durch seine bahnbrechenden Erkenntnisse in der Mathematik und Physik berühmt geworden. Dabei verhalf ihm unter anderem sein überdurchschnittlich hoher Intelligenzquotient von 160 (vgl. Aust 2020, o.A.).
Genauso bekannt ist die Annahme, dass Einstein ein Schüler1 mit schlechten Noten gewesen sein soll, welcher im Unterrichtsfach Mathe die Note 4 hatte. Jedoch widerlegen dies einige Quellen und begründen dies mit dem Schulsystem in der Schweiz, bei dem die Noten in umgekehrter Reihenfolge verteilt werden. (vgl. Winter 2020, o.A.) Nichtsdestotrotz erfüllt er mit einer 2 nicht die Vorstellungen eines Genies oder eines überintelligenten Wunderkindes, der im besten Fall nur eine gute Note hatte. Dementsprechend scherzen viele Schüler mit dieser Annahme, dass sie selber auch hochbegabt seien, obwohl ihre Noten etwas anderes behaupten. Allerdings gibt es dieses Phänomen wirklich, dass sich hinter Schülern mit normalen oder sogar schlechten Noten eine besondere Begabung verbirgt und deswegen unentdeckt bleibt. Dabei handelt es sich um die Underachiever, die in dieser Arbeit thematisiert werden.
Folgende Fragen ergeben sich somit zu der Thematik Underachiever:
Was genau sind Underachiever und wie kann man sie erkennen? Ist jeder schlechte Schüler gleichzeitig ein Underachiever? Bleibt man immer ein Schulversager? Welche Maßnahmen für Prävention und Förderungen gibt es?
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Underachievement genauer zu vertiefen und dadurch dem Thema ein gewisses Verständnis im Hinblick auf die Schule gegenüberzubringen. Außerdem soll herausgefunden werden, ob die Diagnose Underachiever beständig ist.
Diese Arbeit mit dem Titel „Hochbegabte Underachiever - helle Köpfe mit schlechten Noten“ ist in drei Teile gegliedert, welche jeweils aufeinander aufbauen.
Hierfür wird zuerst ein Überblick über das Themenfeld der Hochbegabung gegeben, bei welchem die Begrifflichkeiten Begabung und Hochbegabung mit den dazugehörigen Definitionen, Theorien, Studien und Projekten geklärt werden. Die Auffassungen von Hochbegabung werden dazu mit Hilfe von Modellen dargestellt sowie die Komplexität anhand der Modelle für ein besseres Verständnis veranschaulicht. Im Anschluss daran folgen die Merkmale sowie die Identifikation von Hochbegabten, die jeweils in subjektive und objektive Verfahren unterteilt wird. Der erste Teil dieser Arbeit soll damit eine Wissensbasis über die Thematik schaffen, um ein gewisses Verständnis zu ermöglichen, bevor an die darauffolgenden beiden Teile angesetzt wird.
Der zweite Teil befasst sich mit dem Underachievement, einer Sonderform in der Hochbegabung. Da sie sich im schulischen Kontext abspielt, werden die Unterkapitel auf die Schule übertragen. Die Sonderform wird zuerst definiert und vertieft. Dazu werden die charakteristischen Merkmale und eine Typisierung von Underachievern dargelegt. Im Anschluss daran werden mögliche Ursachen für das Auslösen dieser Sonderform genannt, bevor die Identifikation dargestellt wird. Daran anknüpfend wird eine Fallstudie zweier männlicher Underachiever und deren Sichtweisen und Eindrücke in Bezug auf die Schule vorgestellt.
Im letzten Teil wird das Underachievement explizit auf das Thema Schule gelenkt, indem die Zukunftsperspektive integriert wird und Verhaltensweisen sowie Fördermaßnahmen in Betracht gezogen werden. In den Unterkapiteln wird außerdem die Rolle des Lehrers thematisiert und wie aus ihrer Sicht an die Sonderform angesetzt werden kann. Zum Schluss folgt das Fazit sowie die Beantwortung der Zielfrage.
1. Was ist Hochbegabung?
Die Begrifflichkeiten Begabung und Hochbegabung sind nur schwer und nicht eindeutig zu definieren, weshalb oftmals verschiedene Synonyme verwendet und ein gut ausgeprägtes Sprachverständnis verlangt wird. Während Ersteres häufiger Verwendung in der Pädagogik findet, ist die Hochbegabung dem Bereich der Psychologie zuzuordnen. Das Verständnis beider Bezeichnungen wird zudem beeinflusst durch verschiedene gesellschaftliche Faktoren, welche einem stetigen Wandel ausgesetzt sind (vgl. Behrensen & Solzbacher 2016, S. 22f.).
Im Verlauf dieses Kapitels werden die Begrifflichkeiten geklärt und die verschiedenen Ansichten und Theorien, die sich in der Hochbegabtenforschung entwickelt haben, anhand von Definitionen und Modellen verdeutlicht. Dazu werden Merkmale und mögliche Identifikationsverfahren vorgestellt, um einen Einblick in die Thematik der Hochbegabung zu ermöglichen.
1.1 Definition Begabung
Die ursprüngliche Bedeutung von Begabung lag zur Zeit des Mittelalters bei schenken, geben, besolden, ausstatten. Durch den Sprachwandel beeinflusst veränderte sich die Bedeutung, so- dass die Begabung erst im späten 18. Jahrhundert eine vorteilhafte menschliche Voraussetzung zur gelingenden Umsetzung von bestimmten Tätigkeiten erhielt (vgl. Hoyer et al. 2013, S. 13f.). Unter schulpädagogischem Blickwinkel versteht man seit Beginn des 20. Jahrhunderts Begabung als eine vererbte Veranlagung (vgl. Hoyer 2012, S. 15f.)
Mit Begabung wird oftmals die Vorstellung von herausragender Leistungsfähigkeit und einer personalen Exzellenz verbunden (vgl. Freeman 2010, S. 87). Der Begriff wird definiert als ein soziales Konstrukt, welches sich aus wissenschaftlichen und pädagogischen Techniken zusammensetzt. Die Begrifflichkeit und die damit verbundene Bedeutung verändert sich jedoch zusammen mit dem Wandel in der Historie und in der Auffassung von Bildung, weshalb der jeweilige Beobachtungskontext bedeutend ist (vgl. Seitz et al. 2016, S. 15). „AktuelleBegabungskonzepte charakterisieren begabte Kinder zumeist unter pädagogischen Gesichtspunkten als auffallend leistungsstarke und sich schnell entwickelnde Schüler sowie als besonders produktiv, sozial, sportlich oder kreativ “ (Trautmann 2010, S. 7ff.). In der Alltagssprache wird Begabung oft mit dem aus dem Französisch stammenden Wort Talent gleichgesetzt (vgl. Kluge 1989, S. 719).
Wichtig ist jedoch, dass Begabung nicht ausschließlich als eine genetische Fähigkeit gesehen wird, sondern als ein Entwicklungsprozess, der sich über die Zeit durch erbrachte Leistungen aufzeigt. Somit wird sie als eine Leistungsvoraussetzung beschrieben (vgl. Mielke 2001, o. A.). Der Erziehungswissenschaftler Heinrich Roth (1968) unterstützt diese Auffassung ebenfalls und beeinflusst damit seit den 1960er Jahren den Begriff in der Bildung. Durch diese Betrachtungsweise lässt sich auch die Mehrgliedrigkeit des Schulsystems in der Sekundarstufe erläutern (vgl. Seitz et al., 2016, S. 15f).
1.2 Definition Hochbegabung
Die moderne wissenschaftliche Hochbegabungsforschung steht in engem Kontakt mit der Intelligenzforschung (vgl. Behrensen und Solzbacher 2016, S. 23.).
Mit dem Ziel der Feststellung des Intelligenzalters von Kindern folgte im Jahr 1905 der erste Intelligenztest, der den damaligen wissenschaftlichen Standards entsprach. Intelligenz wurde als ein umfassendes Denkvermögen definiert. Der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung diente dabei als Messgrundlage. Ab 1910 wurde der Intelligenzquotient (IQ) als Maßeinheit eingeführt, welcher trotz mehrfacher Weiterentwicklungen bis heute besteht (vgl. Stern 1916, o. A.; Stern 1912 o. A.; Terman 1916 o. A.). Dabei wurde der Mittelwert bei 100 und eine Standardabweichung von 15 festgelegt (vgl. Wechsler & Bondy 1964, o. A.). Demnach gelten Personen mit einem IQ von unter 70 als minderbegabt und mit einem IQ von über 130 als hochbegabt (vgl. Behrensen und Solzbacher 2016, S. 24). Den Intelligenzbegriff verwenden weitere Autoren wie Wechsler & Bondy (1964) und Thurstone (1938) im Zusammenhang mit Hochbegabung (vgl. Wechsler & Bondy 1964, o. A.). Intelligenz setzt sich hierbei aus verschiedenen Eigenschaften zusammen und zeigt sich durch zweckvolles Handeln, vernünftiges Denken und ein wirkungsvolles Auseinandersetzen mit der Umgebung (Wechsler & Bondy 1964, S. 13). Der Psychologe Franz Weinert teilt ebenfalls diese Ansicht über Intelligenz, jedoch stellt er in Messungen fest, dass herausragende kognitive Leistungen nicht nur durch gute Denkfähigkeiten erbracht werden, sondern ebenfalls eine Basis aus reichhaltigem, komplexem Wissen verlangen (vgl. Weinert 2001, S. 73-86).
In Anlehnung an die Intelligenzforschung wurde die Theorie der vielfachen Intelligenzen entwickelt (vgl. Gardner 2002, S. 79f). Diese besteht aus den Folgenden neun Fähigkeitsbereichen: Sprachliche, Musikalische, Logisch-mathematische, Räumliche, Körperlich- kinästhetische, Intrapersonale, Interpersonale, Naturalistische und Existenzielle Intelligenz. Die neun Intelligenzen beeinflussen außerdem die Planung der Unterrichtsgestaltung, durch welche jedem Kind eine individuelle Förderung zugesichert werden soll, indem diese Fähigkeitsbereiche berücksichtigt werden (vgl. Gardner 2002, S. 79f.).
Durch die Theorie der vielfachen Intelligenzen wird ein Übergang von der Intelligenzforschung zum Thema Hochbegabung geschaffen. Im Rahmen der Hochbegabung gibt es eine ähnliche Einteilung, indem in akademische, sprich theoretische, und praktische Begabungen differenziert wird. Während zu den Ersteren logisches Denken, Merkfähigkeit, Problemlösefähigkeit, Sprachvorstellung und schnelle Informationsverarbeitung gehören, unterliegen den praktischen Begabungen die psychomotorischen und musischen Fähigkeiten (vgl. Feger 1988, S. 92). Zusätzlich wird in Spezialbegabungen unterschieden, welche häufiger sind und Hochbegabung somit als ein heterogenes Phänomen darstellen (vgl. Winner 1998, S. 57).
Aufgrund der Schwierigkeit, eine genaue qualitative Definition für die Hochbegabung zu erfassen, gibt es eine Vielzahl an möglichen Definitionen (vgl. Rost 2013, S. 229). Die vorliegende Arbeit stützt sich dabei auf die Definition des Psychologen Detflef Rost. Dabei wird Hochbegabung als eine geistige Disposition oder als ein individuelles Fähigkeitspotenzial definiert, mit dem eine ausgezeichnete oder herausragende Leistung erbracht werden kann (vgl. Rost 2009, S. 14) Dazu werden Hochbegabung von Begabung voneinander differenziert, indem das hoch die Abgrenzung vom Mittelwert verdeutlicht (vgl. Rost 2013, S. 229). Um diese Differenzierung darlegen zu können, werden durchschnittlich Begabte als Vergleichsgröße herangezogen (vgl. Rost 1991, S. 197ff.). Die Begabungsentwicklung verläuft dabei individuell und wird durch verschiedene Variablen beeinflusst. Inwieweit dies geschieht ist allerdings abhängig von verschiedenen soziokulturellen Lernumwelteinflüssen. Angesichts der Tatsache, dass die aktuellen Modelle zur Hochbegabung weitestgehend mehrdimensional sind, wird das große Spektrum möglicher Entwicklungen abgedeckt (vgl. ebd.).
Anlässlich der Differenzierung in Begabungsarten und der Einbeziehung in verschiedene Definitionen resultierten daraus die unterschiedlichsten Einteilungsversuche. Die sechs Definitionsklassen von Lucito (1964) wurden dabei besonders populär (vgl. Lucito 1964, S. 182ff.): Sie beginnt mit dem Ex-post-facto oder der Post-hoc-Definition, bei der Hochbegabung als Kombination von außergewöhnlicher Leistung und Berühmtheit definiert wird. Dabei wird nachträglich festgestellt, dass die Person über eine besondere Begabung verfügen muss. Darauf folgt die IQ-Definition. Durch ein bestimmtes Intelligenztestverfahren wird ein IQ von über 130 erzielt und stellt somit eine Hochbegabung fest. Bei der sozialen Definition steht die Gesellschaft in Abhängigkeit von herausragenden Leistungen bestimmter Personen im Vordergrund. Im Anschluss daran liegt die Prozentsatz-Definition. Hierbei werden die obersten zwei Prozent oder zehn Prozent der Besten einer bestimmten Gruppierung, wie bei einem Intelligenztest oder eines Klassenjahrgangs festgestellt. Das entscheidende Kriterium ist die Leistung. Bei der Kreativitäts-Definition dient nicht Intelligenz als Messwert für Leistung, sondern Kreativität. Demnach gelten Personen als hochbegabt, die die Fähigkeit besitzen, etwas Neues und Originelles zu erzeugen. Die letzte Stufe der Klassifizierung ist der mehrfaktorielle Ansatz. Diese Definition hat Lucito (1964) selbst neben dem Begriff Hochbegabung aufgestellt (vgl. Lucito 1964, S. 182ff.). Dabei betont er den Fördergedanken und setzt Begabung nicht mit Leistung gleich (vgl. Heinbokel 2009, S. 74).
Um die Vorstellungen über die verschiedenen Definitionen von Hochbegabung anschaulicher darzustellen, wurden für das Verständnis mehrere Modelle erstellt. Diese berücksichtigen die unterschiedlichen Sichtweisen und Einflussfaktoren sowie bestimmte Charakteristika.
1.2.1 Marburger Hochbegabtenprojekt von Rost (1987)
Bei dem Marburger Hochbegabtenprojekt handelt es sich um eine Längsschnittstudie, die an der Marburger Universität 1987 unter der wissenschaftlichen Leitung des Psychologen Detlef Rost durchgeführt wurde. Die Studie basiert auf einer Untersuchung von ca. 300 Kindern aus der dritten Jahrgangsstufe, die aus rund 7000 Schulkindern ausgesucht wurden. Darunter fanden sich 151 hochbegabte und 136 normal begabte Kinder. 1994 wurde sie erweitert, indem die Kinder ein zweites Mal im Alter von 15 Jahren untersucht wurden. Dabei wurden einerseits 118 hochbegabte Jugendliche und andererseits 112 Jugendliche ohne Hochbegabung gegenübergestellt, welche aufgrund ihrer Lehrer jedoch in die Kategorie von Hochleistern eingestuft wurden, sodass Gruppenvergleiche zwischen Hochbegabten und Hochleistern im Rahmen des Marburger Hochbegabtenprojekts durchgeführt werden konnten (vgl. Jacob 2016, S. 51f). Die beiden Gruppen wurden anhand von Intelligenztests und psychosozialen diagnostischen Verfahren verglichen. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf deren Lebenswelt, hemmende und fördernde Entwicklungsbedingungen und der Frage der Stabilität von Hochbegabung gelegt. Außerdem sollten Persönlichkeit, Selbstkonzept, Interessen, Emotionen und Motive zusätzlich untersucht werden sowie die Entwicklung der durchschnittlich begabten Jugendlichen. Ergänzend dazu wird die Relevanz der Untersuchung des familiären Kontextes von hochbegabten Kindern betont, da diese besonders wichtig für die Beratung sei (vgl. Preckel & Vock 2013, S. 57). Rost startete die Forschung, bei der Hochbegabung auf der Grundlage von einer überdurchschnittlichen Intelligenz definiert und durch den Spearmanschen Generalfaktor g festgestellt wird. Der Mittelwert beträgt dabei M=100 und darf eine Standardabweichung von SD=15 haben. Das Kriterium für Hochbegabung wird durch 2 Standardabweichungen festgelegt, wodurch damit ein IQ von mindestens 130 erzielt werden muss. Mit dieser Auffassung teilt Rost eine eindimensionale Sichtweise zur Ermessung von Hochbegabung durch Intelligenz (vgl. Rost 2009, S. 74). Die mehrdimensionalen Hochbegabungsmodelle kritisiert er hinsichtlich ihrer zahlreichen Variablen. Diese bewirken laut Rost ein Entfliehen der diagnostischen Erfassung und resultieren in ungenauen Ergebnissen. In seinen Augen ist es sinnvoll Hochbegabung eng an die Thematik der Intelligenz anzuknüpfen, da sie die einzige Variable sei und zudem sehr gut messbar (vgl. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München 2011, S.23).
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die hochbegabten Schüler häufig hervorragende schulische Leistungen erbringen und sich weder im Grundschulalter noch im Jugendalter negativer aus psychischer und sozialer Sicht entwickeln als ihre normal begabten Mitschüler. Eine gewisse Andersartigkeit konnte nicht durch die Studie belegt werden, jedoch konnte eine kleine Gruppierung festgestellt werden, deren schulische Noten trotz vorhandener Hochbegabung nicht ihrem Potenzial entsprechen (s. Kapitel 3). Ebenfalls wurde durch das Marburger Hoch- begabtenprojekt die Stabilität dieser intellektuellen Besonderheit bestätig, wenn man sie nach dem Intelligenzkriterium definiert. Innerhalb der ersten Untersuchung in der dritten Klasse und der zweiten Untersuchung im Jugendalter konnten nur 15% der Probanden keine Hochbegabung mehr aufweisen (vgl. Jacob 2016, S. 52f.). Allerdings kam man durch die Studie zu der Erkenntnis, dass die Schnittmenge zwischen Hochbegabten und Hochleistern nur 12% beträgt. Dies bedeutet, dass die Schüler mit einer besonderen Begabung mehrheitlich keine Spitzenleistungen erbringen und sich ihre Durchschnittsnoten im Zweier-Notenbereich befinden. Es besteht sogar die Gefahr zum Schulversagen, wenn auch nur sehr selten. Die hochleistenden Schüler zeigen dagegen keine mehrheitliche Spitzenintelligenz. Der gemessene durchschnittliche Intelligenzfaktor liegt hier bei 114 und bewegt sich somit an der Grenze zum überdurchschnittlich intelligenten Rahmen. Im Bezug auf das Verhältnis von Begabung und Leistung lässt sich hieraus erschließen, dass Höchstwerte einer intellektuellen Begabung in der Regel zu mittelmäßigen Schulleistungen führen, während eine leicht überdurchschnittliche Intelligenz eine höhere Wahrscheinlichkeit für Höchstleistungen in der Schule mit sich bringt (vgl. Steinheider 2014, S. 26).
1.2.2 Drei-Ringe-Modell (Renzulli 1993) und seine Weiterentwicklung
Drei-Ringe-Modell (Renzulli 1993)
Der amerikanische Psychologe und Begabungsforscher Joseph Renzulli setzte sich ab 1970 mit dem Themengebiet der Hochbegabung auseinander und befasste sich mit der Frage, welche Faktoren neben der Intelligenz zu innovativer Leistung führen können. Dazu führte er eine Untersuchung durch, in der er biografische Analysen an bestimmten Testpersonen vornahm. Zu den ausgewählten Testpersonen gehörten Personen, die bereits gesellschaftsrelevante, innovative Leistungen erzielt hatten. Unter diesen Gesichtspunkten entwickelte Renzulli (1993) das Drei-Ringe-Modell (vgl. Brunner et al. 2005, S. 14), welches sich anhand von Leistung orientiert und mit zu den bekanntesten Hochbegabungsmodellen gehört (vgl. Schick 2007, S. 28).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Das Drei-Ringe-Modell von Renzulli
Quelle: Fels 1999, S. 43
Dieses Modell wurde somit aus der Praxis der Begabtenförderung entwickelt. Demnach ergibt sich eine außergewöhnliche Leistung im Bereich der Hochbegabung aus den drei Komponenten Kreativität, überdurchschnittliche Fähigkeiten und Motivation (vgl. Huser 2004, S. 10), welche als gleichberechtigte Aspekte behandelt werden. Kreativität steht hierbei für das Lösungsvorgehen von Aufgaben, gekennzeichnet durch Originalität, Produktivität, Flexibilität und individuelle Selbstständigkeit. Überdurchschnittliche Fähigkeiten setzen sich in diesem Modell aus Facetten der allgemeinen Intelligenz, wie beispielsweise einem hohen Niveau im abstrakten Denken oder der Automatisierung der Informationsverarbeitung zusammen. Der andere Teil beinhaltet spezifische Tätigkeiten, die sich in der Anwendung auf spezielle Wissensgebiete auswirkt. Motivation als dritte Komponente wird oftmals mit Synonymen wie Aufgabenverbundenheit oder Durchhaltevermögen gleichgesetzt und beschreibt damit die Fähigkeit, sich über einen längeren Zeitpunkt mit einer Aufgabe auseinanderzusetzen. Dieser Bestandteil setzt sich aus kognitiven, emotionalen und motivational-volitiven Einzelteilen zusammen (vgl. Renzulli 1993, S. 217ff.). Eine besondere Eigenschaft dieser Konzeption liegt in der Gleichstellung von Begabung und Leistung und der zusätzlichen Einbeziehung von motivationalen Elementen und Kreativität, welche beide auch als definitorische Komponenten des Konstruktes dienen. Allerdings geht damit auch die Kritik einher, dass durch die Gleichstellung von Begabung und Leistung die Problematik des Underachievements übersehen wird, welches verhindert, das Potenzial in Leistung umgesetzt wird (s. Abschnitt 3.1). Außerdem wird der Bezug zu Kreativität ebenfalls kritisiert, da eine hohe Intelligenz auch ohne eine kreative Begabung auftauchen kann (vgl. Schick 2007, S. 29f.).
Jedoch ist bei dem Modell zu beachten, dass eine Person nur als hochbegabt gilt, wenn alle drei Komponenten erfüllt werden. Sollte eine Person nicht in allen Komponenten eine entsprechende Ausprägung besitzen und dennoch außergewöhnliche Leistungen erbringen, trifft das Merkmal Hochbegabung nicht zu (vgl. Tettenborn 1996, S. 11; Rost 1991, S. 202).
Triadisches Interdependenzmodell (Mönks 1991)
Das Triadische Interdependenzmodell knüpft an das Hochbegabungsmodell von Renzulli (1993) an. Der niederländische Psychologe Mönks kritisierte dieses aus entwicklungspsychologischer Perspektive, da es Verknüpfungen von Persönlichkeitseigenschaften im sozialen Rahmen nicht berücksichtige. Diese Weiterentwicklung sollte darstellen, inwiefern Aspekte für die Entstehung und Entwicklung von Hochbegabung sich bedingen (vgl. Mönks 1991, S. 235) und sollte zeigen, wie dieser Prozess optimiert werden kann (Feger & Prado 1998, S. 36).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 Das Triadische Interdependenzmodell von Mönks Quelle: Mönks & Ypenburg 2005, S. 26
Mönks (1991) Modell ergänzt die Berücksichtigung des sozialen Umfelds, da sich seiner Meinung nach Hochbegabung nur in einem vorteilhaften sozialen Umfeld entfalten kann (vgl. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München 2011, S. 20). Aufgrund der Einbettung des sozialen Umfelds bestehend aus Schule, Familie und Peers, wird dieses Modell auch Mehr-Faktoren-Modell genannt. Die Voraussetzung für ein gelungenes Zusammenwirken aller Faktoren liegt hierbei im sozialen Umgang, welcher auch als soziale Kompetenz verstanden wird. Diese verbindet Person und Umgebung, denn erst wenn alle sechs Faktoren richtig zusammenspielen, kann man nach diesem Modell von einer Hochbegabung sprechen (vgl. Mönks & Ypenburg 1993, S. 21ff.).
Sowohl Renzullis (1993) Drei-Ringe-Modell als auch Mönks (1991) erweitertes Triadisches- Interdependenzmodell haben Konzepte einer Pädagogik herausgearbeitet, bei der das Individuum im Fokus steht (vgl. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München 2011, S. 20). Jedoch wird dieses Modell kritisiert, da bestimmte Risikogruppen außen vor gelassen werden. Damit meinen sie eigentliche Hochbegabte, deren Motivation nicht kontinuierlich gleich bleibt, wodurch sie nach diesem Modell deswegen aber nicht als hochbegabt gelten bzw. erst wieder hochbegabt sind, sobald die Motivation wieder ansteigt untereinander aussehen. Es wird auf die Wichtigkeit der Sozialkompetenz verwiesen, die im Modell unberücksichtigt bleibt (vgl. Holling & Kanning 1999, S. 11f.).
1.2.3 Münchner Hochbegabungsmodell (Heller 1992)
Das Münchner Modell zur Hochbegabung entstand in den 1980er Jahren und geht auf eine wissenschaftliche Untersuchung von dem Psychologen Kurt Heller und seiner Forschungsgruppe zurück. Im Vordergrund dabei stand das Herausarbeiten von Bedingungen, die für die Übertragung von Begabung in Leistung ausschlaggebend sind. Der Hauptteil dieser Forschung dient als Grundlage dieses Modells. Dabei wurden die Entwicklung und Leistung zwischen hochbegabten und nicht hochbegabten Schülern verglichen und analysiert. Die Erkenntnisse der Untersuchungen, dass eine ganze Reihe an Sozialisationsfaktoren und Persönlichkeitsmerkmalen eine wichtige Rolle spielen, wurden ergänzt und in dem unten dargestellten Modell zu Dieses Hochbegabungsmodell weist eine erhebliche Anzahl an verschiedenen Variablen auf. Es umfasst sieben Prädikatoren für Begabungsfaktoren, fünf Moderatoren für nicht-kognitive Persönlichkeitsmerkmale, acht Kriterien für Leistungsbereiche sowie fünf Moderatoren für Umweltmerkmale auf (vgl. Schweizer 2006, S. 193). Es handelt sich bei dem Modell um ein mehrfaktorielles Bedingungsmodell, welches sich auf (Hoch-)Begabungsleistung bezieht. Demnach setzt sich die Hochbegabung hier zusammen aus dem Zusammenspiel zwischen den kognitiven und nicht-kognitiven Persönlichkeitsmerkmalen und den Umweltfaktoren. Ergänzend wird die Wechselwirkung zwischen den Begabungsfaktoren und den Umweltmerkmalen verdeutlicht. Das Ziel dieses Modells liegt darin, die Voraussetzungen und Bedingungen von herausragenden kognitiven und nichtkognitiven Leistungen zu identifizieren, damit diese erläutert werden können. Außerdem sollen dadurch Ansatzpunkte für die Intervention bei charakteristischen Lern- und Leistungsproblemen ermittelt werden (vgl. Rohrmann & Rohrmann 2010, S. 50ff.). Die Identifizierung von Schülern mit einer besonderen Begabung soll anhand dieses komplexen Modells aus wissenschaftlicher Sicht deutlicher veranschaulicht werden, als es bis dahin üblich war (vgl. Behrensen & Solzbacher 2016, S. 39). Durch eine pädagogische Analyse wird die Problematik der Underachiever in diesem Modell berücksichtigt, da es keine Umsetzung von Begabung in Leistung voraussetzt. Wechselwirkungen und Umweltmerkmale lassen Spielraum für verschiedene Beagbungsformen und Begabungsniveaus, welche aber auch auf die Notwendigkeit von Differenzierung in der Begabungsförderung hinweisen (vgl. Trautmann 2010, S. 20). Allerdings ist der fehlende Umwelteinfluss auf die nichtkognitiven Persönlichkeitsmerkmale zu kritisieren. Dabei wurde der Vorschlag geäußert, eine Verbindung von den Umweltmerkmalen zu den nichtkognitiven Persönlichkeitsmerkmalen zu ergänzen, da die Merkmale durch Leistungen aus der Kindheit beeinflusst werden können. Es wird sogar befürwortet, alle Pfeile durch Wecheselpfeile zu ersetzen, mit Ausnahme des Pfeils von den Begabungsfaktoren bis zu den Leistungsbereichen (vgl. Schulte zu Berge 2001, S. 16).
Aufgrund des Schwerpunktes dieser Arbeit über die hochbegabten Underachiever, die im nachfolgenden Themenkomplex analysiert werden, stützt sich der Rahmen dieser wissenschaftlichen Arbeit auf das Münchner Hochbegabungsmodell. Die Anzahl der Variablen und die damit verbundene Definition über Hochbegabung lässt dementsprechend Freiraum für diese Sonderform und wird in Kapitel 3 weiterführend thematisiert.
1.3 Merkmale
Hochbegabung macht sich in den meisten Fällen schon bereits im Kleinkindalter anhand von einer Vielzahl an (ersten) Hinweisen bemerkbar. Sollten mehrere Merkmale zutreffen, ist die Wahrscheinlichkeit einer Hochbegabung höher, jedoch müssen sie nicht bei jedem Kind gleichermaßen erfüllt werden. Zu den Merkmalen gehört ein starkes Interesse an die eigene Umgebung sowie ein hervorragendes Gedächtnis. Im Bereich der Sprache fangen sie bereits im frühen Kleinkindalter an zu sprechen, überspringen dabei direkt die Baby-Sprache und weisen auf einen großen Wortschatz Die Aufmerksamkeit für Symbole, Buchstaben und Zahlen steigt schnell an, sodass die kleinen hellen Köpfe das Lesen und Rechnen früh lernen und sich dies teilweise sogar selbst aneignen. Außerdem verstehen sie komplexe Zusammenhänge und löchern Erwachsene mit Fragen. Nicht selten gehen sie weit über altersgerechte Themen hinaus, wie beispielsweise Fragen über den Ursprung und Sinn des Lebens. Auch eine erhöhte Motivation am Lernen unterschiedlicher Themengebiete, eine ausgeprägte Phantasie sowie Initiative und Originalität sind Merkmale frühkindlicher Hochbegabung. Auf der Persönlichkeitsebene gibt es Charakteristika wie einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, das Hinterfragen von Dingen und eine besondere Sensibilität für zwischenmenschliche Beziehungen. In den meisten Fällen sind sie von gegenüber gleichaltrigen Kindern eher abgeneigt und beschäftigen sich lieber mit älteren Kindern oder Erwachsenen. Ein weiteres Merkmal kann zudem ein geringes Schlafbedürfnis sein (vgl. Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind e.V. 2020, o. A.). Im Allgemeinen konnten zwischen leistungsexzellenten Personen und Personen mit durchschnittlichen Leistungen in der Forschungsliteratur mehrere Unterschiede festgestellt werden. Diese Merkmale beziehen sich jedoch nur auf das Fachgebiet des jeweiligen Hochbegabten. Die Experten eines bestimmten Fachbereiches weisen auf eine bessere Lösungswahrscheinlichkeit aufgrund einer besseren Lösungsfindung hin. Bittet man beispielsweise einen begabten Musiker darum, ein neues Stück zu spielen, stößt dieser schnell auf eine bessere Interpretation des Musikstückes im Vergleich zu einem guten Laienmusiker. Des Weiteren haben sie eine bessere Informationsaufnahme. Sie können eine größere Fülle an Informationen aufnehmen, diese schneller verarbeiten und zuordnen. Auch das Erkennen von verschiedenen Beziehungen und das strukturierte Abspeichern der Informationen liegt ihnen besser. Auf der Ebene der Wissensbasis sind sie Normalbegabten ebenfalls überlegen. Vergleichen kann man dies zum Beispiel anhand von Schachmeistern. Deren Wissen über sinnvolle Konstellationen von Schachfiguren ist genauso komplex, wie der Wortschatz ihrer Muttersprache. Zusätzlich besitzen sie exzellente Abrufstrategien über ihr Wissen. Damit sind Hochbegabte darin anderen überlegen, die ganzen umfangreichen Wissensinformationen schneller, gleichzeitig aber auch fokussierter anzuwenden. Dieses Konstrukt an Strategien ist bei durchschnittlich Begabten unüblich, sodass große Teile ihres Wissens nicht abrufbar sind, was wiederum die Hochbegabten von Normalbegabten unterscheidet. Ein weiteres Merkmal der Hochbegabung ist die Problemanalyse. Dabei wird vor dem Handeln das Problem sehr intensiv analysiert, weshalb die Handlung funktionaler gestaltet wird, als bei Novizen. Die schlauen Köpfe werden ebenfalls durch eine verstärkte Selbstreflexion charakterisiert. Sie können ihren eigenen Leistungsstand und das Leistungsvermögen besser reflektieren und sogar einschätzen, ob sie fähig sind ein bestimmtes Problem zu lösen. Auch bei der Strategieauswahl für das Lösen von Problemen zeigen sie eine stärker überlegte Vorgehensweise. Physiker gehen beispielsweise bei einer Problemlösung so vor, dass sie sich vom Unbekannten zum Gegebenen arbeiten, leistungsexzellente Physiker handeln aber dagegen meist in umgekehrter Reihenfolge. Auffallend ist außerdem die enorme Anzahl der automatisierten kognitiven Handlungsschritte bei den Experten. Die Schritte können einfach abgerufen werden und müssen nicht, wie sonst üblich, mühsam konstruiert werden. Deshalb verfügen sie über kognitive Ressourcen für die Analyse von Problemsituationen auf der Suche nach einer unbekannten Lösung. Diese Merkmale heben leistungsexzellente Personen von anderen ab und erklären besondere Phänomene innerhalb verschiedener Begabungsbereiche. Beispielsweise sind Besonderheiten wie die „No-Look-Pässe“ des Basketballstars „Magic“ Johnson, die Lösung anspruchsvoller stochastischer Aufgaben durch Mathe-Genies oder überragende Improvisationskünste weltbekannter Jazzpianisten auf diese kognitiven Ressourcen zurückzuführen (vgl. Ziegler 2018, S. 35f.).
1.4 Identifikation von Hochbegabung
Bei ersten Anzeichen und Auffälligkeiten, die durch Eltern und Lehrer wahrgenommen werden, folgt ein sonderpädagogisches Gutachten, bei dem standardisierte Tests durchgeführt werden. In diesem Teilkapitel werden Verfahren zur Identifikation von Hochbegabung thematisiert, jedoch aufgrund der Vielzahl an möglichen Vorgehensweisen nicht zu sehr vertieft.
Die Hochbegabung lässt sich dabei anhand von objektiven und subjektiven Verfahren feststellen. Ersteres beschreiben die Diagnostik durch Intelligenztests und sind damit die am weitesten verbreiteten Verfahren in der Hochbegabungsdiagnostik. Unter die subjektiven Identifikationsverfahren fallen Vorgehensweisen, die auf schulischen Informationen wie Schulnoten, Lehrernominierungen, Wettbewerbe, etc., bzw. auf Fremdnominierung beispielsweise durch Mitschüler, Eltern, etc. beruhen (vgl. Fischer-Ontrup 2011, S. 36f.).
1.4.1 subjektive Verfahren
Zu den subjektiven Verfahren gehören unter anderem Verhaltensbeobachtungen, um besondere Fähigkeiten und Begabungen eines Menschen aufzudecken. Dabei spielen vor allem Lehrer, Eltern, Gleichaltrige aber auch die betroffene Person selbst eine Rolle. Während die Lehrer2 das Verhalten ihrer Schüler im Unterricht registrieren, erfahren die Eltern die Entwicklung ihrer eigenen Kinder zu Hause. Gleichaltrige und Freunde können ebenfalls Beobachtungen über das jeweilige Verhalten anstellen. Diese Möglichkeit zur Erkennung von Begabung wird sowohl in der Forschung als auch in der Praxis verwendet und ist besonders in den USA weit verbreitet (vgl. Wild 1991, S. 33-65).
Das Erkennen einer hohen Begabung bei Schülern ist eine der schwierigsten Aufgaben für Lehrkräfte, zumal durchschnittlich zwei bis drei Kinder pro Klasse schulisch unterfordert sind. Studien zeigen, dass weniger als 50% der hochbegabten Kinder durch ihre Lehrer in der Schule erkannt werden. Die Eltern lagen mit ihren Einschätzungen der Kinder im Vorschulalter bei einer Treffsicherheit von 67%, obwohl die Erkennung schwieriger ist, je jünger die hellen Köpfe sind (vgl. Huser 2004, S. 47). Die Komplikation Hochbegabung zu diagnostizieren lässt sich aufgrund von verschiedenen Gründen erklären, zu denen u.a. eine Wahrnehmungsverzerrung erschwerte Bedingungen für eine Diagnostik mit sich bringen kann. Dies ist auf Vorurteile, Beobauchtungsfehler oder auf nicht ausreichendes Wissen über Erscheinungsformen und Entwicklungsformen der Beteiligten aus dem privaten und schulischen Umfeld zurückzuführen. Auch Risikogruppen im Bereich der Hochbegabung bleiben oftmals unentdeckt. Zu ihnen zählen beispielsweise verhaltensauffällige oder behinderte Kinder und Jugendliche. Aber auch hochbegabte Mädchen, Underachiever sowie Immigrantenkinder gehören der Risikogruppe an. Zusätzlich erschweren ungünstige familiäre und schulische Sozialisationsbedingungen eine Identifikation von besonderen Fähigkeiten (vgl. Weinert & Wagner 1987, S. 109).
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1 Sämtliche personenbezogenen Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen.
2 Sämtliche personenbezogenen Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen
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- Anonymous,, 2020, Hochbegabte Underachiever mit schlechten Noten in der Schule. Definition und Förderungsmaßnahmen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1009346
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