Die vorliegende Abhandlung verfolgt zwei Zielsetzungen: Zum einen soll sie ein besseres Verständnis darüber geben, ob und wie es Verhandlungsführern in der Praxis gelingt, integratives Potenzial nicht nur in der Verhandlung, sondern bereits während der Verhandlungsvorbereitung zu erkennen. Zum anderen soll sie dazu beitragen, die bestehende Kluft zwischen Forschung und Praxis zu überbrücken, indem sie die Laborergebnisse auf die reale Welt überträgt und mögliche Probleme aufzeigt, die eine hohe Relevanz für weitere Forschung haben könnten. Daraus ergibt sich im Rahmen dieser Arbeit folgende forschungsleitende Frage:
Wie steht es um die Fähigkeit von Praktikern, integratives Potenzial zu erkennen und anschließend zu realisieren? Welche Bedeutung spielt dabei die Verhandlungsvorbereitung?
Theorie und Forschung zeigen, dass distributive Verhandlungssituationen hier hinter den integrativen Verhandlungssituationen hinsichtlich der Möglichkeit einer Verbesserung der Verhandlungsergebnisse zurückbleiben. Daher könnte man annehmen, dass die Realisierung von integrativem Potenzial in Verhandlungen für Verhandlungsakteure oberste Priorität haben sollte. Ein großer Teil der Literatur legt jedoch nahe, dass Verhandlungsführer oftmals nicht dazu in der Lage sind, integrative Lösungen während der Verhandlung aufzudecken, sondern sich stattdessen mit ineffizienten Kompromisslösungen zufriedengeben.
Gliederung
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Analytischer Rahmen – Verhandlungen zwischen Konflikt und Problemlösung
2.2 Bedeutung Integrativer Verhandlungen
2.3 Hindernisse für Integrative Verhandlungen
2.4 Bedeutung der Verhandlungsvorbereitung zur Realisierung von integrativem Potenzial
3. Methodik
4. Ergebnisse
5. Diskussion
6. Literaturverzeichnis
7. Anhang
7.1 Anhang 1: Fragebogen
7.2 Anhang 2: Auswertungen relevanter Fragestellungen
7.3 Anhang 3: Formblatt für Verhandlungsvorbereitung
Abkürzungsverzeichnis
dis. distributiv
int. integrativ
IACCM The International Association for Contract & Commercial Management
SOA Smart Objective Analysis
VHG Verhandlungsgegenstand
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Ausschnitt 1 aus dem Datensatz zur Auswertung des Praxistests
Tabelle 2: Ausschnitt 2 aus dem Datensatz zur Auswertung des Praxistests
Tabelle 3: Ausschnitt 3 aus dem Datensatz zur Auswertung des Praxistests
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Ranking von Verhandlungsgegenständen als Grundlage der SOA
Abbildung 2: Merkmalsstruktur der Stichprobe
Abbildung 3: Festlegen der Cut-Offs
Abbildung 4: Gesamtüberblick: Realisierung integratives Potenzial
Abbildung 5: Gesamtüberblick: Unterteilung hinsichtlich Verhandlungscharakter
Abbildung 6: Hindernisse, die das Verhandeln nach dem Win-Win Prinzip für Praktiker erschweren
Abbildung 7: Häufigkeit der Verhandlungsvorbereitung unter Verhandlungspraktikern
Abbildung 8: Zeitliches Verhältnis der Verhandlungsvorbereitung und -führung
Abbildung 9: Gesamtindex Verhandlungsvorbereitung
Abbildung 10: Tools und Methoden der Praxis für die Verhandlungsvorbereitung
Hinweis zu der vorliegenden Masterarbeit
Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Masterarbeit die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Das impliziert jedoch keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein.
1. Einleitung
Im täglichen Leben werden wir oft mit Situationen konfrontiert, in denen sich unsere eigenen Interessen von denen anderer unterscheiden, weshalb wir häufig miteinander verhandeln müssen, um eine Einigung herbeizuführen. So können beispielsweise Paare unterschiedliche Präferenzen bei der Aufteilung der Haushaltspflichten haben, oder der Arbeitgeber und Arbeitnehmer unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Ausarbeitung verschiedener Vertragspunkte (Gehalt, Urlaub, Vertragslaufzeit, …). Wird eine Vereinbarung getroffen, definiert sie, was jede Partei gibt und nimmt, welche (wirtschaftlichen) Auswirkungen sie hat und wie gut es den Parteien gelingt, ihre Interessen zu integrieren.
Innerhalb der Verhandlungsforschung wird hier üblicherweise zwischen distributiven und integrativen Verhandlungssituationen unterschieden. Distributive Verhandlungen sind hauptsächlich durch konfliktäre und entgegengesetzte Präferenzen bzgl. des zu verhandelnden Gegenstandes gekennzeichnet, in denen der Gewinn der einen Partei zu einem äquivalenten Verlust der anderen Partei führt (vgl. Walton/McKersie 1965, S. 11ff.; Thompson 1990, S. 516). Integrative Verhandlungen hingegen weisen komplementäre oder aber zum Teil gleiche Präferenzen bzgl. der zu verhandelnden Gegenstände auf. Parteien erhalten so die Möglichkeit durch geschicktes integrieren ihrer Interessen ein zumindest teilweise gegenseitig nutzenbringendes Abkommen zu erzielen (vgl. ebd. 1965, S. 126ff.; Pruitt/Lewis 1975, S. 621).
Theorie und Forschung zeigen, dass distributive Verhandlungssituationen hier hinter den integrativen Verhandlungssituationen hinsichtlich der Möglichkeit einer Verbesserung der Verhandlungsergebnisse zurückbleiben (vgl. bspw. Thompson/Hastie 1990; Thompson 1991). Daher könnte man annehmen, dass die Realisierung von integrativem Potenzial in Verhandlungen für Verhandlungsakteure oberste Priorität haben sollte. Ein großer Teil der Literatur legt jedoch nahe, dass Verhandlungsführer oftmals nicht dazu in der Lage sind, integrative Lösungen während der Verhandlung aufzudecken, sondern sich stattdessen mit ineffizienten Kompromisslösungen zufriedengeben (vgl. ebd. 1990, S. 99f.). Die Ursachen hierfür liegen laut Forschung unter anderem darin, dass Verhandlungsakteure oftmals die eigenen Interessen und die der anderen Partei von Beginn an als entgegengesetzt betrachten, was zur Folge hat, dass eine beträchtliche Mehrheit Verhandlungen mit einer „Fixed-Pie-Wahrnehmung“ betrachtet (ebd. 1990, S. 98f.). Ebenfalls ausschlaggebend dafür, dass es den Verhandlungsführenden in den meisten Fällen gar nicht erst gelingt, das integrative Potenzial in einer Verhandlungssituation zu erkennen, ist ein zu geringer Informationsaustausch zwischen den Parteien (vgl. ebd. 1991, S. 175f.). Aber auch die kognitiven Fähigkeiten der Verhandelnden und psychologische Faktoren spielen hinsichtlich der Ausschöpfung von integrativen Potenzialen in Verhandlungen eine wesentliche Rolle (vgl. Barry/Friedman, 1998, S. 365; Beersma/De Dreu 2003, S. 217).
Doch wie sieht es eigentlich mit dem Prozess vor der Verhandlung aus? Ein Großteil der in der Literatur verwendeten Studien konzentriert sich ausschließlich darauf, was sich am Tisch der Verhandlung abspielt (vgl. Peterson/Shepard 2011, S. 104). Problematisch ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die Frage hinsichtlich der Realisierung von integrativem Potenzial nicht allein als Aufgabenstellung für die Verhandlungsführung aufgefasst werden darf. Daher ist es unumgänglich, bereits während der Verhandlungsvorbereitung zu prüfen, ob und bei welchen der zu verhandelnden Gegenstände integratives Potenzial vorliegt. Hierzu müssen sich die Verhandlungs-akteure mit den zugrundeliegenden Präferenzen der eigenen sowie der gegnerischen Partei auseinandersetzen, um Unterschiede zu identifizieren, da hierdurch ebenfalls integrative Potenziale aufgedeckt werden können (vgl. Voeth/Herbst 2015, S. 71). Die Wichtigkeit dieser Thematik wird noch einmal durch eine 2015 durchgeführte Studie der Universität Hohenheim in Kooperation mit der Negotiation Acadamy Potsdam zum Verhandlungsverhalten von Verhandlungsführern in der Praxis bestätigt. Tatsächlich sehen die Befragten in einer verbesserten Kenntnis der Verhandlungsposition der Gegenseite sowie dem Erkennen und Realisieren von Win-Win-Situationen mit die wichtigsten Teilaspekte, um den eigenen Verhandlungserfolg zu verbessern (vgl. Voeth et al. 2015, S. 23).
Der Großteil der Verhandlungsforschung basiert allerdings nicht auf Primärstudien unter Verhandlungspraktikern, sondern vielmehr auf „experimentellen Designs in Form von Laborexperimenten“. (ebd., S. 6) Daher ist bislang vergleichsweise wenig über das reale Verhandlungsverhalten von Praktikern in Unternehmen bekannt. Eliashberg et al. (1995, S. G56) erklärt es noch deutlicher: „A clear gulf exists between research and real-world problems. Research articles and case materials that reflect actual bargaining issues overlap to a disappointing degree. We need more researcher-practitioner interaction to allow researchers to better understand the important elements of the real world negotiations problems they are researching.“
Die vorliegende Abhandlung verfolgt somit zwei Zielsetzungen: Zum einen soll sie ein besseres Verständnis darüber geben, ob und wie es Verhandlungsführern in der Praxis gelingt, integratives Potenzial nicht nur in der Verhandlung, sondern bereits während der Verhandlungsvorbereitung zu erkennen. Zum anderen soll sie dazu beitragen, die bestehende Kluft zwischen Forschung und Praxis zu überbrücken, indem sie die Laborergebnisse auf die reale Welt überträgt und mögliche Probleme aufzeigt, die eine hohe Relevanz für weitere Forschung haben könnten.
Daraus ergibt sich im Rahmen dieser Arbeit folgende forschungsleitende Frage:
Wie steht es um die Fähigkeit von Praktikern, integratives Potenzial zu erkennen
und anschließend zu realisieren? Welche Bedeutung spielt dabei die
Verhandlungsvorbereitung ?
Hierzu gibt der nächste Abschnitt zunächst einen Überblick über den Forschungsstand zu integrativen Verhandlungen, den Hindernissen, die eine Realisierung von integrativem Potenzial erschweren sowie über die Bedeutung Verhandlungsvorbereitung innerhalb dieses Kontextes. Aus dieser literarischen Eingrenzung werden Forschungsfragen entwickelt. Nach der Vorstellung der quantitativen Methode in Form eines Fragebogens im dritten Teil werden die Ergebnisse der Befragung dargelegt und anschließend diskutiert.
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Analytischer Rahmen – Verhandlungen zwischen Konflikt und Problemlösung
Das natürliche Hauptaugenmerk jeder Verhandlung liegt eingangs auf den zu verhandelnden Gegenständen. Daher ist vorab zwischen Verhandlungssituationen mit nur einem Verhandlungsgegenstand und solchen, mit mehreren Verhandlungsgegenständen zu differenzieren (vgl. Pruitt/Lewis 1975, S. 621f.; Raiffa 1982, S. 13f.). Die Verhandlungsforschung unterscheidet hier typischerweise zwischen distributiven und integrativen Verhandlungen (vgl. Walton/McKersie 1965).
Distributive Verhandlungen sind dadurch gekennzeichnet, dass in der Regel nur über einen einzelnen Verhandlungsgegenstand verhandelt wird. Zudem unterliegen sie der „Logik des Nullsummenspiels“ (Hasler-Dierauer 2007, S. 29), d.h., den Verhandlungs-parteien ist es zwar möglich, Zugeständnisse auszutauschen, um eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden, jedoch impliziert ein Gewinn der einen Verhandlungspartei immer einen äquivalenten Verlust der anderen Partei (vgl. ebd. 1965, S. 11ff.; Bazerman/Neale 1993, S. 16; Thompson/Hastie 1990 S. 99; Raiffa et al. 2002, S.97ff.). Auf Grund dessen, dass die reine Verteilung der Verhandlungsmasse zur Verhandlung steht, werden distributive Verhandlungen auch als „Win-lose-Verhandlungen“ bezeichnet (vgl. Kersten 2001, S. 500). Als signifikantes Beispiel dieser Art von Verhandlung weist die Literatur wiederholt auf die klassische Preisverhandlung zwischen Anbieter und Nachfrager hin (vgl. Raiffa 1982 S. 40f.).
Demgegenüber besitzen viele Verhandlungssituationen zusätzliches integratives Potenzial. Besteht in einer Verhandlung Klärungsbedarf hinsichtlich mehrerer Gegenstände, ist es möglich, dass die einzelnen Parteien zum Teil unterschiedliche Präferenzen für die einzelnen Elemente besitzen (vgl. Pruitt/Lewis 1975, S. 621f.; Thompson/Hastie 1990 S. 99). Hierbei ist wichtig, dass die Parteien sich nicht auf die einzelnen Gegenstände und ihre Positionen konzentrieren, sondern vielmehr versuchen, ein Verständnis für die verschiedenen Interessen zu entwickeln, um diese anschließend miteinander in Einklang zu bringen (vgl. Fisher/Ury 1991, S. 40f.). Das Nullsummenspiel der distributiven Verhandlung wird so durch die Möglichkeit ersetzt, die Interessen aller Verhandlungsparteien im gleichen Maße zu berücksichtigen, indem der gemeinsame Nutzen erhöht wird, ohne dabei das Nutzenwachstum einer der Verhandlungsparteien zu minimieren (vgl. Rubin/Pruitt/Kim 1994 zit. nach Herbst 2007, S. 30). Solche Verhandlungen werden als „Integrative Verhandlungen“ oder „Win-Win-Verhandlungen“ bezeichnet (vgl. Walton/McKersie 1965, S. 128; Raiffa et al. 2002, S. 191ff.).
In der Literatur wird dieses zugrundeliegende Prinzip durch die Geschichte zweier Schwestern verdeutlicht, die um eine Orange streiten. Beide Schwestern einigten sich nach längerem Diskutieren darauf, die Orange in zwei gleich große Hälften zu schneiden, sodass jede von ihnen eine der Hälften für ihre Zwecke nutzen konnte. Eine nähere Betrachtung der zugrundeliegenden Interessen offenbart jedoch, dass beide Konfliktparteien das integrative Potenzial der Situation nicht erkannten. Während eine der Schwestern ausschließlich die Schale der Orange benötigte, um einen Kuchen zu backen, war die andere lediglich am Saft der Orange interessiert. Beide übersahen damit die Möglichkeit, den gemeinsamen Nutzen zu erhöhen, ohne ihren eigenen dabei gleichzeitig zu verringern, indem die ältere Schwester die benötigte Schale der gesamten Orange erhält und im Gegenzug der jüngere Schwester das Fruchtfleisch ihrer Hälfte überlässt (vgl. Follet 1940, S. 31f.). Dieses Szenario veranschaulicht, wie aus einem als unteilbar wahrgenommenen Verhandlungsgegenstand ein zusätzlicher potenzieller Verhandlungswert entstehen kann, welcher für beide Seiten mehr bringt als die reine Kompromisslösung.
Um dies noch einmal mehr hervorzuheben, geht es im nächsten Kapitel um die Besonderheiten und Vorteile integrativer Verhandlungen gegenüber distributiven Verhandlungen.
2.2 Bedeutung Integrativer Verhandlungen
Viele Situationen, die zunächst nach Win-Lose Angeboten aussehen, bieten letztendlich die Chance eine Win-Win Situation innerhalb der Verhandlung zu realisieren. Thompson (2012, S. 70) geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt: „Integrative potential exists in just about every negotiation situation“.
Ein wichtiger Aspekt hinsichtlich der Art des gewählten Ansatzes liegt dabei in der sozialen Wertorientierung der verhandelnden Parteien (vgl. Beersma/De Dreu 2003, S. 232f.). Daher scheint es sinnvoll, in einem ersten Schritt kurz auf die Merkmale von integrativen und distributiven Verhandlungsführern einzugehen.
Ein Blick in die Literatur zeigt, dass es eine Vielzahl von Untersuchungen bezüglich der Eigenschaften und Kompetenzen von integrativen und distributiven Verhandlungs-führern gibt (vgl. bspw. Putnam/Jones 1982; Göring 1997; Olekalns/Smith 2000; Liu/Wilson 2011). Weniger überraschend ist dabei die Erkenntnis, dass die erzielten Forschungsergebnisse untereinander gewisse Analogien aufweisen. Demnach lassen sich die Merkmale zur Bewertung von integrativen und distributiven Verhandlungsführern auf Grundlage dieser Forschungen wie folgt zusammenfassen: Ein konkurrierender Verhandlungsführer versucht den individuellen Gewinn zu vergrößern, unabhängig vom Gewinn des Verhandlungsgegenübers. Er zeichnet sich unter anderem durch Misstrauen, feindliche Einstellungen und negative zwischenmenschliche Wahrnehmungen der anderen Verhandlungspartei aus. Zudem verwendet er während des Verhandlungs-prozesses Taktiken wie bspw. Ultimaten, Drohungen oder Bluffs, um seine Ziele zu erreichen. Demgegenüber bemüht sich ein Verhandlungsführer mit einem prosozialen Motiv, sowohl seinen eigenen Nutzen als auch den der anderen Partei zu maximieren. Er setzt auf gegenseitiges Vertrauen, positive Einstellungen, ist an einem konstruktiven Informationsaustausch interessiert, hört zu und versucht die Perspektiven der anderen Partei zu verstehen, um neue Verhandlungsmöglichkeiten aufzudecken (vgl. De Dreu et al. 2000b, S. 890f.).
Im Allgemeinen argumentieren und zeigen Theorie und Forschung, dass Individuen, die integratives statt distributives Verhalten verwenden, eher die Möglichkeit erkennen, Win-Win-Vereinbarungen innerhalb einer Verhandlung zu erreichen (vgl. Harinck/DeDreu 2004, S. 596). Hinzu kommt, dass das bisherige wissenschaftliche Verständnis dabei zu betonen scheint, dass integrative Strategien zu Lösungen führen, die wertvoller sind als Lösungen, die durch einfache Kompromisse entstehen.
Untersuchungen haben gezeigt, dass Individuen die integrativ handeln, eher dazu geeignet sind, Chancen für Trade-offs zu identifizieren und Pattsituationen zu vermeiden (vgl. De Dreu et al. 2000b, S. 891; Thompson/Hastie 1990, S. 110). Während Zugeständnisse Angebote darstellen, die für den Verhandlungsgegenüber erfolgversprechender und für die eigene Verhandlungspartei nachteiliger sind als das vorangegangene Angebot, bieten alternative Paketofferten (Logrolling) den Verhandelnden die Möglichkeit, Trade-Off-Angebote abzugeben, die für die unterbreitende Partei im Hinblick auf den Gesamtvorteil mit dem vorherigen Angebot gleichzusetzen sind (vgl. Voeth/Herbst 2015, S. 200).
Studien von Thompson und Hastie und später Thompson zeigen, dass distributive Verhandlungen und eine Fixed-Pie Wahrnehmung zu suboptimalen Verhandlungs-ergebnissen führen (vgl. De Dreu et al. 2000a, S. 975f.). Thompson (1991, S. 175f.) untersuchte mit Hilfe von zwei Experimenten die Auswirkungen des (asymmetrischen) Informationsaustausches zwischen Verhandlungsparteien. Unabhängig davon, ob beide oder nur ein Verhandlungsführer Informationen zur Verfügung stellten, zeigten die Ergebnisse, dass Verhandlungspaare, bei denen es zu einem Informationsaustausch gekommen war, für beide Seiten vorteilhaftere und integrativere Verhandlungs-abkommen erzielten. Darüber hinaus führte der Informationsaustausch zu einer verbesserten Urteilsgenauigkeit hinsichtlich der Interessen ihres Verhandlungs-gegenübers, welche sich ebenfalls positiv auf das Endergebnis auswirkte.
In einer Studie über den Zusammenhang zwischen Verhandlungsstrategien und der Qualität der Verhandlungsergebnisse fanden Olekalns und Smith (2000, S. 545) heraus, dass Verhandlungsparteien, die in der Verhandlung nur einen geringen gemeinsamen Gewinn erzielten oder aber zu keiner Einigung gekommen waren, vorrangig Wettbewerbsstrategien nutzten. Demgegenüber setzten die Parteien, die ein hohes Maß an gemeinsamen Gewinn erzielten, vorranging kooperative Verhandlungsstrategien ein. Des Weiteren wiesen die Forscher darauf hin, dass bspw. die Schlichtung und der priorisierte Informationsaustausch häufiger von den Parteien genutzt wurde als erwartet.
In einer der aktuelleren Forschungsarbeiten zu integrativen und distributiven Verhandlungen von Liu und Wilson (2011, S. 286f.) wurden die Auswirkungen von Interaktionszielen auf Verhandlungstaktiken sowie -ergebnisse untersucht. Sie fanden heraus, dass die Interaktionsziele eines Verhandlungsführers durch seine Verhandlungsstrategien und -taktiken zum Ausdruck gebracht wurden. Ihre Forschung zeigte, dass es einen positiven signifikanten Zusammenhang zwischen integrativer Taktik und gemeinsamem Gewinn und einen negativen Zusammenhang zwischen distributiver Taktik und gemeinsamem Gewinn gab. Gleichzeitig waren sowohl die individuellen als auch die kombinierten Gewinne negativ mit der Verteilungsüberzeugung und positiv mit dem Informationsaustausch verknüpft. Überdies wurde festgestellt, dass, wenn Verhandlungsführer Wert darauflegten, gewisse Ziele zu beanspruchen, sie nicht nur ihren eigenen, sondern auch den Gewinn ihres Gegenübers dabei verringerten.
Betrachtet man das Endergebnis sowie die Auszahlungen als Maßstab für eine Verhandlung, so scheint sich die Forschung darüber einig zu sein, dass eine integrative Verhandlungsstrategie gegenüber der distributiven die bessere Wahl ist. Darüber hinaus sind Integrative Vereinbarungen im Laufe der Zeit stabiler, fördern die harmonische Beziehung zwischen den Parteien und tragen zum Wohlergehen der gesamten Gemeinschaft bei (vgl. Pruitt/Rubin 1986, zit. nach Thompson/Hastie 1990, S. 99). Doch der Ansatz weist auch seine Grenzen auf. Obwohl Untersuchungen zeigen, dass distributive Verhandlungen hinter integrativen Verhandlungen zurückbleiben, hängen die endgültigen Ergebnisse entscheidend von der Interaktion, den Verhandelnden selbst und ihren Qualitäten ab (vgl. Raiffa et al. 2002, S. 269f.). So geben sich Verhandlungsführer oft mit suboptimalen Kompromissvereinbarungen zufrieden, anstatt nach gegenseitig vorteilhafteren Vereinbarungen zu suchen. Die Ursachen hierfür werden im nächsten Kapital ausführlicher erörtert.
2.3 Hindernisse für Integrative Verhandlungen
Ein großer Teil der Forschung legt nahe, dass Verhandlungsführer sich oft schwer damit tun das integrative Potenzial in einer Verhandlungssituation zu erkennen, wodurch es ihnen oftmals misslingt, gegenseitig befriedigende Vereinbarungen zu treffen (vgl. Thompson/Hastie 1990 S. 99f.).
Wie sich bereits aus dem vorherigen Abschnitt erahnen lässt, kann dies unter anderem durch einen mangelnden Austausch von Informationen zwischen den Verhandlungs-parteien während einer Verhandlung erklärt werden (vgl. Thompson 1991, S. 161). Kimmel et al. (1980, S. 10) führen dies auf die Möglichkeit zurück, dass viele Verhandlungsführer den Informationsaustausch als zu riskant betrachten, da dieser es dem Verhandlungsgegenüber ermöglichen würde, “effektive Bedrohungen zu konstruieren oder sich auf ein kaum akzeptables Angebot festzulegen und zu verpflichten”.
Neben den Defiziten beim Informationsaustausch liegt ein weiterer wichtiger Indikator in den kognitiven Fähigkeiten eines Verhandlungsführers. Mittels zweier Studien untersuchten Barry und Friedemann (1998, S. 345) die Rolle von Persönlichkeit und kognitiven Fähigkeiten sowohl in distributiven als auch integrativen Verhandlungen. Die Resultate zeigten, dass die kognitiven Fähigkeiten eines Verhandlungsführers keine signifikanten Ergebnisse in distributiven Verhandlungen erbringen konnten. Jedoch gab es einen ausgeprägten Zusammenhang zwischen kognitiven Fähigkeiten und dem Erreichen gemeinsamer Ergebnisse in integrativen Verhandlungen. Somit hängt die Ausschöpfung des integrativen Potenzials innerhalb einer Verhandlung ebenso von psychologischen Faktoren ab (vgl. Barry/Friedemann 1998, S. 345). Die folgende Darlegung verdeutlicht dies noch einmal mehr.
Integrative Verhandlungen können nicht nur komplex, sondern oftmals auch mehrdeutig sein. Die Verhandelnden müssen, wie bereits in Abschnitt 2.1 erläutert, nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern auch die der anderen Partei im Auge behalten. So können sie gleichzeitig versuchen, das Verhalten des Verhandlungsgegenübers richtig zu deuten, um so Gemeinsamkeiten zu finden und erfolgreich mit der anderen Partei zu kommunizieren (vgl. De Dreu et al. 2000a, S. 976). Die Informationsverarbeitungskapazität eines Verhandlungsführers ist jedoch begrenzt (vgl. Neale/Bazerman 1991, zit. nach ebd. 2000a, S. 976). Dies kann laut Forschung dazu führen, dass einige Verhandlungsführer von der schieren Komplexität einer solchen Verhandlung überwältigt sind, was zur Folge hat, dass sie eher zu einem distributiven Verhandlungsstil zurückkehren, um sich die Verhandlungssituation zu vereinfachen (vgl. ebd. 2000a, S. 976).
Ebenso kann bereits die reine Gestaltung des Verhandlungsprozesses eine Ursache dafür sein, ob eher ein integrativer oder distributiver Ansatz verfolgt wird. Die Ergebnisse einer Studie von Thompson und DeHarpport (1998, S. 41) haben gezeigt, dass die einfache Beschriftung, die dem Verhandlungsprozess gegeben wurde, einen direkten Einfluss auf den gewählten Verhandlungsstil hatte. Diejenigen, die angewiesen wurden, an einer „Verhandlung” teilzunehmen, wählten einen distributiven Verhandlungsstil. Jene, die an einer „Problemlösungssituation“ beteiligt waren, entschieden sich für einen integrativen Ansatz.
Eine der destruktivsten Ursachen dafür, dass das integrative Potenzial in einer Verhandlung unentdeckt bleibt, liegt jedoch mitunter darin, dass es eine hohe Tendenz unter den Verhandlungsführern gibt, die eigenen sowie die Interessen der gegnerischen Verhandlungspartei als entgegengesetzt zu betrachten. Das hat zur Folge, dass eine beträchtliche Mehrheit der Parteien Verhandlungen mit einer „Fixed-Pie-Wahrnehmung“ aufnimmt. Folglich kann das Vertrauen in die Wahrnehmung einer festen Kuchengröße dazu führen, dass die Menschen den Nutzen übersehen, welcher mit den Präferenzunterschieden einhergeht (vgl. De Dreu et al. 2000a, S. 975). Eine Untersuchung von Thompson und Hastie (1990, S. 117f.) bzgl. der Einschätzung des Verhandlungsgegenübers und dem Zusammenhang zwischen Urteilsgenauigkeit und Verhandlungsleistung zeigte, dass eine beträchtliche Anzahl der Verhandlungsführer es bis zum Schluss der Verhandlung nicht bemerkte, wenn die eigenen Interessen vollständig kompatibel mit denen der anderen Partei waren, was letztendlich zu suboptimalen Ergebnissen führte. Die Studie zeigte aber auch, dass Verhandlungsführer die von den gegnerischen Interessen bereits in der frühen Phase der Verhandlung erfuhren, einen höheren Gewinn erzielten, als diejenigen, welche erst in den späteren Phasen der Verhandlung etwas über das vorhandene Potenzial lernten.
Schaut man sich die experimentellen Studien der aufgeführten Literatur etwas genauer an, fällt auf, dass es eine vorherrschende Nutzung von Studierenden als Kontrollgruppen anstelle von Verhandlungsführern aus der Praxis gibt. Ein Schwerpunkt dieser Arbeit ist es, die bestehende Kluft zwischen Forschung und Praxis zu verringern (vgl. Eliashberg et al. 1995, S. G56). Um die Erkenntnisse der Forschung mit den Erfahrungen aus der realen Welt in Einklang zu bringen, ergeben sich daher folgende erste zwei Forschungsfragen:
Forschungsfrage 1: Inwieweit sind Praktiker fähig, integratives Potenzial zu
erkennen und umzusetzen?
Forschungsfrage 2: Welche Faktoren erschweren aus Sicht des
Verhandlungsführers das Verhandeln nach dem Win-Win Prinzip?
Die Frage hinsichtlich der Integrativität bzw. Distributivität von Verhandlungen kann trotz überwiegendem Forschungsschwerpunkt nicht ausschließlich als Aufgabe der Verhandlungsführung aufgefasst werden. Vielmehr muss ebenso bereits während der Vorbereitung geprüft werden, ob und bei welchen Verhandlungsgegenständen integratives Potenzial vorliegt (vgl. Voeth/Herbst 2015, S. 72). So fehlten auch den Verhandlungsführern im überwiegenden Teil der Studien Vorabinformationen über die gegnerische Partei. Um jedoch bereits vor einer Verhandlung Ansatzpunkte für integratives Potenzial zu identifizieren, ist es unumgänglich, sich bereits im Vorfeld intensiv mit der gegnerischen Partei zu befassen (vgl. ebd.). Im nächsten Abschnitt soll daher auf die Bedeutung der Vorbereitung und Analyse hinsichtlich der Realisierung von integrativem Potenzial eingegangen werden.
2.4 Bedeutung der Verhandlungsvorbereitung zur Realisierung von integrativem Potenzial
Bevor eine Partei in eine Verhandlung tritt, ist es elementar, sich darüber Gedanken zu machen, wie man diese vorbereitet und an sie herantritt, da die „around the table“-Verhandlung nur einer der letzten Schritte eines größeren Prozesses ist (Saunders 1985, S. 249). Voeth und Herbst (2015, S. 147) erklären es noch deutlicher: „Die Verhandlungsvorbereitung stellt eine, wenn nicht sogar die entscheidende Phase des Verhandlungsmanagements dar“. Umso verwunderlicher ist es, dass sich bislang vergleichsweise nur sehr wenig Forschung damit beschäftigt hat, was ein Verhandlungs-führer zur Vorbereitung auf die Verhandlung unternimmt (vgl. Peterson/Shepard 2011, S. 104).
Wie im vorherigen Abschnitt jedoch bereits kurz erläutert, spielt die Vorbereitung eine wichtige Rolle hinsichtlich der Möglichkeit, integratives Potenzial bereits vor dem eigentlichen Verhandlungsbeginn aufzudecken. Hierzu ist es notwendig, dass sich die einzelnen Parteien intensiv mit den Präferenzen der gegnerischen Verhandlungsseite beschäftigen (vgl. ebd. 2015, S. 71). Zur besseren Einordnung der hier vorgestellten Erkenntnisse wird Vorbereitung als Informationssammlung und der Entwicklung von Alternativen definiert und beschränkt sich auf die Aktivitäten und Mittel, die im Zusammenhang mit der Realisierung von integrativem Potenzial stehen. Darüber hinaus werden die in dieser Arbeit verwendeten Begriffe Interessen, Positionen und Präferenzen in der Literatur oftmals unpräzise genutzt. Da sie eine Verhandlung jedoch auf unterschiedliche Weise beeinflussen, bedarf es einer Differenzierung dieser Begrifflichkeiten (vgl. Herbst 2007, S. 21f.).
Sowohl Wissenschaftler als auch Praktiker schlagen gleichermaßen vor, dass Verhandlungsakteure die zugrundeliegenden Interessen der eigenen sowie der gegnerischen Partei verstehen lernen sollten, damit eine Grundlage für eine erfolgreiche Verhandlung geschaffen werden kann (vgl. Hüffmeier/Hertel 2012, S. 147ff.). Fisher und Ury (1981, S. 41) definieren Interessen als „die stillen Triebkräfte hinter dem Durcheinander der Positionen“ und argumentieren, dass obwohl Parteien auf Grundlage ihrer Positionen Entscheidungen treffen, die eigentlichen Beweggründe dieser Entscheidungen in den zugrundeliegenden Interessen zu finden sind.
Jedoch lassen sich die gegnerischen Interessen häufig nur indirekt über die Präferenzen des Verhandlungsgegenübers erschließen (vgl. ebd. 2012, S. 147ff.). Verhandlungs-präferenzen beschreiben „das Ausmaß der Vorziehwürdigkeit einzelner Verhandlungs-situationen aus der Sicht der jeweiligen Parteien“ (ebd. 2007, S. 21f.). Während somit Interessen eher das grundsätzliche Bestehen einer Verhandlung begründen, sind es die Präferenzen, die auf die vertraglichen Vereinbarungen hinsichtlich einzelner Verhandlungsgegenstände Einfluss nehmen (vgl. ebd. 2007, S. 21f.). Sind also in einer Verhandlung den Parteien einzelne Verhandlungsgegenstände auf Grund verschiedener Präferenzen unterschiedlich wichtig, entsteht somit die Möglichkeit zu einem für beide Seiten optimaleren Ergebnis zu gelangen (vgl. Voeth/Herbst 2015, S. 76).
Ein effektives Tool für Verhandlungsführer stellt hierbei die sogenannte Verhandlungsgegenstandsanalyse oder auch „Smart Objective Analysis“ dar (ebd. 2015). Durch sie lassen sich die Präferenzunterschiede zwischen den Verhandlungsführern bezüglich einzelner Themen bereits während der Vorbereitung auf eine Verhandlung identifizieren, wodurch sich letztendlich erste Ansatzpunkte für integratives Verhandeln ergeben können. Hierzu wird eine Einstufung der Wichtigkeit aller Verhandlungs-gegenstände sowohl aus Sicht der eigenen als auch aus der Perspektive der gegnerischen Partei vorgenommen. Die Positionierung aller Themen im Rankingraum der Parteien zeigt anschließend, bei welchen Themen integratives Potenzial vorhanden ist (siehe Abbildung 1). Verhandlungsgegenstände, welche einen deutlichen Abstand zur Raumdiagonale besitzen, weisen einen so großen Bedeutungsunterschied zwischen den Parteien auf, dass diese als integrativ einzustufen sind. Im hier betrachteten Fall ist bspw. das Thema „Montage“ für die eigene Partei wesentlich wichtiger als für die gegnerische Partei. Genau entgegengesetzt verhält es sich beim Thema „Garantie“. Während sie für die eigene Partei nur an vierter Stelle steht, ist sie für die Gegenseite der zweitwichtigste Gegenstand. In dieser Situation lässt sich die Verhandlungslösung für beide Verhandlungsseiten verbessern.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Ranking von Verhandlungsgegenständen als Grundlage der SOA (Vgl. Voeth/Herbst 2015, S. 77)
Der gemeinsame Kuchen wird vergrößert, idem die Gegenseite beim Thema „Montage“ und die eigene Seite beim Thema „Garantie“ Entgegenkommen zeigen würde. Kritisch zu betrachten ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass nicht immer ausreichend dezidierte Informationen zur Wichtigkeit der Verhandlungsgegenstände seitens des Verhandlungsgegenübers vorliegen. So ist man hier zumeist vorerst auf grobe Einschätzungen angewiesen, welche sich dann erst während der eigentlichen Verhandlung präzisieren lassen (vgl. ebd. 2015, S. 77). Gleichzeitig dient das Schaffen einer klaren Vorstellung hinsichtlich der Interessen- und Präferenzunterschiede als Voraussetzung dafür, dass bereits im Vorhinein einer Verhandlung Alternativen und Verhandlungsziele festgelegt werden können (vgl. Hüffmeier/Hertel 2012, S. 147ff.). Neben den Präferenzunterschieden ist es laut Thompson (2012, S. 85) ebenso möglich, die Verhandlungsmasse zu vergrößern, wenn es Unterschiede hinsichtlich der Ressourcen und Fähigkeiten, der Einschätzung zukünftiger Umweltzustände, der Risikoeinigung sowie in der zeitlichen Präferenz gibt. Diese werden im weiteren Verlauf dieser Studie jedoch nicht weiter thematisiert.
Doch nicht nur die Forschung hinkt hinterher. Auch in der Praxis scheint die Kompetenz der Planung und Vorbereitung oft zu kurz zu kommen, obwohl sie von führenden internationalen Verhandlungsführern als mit die wichtigste Eigenschaft angesehen wird, die man besitzen kann (vgl. Peterson/Lucas 2001, S. 38).
So weisen bspw. Raiffa et al. (2002, S. 269f.) darauf hin, dass Verhandlungsparteien in der „realen Welt“ selten „ihre Hausaufgaben machen“. Sie ignorieren es die meiste Zeit, ihre Interessen, Optionen, Alternativen, BATNA- und Vorbehaltewerte grundlegend zu erforschen, die tatsächlich der Eckpfeiler der kreativen und interaktiven Taktiken sind und gemeinsame Gewinne ermöglichen. Eine Forschungsstudie von Huthwaite International in Zusammenarbeit mit der IACCM liefert hierfür einen möglichen Grund. Die Ergebnisse zeigten, dass die derzeitigen globalen Verhandlungsstandards einen enttäuschenden Reifegrad aufweisen und gerade einmal 26 % der befragten Unternehmen Instrumente zur Planung und Vorbereitung von Verhandlungen nutzen (vgl. Huthwaite International 2009, S. 19).
Nicht zuletzt postulierte Thompson (2012, S. 13) auch auf Grund dieser Tatsache, die 80:20 Regel der Verhandlungsvorbereitung. Hiernach sollten 80 % der Bemühungen für eine Verhandlung in die Verhandlungsvorbereitung fließen, während die eigentliche Verhandlungsführung nur 20 % des Aufwandes darstellen sollte.
Anhand der Literatur wird die Wichtigkeit der Vorbereitung hinsichtlich der Möglichkeit der Realisierung des integrativen Potenzials in Verhandlungen noch einmal verdeutlicht. In der Praxis scheint sich diese Erkenntnis allerdings noch nicht etabliert zu haben. Im Rahmen der Befragung sollen diese Erkenntnisse mit den Erfahrungen aus der Praxis in Einklang gebracht werden, um so eine Aussage hinsichtlich des möglichen Zusammenhanges treffen zu können. Daraus ergibt sich folgende dritte Forschungsfrage:
Forschungsfrage 3: In welchem Umfang findet Verhandlungsvorbereitung unter
den Verhandlungspraktikern statt und wo gibt es ggf. Optimierungsbedarf?
Im nachfolgenden Kapitel wird im Rahmen der Methodik die Entwicklung sowie der Aufbau der quantitativen Umfrage erläutert.
3. Methodik
Ziel der Arbeit ist es zu untersuchen, ob und wie integratives Potenzial in der aktuellen Verhandlungspraxis aufgedeckt und entsprechend realisiert wird. Gleichzeitig sollen Zusammenhänge zwischen diesen Variablen und der Verhandlungsvorbereitung überprüft werden. Hierzu war es erforderlich, Primärdaten mittels quantitativer Umfrage aus der realen Unternehmensverhandlung zu generieren, um so möglichst viele verhandlungsfragenbezogene Herausforderungen miteinbeziehen zu können (vgl. Geiger 2017, S. 92).
Als Datenerhebungsmethode wurde eine standardisierte, schriftliche Befragung in Form eines Fragebogens herangezogen. Dieser wurde mit Hilfe des Online Befragungstools „Unipark“ erstellt und anschließend mittels Einladungsschreiben als Link an alle potenziellen Probanden verschickt. Zusätzlich wurde für lokale Teilnehmer aus dem privaten Umfeld eine Papierform des Fragebogens entwickelt. Damit eine quantitative Umfrage angewandt werden konnte, bestand die Notwendigkeit, eine ausreichend große Stichprobe zu generieren (siehe Anhang S. 36-44).
Von Kalenderwoche 12 bis Kalenderwoche 17 wurden insgesamt 688 Praktiker angeschrieben, von denen insgesamt 156 an der Umfrage teilgenommen und 118 die Umfrage auch vollständig beendet haben. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 22,67 % und einer Beendigungsquote von 75,64 %.
Der Fragebogen richtete sich an Praktiker sämtlicher Branchen, bei denen Verhandlungstätigkeiten wesentlicher Bestandteil des beruflichen Alltags sind. Abbildung 2 zeigt die grundlegenden Charakteristika der Stichprobe.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Merkmalsstruktur der Stichprobe
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- Ole Korn (Author), 2019, Integratives Potential in Verhandlungen. Theorie vs. Praxis, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1008642
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