Die vorliegende Masterarbeit geht der Frage nach, ob ethisches Lernen im Religionsunterricht anhand von Jugendliteratur – hier explizit am Jugendroman "Blueprint" von Charlotte Kerner – möglich ist. Zu Beginn wird auf den Begriff des ethischen Lernens eingegangen. Daraufhin wird geschaut, wie es sich mit ethischem und bioethischem Lernen im Religionsunterricht verhält. Anschließend erfolgt eine Darstellung von Modellen ethischen Lernens, die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen angehören: Das Stufenmodell zur Moralentwicklung nach Lawrence Kohlberg (entwicklungspsychologische Ebene), die Ethische Theorie sittlicher Urteilsfindung nach Heinz-Eduard Tödt (praktische Ebene) und die vier Modelle ethischer Bildung von Hans-Georg Ziebertz (didaktische Ebene). Anhand dieser Modelle wer-den die Analysekriterien für den Jugendroman "Blueprint" ausgewählt. Eine Diskussion der einzelnen Modelle wird direkt an deren jeweilige Darstellung angeschlossen.
Daraufhin folgen eine Begriffsbestimmung von Jugendliteratur und eine exemplarische Darstellung ihrer Verwendung im Religionsunterricht. Bevor der Jugendroman "Blueprint" hinsichtlich ethischen Lernens analysiert wird, folgt ein Umriss des Inhalts der Lektüre, eine Erläuterung des Begriffs Klonen und die Position der Kirche sowie verschiedener Länder, insbesondere Deutschland bezüglich der bioethischen Thematik Klonen von Menschen. Anschließend wird der Jugendroman anhand der Kriterien des Modells der Wertentwicklung und Wertkommunikation von Ziebertz im Hinblick auf ethisches Lernen analysiert und es wird mit Hilfe des Stufenmodells zur Moralentwicklung nach Kohlberg überprüft, ob dieser für den Einsatz in der Oberstufe geeignet ist.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Ethisches Lernen
2.1 Ethisches Lernen im Religionsunterricht
2.1.1 Kernlehrplan für das Gymnasium in Nordrhein-Westfalen
2.1.2 Fünf Grundformen ethischen Lehrens und Lernens
2.1.3 Grenzen ethischer Erziehung in der Schule
2.2 Bioethisches Lernen im Religionsunterricht
2.3 Modelle ethischen Lernens
2.3.1 Kohlberg - Stufenmodell zur Moralentwicklung
2.3.2 Ziebertz - Vier Modelle ethischer Bildung
2.3.3 Tödt - Ethische Theorie sittlicher Urteilsfindung
2.4 Zwischenfazit
3 Jugendliteratur im Religionsunterricht
3.1 Definition und Entstehung von Jugendliteratur
3.2 Einsatz von Jugendliteratur im Religionsunterricht
4 Jugendroman Blueprint von Charlotte Kerner
4.1 Klonen
4.1.1 Stellungnahme der katholischen Kirche
4.1.2 Rechtslage auf Länderebene
5 Ethisches Lernen anhand von Blueprint
6 Diskussion
7 Fazit
8 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Ungefähr vor einem Jahr berichtet die Tagesschau, dass es chinesischen Forschern gelungen ist, Affen zu klonen. Das Besondere daran ist, dass Affen eine größere Ähnlichkeit zum Menschen aufweisen als andere Säugetiere. Daraufhin folgt die Nachricht, dass zwei Babys geboren worden sind, die vorab von chinesischen Forschern genetisch verändert wurden. Bei diesen Nachrichten handelt es sich um kontrovers diskutierte ethische Themen. Die Auseinandersetzung mit solchen ethischen Frage- und Problemstellungen ist fester Bestandteil des Religionsunterrichts in der Oberstufe. Dieser zielt darauf ab, dass die Schülerinnen und Schüler einen eigenen begründeten ethisch-moralischen Standpunkt hinsichtlich ausgewählter Themen entwickeln.
Die vorliegende Masterarbeit geht der Frage nach, ob ethisches Lernen im Religionsunterricht anhand von Jugendliteratur - hier explizit am Jugendroman Blueprint von Charlotte Kerner - möglich ist.
Zu Beginn wird auf den Begriff des ethischen Lernens eingegangen. Daraufhin wird geschaut, wie es sich mit ethischem und bioethischem Lernen im Religionsunterricht verhält.
Anschließend erfolgt eine Darstellung von Modellen ethischen Lernens, die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen angehören: Das Stufenmodell zur Moralentwicklung nach Lawrence Kohlberg (entwicklungspsychologische Ebene), die Ethische Theorie sittlicher Urteilsfindung nach Heinz-Eduard Tödt (praktische Ebene) und die vier Modelle ethischer Bildung von Hans-Georg Ziebertz (didaktische Ebene). Anhand dieser Modelle werden die Analysekriterien für den Jugendroman Blueprint ausgewählt. Eine Diskussion der einzelnen Modelle wird direkt an deren jeweilige Darstellung angeschlossen.
Daraufhin folgen eine Begriffsbestimmung von Jugendliteratur und eine exemplarische Darstellung ihrer Verwendung im Religionsunterricht.
Bevor der Jugendroman Blueprint hinsichtlich ethischen Lernens analysiert wird, folgt ein Umriss des Inhalts der Lektüre, eine Erläuterung des Begriffs Klonen und die Position der Kirche sowie verschiedener Länder, insbesondere Deutschland bezüglich der bioethischen Thematik Klonen von Menschen.
Anschließend wird der Jugendroman anhand der Kriterien des Modells der Wertentwicklung und Wertkommunikation von Ziebertz im Hinblick auf ethisches Lernen analysiert und es wird mit Hilfe des Stufenmodells zur Moralentwicklung nach Kohlberg überprüft, ob dieser für den Einsatz in der Oberstufe geeignet ist.
Anknüpfend an die Analyse folgt anschließend eine Diskussion, in der die Lernchancen, aber auch Risiken, die mit der Auseinandersetzung Blueprints hinsichtlich ethischen Lernens verbunden sind, aufgezeigt und damit reflektiert werden.
2 Ethisches Lernen
Bevor der Jugendroman Blueprint von Charlotte Kerner im Hinblick auf ethisches Lernen im Religionsunterricht analysiert werden kann, werden im ersten Teil dieses Kapitels zunächst einige Begrifflichkeiten, wie ethisches Lernen bzw. (bio-)ethisches Lernen im Religionsunterricht sowie Jugendliteratur erläutert. Da Blueprint anhand bestimmter Kriterien analysiert werden soll, werden danach Modelle ethischen Lernens vorgestellt und das Modell, das für die Analyse verwendet werden soll, ausgewählt.
In diesem Kapitel soll der Begriff ethisches Lernen definiert werden. Dazu wird vorab eine exemplarische Definition des Begriffs Ethik und des Begriffs Lernen formuliert. Anschließend wird auf ethisches sowie bioethisches Lernen im Religionsunterricht eingegangen.
Den Begriff Ethik mit einer allgemein feststehenden Definition zu bestimmen, ist nicht möglich, da nicht die eine Ethik oder das eine System der Ethik existiert. In Bezug auf die Etymologie stammt der Begriff aus dem Griechischen ta ethika und bedeutet das Ethische. Ethik ist auf das Adjektiv ethikos, -e, -en zurückzuführen. Es ist aber auch möglich, dass sie als abgekürzte Variante für das Wort ethike episteme bzw. ethike theoria verwendet wird, welche ethische Wissenschaft bedeutet. Für das Wort Ethos gibt es im Griechischen zwei Schreibweisen: Zum einen kann es mit dem Buchstaben £, £0og, geschrieben werden, dann trägt es die Bedeutung Wohnstätte, Gewohnheit oder Sitte. Zum anderen kann es mit einem n, H0o?, geschrieben werden, dann meint es Sitte, Sittlichkeit oder Charakter. Die ethike episteme oder ta ethika setzt sich mit der Fragestellung auseinander, wie es zum Entstehen und Bestehen einer spezifischen Sitte kommt. Somit handelt es sich bei dem Begriff in erster Linie nicht um die Sitte selbst oder um ein konkretes Verhalten, sondern umfasst das Nachdenken über verantwortendes Handeln.
An anderer Stelle wird Ethik allerdings doch im Kontext von Sittlichkeit verwendet, um damit ein konkretes Verhalten bzw. konkrete Einstellungen qualitativ zu bestimmen.1 Es gibt eine Vielzahl an unterschiedlichen Systemen der Ethik, was eine einheitliche Definition des Begriffs zusätzlich erschwert. Sie muss stets im Gesamtzusammenhang des jeweiligen Systems betrachtet werden.2
Da die vorliegende Masterarbeit nicht den Rahmen bietet und es auch nicht ihr Anliegen ist, den Begriff Ethik an sich näher zu bestimmen, sondern den des ethischen Lernens, sollen im Folgenden die verschiedenen ethischen Systeme ausschließlich aufgelistet werden, um aufzuzeigen, wie vielseitig der Ethikbegriff ist. Hierbei ist anzumerken, dass die verschiedenen Systeme der Ethik nebeneinander bestehen und gleichermaßen anerkannt werden.3 Die unterschiedlichen Ansätze umfassen: die Gesetzesethik, die Güterethik, die Tugendethik, die Berufsethik, die utilitaristische Ethik, die Pflichtenethik, die Verantwortungsethik, die Werteethik, die Diskursethik und die Situationsethik.4
Der Begriff des Lernens soll hier im Sinne des aktiven Lernens definiert werden. Aktives Lernen meint, dass die Schülerinnen und Schüler selbst und durch ihr eigenes Handeln bestrebt sind, ihr Wissen und ihre Fertigkeiten zu erweitern. Es wird zwischen drei Ansätzen aktiven Lernens differenziert: situiertem und sozio-konstruktivistischem Lernen, kognitiv-konstruktivistischem Lernen und der Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitung. Nach Ansätzen des situierten sowie sozio-konstruktivistischen Lernens ereignet sich aktives Lernen durch „offene Lernaktivitäten, wie Problemlösen, Explorieren oder mit den Mitlernenden in den Diskurs treten"5. Nach kognitiv-konstruktivistischen Ansätzen erfolgt Lernen, indem die Schülerinnen und Schüler sich bewusst mental mit den Lerninhalten auseinandersetzen. Nach Ansätzen der Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung kann ein Lernerfolg nur erreicht werden, wenn die Informationsverarbeitung auf zentrale Konzepte und Prinzipien ausgerichtet ist.6
Beim ethischen Lernen geht es um die Auseinandersetzung mit Wertvorstellungen, die vom Individuum selbst, von der Kirche sowie der Gesellschaft befürwortet werden. Daher setzen sich die Schülerinnen und Schüler im ethischen Lernprozess mit Werten und Normen auseinander.7
Ethisches Lernen zielt auf einen gegenseitigen Austausch von Normen und Werten und auf die Entwicklung einer ethischen Urteilskompetenz, aufgrund derer dann das Individuum dazu befähigt wird, die gesellschaftlich, religiös bzw. kirchlich sowie philosophisch vertretenden Wert- und Normvorstellungen kritisch zu hinterfragen und selbstverantwortete Entscheidungen zu treffen.8
Durch den Prozess des ethischen Lernens gelingt es dem Individuum sich in bestimmten Situationen zwischen verschiedenen Handlungen argumentativ für eine Möglichkeit zu entscheiden und für diese dann auch einzustehen.9 Somit geht es beim ethischen Lernen nicht um die Konditionierung des Menschen zu „mechanischen Verhaltensreaktionen“10, sondern darum einen persönlichen, argumentativ begründeten Standpunkt zu entwickeln.11 Durch die Entwicklung solch eines Standpunktes wächst die Wahrscheinlichkeit, dass es den Lernenden gelingt ethische Problemstellungen selbstständig zu lösen.12 Ethisches Lernen ist ein komplexer Vorgang, der viele verschiedene Elemente umfasst: affektive, aktionale, soziale und kognitive.13 Die affektive Komponente beinhaltet das Fühlen und Mitfühlen, das Werten und Bewerten, ohne welches ethisches Lernen nicht möglich ist. Bei dem aktionalen Element handelt es sich um das Handeln, das ebenfalls fester Bestandteil ethischen Lernens ist. Ethisches Lernen ist nicht ohne Perspektivwechsel und einem Austausch untereinander möglich, was auf die soziale Komponente verweist. Grundlegend für ethisches Lernen ist das Erkennen, Nachdenken und Wissen, ergo eine kognitive Komponente.14 Dabei tritt zum Beispiel die kognitive nicht minder zu der affektiven, der aktionalen oder sozialen Komponente auf, sondern die verschiedenen Elemente sind in gleicher Weise vertreten.15
2.1 Ethisches Lernen im Religionsunterricht
Nachdem der Begriff des ethischen Lernens im vorangegangenen Kapitel definiert worden ist, soll nun sein Stellenwert im Religionsunterricht genauer betrachtet werden. Dazu wird zunächst auf die Verankerung des ethischen Lernens im Kernlehrplan für das Gymnasium in Nordrhein-Westfalen für das Fach Religion geschaut. Anschließend werden die fünf Grundformen ethischen Lehrens und Lernens nach Friedrich Schweitzer beschrieben und es wird auf die Grenzen der ethischen Erziehung in der Schule eingegangen.
2.1.1 Kernlehrplan für das Gymnasium in Nordrhein-Westfalen
Im Folgenden wird ethisches Lernen im Religionsunterricht, unter Berücksichtigung des Kernlehrplans Nordrhein-Westfalens für das Fach Religion für die Sekundarstufe I und II des Gymnasiums beschrieben. Dabei wird ausschließlich auf den Kernlehrplan für katholische Religion verwiesen.
Ethisches Lernen ist etwas, was den Religionsunterricht stets begleitet, aber erst im Kernlehrplan der Sekundarstufe II für das Gymnasium in Inhaltsfeld 5 - Verantwortliches Handeln aus christlicher Motivation - konkretisiert wird.
Im Kernlehrplan des katholischen Religionsunterrichts ist die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen für die Sekundarstufe I einmalig für die Jahrgangsstufe sieben bis neun im Inhaltsfeld 1 - Menschsein in Freiheit und Verantwortung - formuliert. Dort heißt es, die Schülerinnen und Schüler „erörtern in Grundzügen ethische Fragen unter Bezugnahme auf kirchliche Positionen"16.17
Die Lernziele, die Schülerinnen und Schüler hinsichtlich des Inhaltsfeldes 5: Verantwortliches Handeln aus christlicher Motivation - auf Ebene der Sach- und Urteilskompetenz laut Kernlehrplan für das Fach katholische Religion der Sekundarstufe II erreichen sollen, werden im Folgenden dargestellt. Auf der Ebene der Sachkompetenz erläutern die Schülerinnen und Schüler anhand von ausgewählten Beispielen ethische Problemstellungen für sich selbst und für die Gesellschaft und deuten sie „als religiös relevante Entscheidungssituationen"18. Außerdem werden die Lernenden dazu befähigt, Schritte ethischer Urteilsfindung zu skizzieren und zu erklären. Des Weiteren analysieren die Heranwachsenden ethische Entscheidungen, indem sie die Normen und Werte, auf denen jene beruhen, berücksichtigen.19 Sie legen die Eigenschaften christlicher Ethik, unter Berücksichtigung des biblisch-christlichen Menschenbildes, dar und können das Verständnis der katholischen Kirche in Bezug auf den „besonderen Wert und die Würde des menschlichen Lebens"20 erklären.21 Auf der Ebene der Urteilskompetenz werden die Schülerinnen und Schüler dazu angehalten, die kausale Verbindung von Freiheit und Verantwortung zu erörtern.22 Sie können die „Möglichkeiten und Grenzen"23 verschiedener Formen ethischer Argumentation bewerten bzw. einschätzen. Zudem können sie verschiedene Positionen zu einem expliziten ethischen Konfliktfeld diskutieren und dabei die christliche Ethik, vom Verständnis der katholischen Seite aus, miteinbeziehen.24 Schließlich erörtern die Lernenden, inwiefern die christliche Ethik bzw. biblische Grundlegungen relevant für das eigene Leben und das Zusammenleben in der Gesellschaft sind.25
Die Schülerinnen und Schüler entwickeln die Fähigkeit sich in andere hineinzuversetzen (Perspektivwechsel) und erweitern dadurch ihre eigene Perspektive.26
2.1.2 Fünf Grundformen ethischen Lehrens und Lernens
Ethisches Lernen hat nicht nur einen hohen Stellenwert im Fach Religion und damit einen festen Platz in dessen Kernlehrplan, wie im letzten Kapitel beschrieben, sondern ist fest im gesamten Schulleben verwurzelt. Sowohl im aktiven Lernen der Schülerinnen und Schüler als auch im Lehren liegt ein Potenzial für eine ethische Grundbildung. Diese Idee findet sich wieder im Forschungsansatz von Friedrich Schweitzer, der in diesem Kapitel vorgestellt wird. Er unterscheidet zwischen fünf Grundformen ethischen Lehrens und Lernens in der Schule: der sittlichen Elementarbildung, dem Lernen von Vorbildern, des erziehenden Unterrichts, dem Schulleben und der Gestaltung der Schule als Institution.27
Die erste Form ethischen Lehrens und Lernens, der Ansatz der sittlichen Elementarbildung, ist auf Johann Heinrich Pestalozzi zurückzuführen. Nach Pestalozzi ist es wichtig, dass beim ethischen Lehren und Lernen die drei Komponenten von Erfahrung, Anschauung und eigenem Tun berücksichtigt werden. Ethisches Lernen gelingt nicht, wenn ausschließlich ein theoretischer Austausch über gutes bzw. moralisches Handeln stattfindet. Entscheidend für den Erfolg ethischen Lernens ist praktisches Lernen, indem die Schülerinnen und Schüler beispielsweise an Projekten, die innerhalb und außerhalb der Schule stattfinden, teilnehmen.28
Die zweite Form ethischen Lehrens und Lernens ist das Lernen an Vorbildern. Vorbilder beeinflussen Kinder und Jugendliche maßgeblich, sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht. Dabei können die Vorbilder aus der medialen oder der realen Welt (Lehrperson, Familie, Freunde etc.) stammen.29
Die dritte Grundform ist der Erziehende Unterricht. Ziel dessen ist es, die Schülerinnen und Schüler zur Mündigkeit zu befähigen. Dies gelingt aber nur durch ein eigenständiges Erkennen und Urteilen der Lernenden und nicht durch Bestrafung oder Abrichtung.30 Erziehender Unterricht umfasst gerade auch deswegen die (kritische) Reflexion von Normen und Werten und die Auseinandersetzung mit Dilemmata.31
Nach Schweitzer bildet das Schulleben eine weitere Form ethischen Lehrens und Lernens. Um einen Erfolg zu erzielen, ist es notwendig, dass ethische Frage- und Problemstellungen nicht nur in vereinzelten Fächern, wie Religion oder Ethik, sondern in der gesamten Institution Schule behandelt werden.32 Dies kann in Form von Schulfesten, gemeinsamen Ausflügen, Projekten innerhalb und außerhalb der Schule oder durch ethische Themen, die fachübergreifend unterrichtet werden, erfolgen.33
Als fünfte Grundform ethischen Lehrens und Lernens betrachtet Schweitzer die Schule als gerechte Gemeinschaft. Bei diesem Ansatz nehmen die Schülerinnen und Schüler an einem Versuch teil, der erstmalig von Lawrence Kohlberg in den USA und anschließend in Deutschland von Fritz Oser an Schulen durchgeführt wurde. Dabei werden in Form von Versammlungen, an denen sowohl Lernende als auch Lehrpersonen teilnehmen, ethische Fragen diskutiert und es wird sich um eine gemeinsame Lösung bemüht. Es konnte mehrfach belegt werden, dass die pädagogische Wirkung jener Schulen, die solche Versammlungen durchführen, eindeutig über die von üblichen Schulorganisationen hinausragt.34
Zusammenfassend gilt festzuhalten, dass die genannten Grundformen ethischen Lehrens und Lernens in der Schule nebeneinander bestehen, sich überschneiden und sich teilweise gegenseitig ergänzen.35
2.1.3 Grenzen ethischer Erziehung in der Schule
Die Auseinandersetzung mit ethischen Themen ist fester Bestandteil des katholischen Religionsunterrichts der Sekundarstufe II. Doch die Schule ist Grenzen ethischer Erziehung ausgesetzt. Eine Einschränkung ist, dass die Erziehung zur moralischen Kompetenz von vielen unterschiedlichen Faktoren beeinflusst wird. Moralerziehung ist etwas, das sich nicht nur dort ereignet, wo explizit zum Austausch über ethische Themen und Problemstellungen angehalten wird, sondern auch in anderen schulischen sowie außerschulischen Bereichen auftritt, wie auch das vorangegangene Kapitel darlegen konnte.36 Ethisches Lehren führt nicht automatisch zu einem ethischen Lernen bei den Schülerinnen und Schülern.37 Selbst wenn Schülerinnen und Schüler bei der Arbeit mit ausgewählten Beispielen moralisch-ethisch urteilen, bedeutet das nicht, dass sie auch automatisch moralisch-ethisch handeln.38
Ethisches Lehren kann lediglich einen Anlass geben, aufklären, fördern und unterstützen, sodass das Individuum einen Fortschritt in der Entwicklung und Gewinnung von Überzeugungen macht. Nach Oser existiert „keine Zauberformel des moralischen Lernens, keine Tricks und keine Anabolika, durch die moralische Kraft entsteht"32, moralisches Lernen ist selbstbestimmt, es muss eine aktive Leitung der Lernenden sein und kann nicht als reiner Input zu etwas werden, das ungefiltert Teil der Persönlichkeit wird. Eine weitere Einschränkung ist, dass aufgrund der Pluralität der Gesellschaft, und somit auch der Pluralität von Normen und Werten, es nicht mehr möglich ist, ein „geschlossenes System von Normen"33 zu vermitteln. Vielmehr ist es das Ziel, den moralischen Standpunkt zu erweitern und zu vertiefen, und die pluralistischen Auffassungen wahrzunehmen, zu respektieren und sich mit diesen auseinanderzusetzen.34
Ethisches Lernen im Religionsunterricht wird im Folgenden anhand eines konkreten Themenbereichs beschrieben, dem der Bioethik. Eine Diskussion darüber kann sich nicht ganz zufällig ergeben, sondern sollte gezielt initiiert werden. Auch dafür bieten sich vielseitige Möglichkeiten, aber auch Grenzen.
2.2 Bioethisches Lernen im Religionsunterricht
Obwohl die Auseinandersetzung mit Themen der Bioethik zu den am meist diskutierten ethischen Themen in der Gesellschaft gehört, tritt die Thematik innerhalb der Institution Schule erst im Lehrplan der gymnasialen Oberstufe auf.35
Aufgrund der rasanten Entwicklungsfortschritte innerhalb der Biotechnologie sowie Biomedizin, ist die Auseinandersetzung mit bioethischen Fragen eine große Herausforderung für den Religionsunterricht. Die Lehrenden müssen neben ethischen auch über medizintechnologische Kompetenzen verfügen, um den Unterricht adäquat und inhaltlich korrekt für die Schülerinnen und Schüler vorbereiten und durchführen zu können.36 Dabei geht es nicht nur um die Weitergabe bioethischer bzw. biomedizinischer Erkenntnisse an die Lernenden, sondern es werden weitaus vielseitigere Ziele verfolgt. Die Schülerinnen und Schüler werden dazu befähigt, ethische Frage- bzw. Problemstellungen aus der Bioethik zu erkennen und diese in ihrer eigenen Lebenswelt zu identifizieren.37 Dabei erkennen sie nicht nur die Sachebene, sondern können diese bereits einschätzen, bewerten und beurteilen.38
Die Auseinandersetzung mit bioethischen Themen zielt darauf ab, dass die Lernenden allgemein einen eigenen fundierten Standpunkt, insbesondere im Hinblick auf bioethische Fragen, entwickeln.39 Die Schülerinnen und Schüler sind in der Lage, den Umfang ethischer Urteilsfindung hinsichtlich bioethischer Fragestellungen zu verstehen und damit verbundene Dilemmata aufzuzeigen.40 Allgemein ist eine Weiterentwicklung der Urteilsund Argumentationskompetenz bei den Lernenden zu verzeichnen.41 Zudem können Kompetenzen wie Kritikbereitschaft bzw. Kritikfähigkeit, Empathie sowie komplexes Denken durch die Auseinandersetzung mit bioethischen Themen gefördert werden. Außerdem setzen die Lernenden die biblische und theologische Tradition zu ihrer Lebenswelt in Bezug und reflektieren diese kritisch. Bei der Auseinandersetzung mit bioethischen Frage- bzw. Problemstellungen werden nicht nur kognitive Kompetenzen gefordert und gefördert, sondern auch Haltungen, die für die Lernenden eine Orientierungsfunktion einnehmen können.42
2.3 Modelle ethischen Lernens
Ob der Jugendroman Blueprint ethisches Lernen fördert bzw. Möglichkeiten dazu bietet, soll anhand bestimmter Kriterien entschieden werden. Um die Analysekriterien festzulegen, werden zunächst im folgenden Abschnitt drei Modelle ethischen Lernens vorgestellt, die unterschiedlichen Ebenen angehören: Das Stufenmodell zur Moralentwicklung nach Lawrence Kohlberg (entwicklungspsychologische Ebene),das Ethische Theorie sittlicher Urteilsfindung nach Heinz-Eduard Tödt (praktische Ebene) und die vier Modelle ethischer Bildung von Hans-Georg Ziebertz (didaktische Perspektive). Eine Diskussion der einzelnen Modelle wird direkt an die Darstellung des jeweiligen Modells angeschlossen.
2.3.1 Kohlberg - Stufenmodell zur Moralentwicklung
Der Psychologe und Professor für Erziehungswissenschaften Lawrence Kohlberg beschäftigte sich über dreißig Jahre mit Untersuchungen zum Stufenmodell zur Moralentwicklung.43
Die unterschiedlichen Stufen seines Modells thematisieren Regeln, das Gewissen, das Wohlergehen anderer und das der eigenen Person, das Pflichtgefühl, die Rollenübernahme und die Strafgerechtigkeit.44
Kohlberg assoziiert mit dem Begriff Moral Gerechtigkeit, bei der es sich um eine Wechselwirkung zwischen Rechten und Pflichten handelt. In moralischen Situationen können die Interessen und Ansichten kontrovers sein.45
Das Modell zur Moralentwicklung besteht aus drei Ebenen mit jeweils zwei Stufen. Es erstreckt sich von der präkonventionellen über eine konventionelle bis hin zur postkonventionellen Ebene.46 Innerhalb der Ebenen bildet die zweite Stufe eine fortgeschrittene zur ersten.47
Die präkonventionelle Ebene bezieht sich auf das moralische Denken von Kindern bis zu einem Alter von neun Jahren, aber auch auf einzelne Jugendliche und insbesondere auf jugendliche oder erwachsene Straftäter. Die Mehrheit der Jugendlichen und Erwachsenen ist auf der konventionellen Ebene zu verorten. Auf der postkonventionellen Ebene befindet sich nur eine Minderheit Erwachsener und ausschließlich derjenigen, die das Alter von zwanzig Jahren überschritten haben.48 Auf der präkonventionellen Ebene gelingt es einer Person noch nicht, die gesellschaftlichen Regeln und Erwartungen zu verstehen oder zu unterstützen. Die erste Stufe dieser Ebene ist an Strafe und Gehorsam orientiert. Die Person erkennt, ob sie richtig oder falsch gehandelt hat, indem auf das Handeln eine Belohnung oder eine Bestrafung folgt. Um eine Bestrafung zu vermeiden, macht sie das Richtige und unterwirft sich den Autoritäten. Die Intentionen anderer werden nicht wahrgenommen. Somit handelt die Person zunächst egozentrisch. Die zweite Stufe wird als instru- mentell, zweckorientiert und konkret austauschinteressiert bezeichnet. Eine Handlung gilt als richtig, wenn sie die eigenen Bedürfnisse befriedigt. Die eigene egozentrische Perspektive wird unter dem Motto Wie du mir, so ich dir zurückgenommen und die Person erkennt, dass auch andere Menschen Bedürfnisse und Interessen haben. Dies wird als konkret individualistische Perspektive bezeichnet und beinhaltet die Einsicht, dass die unterschiedlichen Interessen miteinander korrelieren können.49
Die nächste Ebene ist die der konventionellen. Die Person ist bemüht, den Erwartungen der eigenen Familie, der peer-group oder der Gesellschaft gerecht zu werden. Ihr Verhalten orientiert sich an vorgegebene Erwartungen und der herrschenden sozialen Ordnung. Die Mitglieder eines gesellschaftlichen Systems bemühen sich, die Ordnung zu erhalten, zu unterstützen und zu verteidigen, als Zeichen ihrer Loyalität gegenüber dem System.
Ziel ist die Identifikation der eigenen Person mit der Gruppe. Stufe drei orientiert sich an interpersonellen Erwartungen, Beziehungen und an Konformität. Die Person strebt nach der Anerkennung der anderen und sieht das als gutes Verhalten an, was den anderen gefällt und hilft. Dabei bezieht sie sich auf das direkte Umfeld, z.B. die Familie oder die Freunde, aber noch nicht auf ein allgemeines System. Das Individuum versucht sich in ein anderes Individuum hineinzuversetzen und stellt ihre persönlichen Interessen sowie Erwartungen hinter die der anderen. Auf dieser Stufe handelt es sich aus sozialer Perspektive um eine Formierung von kommunikativen Rollenverhältnissen, da die Person bemüht ist, sich in jemand anderes hineinzudenken.50 Die vierte Stufe konzentriert sich auf die Erhaltung des sozialen Systems und des Gewissens. Das Individuum handelt richtig, indem es seine übernommenen Pflichten erfüllt, Gesetze befolgt, gegenüber Autoritäten respektvoll ist und zum Erhalt des sozialen Systems beiträgt. Dabei wird die Person vom Gewissen geleitet. Das Individuum übernimmt die Ansicht des allgemeinen Systems. Das auf Stufe drei vertretene Verhältnis von subjekt-subjektbezogener Moral wird ausgetauscht. Nun werden die individuellen Beziehungen als Relationen zwischen Systemteilen betrachtet.51
Auf der postkonventionellen Ebene versucht die Person moralische Werte und Normen aufzustellen, unabhängig von der Autorität und von der eigenen Identifikation mit der Gruppe. Die Person erkennt die bestehenden moralischen Prinzipien an und versteht und akzeptiert somit die Regeln der Gesellschaft. Bei einem Konflikt zwischen den Prinzipien und den Regeln der Gesellschaft befolgt die Person das Prinzip und nicht das Abkommen der Gruppe. Die fünfte Stufe wird als die Stufe des sozialen Kontakts bzw. der gesellschaftlichen Nützlichkeit sowie der individuellen Rechte bezeichnet. Das Individuum erkennt, dass eine Vielzahl von Werten und Normen unter den Menschen existiert und dass die meisten davon gruppenspezifisch sind. Um die Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten, müssen bestimmte Gesetze eingehalten werden. Manche Gesetze können geändert werden, wenn sie zum Wohl der Gesellschaft beitragen. Aber absolute Werte und Rechte, wie Leben und Freiheit müssen unabhängig von der Meinung der Mehrheit anerkannt werden. Aus sozialer Perspektive ist dem Individuum bewusst, dass es Werte und Rechte gibt, die vorrangig vor sozialen Bindungen und Verträgen sind. Außerdem erkennt es, dass moralische und gesetzliche Auffassungen widersprüchlich sein können und es schwierig ist, diese zu vereinen.52
Stufe sechs ist ausgerichtet an allgemeingültigen ethischen Prinzipien. Eine Person handelt richtig, wenn sie selbstgewählten ethischen Prinzipien folgt. Es geht dabei um universale Prinzipien, wie Gerechtigkeit und Gleichheit der Menschenrechte. Bei einem Verstoß gegen diese entscheidet sich die Person für die Übereinstimmung mit dem Prinzip.53
Im Rahmen seiner Forschungen zu dem sechsstufigen Modell zur Moralentwicklung hat Kohlberg die sogenannte Dilemma-Methode entwickelt. In Form eines Interviews hat er die Probanden mit hypothetischen Dilemmata konfrontiert, um herauszufinden, welche Auffassung von Gerechtigkeit bei den Probanden vorliegt. Auf Grundlage der ausgewerteten Antworten der Befragten entwickelt Kohlberg das Stufenmodell zur Moralentwick- lung.54 Es gibt verschiedene Formen von Dilemmata: logische, praktische, instrumentelle sowie moralische.55 Im Folgenden soll lediglich das moralische Dilemma definiert werden, da dieses im Rahmen der Analyse ethischen Lernens anhand von Blueprint (Kapitel 5) erneut aufgegriffen wird. Den anderen Dilemma-Formen kann keine Verwendung innerhalb der Masterarbeit zugeschrieben werden, somit sind sie für diese nicht relevant und können innerhalb dieses Rahmens außer Acht gelassen werden.
Ein Dilemma besteht aus zwei gegensätzlichen moralischen Werten, die unvereinbar miteinander sind. Das bedeutet, dass sich das Individuum im Hinblick auf seine Handlung für eins von beiden entscheiden muss.56
2.3.1.1 Rezension - Stufenmodell zur Moralentwicklung
Die kognitive Entwicklungstheorie zur Moralentwicklung nach Kohlberg wurde vielseitig rezensiert und kritisiert. Unter anderem wurde Kritik aus psychoanalytischer und lerntheoretischer, psychometrischer sowie soziokultureller Perspektive geäußert. Dabei sind die Kritiken an Kohlberg unterschiedlich akzentuiert.57 Innerhalb des Rahmens der vorliegenden Masterarbeit ist es nicht möglich, alle Rezensionen und Kritiken aufzuführen. Daher handelt es sich im Folgenden um eine exemplarische Darstellung ausgewählter Kritiken. Einige kritisierten, dass die Dilemmata von Kohlberg nicht genügend kindgerecht formuliert und zu alltagsfern seien.58 Dieser Kritikpunkt wurde außer Kraft gesetzt, indem nicht mehr nur eine Auseinandersetzung mit hypothetischen Dilemmata erfolgte, sondern mit moralischen Konfliktsituationen, die unmittelbar in der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen auftreten.59 Handlungsfelder, die gesellschaftlich moralische Wertekonflikte beinhalten, eignen sich besonders gut, um die Dilemma-Methode einzusetzen.60
Nach Kohlberg ist es wichtig, dass sich der Austausch über moralische Wertekonflikte am individuellen Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler orientiert. Sein Stufenmodell zur Moralentwicklung gibt Auskunft über den jeweiligen Entwicklungsstand. Kohlberg vertritt die Auffassung, dass die moralische Urteilskompetenz sich nur weiterentwickelt, wenn die Argumente eine Stufe über den aktuellen Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler angelegt werden.61 Diesem Ansatz widerspricht der Psychologe Georg Lind vehement. Es wurde belegt, dass die Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit durch die Auseinandersetzung mit Argumenten, unabhängig von ihrer Art, angeregt werde.62
Weitere Kritik kommt von Seiten eines sozialisationstheoretischen Ansatzes der Moralentwicklung. Die Anhänger der Sozialisationstheorie der Moralentwicklung vertreten die Auffassung, dass Moral weder mit Kognitionen noch mit Fähigkeiten in einem Zusammenhang stehen. Im Gegensatz zu Kohlberg vertreten die Sozialtheoretiker nicht die Auffassung, dass die Entwicklung zur Moral eine Fähigkeit ist, die nach und nach entsteht.
Nach dem sozialisationstheoretischen Ansatz passt das Individuum seine moralischen Werte und sein Verhalten jenen an, die in der sozialen Gruppe herrschen, der er angehören möchte. Danach ist das Individuum jederzeit in der Lage, die moralischen Wertkonzepte seiner gesellschaftlichen Gruppe zu übernehmen, unabhängig von der Stufe, auf dem sich das moralische Urteil befindet.
Laut dieser Theorie hat die kognitive Entwicklungstheorie nach Kohlberg keinerlei Bedeutung mehr für die Entwicklung einer moralischen Kompetenz.63 Aber der sozialisationstheoretische Ansatz wurde widerlegt, da mehrere Forscher die Erkenntnis vertreten, dass die kognitive Dimension durchaus eine hohe Relevanz für moralisches Urteilen hat. Sozialer Druck und das Bedürfnis, ein Mitglied einer gesellschaftlich sozialen Gruppe zu sein, stellen keine ausreichenden Kriterien dar, um den Entwicklungsprozess zu einer moralischen Kompetenz zu begründen.64
Weitere Kritik kommt aus dem Bereich soziokultureller Theorien. Dazu gehört der feministische Ansatz von Gilligan.
Sie kritisiert an Kolhberg, dass sich sein entwickeltes Stufenmodell und seine Auswertungen ausschließlich auf männliche Personen beschränken und somit der Entwicklungsprozess des Denkens bei weiblichen Personen nicht adäquat berücksichtigt wird.65
Von Seiten sogenannter Bereichstheorien wird kritisiert, dass Kohlberg die Fähigkeit der Kinder moralisch zu urteilen auf der ersten Stufe unterschätze. Es ist bekannt, dass Kinder bereits im frühen Alter ein Gefühl von Fairness und Empathie entwickeln. Somit ist es durchaus möglich, dass sie Autoritätspersonen widersprechen. Außerdem sind die Vertreter der Bereichstheorien der Meinung, dass das Stufensystem Kohlbergs nicht anzuwenden ist, um „die Entwicklung des Urteilens außerhalb der von ihm erfassten Gerechtigkeitsprobleme“ zu beschreiben.66
Aus Sicht der Kulturpsychologie ist das Stufenmodell von Kohlberg nicht geeignet, um die Moralentwicklung bei Angehörigen nicht-westlicher Gesellschaften darzustellen. Diesbezüglich weisen vor allem die Stufen fünf und sechs Probleme auf, da es sehr unwahrscheinlich ist, dass in nicht-westlichen Gesellschaften auf Menschenrechte oder auf moralische Wertkonzepte und Verfahren verwiesen wird.67
2.3.2 Ziebertz - Vier Modelle ethischer Bildung
Die vier Modelle ethischer Bildung nach Ziebertz lauten Wertübertragung, Werterhellung, Wertentwicklung und Wertkommunikation. Anhand dieser sollen sich die Schülerinnen und Schüler im Unterricht mit Werten und Normen auseinandersetzen.68
Bei der Wertübertragung sollen sich die Lernenden Werte und Normen aneignen, die von den Lehrerinnen und Lehrern aus einer Vielzahl möglicher Wertkonzepte selektiert wurden und vonseiten der Lehrenden für wichtig und unentbehrlich erachtet werden. Somit stehen bereits vor Beginn des Lernprozesses die Werte und Normen fest, die an die Schülerinnen und Schüler weitergegeben werden sollen. Anhand dieser sollen die Jugendlichen eine Werthaltung entwickeln und ihr Handeln orientieren. Das Konzept der Wertübertragung spricht drei Ebenen an: die kognitive, die affektive und die voluntative. Auf der kognitiven Ebene geht es insbesondere darum, sich Wissen anzueignen und das eigene Denken weiterzuentwickeln, indem die Schülerinnen und Schüler „Werte kennenlernen, sie reproduzieren und klassifizieren können“69. Auf der affektiven Ebene sollen sich die Lernenden Wertkonzepte aneignen, die maßgebend für ihr eigenes Handeln sind.
Auf voluntativer Ebene geht es um die Beeinflussung der Willensausrichtung der Schülerinnen und Schüler, das bedeutet, dass die Lernenden sich extern ausgewählte Haltungen und Einstellungen aneignen.70
Ausgangspunkt beim Konzept der Werterhellung sind nicht vorgegebene Werte und Normen, die von den Schülerinnen und Schülern verinnerlicht werden sollen, sondern solche, die von den Jugendlichen bereits vertreten werden.71 Die Werterhellung ist auf den Einzelnen fokussiert. Die Schülerinnen und Schüler sollen ihre eigenen Wertkonzepte, die sie in der Vergangenheit erworben haben, reflektieren und in Beziehung zu ihren gegenwärtigen Gefühlen setzen. Dabei sollen die Heranwachsenden überprüfen, ob die in der Vergangenheit erworbenen Werte und Normen weiterhin vertreten werden können oder ob diese abgeändert oder sogar komplett gestrichen werden aus dem Wertekonzept. Das Konzept der Werterhellung zielt darauf ab, dass die Schülerinnen und Schüler eine Einheit von Denken, Fühlen und Handeln herstellen. Aufgrund dieser Einheit werden die Schülerinnen und Schüler dazu befähigt, eine eigene Identität zu entwickeln und diese auch zu verinnerlichen. Somit geht es beim Konzept der Werterhellung um eine Reflexion der bereits bestehenden Normen und Werte, die stets mit den gegenwärtigen Gefühlen und Bewusstsein abgeglichen werden müssen, da Werte wandelbar sind, vor allem in einer Gesellschaft, die in jeglicher Hinsicht von Pluralität beherrscht wird.72
Das Konzept der Wertentwicklung ist auf Lawrence Kohlberg, der ein Stufenmodell zur Entwicklung des moralischen Urteils entworfen hat, zurückzuführen. Da das Stufenmodell Kohlbergs bereits im vorherigen Kapitel (s. 2.4.1 Kohlberg - Stufenmodell zur Moralentwicklung) beschrieben wurde, erfolgt an dieser Stelle nur eine kurze Zusammenfassung des Ziels des Ansatzes der Wertentwicklung. Der Ansatz der Wertentwicklung zielt auf eine Weiterentwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit der Heranwachsenden ab, die aufeinander aufbauend erfolgt. Mit Hilfe von Dilemmata73 sollen die Schülerinnen und Schüler dazu befähigt werden, ein eigenes moralisches Urteil, das sich an Prinzipien orientiert, zu entwickeln.74
Die Wertkommunikation zielt darauf, dass die Schülerinnen und Schüler durch den gegenseitigen Austausch von Werten und Normen mithilfe argumentativer Verfahren eine Urteilskompetenz entwickeln. Ein argumentatives Verfahren ist beispielsweise der Ansatz der Dezentrierung. Dabei findet ein Perspektivwechsel zwischen Ich-, Du-, und Sie- Perspektive statt.
[...]
1 Vgl. Suda (2005), 15.
2 Vgl. ebd., 15.
3 Vgl. Suda (2015), 16.
4 Vgl. ebd., 17-31.
5 Renkl (2011), 996.
6 Vgl. Renkl (2011), 996f.
7 Vgl. Ziebertz (2010), 434.
8 Vgl. Ziebertz (2010), 434; Lorenzen (2015), 242.
9 Vgl. Porzelt (2013), 38.
10 Hilpert (1993), 70.
11 Vgl. Kruip/Winkler (2010), 29.
12 Vgl. ebd., 25.
13 Vgl. Porzelt (2013), 38.
14 Vgl. ebd., 38.
15 Vgl. ebd., 39.
16 Kernlehrplan für das Gymnasium Sekundarstufe I in Nordrhein Westfalen. Katholische Religionslehre, 25.
17 Vgl. Kernlehrplan für das Gymnasium Sekundarstufe I in Nordrhein Westfalen. Katholische Religionslehre, 25.
18 Kernlehrplan für das Gymnasium Sekundarstufe II in Nordrhein-Westfalen. Katholische Religionslehre, 23.
19 Vgl. Kernlehrplan für das Gymnasium Sekundarstufe II in Nordrhein-Westfalen. Katholische Religionslehre, 23.
20 Kernlehrplan für das Gymnasium Sekundarstufe II in Nordrhein Westfalen. Katholische Religionslehre, 30.
21 Vgl. ebd., 30.
22 Vgl. ebd., 23.
23 Kernlehrplan für das Gymnasium Sekundarstufe II in Nordrhein Westfalen. Katholische Religionslehre, 30.
24 Vgl. ebd., 23.
25 Vgl. ebd., 30.
26 Vgl. ebd., 21.
27 Vgl. Schweitzer (1996), 67.
28 Vgl. ebd., 68f.
29 Vgl. ebd., 69.
30 Vgl. Schweitzer (1996), 72.
31 Vgl. ebd., 73f.
32 Vgl. Hilpert (1993), 80f.
33 Ebd., 81.
34 Vgl. ebd., 81.
35 Vgl. Bedford-Strohm (2006), 343.360.
36 Vgl. Bedford-Strohm (2006), 361; Stern-Sträter (2009).
37 Vgl. Bedford-Strohm (2006), 361.
38 Vgl. Fuchs (2012),184.
39 Vgl. Stern-Sträter (2009), 91.
40 Vgl. Bedford-Strohm (2006), 361.
41 Vgl. Stern-Sträter (2009), 91.
42 Vgl. Bedford-Strohm (2006), 361.
43 Vgl. Garz (1996), 53.
44 Vgl. Althof (1996), 146.
45 Vgl. Garz (1996), 10.
46 Vgl. ebd., 55.
47 Vgl. Althof (1996), 127.
48 Vgl. ebd., 126.
49 Vgl. Althof (1996), 128f.; Garz (1996), 56f.
50 Vgl. Althof (1996), 129f.; Garz (1996), 57f.
51 Vgl. Althof (1996), 129f.; Garz (1996), 59.
52 Vgl. Althof (1996), 131; Garz (1996), 60.
53 Vgl. Althof (1996), 132; Garz (1996), 61.
54 Vgl. Schmid (2015), 168.
55 Vgl. ebd., 164.
56 Vgl. Garz (1996), 77; Schmid (2015), 165.
57 Vgl. Becker (2011), 58f.
58 Vgl. Reuss/Becker (1996), 96; Becker (2011), 59.
59 Vgl. Adam (2006), 25.
60 Vgl. Schmid (2015), 169.
61 Vgl. Adam (2006), 25.
62 Vgl. Schmid (2015), 173.
63 Vgl. Lind (2002), 115.
64 Vgl. ebd., 125.
65 Vgl. Becker (2011), 58.
66 Vgl. ebd., 58.
67 Vgl. ebd., 58.
68 Vgl. Ziebertz (2010), 439.
69 Ziebertz (2010), 439.
70 Vgl. Ziebertz (2010), 439.
71 Vgl. ebd., 439.
72 Vgl. ebd., 440.
73 s. o. Kapitel 2.4.1.
74 Vgl. ebd., 442.
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