Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Inhaltsangabe
Epochenzuordnung
Interpretation
Schlußbemerkung
Quellenverzeichnis
Einleitung
Ein Problem, das mich lange beschäftigt hat, ist die Tatsache, dass es mir nie möglich sein wird zu wissen, was Grillparzer wirklich bewirken wollte mit seinem Werk. Wollte er damit nur unterhalten oder wollte er damit die Welt verbessern, indem er Mißstände der damaligen Gesellschaft aufzeigte? Aus diesem Grund habe ich enormen Respekt vor „Des Meeres und der Liebe Wellen“, weil ich mir nicht ganz sicher bin, ob es sich um eine Gesellschaftsdrama oder um ein Lustspiel handelt. Ich sah mich also gezwungen, diese Diskussion beiseite zu lassen. An dieser Stelle kommt jetzt wahrscheinlich der Einwand, dass doch dies eine ideale Hypothese gewesen wäre, aber meine Chancen die richtige „Antwort“ auf diese Frage zu finden wären 50% zu 50% gewesen und ich hätte niemals erfahren, ob es jetzt die richtige oder die falsche gewesen wäre, was mich wahrscheinlich mein ganzes Leben lang in Mitleidenschaft gezogen hätte. Deshalb beschloß ich, das Ganze von einer anderen Seite her anzugehen, und zwar habe ich mich gefragt, was mein erster Gedanke ist, sobald ich an das Stück denke: HERO. Das Thema für meine Hypothese war also gegeben. Die nächste Frage, die sich mir stellte war: Was mich an Hero so faszinierte. Nach mehreren mehr oder weniger geglückten „brain- stormings“ war ich mir sicher, dass es ihre „Fähigkeit“ war, sich der jeweiligen Situation anzupassen, die mich in ihren Bann gezogen hatte. Aber es war nicht nur das, irgendetwas schien noch „falsch“ zu sein, denn wenn sie diese Fähigkeit doch hatte, wieso war sie dann gezwungen sich in so viele verschiedene Situationen zu begeben? Wieso war sie so rastlos? Als ich mir diese Fragen stellten kam mir automatisch das Wort FLUCHT in den Sinn. Ist Hero etwa auf der Flucht? Und wenn ja, vor was und wieso?
Inhaltsangabe:
Schauplatz des Stückes ist die Insel Sestos in der griechischen Ägäis. Hier will sich Hero in den Dienst der Göttin Aphrodite stellen und sich zur Priesterin weihen lassen. Dies erfordert eiserne Disziplin, denn jeglicher Kontakt zur Außenwelt ist ihr untersagt. Oberstes Gebot: Enthaltsamkeit. Zu ihrer Priesterweihe wird auf der Insel ein Fest organisiert und den Leuten vom Festland ist es gestattet, der Zeremonie beizuwohnen. Während Hero den Göttern Amor und Hymenäus opfert, fällt ihr Blick auf Leander und seinen Freund Naukleros. Sie fängt sofort Feuer für den dunkelhaarigen Jüngling und läßt ihn später sogar aus ihrem Krug trinken. Leander nimmt diese Gelegenheit wahr, um seine Angebetete zu küssen. Dieser Kuß aber wird vom Oberpriester beobachtet, welcher Hero tadeln muß. Dennoch kommt es zu einem erneuten Kuß in ihrem Turmgemach, welches Leander erklommen hat, nachdem er das Meer durchschwommen hatte. Leander kann Hero zu einem erneuten Treffen animieren, doch ist ein Öllämpchen an Heros Fenster nötig, damit Leander in der folgenden Nacht erneut die Insel im Dunkeln finden kann, wobei er durch das Licht am Fenster an den richtigen Ort gelotst wird. Der Priester jedoch schöpft Verdacht und löscht das Licht im Fenster. Da Leander sich nun in der darauffolgenden Nacht an nichts mehr orientieren kann, kommt er in den Fluten um und wird tot an den Strand angespült. Hero klagt den Priester an Verräter am Leben geworden zu sein, und stirbt schließlich vom Schmerz überwältigt.
Epochenzuordnung:
Grillparzer ist, und folglich auch das Stück „Des Meeres und der Liebe Wellen“, dem Biedermeier zu zuordnen. Das Stück ist in klassischem Stil geschrieben, jedoch wird das klassisch-optimistische Humanitätsideal bei ihm durch Kulturpessimismus überschattet. Grillparzers Überzeugung entsprechend, dass Sittlichkeit und Machtausübung unvereinbar seien, sind seine Helden (Hero und Leander) weniger Tatmenschen als Leidende, die, zwischen Lebensgier und Friedensverlangen oft unentschlossen schwankend, sich endlich im Verzicht selbst behaupten.1 Also ganz im Sinne des biedermeierlichen Ideals, das auf Heimatverbundenheit und Religion, auf patriarchalische Ordnung in Staat und Familie, auf ehrende Pflege des Althergebrachten und auf schlichte Genügsamkeit ausgerichtet ist. Zur Erhaltung des inneren Friedens und eines beschränkten Glücks, bändigt man alle dämonischen Kräfte.2 Im Stück sind alle diese typischen Ideale wiederzufinden. Einzig der Schluß, der Tod der Hero, paßt irgendwie nicht ins Ganze. Ich glaube aber nicht, dass dieser Schluß in irgendeiner
Weise der Biedermeierkultur kritisch gegenüber steht, sondern dass das Stück unter einer Art romantischer Decke gehalten werden sollte, indem das, was man von einer Liebesgeschichte erwartet eintrifft.
Interpretation:
Hypothese: Hero befindet sich nur auf der Insel Sestos, weil sie vor ihrer patriarchalischen Familie geflüchtet ist. Diese Flucht ist ihr jedoch mißlungen.
Zuerst versuche ich mir anhand einiger Textstellen ein Bild von Heros Charakter zu machen. Dabei ist mir wichtig, wie sie sich verhält, insbesondere auch anderen Menschen gegenüber, damit ich mir ein Bild ihres Charakters und ihrer Verhaltensweisen machen kann, an welchem ich dann meine Hypothese stützen kann.
Am Anfang des Stücks läßt Hero einem im Glauben, dass sie völlig zufrieden ihrer Zukunft, als Priesterin, entgegen blickt:
HERO: Kein Wölkchen trübt das blaue Firmament, Und Phöbus blickt, dem hellen Meer entstiegen ,Schonüber jene Zinnen segnend her.
Schaust du mich schon als eine von den Euren?(V.15)
Die Adjektive sollen in diesem Abschnitt nicht nur die Natur beschreiben, sondern ebenso ihren Gemütszustand. Ihre Vorfreude auf das Priesteramt ist groß. Doch ist es nur das Priesteramt?
HERO: Das schöne Vorrecht, Priesterin nun selbst;
[...] Auf jenen Stufen wird das Volk sie sehn
[...] Von jeder Lippe ringt sich Jubel los, (V.23)
Heros Vorfreude auf die Priesterweihe ist sicherlich angemessen, doch bei ihr steht anscheinend weniger die Weihe im Mittelpunkt als viel mehr sie selbst. Man hat das Gefühl als ob sie eine gewisse Aufmerksamkeit brauche. Für diese Art der Lustbefriedigung ist ein Tempel der Enthaltsamkeit wohl aber der falsche Platz. Ein gewisser Hedonismus zeigt sich auch als kurz darauf Janthe, ihre Dienerin, erscheint:
JANTHE: Verzeih, wir sind gemeines, niederes Volk.
Du freilich, aus der Priester Stamm entsprossen -
HERO: Du sagst es.
JANTHE: Und zu Höherem bestimmt.
HERO: Mit Stolz entgegn‘ich: ja. (V.73)
Hero wird langsam verdächtig arrogant. Was mögen die Gründe einer zukünftigen Priesterin sein sich so in Postur zu werfen? Ist es bloße Spielerei oder knallharte Machtdemonstration? Ihm Gegenzug deckt sie später die Dienerin, als der Priester sie fragt, wer ihr spottete. Sie schafft es also, nachdem sie sich durch ihre Hochnäsigkeit bei Janthe ins Abseits gestellt hat, sich wieder ins rechten Licht zu rücken:
HERO: Genau besehn, will ich sie dir nicht nennen,
Ob ihr die Rüge gleich gar verdient.
Schilt sie nur alle, Herr, und heißsie gehn,
Die Schuld‘ge nimmt sich selbst wohl ihren Teil. (V.104)
Einerseits liegt nun die Dienerin Janthe in Heros Schuld, weil diese sie nicht verraten hat, andererseits ist die Achtung des Priesters gegenüber Hero gestiegen, weil sie trotz ihres Zorns über die spottende Dienerin, sie nicht bestrafen ließ, sondern Edelmut hat walten lassen. Sie hat es also geschafft sich geschickt und mit dem grösst möglichen Vorteil für sie sich aus der Affäre zu ziehen.
Etwas später macht sie dem Priester gegenüber ein Geständnis
HERO: Ich kann nicht finden, dass Gesellschaft fördert;
Was einem obliegt, mußman selber tun. (V.121)
Hero ist also der Meinung, dass Gesellschaft nur hinderlich wäre, um das zu tun, was man tun muß. Sie hat scheinbar schon schlechte Erfahrungen diesbezüglich gemacht. Es könnte also sein, dass sie das Amt der Priesterin nur antritt, um allein zu sein und somit nicht auf andere angewiesen sein zu müssen. Will sagen, Verantwortung für sich alleine zu übernehmen. Hier habe ich mir jedoch die Frage gestellt, wieso sie Gesellschaft so kategorisch ablehnt. Da Grillparzer von ihrem vergangenen Leben nur ihre Familie erwähnt, ist anzunehmen, dass diese bis jetzt die wichtigste Rolle in ihrem Leben gespielt hat, also ist sie wahrscheinlich daran Schuld, dass Hero gegenüber der Gesellschaft bzw. anderen Mitmenschen gegenüber so abgeneigt ist.
Als der Priester Hero auf die Tatsache anspricht, dass das Leben zu zweit viel angenehmer sei und noch einmal nachfragt, ob sie sich ihres Lebenswandels sicher sei, gibt sie ihm keine genaue Antwort sondern weicht ihm aus :
HERO: Was man nicht faßt, erregt auch kein Verlangen.
Laßmich wie ich bin, ich bin es gern. (V.137) Diese Einstellung scheint mir verdächtig. Hero war in Ihrem früheren Leben wahrscheinlich genau in dieser Situation: Sie „faßte“ etwas, wurde aber von diesem etwas enttäuscht, auf dies zurückblickend auch ihr Fazit:
HERO: Im Tempel, an der Göttin Fussgestelle Ward mir ein Dasein erst, ein Ziel, ein Zweck.Wer, wenn er mühsam nur das Land gewonnen, Sehnt sich ins Meer zurück, wo‘s wüst und schwindelnd? (V.157)
Hier weiß der Leser nun definitiv, dass Heros Eifer Aphrodite zu dienen nur aus einer Vergangenheitsbewältigung heraus entstanden ist. Denn wie anders kommt Hero sonst auf die Insel wenn sie nicht schon zum vornherein vom Priestertum überzeugt ist? Hero ist also auf der Flucht aber vor was? Wer das Buch gelesen hat, weiß, dass bald eine bizarre Szene folgt, bei dem ihre Eltern auf der Bühne erscheinen. Doch vorher noch folgendes
Gespräch mit dem Priester über ihre Eltern:
HERO: und setzte mich bei meiner Göttin Thron
Und sann.[...]
PRIESTER: Und dachtest? [...] PRIESTER: An deine Eltern.
HERO: Was nützt es auch? sie denken nicht an mich
Priester: Sie denken dein und sehnen sich nach dir
HERO: Ich weißdas anders, doch du glaubst es nicht. War ich doch ihnen immer eine Last, Und
fort und fort ging Sturm in ihrem Hause. Mein Vater wollte was kein andres wollte, Und drängte mich, und zürnte ohne Grund. Die Mutter duldete und schwieg.
Mein Bruder - Von den Menschen all, die leben, Bin ich nur einem Gram, es ist mein Bruder. AlsÄlterer, und weil ich nur ein Weib, Ersah er mich als Spielwerk seiner Launen.
Doch hielt ich gut, und grollte still und tief. (V.190)
In diesem Textausschnitt wird einem deutlich was Hero für eine Einstellung ihrer Familie gegenüber hat. Ihr Vater, offensichtlich eine strenge Autoritätsperson, ist ein Mann, welcher seine Launen an der Familie auszulassen pflegt. Ein Patriarch wie er im Buche steht, der es vor allem auf Hero und seine Ehefrau abgesehen hat. Dies zeigt sich auch an seinem Sohn, Heros Bruder, welcher die Attitüde seines Vaters den Frauen gegenüber angenommen hat und sich ganz seinem Vater nacheifernd, angewöhnt hat, Hero zu tyrannisieren. Im Text bleibt offen inwiefern er seine Launen an Hero ausgelassen hat, ob dies psychischer oder physischer Art gewesen ist, darauf gibt es im Text keine Hinweise. Die Mutter schließlich ist das arme Frauenzimmer, umgeben von zwei Tyrannen, und die Tatsache, dass Hero nicht mehr zu Hause ist, hilft ihr in ihrer Situation nicht, denn jetzt ist sie völlig auf sich allein gestellt.
Zusammenfassen läßt sich aus den Textstellen folgendes herauslesen:
- Hero tritt das Priestertum nicht nur an um der Göttin Aphrodite zu dienen. Sie ist auf der Flucht.
- Hero besitzt die Fähigkeit sich Situationen anzupassen.
- Hero ist auf der Suche nach Anerkennung.
- Hero bevorzugt es allein zu sein, als hätte sie schlechte Erfahrungen mit anderen Menschen gemacht.
- Hero ist ihrem Bruder und ihrem Vater gegenüber negativ eingestellt, aufgrund ihrer Vergangenheit
Meiner Meinung nach ist sie zu dem geworden, was sie ist, durch ihren Vater und ihren Bruder. Den Weg nach Sestos hat sie nicht nur aufgrund ihrer Gottesfrömmigkeit gemacht, sondern in erster Linie weil sie auf der Flucht ist. Nämlich auf der Flucht vor ihrer patriarchalischen Familie. Hier auf der Insel findet sie nun endlich die Umstände vor, um sich frei zu entwickeln. Hier schätzt sie es, im Mittelpunkt zu stehen, und geniest es förmlich, einen höheren Status einzunehmen. Man stellt aber immer noch gewisse Züge fest, die auf eine verrüttete Kindheit hinweisen, so z.B. die Scheu gegenüber vor anderen Menschen (damit meine ich nicht, dass sie eine Misanthropin ist, sondern dass es ihr schwerfällt anderen Menschen zu vertrauen, und das sie dadurch lieber auf sich allein gestellt ist), oder ihre ausgeprägte „Fähigkeit“ es allen recht zu machen.
Doch wie verhält sie sich nun, wenn ihre Erzeuger vor ihr stehen. An der folgenden Stelle begegnet Hero nach langer Zeit wieder ihren Eltern. Wie verhält sie sich ihnen gegenüber?
(Heros Eltern kommen.)
VATER: Mein Kind! Hero, mein Kind!
HERO:(auf ihre Mutter zu eilend) O meine Mutter! VATER:Sieh nur, wir kommen her, den weiten Weg -Mein Atem wird schon kurz! - So fern vom Hause, [...]
HERO:Meine Mutter! (V.231)
Der Vater, der mit seiner Frau ihr entgegentritt, läßt einen Redeschwall von sich, sie nimmt ihn jedoch gar nicht wahr. Sie interessiert sich lediglich für ihre Mutter. Doch diese hat noch gar nichts sagen wollen oder liegt dies daran, dass sie ihres Mannes wegen noch nicht zu Wort gekommen ist? Die ersten Worte ihres Vaters, der sie schon so langen nicht mehr gesehen hat, sind auch gleichzeitig eine Art Vorwurf, oder wenn kein Vorwurf, dann zumindest sollen seine Worte Hero ein schlechtes Gewissen bereiten. Dies sind sicherlich die falschen Begrüssungsworte eines Vaters, nachdem er seine Tochter lange nicht mehr gesehen hat. Hier wird klar warum Hero ihr Wort nur an ihre Mutter richtet. Die Mutter kommt aber gar nicht dazu ein Wort zu sprechen, den schon ergreift ihr Bräutigam wieder das Wort:
VATER: Ob kränkelnd schon und schwach, Es duldet sie nicht länger im leeren Hause. Teilnehmen wollte sie an deinem Glück.
[...]
HERO: Allein sie spricht nicht.
VATER: Nicht? Frag sie: warum?
Sie spricht wohl sonst, wenn‘s auch nicht an der Zeit,
[...]
Wer förderliches nicht vermag zu sagen,
Tut klüger schweigt er völlig,[...] (V.253)
Heros Vater versucht erneut ihr ein schlechtes Gewissen einzureden, indem er ihr vorhält wie schwer es der Mutter gefallen sei, das Haus zu verlassen. Die Meinung seiner Frau darüber kümmert ihn nicht. Und als Hero ihn fragt, warum ihre Mutter nicht spreche, so antwortet er, dass sie zu Hause schon genug rede, und dass das, was sie zu Hause rede, nichts Wichtiges sei, so dass er es für besser hielte, wenn sie überhaupt nicht mehr sprechen würde. Er verbietet ihr den Mund. Die Mutter meldet sich kurz darauf doch noch zu Wort , wagt dies aber nur halblaut zu tun und beginnt sogar zu weinen. Ob sie dies tut, weil sie ihre Tochter schon lange nicht mehr gesehen hat oder ob sie sich vor dem Zorn ihres Mannes fürchtet, ist aus dem Text nicht zu entnehmen. Als etwas später Hero dann das Wort ergreift, hat ihre Mutter das Gefühl, sie warnen zu müssen, weil ihr Mann und der Priester, die sich im Hintergrund aufhalten haben, zurückkehren. Hero beruft sich aber auf das Recht, sich im Tempel frei äußern zu dürfen. Als die Mutter ihr sagt, dass sie alt und allein sei, erhebt sie Einspruch:
HERO: Allein?
Dir ist dein Gatte ja. Zwar er -? Ein reiches Haus,[...]
Dir ist mein Bruder, der bringt die Braut ins Haus und dehnt sich breit, Und gibt dir Enkel mit der Väter Namen. (V.290)
Wieso zögert, ja wieso bricht Hero ab beim Versuch ihrer Mutter zu erläutern, dass die Mutter gar nicht allein sei, da sie ja ihren Ehemann hat? Wahrscheinlich denkt sie an ihre Kindheit zurück in der sie sich trotz des Vaters oder gerade wegen des Vaters auch allein gefühlt hat. Das „Ablenkungsmanöver“ mit dem „reichen Haus“ hat für mich schon fast etwas Zynisches. Darauf folgt wiederum eine komisch klingende Aussage: Der Bruder bringe ja Söhne nach Hause mit der Väter Namen, die Mutter werde nicht mehr lange allein sein. Eine neue Generation von tyrannischen Mannsbilder, welch Freude!
Als Hero kurz darauf noch erfährt, dass ihr Bruder von zu Hause wahrscheinlich für immer abgehauen ist, trauert sie ihm nicht etwa nach, sondern versucht die Gelegenheit am Schopf zu packen, um nun, wo es einen Ausfälligen weniger im Haus gibt, der Mutter zurück aufs Festland zu folgen.
HERO: [...] Nun doppelt gerne
Kehrt‘ich mit dir nach Haus, seit kund mir solches. (V.305)
Dies tönt so als, ob ihr Bruder ein triftiger Grund gewesen sei, dass sie Priesterin auf einer einsamen Insel hatte werden wollen und jetzt da er weg ist, sie endlich wieder nach Hause könne.
Etwas später ergreift die Mutter plötzlich völlig unerwartet das Wort:
MUTTER: Oh weh, weh!
Sie Haben mir mein Kind entwendet,
[...] (V.327)
Hero ist also von zu Hause „entwendet“ worden. Dieses „entwendet“ verstehe ich im übertragenen Sinne. Ich denke, dass Hero von ihren Verwandten nicht entführt worden ist, sondern viel mehr, dass die Umstände, welche in ihrer Familie herrschten, von ihr nicht mehr zu tolerieren waren, dass sie daraus die nötigen Konsequenzen gezogen hat. Von freiwilliger Enthaltsamkeit kann also keineswegs mehr die Rede sein. Auch wenn später Hero noch folgendes sagt:
HERO: Ich aber will mit heiterem Sinne wandeln Hier an der Göttin Altar, meiner Frau.
[...]
Und niemand soll mir‘s rauben und entziehen. (Mit starker Betonung.)
Wahrhaftig! (V.333)
Mit diesem „Schlussmonolog“ von Hero verschwinden Heros Eltern wieder von der Bühne.
Auf mich machen diese letzten paar Sätze enorm den Eindruck, als ob Hero sich noch einmal Mut machen wollte. Dafür spricht auch das betonte „wahrhaftig“. Es ist noch einmal ein Aufbäumen gegen den Gedanken, mit ihrer Mutter wieder zurück nach Hause zu kehren. Eine definitive Absage an ihren innersten Wunsch.
Zusammenfassend läßt sich sagen, dass Hero einzig und allein von zu Hause ausgebrochen ist aufgrund des patriarchalem Regimes, welches dort herrscht. Sie flüchtete auf die Insel Sestos, um dort als Priesterin den Respekt zu erhalten, den sie eigentlich verdient hätte. Diese Flucht ist aber insofern fehlgeschlagen, aufgrund der nicht einkalkulierten Affinität ihrer Mutter gegenüber und aufgrund ihrer Verhaltensweisen (z.B. der Zwang sich dauernd anpassen zu müssen), welche sich ihr in ihrer Zeit bei ihrer Familie eingeprägt haben.
Schlußbemerkung:
Eigentlich ist Hero das ganze Stück hindurch auf der Flucht vor irgendetwas. Egal ob dies nun vor ihrer Familie, ihrem Leben als Priesterin oder vor Leander ist, nirgends schafft sie es sich „zu Hause zu fühlen“. Aus Gründen des Umfangs habe ich mich ausschließlich auf ihre Flucht vor der Familie konzentriert. Obwohl es wahrscheinlich interessanter gewesen wäre, das Ganze im Zusammenhang zu sehen. Außerdem habe ich bei der Arbeit gemerkt, dass es mir schwerfällt eine These zu beweisen, ohne dabei wieder völlig neue Thesen aufzustellen, die eigentlich auch schon wieder erläutert werden müßten. Ich mußte mich extrem konzentrieren, um nicht immer wieder solche neuen Thesen zu verwenden, trotzdem denke ich, dass es mir an einigen Stellen mißlungen ist. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass ich eine eigenständige These hatte und mich an nichts Konkretem hatte festhalten können. Denn je mehr man sich mit seiner eigenen These auseinander setzt, desto mehr fixiert man sich auf sie. Man „verliert“ sich quasi in ihr. Um dann die ganze Arbeit wieder objektiv zu überschauen, ist ein enormer Aufwand an Zeit und Nerven nötig. Das Problem ist nur, man kann diesen Prozeß nicht erzwingen, denn auf der anderen Seite war mein eigener Ehrgeiz, der mich an gewissen Stellen dazu verführt hat, der Verifizierung der Hypothese wegen, meine eigenen Gedanken als unantastbar richtig „wahrzunehmen“. Weiter bleibt mir nur noch die Hoffnung, dass ich mich einigermaßen passabel aus meinem Dilemma befreien konnte. Diese Arbeit hat mir aber nicht nur in dieser Hinsicht etwas gebracht, denn zurückblickend auf meine letzten paar Nachtschichten, hatte ich eine Erleuchtung: Wie wär’s das nächste Mal mit einer besseren Einteilung der Zeit?
Quellenverzeichnis:
Primärliteratur:
- Grillparzer Franz ; Des Meeres und der Liebe Wellen; Reclam; Stuttgart; 1984 Sekundärliteratur:
- Rothmann, Kurt; Kleine Geschichte der deutschen Literatur; Reclam; Stuttgart; 15. Erweiterte Auflage; 1997
- Schäble, Gunter; Grillparzer; Friedrich Verlag; Velber bei Hannover; 2. Auflage; Juni 1971 · Scheit, Gerhard; Grillparzer; Rowolth; Reinbek bei Hamburg; 1989
[...]
1 vgl. Rothmann / Kleine Geschichte der dt. Literatur 1997: S.162
2 vgl. Rothmann / Kleine Geschichte der dt. Literatur 1997: S.156
- Arbeit zitieren
- Tobias Krieger (Autor:in), 2000, Grillparzer, Franz - Des Meeres und der Liebe Wellen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100652
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