Die „Geheimsprache“ der Jenischen – was erstmals mystisch klingt, ist am Ende aber der Beweis eines Leidensweges über Generationen hinweg.
Die jenische Kultur befindet sich noch immer in einem Status der Unterdrückung.
Ist diese recht harte These heute noch aktuell oder können wir das Kapitel der Verfolgung und Unterdrückung der Jenischen abschließen?
Dies soll nachfolgend, mittels der Beantwortung der Frage bezüglich der Notwendigkeit einer Geheimsprache der Jenischen, resultierend aus dieser in Deutschland nicht anerkannten, auch in der Gegenwart immer noch unterdrückten Minderheit, untersucht werden.
Durch ein sprachwissenschaftliches Seminar meines Germanistikstudiums lernte ich die jenische Kultur kennen und war besonders von der eigenen Sprache, die sie entwickelten, begeistert. Der historisch-politische Aspekt interessiert mich dabei ebenfalls ganz besonders. In diesem Essay möchte ich gerne die beiden Komponenten miteinander verbinden, da es essentiell ist, den historischen Hintergrund gut zu verstehen, um die Notwendigkeit einer eigenen Sprache zu begreifen.
Meine Behauptung ist, dass ein großer Teil von Ihnen (noch) nicht weiß, was die jenische Kultur überhaupt ist. Zugegeben: Auch ich konnte, wie sehr viele andere in meinem Seminar, nicht viel mit dem Begriff anfangen.
Die „Geheimsprache“ der Jenischen – was erstmals mystisch klingt, ist am Ende aber der Beweis eines Leidensweges über Generationen hinweg.
Die jenische Kultur befindet sich noch immer in einem Status der Unterdrückung.
Ist diese recht harte These heute noch aktuell oder können wir das Kapitel der Verfolgung und Unterdrückung der Jenischen abschließen?
Dies soll nachfolgend, mittels der Beantwortung der Frage bezüglich der Notwendigkeit einer Geheimsprache der Jenischen, resultierend aus dieser in Deutschland nicht anerkannten, auch in der Gegenwart immer noch unterdrückten Minderheit, untersucht werden.
Durch ein sprachwissenschaftliches Seminar meines Germanistikstudiums lernte ich die jenische Kultur kennen und war besonders von der eigenen Sprache, die sie entwickelten, begeistert. Der historisch-politische Aspekt interessiert mich dabei ebenfalls ganz besonders. In diesem Essay möchte ich gerne die beiden Komponenten miteinander verbinden, da es essentiell ist, den historischen Hintergrund gut zu verstehen, um die Notwendigkeit einer eigenen Sprache zu begreifen.
Meine Behauptung ist, dass ein großer Teil von Ihnen (noch) nicht weiß, was die jenische Kultur überhaupt ist. Zugegeben: Auch ich konnte, wie sehr viele andere in meinem Seminar, nicht viel mit dem Begriff anfangen.
Um Sie kurz abzuholen und Ihnen vorab einen Einblick in das Thema dieses Essays zu geben, möchte ich Ihnen eine Definition liefern. Man kann ganz schwer sagen, was Jenische sind, weil es eigentlich eher die Lebensweise ist, die die Jenische Kultur ausmacht. Es gibt allerdings typische Berufsgruppen, denen jenische Menschen angehören, wie z.B. das Verkaufen von Bürsten oder das Scherenschleifen. Sie haben auf der Straße gelebt oder in Gasthäusern gehaust und hatten die Notwendigkeit gesehen, eine Sprache zu sprechen, die niemand versteht, damit sie sich über Geld und Geschäfte unterhalten konnten, ohne ausgeraubt zu werden.
Verfolgt, verbannt und vergessen. Das zeichnet den Großteil der damaligen und noch heute existierenden jenischen Kultur aus. Vor allem um gegen das „Vergessen“ der Jenischen Kultur und somit auch gegen die Unterdrückung anzukämpfen, finde ich Aufklärung enorm wichtig. Die Menschen sollen unbedingt mehr über diese Kultur erfahren. Für mich persönlich war die Auswahl meines Themas also sehr einfach. Ich würde mir wünschen, dass es einen festen Platz im Geschichtsunterricht einnimmt.
Im Zeitraum vom 17.-19. Jahrhundert gab es riesige Ausbreitungen der Sprechergruppe. Durch den 30-jährigen Krieg und die napoleonischen Kriege landeten viele auf der Straße und schlossen sich der Gruppe der „Fahrenden“ an. Daher wuchs sie enorm. Durch eine Gesetzgebung, die besagte, dass jeder, der vagierend auf der Straße war, auch einen festen Wohnsitz haben musste, kam es zu Zwangsansiedlungen im 18./19. Jahrhundert durch z.B. verarmte Landesherren, die die Fahrenden aufnahmen, um Kopfsteuer und Untertanen zu gewinnen. Die Leute sind überall in Deutschland zwangsweise sesshaft geworden. Es handelte sich um eine Sprechergruppe, die historisch gesehen sehr wenig Geld hatte und daher teilweise gezwungen war, zu kriminellen Mitteln zu greifen. Hierbei sollte meiner Meinung nach aber unbedingt beachtet werden, dass es sehr vielen Menschen in schwierigen Zeiten in der Vergangenheit so erging. Dies ist nicht zu beschränken auf eine spezielle Kultur. Dass Menschen zu kriminellen Mitteln greifen, um zu überleben, ist kein Phänomen, das die jenische Kultur erfunden hat.
Weil ihre Lebensweise der der Sinti und Roma ähnelt, wurden sie oft auch „weiße Zigeuner“ genannt. Im dritten Reich wurden sie als „Asoziale“, „Arbeitsscheue“ und „Zigeuner-Mischlinge“ in Arbeitslager gesteckt. Besonders abscheulich war die jahrelange Zwangsterilisation der jenischen Kinder, die den Eltern oft gleich nach der Geburt für immer entrissen wurden, um sie dann zur Adoption freizugeben oder in ein Heim oder eine Anstalt zu stecken. Dort erfuhren sie nicht selten rohe Gewalt oder wurden als Arbeitskraft missbraucht. Für mich ist es enorm wichtig, dass diese Geschichten weitergetragen werden. Wir wissen, dass einige Bevölkerungsgruppen sehr unter Diskriminierung, Verfolgung und Gewalt leiden mussten, vor allem im Dritten Reich. Warum aber werden diese Gräueltaten, die die Jenischen erfahren haben, verschwiegen?
Das Wegnehmen der jenischen Kinder geschah unter dem Deckmantel der Verbesserung der sozialen Umstände, damit sie dem Staat nicht finanziell schaden konnten. Ganz vorne weg stand „Pro Juventute“, eine Schweizer Stiftung, die sich eigentlich für die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen einsetzte. Sie entriss ca. 600 jenische Kinder ab 1926 den Familien. Betroffene berichteten später von sexuellen Übergriffen und Gewalt. Welch grausame Ironie. Eine Stiftung, die sich ausgerechnet für Kinder und Jugendliche einsetzt, ist der Vorreiter dieser schrecklichen Taten.
Anhand dieses historischen Kontextes wird schnell klar, warum die Jenische Kultur sich auch heute noch versteckt. Sie haben immer noch Angst, diskriminiert und verfolgt zu werden und stoßen auch heute sicherlich noch auf einige Vorurteile, wie z.B., dass sie schmutzige, unsorgfältige, schlampige, leichtsinnige sowie moralisch defekte Diebe seien.
Noch heute gibt es traditionelle Scherenschleifer, Altwarensammler, Schrotthändler oder Hausierer, die von Tür zu Tür gehen und noch Jenisch sprechen. Man kann tatsächlich niemanden als „Jenisch“ bezeichnen, der nicht selbst von sich behauptet, Jenischer zu sein, da es keine „Erkennungsmerkmale“ bis auf die Sprache gibt. Es ist sehr schwierig, eine genaue Zahl zu nennen, wie viele jenische Menschen es noch in Deutschland, Österreich, der Schweiz und anderen Ländern gibt.
Woran könnte das liegen? Warum gibt es keine offizielle Zahl?
Wie schon eingangs erwähnt, ist die Offenbarung der jenischen Menschen, die dieser Kultur angehören, essentiell, um die Identität zu erkennen. Viele Jenische haben dies aber lange nicht gemacht und trauen sich auch bis heute noch nicht immer, sich als solche zu identifizieren. Die Regierung geht von 8.000 Jenischen in Deutschland aus, der Zentralrat aber von 400.000. Ich denke, besonders problematisch wird hier wohl auch sein, dass viele Menschen überhaupt nicht wissen, dass sie von der jenischen Kultur abstammen. Ich finde, es ist eine sehr traurige Tatsache, dass die jenischen Familien ihren Nachkommen die eigene Kultur verschweigen mussten, um sie vor Ausgrenzungen und Diskriminierung zu schützen. Man sollte doch wirklich meinen, dass wir in Deutschland im Jahre 2021 offen mit unserer Herkunft und unserer Kultur umgehen können. Die Realität scheint anders auszusehen. Doch es scheint langsam ein bisschen Hoffnung für die jenische Kultur zu geben. Es ist die Enkelgeneration, die sich zunehmend für diese Familienkultur interessiert. Leider ist dies aber nur für einen kleinen prozentualen Anteil dieser Nachkommen möglich, da es auch heute noch viele Menschen gibt, die ihre leiblichen Eltern nicht kennen, da sie ihnen nach der Geburt entrissen wurden. Es bleibt nur zu hoffen, dass die jenische Kultur durch diese jungen Leute zu neuer Stärke findet und wieder aufblühen kann. Viele Jahre waren sie unsichtbar, um sich selbst eine bessere Zukunft zu sichern. Ich denke, ein kleiner Trost, der natürlich keine verdorbene Kindheit wiedergutmacht, wäre es, wenn sich der Staat für die Menschen einsetzt, die versuchen, ihre Eltern und Verwandten wiederzufinden.
Die Geheimsprache der Jenischen ist also vom Aussterben bedroht.
Um das zu verhindern, wäre es wichtig, dem Vorbild der Schweiz zu folgen und die jenische Kultur als Minderheit in Deutschland anzuerkennen. Die staatliche Repression dauerte dort noch bis in die 1970er Jahre an, was wirklich eine erschreckende Tatsache ist. Leichtgläubig geht man doch gerne davon aus, dass derartige Diskriminierungen spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa keinen Platz mehr gefunden haben. Die Realität ist jedoch, wie so oft, schockierend. Nun aber dürfen die etwa 40.000 Jenischen mithilfe des Staates ihre Lebensform ausleben.
Fahrende können nun z.B. auf ausgewiesenen Lagerplätzen campieren.
Das klingt erst mal nach einer perfekten Lösung, oder? Leider sind die Gegebenheiten vor Ort aber kaum tragbar. Campieren müssen sie neben Kläranlagen, großen Kiesbergen voller Staub und ohne Kanalisation. Kurz gesagt: Orte, an denen keiner von uns eigentlich wohnen möchte.
Um nun auf den linguistischen Aspekt einzugehen, bleibt zu erläutern, dass „Jenisch“ als Sprache der Soziolekt der Jenischen ist. Es gibt aber auch Leute, die von sich selbst sagen, kein/e Jenische/r zu sein, aber die Sprache, also den Rotwelsch-Dialekt, sprechen.
Das „Jenische“ ist voll und ganz mit dem Soziolekt verbunden. Man gehört also nur dazu, wenn man so redet wie die Gruppe. Es liegt eine habituelle Verwendung vor, d.h., Jenisch wird ab der Geburt gelernt und bis zum Tode gesprochen (Im Gegensatz zu Soziolekten, wie z.B. die Schülersprache). Es handelt sich dabei nicht um eine deutsche Varietät, da sie zwar eine Sprache ist, die auf deutschem Boden gesprochen wird, aber romaneske Sprachen sind keine Varietäten des Deutschen. Abwertend werden diese Sprachen auch heute leider teilweise noch „Zigeunersprachen“ genannt. Diese von bösartigen Vorurteilen, aber auch romantischen Klischees überlagerte Fremdbezeichnung, die von den meisten der Minderheit als diskriminierend abgelehnt wird, sollte aus dem Wortschatz gestrichen werden. Auch wenn „Zigeuner“ im Ursprung kein negativer Ausdruck ist, muss doch anerkennt werden, dass er oft als negativer Begriff zur Abgrenzung und zum Hass genutzt wurde.
Seit den 80er Jahren ist die jenische Kultur in der Schweiz als Minderheit anerkannt. In Deutschland allerdings nicht, was meiner Meinung nach nicht nachvollziehbar ist. Sie sollten die Anerkennung erhalten, die sie verdienen und sie sollten vor allem gehört und respektiert werden. Indem man sie noch immer nicht als Minderheit anerkennt, trägt man dazu bei, dass diese Kultur immer weiter in Vergessenheit gerät. Das ist moralisch gesehen einfach falsch, wie ich finde. Im strengen Sinne sind sie keine ethnische Minderheit. Man spricht von einer Soziogenese. Eine Bevölkerungsgruppe hat sich also aufgrund einer bestimmten Lebensweise gebildet.
Kommen wir zu der Bezeichnung „Geheimsprache“.
Um den theoretischen Zusammenhang herzustellen: Man nennt sie so, weil das Jenische innerhalb der Soziolekte zu den „Sondersprachen“, die auf Unverständlichkeit zielen, gehört. Sie wird gesprochen, damit andere, die der Gruppe nicht angehören, nicht verstehen, was man sagt.
Das Jenische hat keine eigene Grammatik, sondern nur einen Sonderwortschatz, der ausgetauscht wird. Einzelne Wörter aus dem Deutschen werden ausgetauscht gegen andere Wörter, die unverständlich sind. Von der Systematik ist es also ein geheimsprachlicher Wortschatz, der auf Deutsch, aber auch auf Fremdsprachen basieren kann. Ein Beispiel dafür wäre „grandig“, das so viel bedeutet wie „viel“ und abgeleitet wird von dem französischem „grande“. Diese „Spendersprachen“, also Sprachen, die die Vorlage zum Jenischen bieten, waren oft auch Jiddisch oder romanische Sprachen. In der Geheimsprache, also dem Jenischen, wurde oft über Tabuthemen und Verbotenes gesprochen, wie z.B. Sexualität.
Seit dem 12. Jahrhundert gilt sie als die Sprache von Gaunern, Bettlern und Dieben und wird in dem Kontext auch Rotwelsch genannt, was darauf schließen lässt, dass es sich hier nicht um eine interne Bezeichnung der Sprache handelt. „Jenisch“ heißt übersetzet die Sprache der „Kennenden“, „Wissenden“ und „Eingeweihten“, was schon eher auf einen internen Begriff hinweist.
Die Bezeichnung der „Geheimsprache“ klingt also erst einmal mystisch, interessant und vielleicht ein bisschen infantil und verspielt. Eine Geheimsprache dient genau dazu, sich mit anderen Gruppenteilnehmern zu verständigen, während Außenstehende sie nicht entziffern können. Wenn man allerdings eine Geheimsprache basierend auf Angst entwickeln muss, hat das für mich ganz klar einen viel faderen Beigeschmack. Aus Angst, beraubt zu werden oder physische Gewalt zu erfahren, aus Angst vor dem Verlust seines hart erarbeiteten Geldes und seines Hab und Guts, eine eigene Sprache zu entwickeln, ist nicht nur ziemlich beeindruckend, sondern auch erschreckend. Vielleicht wäre es weniger schockierend, wenn man wüsste, dass diese Umstände der fernen Vergangenheit und Zeiten angehören würden, in denen fast die ganze Republik verarmt und in Not war.
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- Quote paper
- Clarissa Preisig (Author), 2021, Die "Geheimsprache" der Jenischen. Was erstmals mystisch klingt, ist am Ende aber der Beweis eines Leidensweges über Generationen hinweg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1006446