Ärztliche Aufklärung bei infauster Diagnose
Problematik des Vermittelns schlechter Nachrichten
Problem
- Wissenschaftl. Reduktion: Gefühle in der Medizin nicht bedacht u. systematisch ausgeschaltet (biomechanische Medizin)
- Fachliche Kompetenz für kommunikative Arbeit beim Arzt unreflektiert vorausgesetzt
- Oft noch als „ärztliche Kunst“ aus dem Bereich des Lehr- u. Lernbaren ausgegrenzt
„ Ideologie der Ablehnung jeglicher Aufklärung “
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Patienten orientieren sich in ihrer veränderten Lebenssituation am gesamten Verhalten ihrer Bezugsperson - sie sind gegenüber allen Äußerungen, willkürlich gesteuerten u. unwillkürlichen, in höchstem Maße sensibilisiert.
Je mehr die Ärzte offene Kommunikation meiden, desto stärker fühlen die Patienten sich verunsichert und beachten bzw. „überinterpretieren“ indirekte Zeichen.
Gleichzeitig wird es auch für die Ärzte schwieriger, den Umgang des Patienten mit seiner Erkrankung zu beurteilen: Der Kranke wird seinerseits Mitteilungen zurückhalten, da er auf die ärztliche Schutz- und Abwehrhaltungen Rücksicht nimmt.
Offene Kommunikation - aber wie?
[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Manual „Ärztliche Gesprächsführung + Mitteilung schwerwiegender Diagnosen“
Sterbephasen (nach E. Kübler-Ross)
Die Phasen können individuell in ihrer Reihenfolge variieren, wiederkehren, unterschiedlich lang sein oder auch gar nicht durchlaufen werden.
Phase 1: Nicht-Wahrhabenwollen und Isolierung
- Pat. leugnet, fordert neue Untersuchungen
- Schutzbehauptungen („Es ist ein Irrtum unterlaufen“, „Verwechslung geschehen“)
- Später: Pat. imponiert erstaunlich sachlich Motive des Patienten
- Muss leugnen, um weiter leben zu können (kann die Wahrheit noch nicht ertragen)
- Das Nicht-Wahrhabenwollen dient dem Aufbau einer inneren Verteidigung
- Isolierung (= künstl. Abtrennen der Gefühle vom gedankl. Inhalt) zur Trennung von Kenntnis der Diagnose
Reaktion des Arztes bzw. der Pflegekraft
- Das Leugnen des Pat. sollte uneingeschränkt akzeptiert werden
- Evtl. Gespräche über den Tod anbieten, aber nur, wenn und solange der Pat. es wünscht
- Keine Vorwürfe, auch wenn der Pat. sich nicht an Verordnungen hält
Phase 2: Zorn
- „Warum gerade ich?“
- Pat. gesteht Krankheit u. Tod ein
- Niemand macht etwas richtig (Ärzte, Pflegepersonal, Angehörige)
- Es entstehen Sonderwünsche, Forderungen, Streit, anspruchsvolle Haltung
Motive des Patienten
- Neid auf die Lebenden
- Angst zu sterben u. nach dem Tod vergessen zu werden
- Laut sein = „Ich lebe noch“
Reaktion des Arztes bzw. der Pflegekraft
- Verständnis zeigen, Verärgerungen erzeugen neuen Groll
- Hinwendung u. Aufmerksamkeit vermittelt das Gefühl des Beachtetwerdens u. beruhigt den Pat., Zorn nicht persönlich nehmen
Phase 3: Verhandeln
- Tod wird als unvermeidbar erkannt
- Evtl. Handel mit Gott, um einen bestimmten Tag, um Schmerzfreiheit für eine gewisse Zeit, um Teilnahme an Ereignissen; Pat. bietet dafür z.B. Wohlverhalten, Therapieteilnahme
Motive des Patienten
- Hauptwunsch: Verlängerung der Lebensspanne Reaktion des Arztes bzw. der Pflegekraft
- „Handel“ ermöglichen!
Phase 4: Depression
- Pat. kann nicht mehr leugnen (Krankheitsverlauf) · Gefühl des schrecklichen Verlustes
Motive des Patienten
- Pat. trauert um bereits verlorenen Lebensqualität u./od. um den bevorstehenden Verlust, z.B. von Familie, des Partners, des Lebens
- Pat. zieht Bilanz seines Lebens
Reaktion des Arztes bzw. der Pflegekraft
- Still dabeisein, Trauer zulassen
- Anerkennung der Trauerarbeit des Pat. (Zustimmung)
- Hilfe bei der Bewältigung noch zu erledigender Dinge z.B. Testament, letzter Aufenthalt zu Hause
Phase 5: Zustimmung
- Pat. in ruhiger Erwartung, müde, oft schwach, wenig gesprächig, oft nur Gesten Motive des Patienten
- Emotionen sind ausgesprochen, Trauer, Wut, Neid liegen hinter ihm · Keine Resignation, sondern der Pat. nimmt sein Los an Reaktion des Arztes bzw. der Pflegekraft
- Pat. in Ruhe, aber nicht allein lassen
- Gefühl vermitteln nicht vergessen zu werden, ohne hektische Betriebsamkeit
- Diese Phase ist nur mögl., wenn geholfen wurde, die anderen Phasen zu überwinden
Zielvorstellungen für die Betreuung Schwer- bzw. Totkranker
Rehabilitation = Maximum von Lebensqualität entsprechend den Bedürfnissen des Kranken u. seiner Persönlichkeit
1. Somatische Behandlung
- Ziel der kausalen Therapie
- Weitgehende Erhaltung bzw. Wiederherstellung aller Körperfunktionen u. des Wohlbefindens
- Sicherstellung entsprechender Befriedungsmöglichkeiten
- Optimale Schmerzbehandlung
2. Emotionales Gleichgewicht
- Stabile auf Kontinuität angelegte Arzt-Patient-Beziehung fi Grundgefühl von Sicherheit
- Verständnis durch Empathie u. Fachkompetenz fi Angst mindern, Depressionen auffangen od. in Trauerarbeit umwandeln
3. Selbstkonzept
- Optimale Therapie u. Beziehungsangebote
- Zufriedenheit mit dem eigenen Körperbild (Perücke bei Chemotherapie...)
- Partnerschaft mit dem Arzt, ausreichende Information fi autonomes Handeln, Strukturieren der momentanen Lebenssituation u. der Zukunft, Aufrechterhaltung der Eigenverantwortung für die Beziehungen in Familie u. Beruf
- Aktive Gestaltungsmöglichkeiten des Pat.
4. Soziale Beziehungen
- Aufrechterhaltung bzw. Verbesserung
Kranke fürchten den sozialen Tod mehr als den physischen!
5. Ich-Funktion des Patienten
- Unterstützung, dass sie auf einem möglichst reifen, erwachsenen Niveau zu operieren vermögen
- Offene Information (Orientierungsbedürfnis) fi Ich-Autonomie gefördert, Integrität der Person
Ziel: Entwicklung eines festen Arbeitsbündnisses mit möglichst weitgehend informierten Pat. als Partnern in der Behandlung ihrer Erkrankung
Quellen:
- „Psychosoziale Kompetenz in der ärztlichen Primärversorgung“, Helmich u.a. - Springer 1991
- „Ärztliche Aufklärung bei infauster Diagnose“, H.P. Rosemeier- psychomed 6, 76-81 (1994)
- „Medizinische Psychologie und Soziologie“, Lang, Faller - Springer 1998
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
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