Schon von Albert Ehrensteins Zeitgenossen wurde der Dichter des "Tubutsch" mit seiner Figur aus der gleichnamigen Erzählung vielfach in einem Atemzug genannt und gleichgesetzt. Stefan Zweig steht hier stellvertretend für so manchen zeitgenössischen Rezipienten, wenn er 1937 diesen biographischen Zugang zum Werk folgendermaßen auf den Punkt bringt:
"Tubutsch, dieser verlorene Schlemihl-Schatten seines Dichters
Albert Ehrenstein."
In diesem Sinne geht es im ersten Teil dieser Arbeit darum, biographische Parallelen zwischen Albert Ehrenstein und seiner Figur Karl Tubutsch aufzuzeigen. In der Folge werden dagegen - unserer Meinung nach entscheidende - Unterschiede zwischen Ehrenstein und Tubutsch herausgearbeitet. Weiters wird in der Arbeit auf Ernst Weiß eingegangen, der Tubutsch vor allem als jüdische Symbolfigur sieht. Außerdem wird versucht, die Wanderungen des Karl Tubutsch ganz konkret nachzuzeichnen und daraus einen Schluss zu ziehen. Das letzte Kapitel der Arbeit sieht die Erzählung quasi auf den Tod zutreiben.
GLIEDERUNG
Vorwort
1) Der "Schlemihl-Schatten"
2) Diskrepanzen
3) Exkurs über die "Ghettoluft"
4) Spaziergänger, Wanderer, Herumirrender
5) Kommunikationslosigkeit in der großen Stadt
Bibliographie
Verwendete Abkürzungen
Vorwort
Im ersten Kapitel dieser Arbeit wird es darum gehen, biographische Parallelen zwischen Albert Ehrenstein und seiner Figur Karl Tubutsch aufzuzeigen.
Im folgenden Kapitel werden dagegen - unserer Meinung nach entscheidende - Unterschiede zwischen Ehrenstein und Tubutsch - der gebotenen Kürze wegen notgedrungen eher skizzenhaft - nachgezeichnet. Im dritten Kapitel wird auf Ernst Weiß eingegangen, der Tubutsch vor allem als jüdische Symbolfigur sieht. Im vierten Kapitel wird versucht, die Wanderungen des Karl Tubutsch ganz konkret nachzuzeichnen und daraus einen Schluß zu ziehen.
Das letzte Kapitel sieht die Erzählung quasi auf den Tod zutreiben.
1) Der "Schlemihl-Schatten"
Schon von Ehrensteins Zeitgenossen wurde der Dichter des "Tubutsch" mit seiner Figur vielfach in einem Atemzug genannt und gleichgesetzt. Stefan Zweig steht hier stellvertretend für so manchen zeitgenössischen Rezipienten, wenn er 1937[1][2] diesen biographischen Zugang zum Werk folgendermaßen auf den Punkt bringt:
"Tubutsch, dieser verlorene Schlemihl-Schatten seines Dichters
Albert Ehrenstein."[3]
Wir wollen in diesem Kapitel diese Parallelen zwischen Ehrenstein und seiner Figur nachzeichnen, um dann im folgenden Kapitel einige entscheidende Diskrepanzen aufzuzeigen.
Schon der zweite Satz der Erzählung weist auf die materielle Armut des Karl Tubutsch hin, die auch quasi eine Grundkonstante in Albert Ehrensteins Leben gewesen ist.
"Mein Name ist Tubutsch, Karl Tubutsch. Ich erwähne das nur
deswegen, weil ich außer meinem Namen nur wenige Dinge
besitze..."[4]
Auf diese Armut wird in der Erzählung immer wieder hingewiesen. Tubutsch lebt zwar im prächtigen und imperialen Wien des Fin de siècle, aber dort wie so viele damals nur im "Souterrain der Armut"[5].
"[...] abgesehen von meinem immer chronischer werdenden Mangel
an gebräuchlichen Zahlungsmitteln [...]."[6]
Seine weltliche Habe ist so gering, daß sie in einen Schuhkarton passen würde:
"[...] ihm die Sehenswürdigkeiten meiner Wohnung zu weisen:
meinen Stiefelknecht Phillipp und - mit umflorter Stimme - die
zwei Fliegen Pollak..."[7]
Das ist nicht eben viel. Das ist eigentlich nichts an materiellen Besitz, was im Text auch explizit vermerkt wird:
"Oder aber es ist ein Bettler. Denen gebe ich nichts. Erstens habe
ich selber nichts [...]."[8]
Die Armut war wie gesagt auch Albert Ehrenstein sein Leben lang eine überaus treue Begleiterin. 1910 verließ er die Universität Wien und stürzte sich in eine Existenz als freier Schriftsteller.
"[...] und endlich promoviert, versuchte er es nicht einmal mit
irgendeinem Aktenberg, hinter dem er als Beamter sein österreichisches Dichterleben verbergen und sichern hätte können. Ehrensteins Entschluß, als freier Schriftsteller, als materiell völlig ungesicherter Lyriker und Erzähler zu leben, ist für die
österreichischen Verhältnisse um 1910 geradezu verwegen."[9]
Diese "materiell völlig ungesicherte" Existenz beschreibt der dreiundzwanzigjährige Albert Ehrenstein ganz konkret in der dritten Strophe seines berühmten Gedichtes "Wanderers Lied"[10], mit dem ihm 1910 in der "Fackel" der Durchbruch als Lyriker gelang:
"Ich kenne die Zähne der Hunde,
In der Wind-ins-Gesicht-Gasse wohne ich,
Ein Sieb-Dach ist über meinem Haupte,
Schimmel freut sich an den Wänden,
Gute Ritzen sind für den Regen da."[11]
Dieser "Wind-ins-Gesicht-Gasse" konnte Ehrenstein sein Leben lang nicht entrinnen. Egal, ob er gerade in Wien, Zürich, Berlin oder New York lebte.
"Als Ehrenstein sich für die unfreie Existenz als freier Autor
entscheidet, weiss er, dass er in keine familiären Sicherheiten
zurückkehren und auf keine gesicherte Pension hinleben können
wird: er leistet sich den freien Mut, auf die Hand, die ihm nichts
gibt, zu schlagen, dem Amt, von dem er sich nicht aushalten lässt,
zu höhnen, der Klasse, der er nichts schuldet, den Abgesang
anzustimmen - und wird dafür mit lebenslanger Armut
bezahlen."[12]
Eine weitere Parallele zwischen dem Dichter Ehrenstein und seiner Figur Tubutsch besteht wohl darin, daß auch Letzterer Schriftsteller war bzw. ist.
"Früher habe ich geschrieben."[13]
Dichtung wird von Tubutsch[14] mit Vergänglichkeit in Verbindung gebracht:
"[...] alles, was ich in Hinkunft noch aufzuzeichnen habe, um es
sozusagen noch vergänglicher zu machen, mit Bleistift
niederzuschreiben [...]."[15]
Der gewesene Dichter Tubutsch hat natürlich auch vom - wahrscheinlich literarischen - Ruhm geträumt. Vergeblich.
"Früher träumte ich vom Ruhm. Er wurde mir nicht zugestellt."[16]
Umgekehrt verhält es sich mit dem Dichter Ehrenstein. Er wurde mit dem "Tubutsch" berühmt.
Eine weitere Gemeinsamkeit wäre darin zu sehen, daß Tubutsch Pressekritik beinahe im Stil von Karl Kraus übt, wobei Letzterer ja als Mentor des jungen Ehrenstein[17] gelten kann.
"Aber bei dem diametralen Gegensatze der Weltanschauungen, der
mich von den Herausgebern illustrierter Publikumszeitschriften
trennt, bei der Verschiedenheit der Dinge, die sie und ich wichtig
zu nehmen organisiert sind, war es ziemlich fraglich, ob ich mit
meiner Ansicht durchdringen würde. Ja, wenn die abgestürzten
Fliegen Besitzer eines Powidlbergwerkes gewesen wären und
Pollak geheißen hätten, die Hähne...der österreichische
Vorkämpfer, Schachmeister Papabile, und der andere der
präsumptive Champion of the World...dann hätte man sich nicht auf
die Straße wagen können, ohne bei jedem zweiten Schritt aus dem Hinterhalte der Trafikenauslagen von den Alltagsgesichtern dieser
Heroen angeglotzt zu werden..."[18]
[...]
[1] Stefan Zweig: Wiederbegegnung mit Tubutsch, S. 99
[2] Die Erstausgabe des "Tubutsch" erschien 1922. In seiner "Wiederbegegnung mit Tubutsch" schreibt Stefan Zweig:
"Fünfzehn Jahre mag es sein, daß Tubutsch, diese allermerkwürdigste Wiener
Gestalt, zum erstenmal in die Literatur trat [...] Heute nun, nach fünfzehn
Jahren bin ich Tubutschen wieder begegnet."
Stefan Zweig: Wiederbegegnung mit Tubutsch, S. 99
Daher datiere ich diesen Aufsatz auf das Jahr 1937.
[3] Stefan Zweig: Wiederbegegnung mit Tubutsch, S. 99
[4] Albert Ehrenstein: Tubutsch, S. 5
[Im folgenden nur mehr als Tubutsch zitiert.]
[5] Karl-Markus Gauß: Wann endet die Nacht, S. 41
[Im folgenden nur mehr als Gauß zitiert.]
[6] Tubutsch, S. 10
[7] Ebd., S. 44
[8] Ebd., S. 44
[9] Ebd., S. 44
[10] "Wanderers Lied" wurde von Karl Kraus in „Die Fackel“ Nr. 296 vom 18. 2. 1910 erstveröffentlicht.
[11] Zitiert nach: Gauß, S. 14
[12] Ebd., S. 44
[13] Tubutsch, S. 12
An anderer Stelle bezeichnet sich Tubutsch sogar explizit als Autor:
"[...] es wäre auch mir, dem Autor [...]"
Tubutsch, S. 17
[14] Das antike "Exegi monumentum aere perennius" besitzt offenbar keine Bedeutung mehr für ihn.
[15] Tubutsch, S. 17
[16] Ebd., S. 38
[17] In dieser Mentorrolle löst er ab 1910 Arthur Schnitzler ab.
Der Bruch zwischen Kraus und Ehrenstein vollzog sich zwischen 1919 und 1921.
"Selten hat Kraus die rituelle Verstossung, auf die die meisten seiner
Beziehungen zu jüngeren Autoren zuliefen, so hasserfüllt vollzogen wie im
Fall des zuvor geförderten Ehrenstein [...]."
Gauß, S. 94
[18] Tubutsch, S. 16
- Arbeit zitieren
- Mag. Manfred Wieninger (Autor:in), 1994, "Allein irre ich in der großen Stadt umher". Albert Ehrenstein und Karl Tubutsch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51927
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