Simone de Beauvoir, Germaine Greer oder Alice Schwarzer – die Namen dieser berühmten Autorinnen und Feministinnen kennt fast jede Frau. Aber wer weiß schon Genaueres über Anita Augspurg, Gertrud Bäumer, Lily Braun, Hedwig Dohm, Hedwig Heyl, Louise Otto-Peters, Alice Salomon und Helene Stöcker?
Das vorliegende Taschenbuch „Superfrauen 11“ präsentiert Biographien von 27 Frauenrechtlerinnen aus Deutschland und dem Ausland in Wort und Bild. Es schildert den langen und schwierigen Weg der Frauen bei ihrem gerechten Kampf um die Gleichberechtigung. Viele Ziele sind inzwischen erreicht.
Nicht allen Frauen – und natürlich auch nicht allen Männern – ist heute bewusst:
Erst seit 1900 dürfen Frauen in Deutschland studieren, und erst seit 1918 ist ihnen möglich, das Wahlrecht auszuüben. Auch viele andere Ungerechtigkeiten dem weiblichen Geschlecht gegenüber gehören gottlob mittlerweile der Vergangenheit an.
Am Ende des Buches stehen die Lebensläufe einiger Frauen, die sich um das Wohl der Familie, der Mütter und der Kinder verdient gemacht haben. Zu ihnen rechnet der Autor auch Barbara Stratzmann, die sage und schreibe 53 Kindern das Leben schenkte.
Inhalt
Dank
Vorwort
FEMINISMUS
Susan Brownell Anthony
Eine Kämpferin
für das Frauenwahlrecht
Anita Augspurg
Die radikale
deutsche Feministin
Gertrud Bäumer
Sie stritt
für die Gleichberechtigung
Simone de Beauvoir
Die Leitfigur der
neuen Frauenbewegung
Lily Braun
Die bürgerliche
Frauenrechtlerin
Juana Inés de la Cruz
Der „Phoenix von Amerika“
Betty Friedan
Die Urmutter der Frauen-
bewegung in den USA
Olympe de Gouges
Die Verfasserin
einer Frauenrechtserklärung
Germaine Greer
Sie schrieb über
die Befreiung der Frauen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Marianne Hainisch
Österreichs
erste Frauenrechtlerin
Hedwig Heyl
Die große Praktikerin der
deutschen Frauenbewegung
Hedwig Dohm Ottilie Hoffmann
Die frühe Radikale Die Kämpferin gegen
aus Deutschland / 45 den Alkoholmissbrauch
Aletta Jacobs
Die Mitbegründerin
des Weltbundes
für das Frauenrecht
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Helene Lange
Der Kopf der deutschen
Frauenbewegung
Louise Otto-Peters
Die „Lerche
der Frauenbewegung“
Emmeline Pankhurst
Englands
radikale Suffragette
Auguste Schmidt
Die Frauenrechtlerin
aus Schlesien
Alice Schwarzer
Die Vorkämpferin der deutschen
Frauenbewegung
Elizabeth Cady Stanton
Die Organisatorin des
ersten Frauenrechtskongresses
in Amerika
Helene Stöcker
Die Pionierin für Mutterschutz
und Sozialreform
Anne-Josèphe
Théroigne de Méricourt
„Amazone der Freiheit“
Dorothy Thompson
Die Gründerin der
„Weltorganisation
der Mütter aller Nationen“
Sojourner Truth
Die Sklavin,
die zur Feministin wurde
Christine de Pisan
Die „Stadt der Frauen“
Alice Salomon
Die Missionarin
des sozialen Gedankens
Mary Wollstonecraft
Englands
erste Frauenrechtlerin
Dank
Für Auskünfte, kritische Durchsicht von Texten (Anmerkung:
Etwaige Fehler gehen zu Lasten des Verfassers), mancherlei Anregung, Diskussion und andere Arten der Hilfe danke ich herzlich:
Christian Asmussen, Lübeck
Mag. Christa R. Bader,
Österreichische
Nationalbibliothek,
Abteilung Wissenschaftliche
Information, Wien
Günther Berger,
Stadtarchiv Heidelberg
Heike Brandt, Berlin
Werner Baumbauer,
Mackenrodt
bpi-info Service de résponses
à distance, Paris
David Brown,
Curriculum Corporation,
Victoria (Australien)
Klaus Peter Creamer,
Beltz Presse, Weinheim
Daily News, Infostore,
New York City
Doellgast, Mexico-City
Dr. Uwe Eckardt,
Stadtbetrieb Historisches Zentrum, Stadtarchiv Bettina Ernst,
Staats- und
Universitätsbibliothek
Bremen
Dr. Ursula Ferdinand, Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e. V., Berlin Adriana Feustel, Berlin Professorin Dr. Heike Fleßner, Institut für Erziehungswissenschaften, Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg
Dr. Dorothea Frandsen, geborene Lange, Bonn Torsten Franz, Oldenburg Dr. Jürgen Frölich,
Archiv des Deutschen
Liberalismus,
Friedrich-Naumann-Stiftung, Gummersbach
Ralf T. Göllner,
Ungarisches Institut München Stephan Schreiber-Hassa, Heroldsbach
Heilbronner Stimme, Dokumentation und Archiv Gabi Henkel, Journalistin, Mainz
Dr. Rainer Hering, Staatsarchiv Hamburg Monika Hirsch-Sprätz, Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen, Berlin Dr. Peter Honigmann, Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte
der Juden in Deutschland, Heidelberg
Freya Jeschke,
Bibliothek, Goethe-Institut New York City
Ingrid Kaluza,
W.O.M.A.N.,
Welt-Organisation der Mütter aller Nationen, Wilhelmshaven Pfarrer Günther Kempka, Eningen
Heinz Klement,
früherer Bundessekretär, Blaues Kreuz in Deutschland e. V.,
Bundesgeschäftsstelle, Wuppertal
Hana Klucarová,
II. Botschaftssekretärin, Botschaft der Tschechischen Republik
Kurier, Wien
Dr. Vera Lasch, Göttingen Johann Lehner,
Redaktion Österreich-Lexikon Dr. Susanne Maurer, Universität Tübingen Louise-Otto-Peters-Gesellschaft, Leipzig Jane S. Mauerhofer, Schweizerische Landesbibliothek, Informationszentrum Helvetica, Bern
Silke Mehrwald,
Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel Dr. Ariane Neuhaus-Koch, Frauen-Kultur-Archiv, Frauenforschungs-Transfer-Stelle, Heinrich Heine Universität Düsseldorf Gerd von Pacensky, Publizist, Köln
Cornelia Pfordt,
Diplom-Bibliothekarin, Niedersächsische Staats-und Universitätsbibliothek Göttingen
OAR. Magdalena Pisarik, Stadtbücherei Baden Sudra Vries-van-Poorten, International
Informatiecentrum en Archief voor die Vrouenbeweging, Amsterdam
Doris Probst, Mainz-Kostheim Sonja Werner,
geborene Probst, Nierstein Stefan Probst, Mainz-Kostheim
Professorin Dr. Luise Pusch, Hannover
Anna-Maria Reinhold, Wuppertal
Dr. Günther Rohdenburg, Staatsarchiv Bremen
Kurt Sartorius,
Historische Gesellschaft Bönnigheim e. V.
Iris Schilke, Verein zur Erforschung der Dresdner Frauengeschichte e. V., FrauenStadtArchiv, Dresden Regine Schoch,
Historisches
Forschungszentrum,
Bibliothek der
Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn Julinda Schönborn-Brouwer, Abteilung für Presse und Kultur,
Königlich Niederländische Botschaft
Dr. Christiane Schuchard, Landesarchiv Berlin
Dr. Jürgen Michael Schulz, Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften,
Institut für Publizistik und
Kommunikationswissenschaften,
Freie Universität Berlin
Ekkehard Thon, Schöppenstedt
Gerhard Thorn,
Stadtbibliothek Wuppertal
Verein für Fraueninteressen e.
V., München
Mary Walsh,
Internet & Reference
Librarian, University
of Colorado
Health Sciences Center,
Denver
Barbara Zenker,
British Council Informations
Centre, Köln
Gabriele Zich,
Frauenstudien-
und -bildungszentrum
der Evangelischen Kirche
Deutschlands (EKD),
Gelnhausen
AUCH SIE KÄMPFTEN FÜR DIE RECHTE DER FRAUEN
Lady Ishbel Maria Marchioness of Aberdeen and Temair 139 – Abigail Adams 140 – Mathilde Franziska Anneke 141 – Luise Aston 142 – Ottilie Baader 143 – Marie Baum 144 – Emmy Beckmann 145 – Aphra Behn 146 – Amelia Bloomer 147 – Luise Büchner 148 – Josephine Elizabeth Butler 149 – Marie Calm 150 – Minna Canth 151 – Carrie Chapman Catt 152 – Minna Cauer 153 – Hedwig Dransfeld 154 – Mathilde Fibi-ger 155 – Ika Freudenberg 156 – Matilda Joslyn Gage 157 – Betty Gleim 158 – Elisabeth Gnauck-Kühne 159 – Marie Goegg 160 – Henriette Gold-schmidt 161 – Vida Goldstein 162 – Emilie Gourd 163 – Marie de Jars de Gournay 164 – Emma Graf 165 – Angelina Emily Grimké 166 – Ida A. Husted Harper 167 – Lida Gustava Heymann 168 – Jenny Hirsch 169 – Camilla Jellinek 170 – Raden Adjeng Kartini 171 – Minna Kautsky 172 – Ellen Key 173 – Margarete Gräfin Keyserlingk 174 – Fanny Lewald 175 – Marie-Elisabeth Lüders 176 – Mary Lyon 177 – Rosa Manus 178 –
Rosa Mayreder 179 – Katherine Dexter McCormick 180 – Lina Morgenstern 181 – Lucretia Mott 182 – Bertha Pappenheim 183 – Alice Paul 184 – Anna Paulsen 185 – Franziska Pla-minkowa 186 – Adelheid Popp 187 – Ernestine Rose 188 – Josephine St. Pierre Ruffin 189 – Gertrud Guillaume Schack 190 – Henriette Schrader-Breymann 191 – Adele Schreiber 192 – Olive Schreiner 193 – Jeanette Schwerin 194 – Rosika Schwim-mer 195 – Ethel Smith 196 – Lucy Stone 197 – Marie Stritt 198 – Mariya Trubnikova 199 – Else Ulich 200 – Rahel Varn-hagen 201 – Dorothee von Vel-sen 202– Marianne Weber 203 – Frances Willard 204 – Agnes von Zahn-Harnack 205 – Clara Zetkin 206
MEILENSTEINE DER FRAUENBEWEGUNG / 207
FAMILIE
Elly Heuss-Knapp Sie hob das Müttergenesungswerk aus der Taufe / 215
Ann Jarvis
Der Muttertag
war ihr Lebenswerk / 219
Bertha von
Marenholtz-Bülow
Die Baronin, die für
Kindergärten kämpfte / 223
Barbara Stratzmann Die Frau, die angeblich 53 Kinder gebar / 227
Der Autor / 231
Literatur / 233
Bildquellen / 237
Bücher von Ernst Probst / 241
Vorwort
Wer kennt schon
Anita Augspurg,
Lily Braun und
Hedwig Dohm?
Simone de Beauvoir, Germaine Greer oder Alice Schwarzer – die Namen dieser berühmten Autorinnen und Feministinnen kennt fast jede Frau. Aber wer weiß schon Genaueres über Anita Augspurg, Gertrud Bäumer, Lily Braun, Hedwig Dohm, Hedwig Heyl, Louise Otto-Peters, Alice Salomon und Helene Stöcker?
Das vorliegende Taschenbuch „Superfrauen 11 – Feminismus und Familie“ präsentiert Biographien von 27 Frauenrechtlerinnen aus Deutschland und dem Ausland in Wort und Bild. Es schildert den langen und schwierigen Weg der Frauen bei ihrem gerechten Kampf um die Gleichberechtigung. Viele Ziele sind inzwischen erreicht. Nicht allen Frauen – und natürlich auch nicht allen Männern – ist heute bewusst: Erst seit 1900 dürfen Frauen in Deutschland studieren, und erst seit 1918 ist ihnen möglich, das Wahlrecht auszuüben. Auch viele andere Ungerechtigkeiten dem weiblichen Geschlecht gegenüber gehören gottlob mittlerweile der Vergangenheit an.
Am Ende des Buches stehen die Lebensläufe einiger Frauen, die sich um das Wohl der Familie, der Mütter und der Kinder verdient gemacht haben. Zu ihnen habe ich auch Barbara Stratzmann gerechnet, die sage und schreibe 53 Kindern das Leben schenkte.
Ernst Probst
FEMINISMUS
Susan Brownell Anthony Eine Kämpferin für das Frauenwahlrecht
Als Pionierin der Frauenbewegung in den USA tat sich die amerikanische Feministin Susan Brownell Anthony (1820– 1906) hervor. Bekannt wurde sie vor allem durch ihren Kampf für die Durchsetzung des Stimmrechts für Frauen und als Präsidentin der „National American Woman Suffrage Association“. Außerdem engagierte sie sich gegen den Alkohol und die Sklaverei.
Susan Brownell Anthony kam am 15. Februar 1820 als zweites von acht Kindern eines Quäkers und Gegners der Sklaverei in South Adams (Massachusetts) zur Welt. Ihre Eltern besaßen eine Baum-wollspinnerei. Susan wurde in der Tradition der Quäker erzogen, war ein frühreifes Kind und lernte schon mit drei Jahren Lesen und Schreiben.
1826 zog die Familie Anthony nach Battenville im US-Bundesstaat New York. Dort besuchte Susan zunächst die Distriktsschule, später die von ihrem Vater gegründete Schule und ein Internat bei Philadelphia.
Nach ihrer Ausbildung nahm Susan B. Anthony 1839 eine Stelle als Lehrerin in einem Quäker-Seminar in New Rochelle (New York) an. Von 1846 bis 1849 unterrichtete sie an einer Höheren Mädchenschule im Hinterland von New York.
Weil sie mit ihrer Arbeit als Lehrerin unzufrieden war, kündigte Susan B. Anthony und arbeitete auf der Farm ihrer Familie unweit von Rochester in New York. Dort begegnete sie etlichen führenden Gegnern der Sklaverei wie Frederick Douglass (1817–1895), Parker Pillsbury (1809–1898), Wendell Phillips (1811–1884), William Henry Channing (1810–1884) und William Lloyd Garrison (1805–1879) und wurde von deren Ansichten überzeugt. Außerdem lernte sie auf der Farm Elizabeth Cady Stanton (1815–1902) kennen.
Zu jener Zeit sympathisierte Susan B. Anthony auch mit der Antialkohol-Bewegung. Bei ihren Vortragsreisen fiel ihr bald auf, dass man sich weniger gegen die Ideale wandte, die sie vertrat, als vielmehr gegen die Tatsache, dass sie es als Frau wagte, öffentlich zu einer Frage Stellung zu nehmen. Nach einem Treffen mit Amelia Bloomer (1818–1894), der ersten Frau, die eine Zeitung für Frauen herausgab, und der erwähnten Elizabeth Cady Stanton engagierte sie sich für die Frauenrechtsbewegung.
Als Susan B. Anthony 1852 in Albany bei einem Treffen der Antialkohol-Bewegung keine Rede halten durfte, gründete sie die „Woman’s New York State Temperance Society“. Präsidentin dieser Bewegung wurde Elizabeth Cady Stanton. Susan entwickelte sich innerhalb kurzer Zeit zu einer der eifrigsten Verfechterinnen für die Rechte der Frau.
In der frühen Phase des „Amerikanischen Bürgerkrieges“ (1861– 1865) half Susan B. Anthony bei der Organisation der „Women’s National Loyal League“, welche die Sache der Emanzipation voran trieb. 1863 hob sie die „Women’s Loyal League to support Lincoln’s government“ mit aus der Taufe. Nach dem Bürgerkrieg war sie eine der Ersten, die sich für die Rechte der Schwarzen einsetzte. 1866 beteiligte sie sich an der Gründung der „American Equal Rights Association“.
Ab 1868 fungierten Susan B. Anthony als Besitzerin sowie Elizabeth Cady Stanton und Parker Pillsbury als Herausgeber der neuen Zeitschrift „Revolution“. Im Mai 1869 gründeten Susan und Elizabeth die „National Woman Suffrage Association“ („NWSA“). 1870 musste die Zeitschrift „Revolution“ verkauft werden, weil die Mittel von Susan, Elizabeth und Parker erschöpft waren. Der exzentrische
George Francis Train (1829–1904), der das Blatt finanzierte und als Gegenleistung seine politischen Ansichten artikulieren durfte, war nicht mehr länger willens, weiter Geld zu verlieren. Etwa ein Jahr nach dem Verkauf wurde die Zeitschrift eingestellt. Susan unternahm Vortragsreisen, um mit den Honoraren die Schulden der Zeitschrift begleichen zu können.
Obwohl Frauen damals in den USA noch kein Wahlrecht besaßen, gab Susan B. Anthony bei den Präsidentschaftswahlen 1872 in Rochester (New York) ihre Stimme ab. Daraufhin wurde sie verhaftet, kam ins Gefängnis, wurde zu einer Geldstrafe von 100 US-Dollar verurteilt, weigerte sich jedoch, diese zu bezahlen.
Wieder in Freiheit, kämpfte Susan B. Anthony auf Reisen, bei denen sie oft von Elizabeth Cady Stanton begleitet wurde, für das Wahlrecht der Frauen. Dieses Ziel wurde 1871 in Kalifornien erreicht, 1874 in Michigan sowie 1877 in Colorado und anderswo, jedoch erst 1920 landesweit in den USA. 1888 half Susan bei der Gründung des „International Council of Women“ („ICW“, „Weltbund der Frauen“). Von 1892 bis 1900 bekleidete Susan B. Anthony das Amt der Präsidentin der „National American Woman Suffrage Association“. Zusammen mit den amerikanischen Frauenrechtlerinnen Elizabeth Cady Stanton, Matilda Jocelyn Gage (1822–1898) und Ida A. Husted Harper (1851–1931) gab sie die ersten vier Bände der sechsteiligen Reihe „The History of Woman Suffrage“ (1881–1886) heraus.
1899 kam Susan B. Anthony als Leiterin der US-Delegation des „Council of Woman“ nach London und 1904 nach Berlin. Mit 80 trat sie als Präsidentin der „National American Woman Suffrage Association“ zurück.
Am 13. März 1906 starb Susan Brownell Anthony im Alter von 86 Jahren in Rochester. Ihr Leben und Werk wurde in den Biographien „Susan B. Anthony“ (1959) von Alma Lutz, „The Life and Work of Susan B. Anthony“ (1898–1908, drei Bände) von Ida A. Husted Harper und „Susan B. Anthony“ (1988) von K. Barry geschildert. 1979 bildete man Susan Brownell Anthony als erste Amerikanerin auf einer neuen Dollarmünze ab.
Anita Augspurg
Die radikale
deutsche Feministin
Eine engagierte Kämpferin für die Rechte der Frauen, den Frieden und die Freiheit war die deutsche Lehrerin, Schauspielerin und Führerin des radikaldemokratischen Flügels der deutschen Frauen-bewegung, Anita Augspurg (1857–1943). Sie gründete den „Deut-schen Verband für Frauenstimmrecht“, hob die „Internationale Frau-enliga für Frieden und Freiheit“ mit aus der Taufe und war die erste deutsche Juristin.
Anita Augspurg wurde am 22. September 1857 in Verden an der Aller (Niedersachsen) als Tochter des Obergerichtsanwalts Wilhelm Augs-purg und seiner Ehefrau Auguste geboren. Ihr Vater hatte sich an der Revolution von 1848 beteiligt und deswegen eine Festungshaft ver-büßen müssen. In Biographien über Anita heißt es, sie sei ein ver-träumtes Kind mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn gewesen und habe früh gegenüber der Kirche eine kritische Haltung einge-nommen. Ihr Berufsleben begann sie in der Kanzlei ihres Vaters, in der sie bis zu ihrer Volljährigkeit arbeitete.
Um der Enge ihres Heimatortes zu entfliehen, zog Anita Augspurg nach Berlin und absolvierte dort erfolgreich das Lehrerinnenexamen. Später legte sie auch die Turnlehrerinnenprüfung ab. Nach einer Erbschaft ließ sie sich als Schauspielerin ausbilden. Von 1881 bis
1882 gehörte sie als Elevin zum Ensemble des „Meininger Hofthea-ters“ in Thüringen und trat bei Gastspielreisen der Meininger in der Provinz auf.
Nach fünfjähriger Tätigkeit als Schauspielerin zog Anita Augspurg zusammen mit ihrer Freundin Sophia Goudstikker (1865–1924) nach München. In der bayerischen Landeshauptstadt gründeten die beiden Frauen das Fotoatelier „Elvira“, zu dessen Kundschaft vor allem Künstler gehörten. Mit ihren Kurzhaarfrisuren, ihrer Reformkleidung, ihren öffentlichen Bekenntnissen für den Kampf der Frauenbefreiung und ihrem freien Lebensstil waren Anita und Sophia zwei auffällige Erscheinungen ihrer Zeit. Wegen ihres ungewöhnlichen Äußeren musste Augspurg ihr ganzes Leben lang mehr als andere Frauen-rechtlerinnen persönliche Angriffe ertragen. Dank ihrer Kontakte zur Bühnenwelt wurde das Fotoatelier „Elvira“ rasch bekannt. Bald gehörte sogar die bayerische Königsfamilie zur Kundschaft.
Spätestens ab 1891 engagierte sich Anita Augspurg für die Frauen-bewegung und betätigte sich als Rednerin. Ihre Mitarbeit im Frau-enverein „Reform“ führte 1893 zur Gründung eines Mädchengym-nasiums in Karlsruhe, an dem die Hochschulreife erworben werden konnte.
Der Einsatz für Frauenrechte bewog Anita Augspurg zu einem Jura-studium. Weil Frauen in Deutschland noch keinen gleichberechtigten Zugang zu Universitäten hatten, zog sie in die Schweiz und begann 1893 ein Jurastudium an der Universität Zürich. Neben Rosa Luxemburg (1870–1919), mit der sie nicht das beste Verhältnis hatte, gehörte Anita zu den Mitbegründerinnen des „Internationalen Studentinnen-vereins“. 1897 promovierte sie in Zürich im Alter von 40 Jahren zum „Doktor der Rechte“ und war damit die erste deutsche Juristin. Ihre Doktorarbeit trug den Titel „Ueber die Entstehung und Praxis der Volksvertretung in England“.
Beim „Internationalen Frauenkongreß“ in Berlin 1896 begegnete Anita Augspurg erstmals der Feministin Lida Gustava Heymann (1868–1943), die später ihre Lebensgefährtin wurde. 1897 nahm Anita am „Internationalen Abolitionistischen Kongreß“ in London teil. Als Abolitionismus (englisch: to abolish = abschaffen) wird die Bewe-gung zur Abschaffung der Sklaverei in Großbritannien und in den
USA bezeichnet. Hinterher initiierte sie in Deutschland zahlreiche Vereinsgründungen, die gegen die staatliche Reglementierung der Prostitution und gegen die Sittlichkeitsbewegung von Hanna Bieber-Böhm (1851–1910) kämpften.
Auf Anita Augspurg sind viele Anstöße zur Verbesserung im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereich in Deutschland zurückzu-führen. In Gesetzesänderungsvorschlägen, die weibliche Belange berührten, brachte sie ihre Rechtskenntnisse ein und klärte über die juristische Stellung der Frau auf.
Mehr als ein Jahrzehnt lang bildeten Anita Augspurg und die Fe-ministin Minna Cauer (1842–1922) den Mittelpunkt der radikalen Frauenbewegung. Beide gingen mit einer Sondergenehmigung im „Deutschen Reichstag“ in Berlin ein und aus. Anita redigierte die Beilage „Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung“ in der Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ von Minna Cauer.
Anita Augspurg gehörte zum Vorstand des Vereins „Frauenwohl“ und zu den Gründerinnen des „Verbands fortschrittlicher Frauenvereine“, in dem sie als zweite Vorsitzende fungierte. Zusammen mit LidaGustava Heymann gründete sie 1902 in Hamburg den „Deutschen Verband für Frauenstimmrecht“ und wurde dessen Präsidentin.
Großes Aufsehen erregte 1905 ein „Offener Brief“ von Anita Augs-purg, in dem sie wegen des damals geltenden patriarchalischen Eherechts zur Eingehung „freier Ehen“ unter Verweigerung der staatlichen Eheschließung aufrief. Diese Aktion wurde als Aufruf zum „Eheboykott“ verstanden und löste in Deutschland einen Sturm der Entrüstung aus.
1907 zogen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann nach Bayern. Fortan kam Anita nur noch in den Wintermonaten nach Berlin, um dort politisch tätig zu sein. 1907 gründete sie den „Bayerischen Landesverein für Frauenstimmrecht“. Von 1907 bis 1912 war sie Herausgeberin der „Zeitschrift für Frauenrecht“ und 1912/1913 des Verbandsorgans „Frauenstimmrecht“.
Nachdem 1908 auch Frauen in politische Parteien eintreten konnten, schloss sich Anita Augspurg der liberalen „Deutschen Freisinnigen Partei“ („DFrP“) an. Diese Partei verließ sie aber bald wieder, weil sie meinte, sie verschwende ihre Kräfte an Männerpolitik.
Während des Ersten Weltkrieges (1914–1918) tat sich Anita Augspurg als Pazifistin hervor. 1915 war sie eine der Initiatorinnen der „Internationalen Frauenfriedenskonferenz“ in Den Haag (Nieder-lande). Außerdem beteiligte sie sich an der Gründung der „Inter-nationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ („IFFF“), bei der Heymann als Vizepräsidentin agierte. Danach hob sie zusammen mit ihrer Lebensgefährtin in deutschen Städten nationale „Frauenaus-schüsse für dauernden Frieden“ aus der Taufe. In ihrer Münchner Wohnung hielten die beiden Frauen illegale Versammlungen ab.
Wegen ihren aufsehenerregenden Aktionen für den Frieden wurde Anita Augspurg vom „Bund Deutscher Frauenvereine“ ausge-schlossen. Zur Zeit des Ersten Weltkrieges erhielt sie Redeverbot und musste Hausdurchsuchungen hinnehmen.
Nach der Ausrufung der Räterepublik in Bayern 1918 setzte sich Anita Augspurg für deren Ziele ein. Sie war fasziniert von der Idee der Einberufung von Frauenräten und saß als Vertreterin der Frauen-bewegung in dem im November 1918 gewählten provisorischen bayerischen Parlament. Im Dezember 1918 kandidierte sie erfolglos auf Listen der sozialistischen „Unabhängigen Sozialdemokraten“ („USPD“ für den bayerischen Landtag.
Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg beantragten 1923 persönlich beim bayerischen Innenminister die Ausweisung des Österreichers Adolf Hitler (1889–1945) wegen Volksverhetzung. Von 1919 bis 1933 gaben Augspurg und Heymann die Zeitschrift „Die Frau im Staat“ heraus, die feministische, radikaldemokratische und pazifistische Ansichten vertrat. Augspurg und Heymann engagierten sich in der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ („IFFF“) für Abrüstung und ein Verbot der Entwicklung chemischer Waffen.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland kehrten Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann von einer Auslandsreise nicht mehr in ihr Heimatland zurück und lebten fortan in der Schweiz. Beide standen auf der Liste der zu liquidierenden Personen, ihr Besitz wurde konfisziert und ihr Frauenarchiv ver-nichtet. Am 31. Juli 1943 starb Lida Gustava Heymann in Zürich. Einige Monate später war auch Anita Augspurg tot. Sie schloss am
20. Dezember 1943 im Alter von 86 Jahren Zürich für immer ihre Augen.
Seit 1994 verleiht die Stadt München jährlich den mit 5.100 Euro dotierten Anita-Augspurg-Preis zur Förderung der Gleichberech-tigung der Frauen. Die „Landesarbeitsgemeinschaft Lesben“ in Nordrhein-Westfalen vergibt seit 2009 jährlich den Augspurg-Heymann-Preis an couragierte lesbische Frauen zur Förderung der Sichtbarkeit von lesbischen Frauen.
Gertrud Bäumer
Sie stritt
für die Gleichberechtigung
Eine bedeutende deutsche Frauenrechtlerin war die Lehrerin, Politikerin und Schriftstellerin Gertrud Bäumer (1873–1954). Zusammen mit dem Politiker Friedrich Naumann (1860–1919) und der Frauenrechtlerin Helene Lange (1848–1930) setzte sie sich mit Nachdruck zur Lösung sozialer Fragen und für die Gleichberechtigung der Frau ein. Als Vorsitzende des „Bundes Deutscher Frauenvereine“ gehörte sie dem „International Council of Women“ („Weltbund der Frauen“) an.
Gertrud Bäumer kam am 12. September 1873 als Tochter des evan-gelischen Pfarrers Emil Bäumer (1845–1883) in Hohenlimburg – heute ein Stadtteil von Hagen in Nordrhein-Westfalen – zur Welt. Ihre Familie zog 1876 nach Cammin in Pommern, wo der Vater als Kreisschulinspektor arbeitete. Nach dem frühen Tod von Emil Bäumer im Jahre 1883 ging die Mutter von Gertrud mit ihren drei Kindern zu ihrer Mutter nach Halle/Saale. Dort schloss Gertrud die „Höhere Töchterschule“ ab.
1888 zog die Mutter nach Magdeburg, wo Gertrud Bäumer später das Lehrerinnenseminar besuchte. Ab 1894 wirkte Gertrud als Lehrerin in Halberstadt, Kamen und Magdeburg und unterstützte ihre Mutter finanziell. 1896 beteiligte sie sich an der Gründung der Magdeburger Lehrerinnenvereinigung. 1898 zog sie nach Berlin, wo sie ein Oberlehrerinnenstudium absolvierte und 1900 ihr Oberlehrerinnenexamen bestand. In Berlin lernte sie die Führerin der bürgerlichen Frauenbewegung, Helene Lange, kennen. Als Bäumer erfuhr, dass Lange durch eine Augenkrankheit zunehmend bei ihrer Arbeit behindert wurde, bot sie sofort ihre Hilfe an. Schnell entwickelte sich zwischen den beiden Frauen eine rege gemeinsame publizistische Arbeit und intensive Freundschaft. Ab 1901 gehörte Gertrud dem Vorstand des „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen-verbandes“ („ADLV“) an.
Von 1900 bis 1904 studierte Gertrud Bäumer Theologie, Germanistik, Philologie und Nationalökonomie. Das Geld für dieses Studium musste sie sich ersparen. Im Gegensatz zu ihren männlichen Verwandten erhielt sie keine Unterstützung des „Hoffmannschen Familienstipendiums“. 1904 promovierte sie über das Werk „Satyros“ von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832).
Ab 1906 arbeitete Gertrud Bäumer eng mit dem Geistlichen Friedrich Naumann, dem späteren Gründer der „Deutschen Demokratischen Partei“ („DDP“) zusammen. Zwischen 1907 und 1910 wirkte Bäumer als Redakteurin bei „Neue Bahnen“, der Zeitschrift des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ („ADF“).
Zu Gertrud Bäumers frühen Werken gehören das fünfbändige „Hand-buch der Frauenbewegung“ (ab 1901), das sie mit ihrer Lebens-gefährtin Helene Lange herausgab, sowie die Bücher „Die soziale Idee in den Weltanschauungen des 19. Jahrhunderts“ (1910) und „Die Frauengestalt in der deutschen Frühe“ (1927).
Nach Marie Stritt (1855–1928) fungierte Gertrud Bäumer von 1910 bis 1919 als Vorsitzende des „Bundes Deutscher Frauenvereine“ („BDF“). Ab 1912 hatte Bäumer die Verantwortung für den Kulturteil der 1894 von Friedrich Naumann gegründeten Zeitschrift „Die Hilfe“, einer Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst.
Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges gründete Gertrud Bäumer 1914 den „Nationalen Frauendienst“, der in Kooperation mit Wohl-fahrtsverbänden und dem „Roten Kreuz“ die entstehende soziale Not an der „Heimatfront“ mit karitativen Leistungen zu lindern versuchte. Zu den Tätigkeiten des „Nationalen Frauendienstes“ gehörten Ar-beitsvermittlung und -beschaffung, Vermittlung freiwilliger Hilfs-kräfte, Kinder- und Jugendfürsorge, Wöchnerinnen- und Säuglingsfürsorge, Organisation von Speisungen und Lebensmittelver-teilungen, Truppenspeisungen, Lebensmittelpreiskontrolle, Schu-lungsprogramme für den ökonomischen Umgang mit Nahrungs-mitteln sowie Beratungs- und Auskunftsdienste.
1916 wurde Gertrud Bäumer Herausgeberin der Zeitschrift „Die Frau“, des Organs der bürgerlichen Frauenbewegung. Von 1916 bis 1920 leitete sie zusammen mit Marie Baum (1874–1964) das „Sozialpädagogische Institut“ in Hamburg. An diesem Institut, einem Seminar zur Ausbildung von Frauen für die soziale Arbeit, unter-richtete von 1917 bis 1920 auch Helene Lange.
Am 12. November 1918 verkündete der „Rat der Volksbeauftragten“ die Einführung des gleichen, geheimen, direkten und allgemeinen Wahlrechts für alle männlichen und weiblichen Personen über 20 Jahre. Dies ermöglichte es Gertrud Bäumer, für die linksliberale „Demokratische Partei“ („DDP“) zu kandidieren und gewählt zu werden. Nach dem Tod von Friedrich Naumann im Jahre 1919 wurde Bäumer zeitweise die alleinige Herausgeberin der Zeitschrift „Die Hilfe“.
Gertrud Bäumer gehörte 1919/1920 der „Weimarer National-versammlung“ an und war von 1920 bis 1930 Mitglied des „Deut-schen Reichstages“ in Berlin und stellvertretende Vorsitzende der „DDP“. Am 19. Februar 1919 hörte sie die erste Parlamentsrede einer Frau in Deutschland, die von der Abgeordneten der „Sozial-demokratischen Partei Deutschlands“ („SPD“), der Kölner Sozialar-beiterin Marie Juchacz (1879–1956), in der „Weimarer National-versammlung“ gehalten wurde.
1920 wurde Gertrud Bäumer als erste deutsche Ministerialrätin in die kulturpolitische Abteilung des Reichsinnenministeriums berufen. Dort leitete sie das Schulreferat und die Jugendwohlfahrt und verhalf dem Kulturprogramm der Weimarer Verfassung zum Durchbruch. Beim Beitritt Deutschlands zum Völkerbund sandte man sie 1926 als Delegierte in die Kommission für soziale und humanitäre Fragen. Diese Funktion hatte sie bis 1933 inne. Von 1930 bis 1932 saß sie für die „Deutsche Staatspartei“ („DStP“) im „Deutschen Reichstag“.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten von 1933 wurde Gertrud Bäumer als „politisch unzuverlässig“ eingestuft, ihrer Ämter
enthoben und mit einer Volksschullehrerpension entlassen. Anfang 1934 zog sie mit ihrer Freundin Gertrud von Sanden nach Gieß-mannsdorf in Schlesien, widmete sich verstärkt ihrer schrift-stellerischen Tätigkeit und machte sich einen Namen als Autorin. In der Folgezeit unternahm sie zusammen mit Ludwig von Niessen Studienreisen in die Schweiz und nach Italien.
In der Autobiographie „Lebensweg durch eine Zeitenwende“ (1934) schilderte Gertrud Bäumer ihren eigenen Entwicklungsgang. Das Buch endete mit einem Bekenntnis zur nationalsozialistischen Idee. Weitere wichtige Werke aus ihrer Feder waren „Männer und Frauen im geistigen Werden des deutschen Volkes“ (1934), „Ich kreise um Gott. Der Beter Rainer Maria Rilke“ (1935) und der bekannteste unter ihren großen historischen Romanen, „Adelheid, Mutter der König-reiche“ (1936). Im Jahre 1936 setzte man sie als Herausgeberin der Zeitschrift „Die Frau“ ab. 1935 erließ man gegen sie ein Redeverbot. Doch sie hielt weiter Vorträge, vor allem in evangelischen Kreisen. Ihr Heim diente als Treffpunkt für Freunde und als Zufluchtsstätte für Verfolgte.
Während der Zeit des Nationalsozialismus erschienen auch Gertrud Bäumers Bücher „Der Park“ (1937) „Krone und Kreuz“ (1938), „Der Berg des Königs. Das Epos des langobardischen Volkes“ (1938), „Gestalt und Wandel. Frauenbildnisse“ (1939) und „Die Macht der Liebe. Der Weg des Dante Alighieri“ (1941). 1944/1945 floh sie zunächst nach Saalfeld/Saale und später nach Bamberg.
Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte sich Gertrud Bäumer ab 1945 in Bamberg (Bayern) für den politischen Wiederaufbau in den westlichen Besatzungszonen und hob die „Christlich-Soziale Union“ („CSU“) mit aus der Taufe. Im Jahr darauf erschienen ihre Werke „Der neue Weg der deutschen Frau“ (1946) und „Die Reichsidee der Ottonen“ (1946). Es folgten die Bücher „Der Dichter Fritz Usinger“ (1947), „Eine Woche im May. 7 Tage des jungen Goethe“ (1947), „Die christliche Barmherzigkeit als geschichtliche Macht“ (1948), „Helene Lange. Zum 100. Geburtstag“ (1948), „Frau Rath Goethe. Die Mutter der Weisheit“ (1949), „Ricarda Huch“ (1949), „die drei göttlichen Komödien des Abendlandes“ (1949), „Der Jüngling im Sternenmantel. Größe und Tragik Ottos III.“ (1949), „Das geistige
Bild Goethes im Licht seiner Werke“ (1950) sowie „Otto I. und Adelheid“ (1951).
1948 zog Gertrud Bäumer nach Bad Godesberg um, wo sie die „Christlich-Demokratische Union“ („CDU“) unterstützte. Im September 1953 erschien anlässlich ihres 80. Geburtstages die überarbeitete Fassung ihrer Autobiographie „Im Lichte der Erinnerung“. Am 25. März 1954 starb sie im Alter von 80 Jahren in Bethel bei Bielefeld (Nordrhein-Westfalen). Zwei Jahre nach ihrem Tod wurden in dem Buch „Des Lebens wie der Liebe Band“ (1956) ihre Briefe veröffentlicht. Nach Gertrud Bäumer sind Schulen, Realschulen, Gymnasien und Berufskollege in Remscheid, Duisburg, Lüdenscheid, Plettenberg, Bielefeld, Bonn, Essen, Gelsenkirchen, Dortmund und München benannt.
Die bedeutendste Theoretikerin der neuen Frauenbewegung war die französische Schriftstellerin, Existenzialistin und Marxistin Simone de Beauvoir (1908–1986). Sie deutete die traditionell passive Rolle der Frau in der Gesellschaft als Ergebnis einer Entwicklung patriarchalischer Strukturen und forderte deren Veränderung mit dem Ziel einer Selbstverwirklichung der Frau. Außer in der Frauen-bewegung engagierte sie sich auch gegen die Kriege in Algerien und Vietnam.
Simone Lucie-Ernestine-Marie Bertrand de Beauvoir – so ihr voll-ständiger Name – kam am 9. Januar 1908 als ältere von zwei Töch-tern des Anwalts George Bertrand de Beauvoir und der Bankiers-tochter Françoise Bertrand de Beauvoir, geborene Brasseur, in Paris zur Welt. Den adelig klingenden Namenszusatz „de Beauvoir“ hatte sich ihr Urgroßvater, der zuvor nur den Familiennamen Bertrand trug, zugelegt. Die zweieinhalb Jahre jüngere Schwester von Simone hieß Hélène. Von ihrer sehr streng katholischen Mutter wurden die beiden Mädchen fromm erzogen.
In der französischen Hauptstadt besuchte die wohlbehütete Simone bereits im Alter von fünfeinhalb Jahren die private höhere Mädchen-schule „Institut normal catholique Adelina-Desir“. Ihre Ferien ver-brachte sie auf den Gütern ihres Großvaters und der Schwester ihres
Vaters, die einen Landadeligen geheiratet hatte. Im Alter von 15 Jahren schrieb sie einer Freundin ins Poesie-Album: „Ich will eine berühmte Schriftstellerin werden“.
Gegen Ende des Ersten Weltkrieges (1914–1918) verarmten die Eltern von Simone. Ihr Großvater Brasseur verlor sein Vermögen und konnte die Mitgift nicht weiter abzahlen. Das Vermögen ihres Vaters, das vor allem in russischen Papieren angelegt war, ging teilweise durch die Oktoberrevolution verloren. Der Rest wurde durch die Inflation dezimiert. Nach dem Krieg bekam der Vater nur noch mäßig gut bezahlte Stellen. Deswegen musste die Familie in eine preiswertere Wohnung umziehen, was deren Stimmung trübte.
Anfangs wollte Simone noch Nonne werden. Doch im Alter von 14 Jahren verlor sie ihren bis dahin tiefen Glauben. Ungeachtet dessen täuschte sie ihrer Umgebung jahrelang weiterhin Frömmigkeit vor. Ihre Mutter war entsetzt und ihr Vater wenig erfreut, als sie endlich die Wahrheit erfuhren. In ihrer katholischen Schule betrachtete man sie sogar als Opfer des Teufels, als sie sich dazu entschloss, das Lehramt im Fach Philosophie an staatlichen, also laizistischen Gym-nasien anzustreben.
Für das letzte Schuljahr 1926/1927 wählte Simone de Beauvoir Mathematik und Philosophie als Leistungsfächer. Letztere führte sie an der „Institution Sainte-Marie“ in Neuilly-sur-Seine weiter.
Ab 1926 studierte Simone de Beauvoir Philosophie an der „Faculté des lettres“ der Pariser Universität Sorbonne. Seit dieser Zeit begann sie sich „gegen die hohlen Worte und die heuchlerische Moral“ ihrer Gesellschaftskreise aufzulehnen. 1929 legte sie an der Sorbonne ihr Diplom als „Agrégée der Philosophie“ (Staatsexamen für den höheren Schuldienst) und als „Licenciée dés lettres“ (Lehrbefugnis für Col-lège) ab.
In der zweiten Hälfte der 1920-er Jahre unterhielt Simone de Beauvoir zeitweise ein frustrierend wechselhaftes, selbstverständlich keusches Verhältnis zu einem Cousin. Diesen wollte sie heiraten, doch er ver-lobte sich hinter ihrem Rücken mit einem Mädchen, das eine be-trächtliche Mitgift hatte.
Durch einen Studienfreund lernte die 21-jährige Simone de Beauvoir 1929 den französischen Philosophen und Schriftsteller Jean-Paul
Sartre (1905–1980) kennen. Sie war fasziniert von seinem Ruf, er würde nie aufhören zu denken, und wurde seine Schülerin und Lebensgefährtin. Später verriet sie, er sei der erste Mann gewesen, mit dem sie schlief. Doch sexuell habe dies – vor allem seinetwegen – wenig gebracht. Sartre sei ein „hitziger, quicklebendiger Mann –, überall, außer im Bett“, gewesen.
1931/1932 arbeitete Simone de Beauvoir als Philosophielehrerin am „Lyzée Montgrand“ in der südfranzösischen Hafenstadt Marseille. Von 1933 bis 1937 unterrichtete sie am „Lycée Jeanne d’Arc“ in Rouen und von 1938 bis 1943 in Paris am „Lyceé Molière“ und am „Lycée Camille-Sée“. Zur Zeit der Vichy-Regierung wurde sie 1943 als Lehrerin entlassen und schriftstellerisch aktiv.
Simone de Beauvoirs Leben und ihre Schriftstellerei sind entscheidend durch Jean-Paul Sartre geprägt worden. In ihrem ersten Me-moirenband „Mémoires d’une jeune fille rangée“ (1958, deutsch: „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“, 1960) schilderte sie ihre Entwicklung bis zur Zeit der Begegnung mit Sartre. Demnach fühlte sie lange Zeit nirgends Verständnis für ihre Ablehnung jeder „mittelmäßigen Existenz“. Erst mit Aufnahme ihrer Lehrtätigkeit fand sie Sicherheit.
Nach Ansicht von Kritikern entwickelte sich Simone de Beauvoir durch ihre schriftstellerischen Arbeiten zu einer der führenden Repräsentantinnen des französischen Existentialisten-Kreises. Dieser Tatsache verdankt sie den Ehrentitel „Hohepriesterin des Existen-zialismus“.
In den 1940-er Jahren verfasste Simone de Beauvoir unter anderem die Romane „L’Invitée“ („Sie kam und blieb“, 1943), „Le Sang des autres“ („Das Blut der anderen“, 1944), „Der Gast“ (1945), „Alle Menschen sind sterblich“ (1947), die philosophischen Schriften „Pyrrhus und Cinéas“ (1944) und die „Moral der Zweideutigkeiten“ (1947) sowie das Schauspiel „Les Bouches inutiles“ (1945, deutsch: „Unnütze Mäuler“).
1945 gründete Jean-Paul Sartre die Zeitschrift „Les temps modernes“. Die einzige Frau in der Redaktion war Simone de Beauvoir. Am Schreiben von Artikeln für diese Zeitschrift schätzte sie besonders, dass man dabei im Gegensatz zu einem Buch „die Aktualität im Flug fangen“ konnte. Fast nebenbei stieß sie auf das Thema „Unter-drückung der Frau“.
Bei ihrer ersten Vortragsreise in den USA begegnete die 39-jährige Simone de Beauvoir 1947 dem ein Jahr jüngeren und einen Kopf größeren amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren (1909–1981). Ihm verdankte sie, wie sie später ihrer Biographin Deirde Bair anvertraute, den ersten Orgasmus ihres Lebens. Von der Liebe der Feministin zu dem Macho zeugen 304 Briefe Simones, die 1997 in dem Buch „Lettres á Nelson Algren. Un amour transatlantique 1947– 1964“ veröffentlicht wurden.
Simone de Beauvoir versprach ihrem Geliebten Nelson Algren, mit dem sie drei Jahre auf Reisen persönlich und insgesamt 17 Jahre brieflich verkehrte, treu zu sein wie eine Frau, den Boden zu wischen und Essen zu kochen und zehn Mal in der Nacht und ebenso oft am Tag mit ihm Liebe zu machen. Damals verfasste sie gerade das Manuskript für die „Jahrhundertanalyse zur Benennung und Be-freiung der Frauen“ mit dem Titel „Das andere Geschlecht“.
Nach einer der vielen Reisen von Simone de Beauvoir ist ihr Buch „L’Amerique au jour le jour“ (1947, deutsch: „Amerika Tag und Nacht“, 1948) entstanden. Dieser Titel erregte in den USA wegen seiner marxistischen und antiamerikanischen Note erhebliches Aufsehen. Das Werk hatte sie dem Amerikaner Richard Wright (1908– 1960), der als einer der profiliertesten schwarzen Autoren des 20. Jahrhunderts gilt, gewidmet.
Die Bücher „Le deuxième Sexe“ (1949, deutsch: „Das andere Ge-schlecht“, 1951) und „Les Mandarins“ (1954, deutsch: „Die Man-darine von Paris“, 1955) aus der Feder Simone de Beauvoirs wurden von der katholischen Kirche auf den Index gesetzt.
In dem Buch „Le deuxième Sexe“ zog Simone de Beauvoir zwei Schlussfolgerungen: Einerseits glaubte sie, in der patriarchalischen Gesellschaft werde die Frau als das „Andere“ definiert, während der Mann die Norm sei, an der sich die Frau zu messen habe. Anderseits meinte sie, Weiblichkeit sei keine angeborene Wesensqualität. Man komme nicht als Frau zur Welt, sondern werde es.
In ihrem Werk „Les Mandarins“ gab Beauvoir ein Sittenbild der linkssozialistischen Kreise um Jean-Paul Sartre und Albert Camus
(1913–1960) sowie ihrer Desillusionierung nach dem Zweiten Weltkrieg. 1953 vertrat sie auch „offiziell“ marxistische Positionen. Nach einer Chinareise mit Jean-Paul Sartre im Herbst 1956 schrieb Simone de Beauvoir das Buch „La Longue Marche“ (1967, deutsch: „China, das weitgesteckte Ziel“, 1959), das zwar umstritten blieb, aber wegen seines mitreißenden Stils gelobt wurde. Bei ihren Reisen wurde sie zum Teil von dem Filmemacher Claude Lanzmann begleitet, mit dem von 1952 bis 1958 liiert war.
Der zweite Memoirenband von Simone de Beauvoir hieß „La Force de l’âge“ (1960, deutsch: „In den besten Jahren“, 1961), und ihr dritter hatte den Titel „La Force des choses“ (1963, deutsch: „Der Lauf der Dinge“, 1966). Eine detaillierte und grausame Schilderung über das Sterben ihrer Mutter lieferte sie in „Une mort trés douce“ (1964, deutsch: „Ein sanfter Tod“, 1965). Schonungslos und ehrlich waren auch ihre Bücher „Eine gebrochene Frau“ (1968) und „La Vieillesse“ (1972, deutsch: „Das Alter“). 1972 kam ihrer vierter Memoirenband „Tout Compte fait“ („Alles in allem“) heraus, in dem sie über ihre politischen Enttäuschungen mit kommunistischen Ländern berichtete. Von 1970 an engagierte sich Simone de Beauvoir in der Frauen-bewegung. Im Frühjahr 1971 beteiligte sie sich an der Aktion „J’ai avortee“ (deutsch: „Ich habe abgetrieben“), die von 343 Frauen unterschrieben und im „Nouvel Observateur“ veröffentlicht wurde. Zusammen mit einer kleinen Frauengruppe redigierte sie die Frauenseite der Zeitschrift „Les temps modernes“ und betreute die Rubrik „sexismus ordinaire“ („der alltägliche Sexismus“).
Simone de Beauvoir lehnte jeglichen Glauben an eine „Natur der Frau“ kategorisch ab und warnte immer wieder vor der „Falle der Ehe und Mutterschaft“. Nach ihrer Ansicht klammerten sich Frauen viel zu sehr an ihre Mütterlichkeit. Sie meinte, jede Frau sei ein bißchen homosexuell, weil Frauen begehrenswerter seien als Männer. Nach der Gründung der „Liga für Frauenrechte“ 1974 leitete sie diese als Präsidentin.
Während seiner langen Krankheit bis zu seinem Tod am 15. April 1980 wurde Jean-Paul Sarte von Simone de Beauvoir gepflegt. 1980 adoptierte Simone die Philosophielehrerin Sylvie Le Bon, um ihren Nachlass zu regeln. Nach dem Tod von Sartre verfiel sie in eine tiefe
Depression, die sie durch ihre Arbeit lediglich teilweise lindern konnte.
Am 14. April 1986 starb Simone de Beauvoir im Alter von 78 Jahren in Paris. Kurz vor ihrem Tod hatte sie noch der „Sozialistischen Partei“ beim Wahlkampf ihre Unterstützung versprochen. Simone wurde auf dem Friedhof „Cimetière du Montparnasse“ in Paris neben Jean-Paul Sartre begraben. Die amerikanische Feministin schrieb in einem Nachruf, de Beauvoir sei immer wieder heftigen Anfeindungen ausgesetzt gewesen. Neben der zu erwartenden Kritik aus dem bürgerlich-konservativen Lager habe sie sich auch mit der Linken angelegt, weil sie vor allem in ihren späteren Jahren davon überzeugt gewesen sei, dass sich die Unterdrückung der Frau nicht automatisch im Kommunismus auflösen würde.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Lily Braun
Die bürgerliche Frauenrechtlerin
Zu den bedeutendsten Sozialdemokratinnen und Frauenrecht-lerinnen Deutschlands während der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gehörte die Schriftstellerin und Politikerin Lily Braun (1865–1916), geborene von Kretschman. Neben Romanen und Dramen schrieb sie ihre zweibändigen „Memoiren einer Sozialistin“, die als wichtiges Zeugnis ihrer Zeit gelten.
Lily von Kretschman wurde am 2. Juli 1865 als Tochter des preu-ßischen Generals Hans von Kretschman (1832–1899) in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) geboren. Ihre Großmutter Jenny von Gustedt (1811– 1890) war ein uneheliches Kind von Napoléons Bruder Jérôme Bonaparte (1784–1860) und der verheirateten Diana von Pappenheim (1788–1844). Jérôme regierte von 1807 bis 1813 das neugeschaffene Königreich Westfalen und ging als „König Lustig“ in die Annalen der Geschichte ein.
In ihrer Jugend hetzte Lily von einer gesellschaftlichen Verpflichtung zur anderen. Erst durch den Einfluss ihrer Großmutter wurde ihr Blick von Äußerlichkeiten weg zu geistiger Betätigung gelenkt. Nach der Bearbeitung des schriftlichen Nachlasses ihrer Großmutter, die den deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) noch persönlich gekannt hatte und einen umfangreichen Briefwechsel hinterließ, unternahm Lily erste literarische Versuche.
Als Lilys Vater wegen kritischer Äußerungen über die Außenpolitik Napoléons in den Ruhestand versetzt wurde, zog die Familie 1890 nach Berlin. Dort lernte Lily 1891 den Professor für Philosophie und Publizisten, Georg von Gisycki (1851–1895), kennen, den sie 1893 heiratete. Ihr Ehemann war einer der Führer der „Gesellschaft für ethische Kultur“, für deren Zeitschrift Lily ihre ersten Aufsätze zu aktuellen Fragen der sozialistischen und der Frauenbewegung schrieb. Obwohl Georg von Gisycky kein Mitglied der „Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ („SPD“) war, sympathisierte er mit deren Politik. Unter dem Einfluss ihres Gatten, mit dem sie eine Arbeitsehe führte, engagierte sich Lily in der bürgerlichen Frauenbewegung. Bald in-teressierte sie sich außerdem für die Lebensbedingungen der Arbeiter und vor allem der Arbeiterinnen. Nachdem Gisycki 1895 an Influenza starb, war sie weitgehend auf sich allein gestellt.
Durch Kontakte mit Vertreterinnen der proletarischen Frauen-bewegung und durch die Bekanntschaft mit dem Sozialpolitiker Heinrich Braun (1854–1927) trat Lily in die „SPD“ ein und engagierte sich politisch. Mit diesem Schritt setzte sie sich zwischen alle Stühle: Ihre Familie distanzierte sich von ihr und enterbte sie, und in der „SPD“ begegnete man ihr wegen ihrer gutbürgerlichen Herkunft mit großem Misstrauen.
Nachdem Lily von Gyscky versuchte, die bürgerliche und die pro-letarische Frauenbewegung zusammenzuführen, geriet sie mit der damals führenden Frauenpolitikerin der „SPD“, Clara Zetkin (1857– 1933), in Konflikt. Sie wurde in der Partei zunehmend ausgegrenzt und verlor ihre bisherigen Einflussmöglichkeiten.
Als Lily von Gysycki 1896 den zwei Mal geschiedenen Politiker und Begründer des „Archivs für soziale Gesetzgebung und Statistik“, Heinrich Braun, heiratete, löste sie in der „SPD“ einen Skandal aus. Der „SPD“-Vorsitzende August Bebel (1840–1913) schrieb in einem Brief an sie, das Verhältnis zwischen ihr und Heinrich Braun habe natürlich gewaltig Staub aufgewirbelt und die männlichen und weiblichen Philister in Erregung versetzt. Im Jahr nach der Heirat brachte Lily ihren Sohn Otto (1897–1918) zur Welt.
Im so genannten Revisionsstreit stellten sich Heinrich und Lily Braun auf die Seite des „SPD“-Politikers Eduard Bernstein (1850–1932).
Dies verschärfte die innerparteiliche Situation vor allem nach dem Dresdener Parteitag 1903, wo der revisionistische Flügel eine empfindliche Niederlage in der innerparteilichen Auseinandersetzung erlitt.
Als Lily Brauns zentrales Werk gilt ihre durch empirische Daten ge-stützte Studie „Die Frauenfrage – Ihre geschichtliche Entwicklung und ihre wirtschaftliche Seite“ (1901). Die Autorin war wohl eine der Ersten überhaupt, die das Geschlechterverhältnis in Prozentzahlen ausdrückte. Sie verfasste auch zahlreiche Artikel für die „Ethische Zeitschrift“ und die „Gleichheit“ sowie Kommentare und Berichte für sozialdemokratische Tageszeitungen.
Dank der Zeitungshonorare konnte Lily Braun die zeitweise sehr prekäre finanzielle Lage ihrer Familie lindern. Die von Heinrich Braun gegründete Zeitschrift „Neue Gesellschaft“ scheiterte schon nach der zweiten Ausgabe. Aus finanziellen Motiven entstanden Lily Brauns kitschige Romane „Im Schatten des Titanen“ (1908), „Die Liebes-briefe der Marquise“ (1912), „Mutter Maria“ (1913) und „Die Lebens-sucher“ (1915), die innere Konflikte von Frauenfiguren behandeln. In ihrer zweibändigen Autobiographie „Memoiren einer Sozialistin“ (1909 und 1911) schilderte Lily Braun ihren Lebensweg sowie die damit verbundenen Ent- und Verwicklungen. Obwohl sie die Personen darin anders nannte, wurde Eingeweihten bald klar, dass es sich bei der häufig kritisierten „Wanda Orbin“ um Clara Zetkin handelte. Auf politische Konflikte und die damit verbundenen Anfeindungen, die sie durch ihr eigenes zeitweise kompromissloses Verhalten nicht gerade abmilderte, reagierte Lily Braun ausgesprochen empfindlich. Ab 1910 verschlechterte sich ihr gesundheitlicher Zustand zusehends. In ihrem Werk „Die Frauen und der Krieg“ (1915) äußerte sich Lily Braun euphorisch über den Ersten Weltkrieg (1914–1918) und forderte die Frauen zur Mutterschaft auf, damit für jede Hand, die sich jetzt sterbend um die Waffen klammere andere Hände geschaffen würden. Außerdem kämpfte sie für das Dienstjahr der Frau in der Kranken- und Säuglingspflege.
1915 schrieb Lily Braun an ihren Sohn Otto Braun, es sei nun einmal ihre Art, nur im Fieber etwas leisten zu können, sie brauche Beses-senheit. Am 8. August 1916 starb sie im Alter von nur 51 Jahren in
Berlin-Zehlendorf. Julie Braun-Vogelstein (1883–1971), die zweite Frau von Heinrich Braun, veröffentlichte die Aufzeichnungen von Lilys Sohn Otto unter dem Titel „Aus nachgelassenen Schriften eines Frühvollendeten“ (1919) und die Biographie „Lily Braun. Ein Lebensbild“ (1922).
Juana Inés
de la Cruz
Der „Phoenix
von Amerika“
Als Mexikos erste Feministin, „zehnte Muse“ und „Phoenix von Amerika“ würdigt man heute die dichtende Nonne Sor Juana Inés de la Cruz (1651–1695), geborene Juana Inés de Asbaje i Ramírez de Cantillana. Die katholische Klosterschwester erlangte im 17. Jahrhundert mit ihrer Lyrik und mit Theaterstücken, die im ganzen spanischen und portugiesischen Reich aufgeführt wurden, einen für eine Frau ihrer Zeit und Gesellschaft beispiellosen Ruhm. Ver-ständnislose Zeitgenossen bereiteten ihr einst großen Kummer.
Juana Inés de Asbaje i Ramírez de Cantillana wurde am 12. November 1651 unehelich auf einem mexikanischen Landgut in San Miguel de Nepantla geboren. Bereits als Dreijährige lernte sie lesen, als Achtjährige schrieb sie ihre ersten Dichtungen. Später wollte sie – was ein völlig ungewöhnlicher Wunsch war – als Mann verkleidet an der Universität in Mexiko-City studieren.
Im Alter von 17 Jahren kam Juana Inés de Asbaje i Ramírez de Cantillana an den Hof des Vizekönigs von Neu-Spanien, wo sie Gesellschafterin von dessen Ehefrau, der Marquesa de Mancera, wurde. Der Vizekönig war von der gebildeten Jugendlichen so beeindruckt, dass er sie in einem Examen 40 berühmten Gelehrten gegenüberstellte, denen sie keine Antwort schuldig blieb.
Aufgrund einer „tiefen Abneigung gegen den Ehestand“ wollte Juana Inés nicht heiraten. Wegen ihrer bescheidenen und unehelichen Abstammung hätte sie schlechte Heiratschancen gehabt. Deshalb trat sie 1669 in den San-Jerónimo-Orden in Mexiko-City ein. Dort erschienen ihr jedoch die klösterlichen Pflichten eher als eine Last, viel lieber nutzte sie ihre Zeit mit Lesen und Schreiben in ihrer Zelle, in der sich zahlreiche Bücher und wissenschaftliche Geräte häuften. Obwohl Juana Inés die Klausur streng befolgte und nie die Klostermauern verließ, hatte sie Kontakt mit der Außenwelt: Sie empfing im Besuchszimmer einflussreiche Persönlichkeiten des Vizekönigreichs, mit denen sie lebhaft diskutierte. Eng befreundet war sie mit der Vizekönigin Marquesa de Mancera, der sie früher als Hofdame gedient hatte, und mit deren Nachfolgerin, der Marquesa de la Laguna. Während der Regierungszeit der Letzteren entstand Sor Juanas 975 Verse umfassendes lyrisches Hauptwerk „Primera sueño“ (deutsch. „Die Welt im Traum“).
Juana Inés verehrte glühend den heiligen Juan de la Cruz (1542– 1591) – Johannes vom Kreuz –, den Gründer der „Unbeschuhten Karmeliten“, dessen schwärmerisch-rauschhafte Lieder der Gottes-sehnsucht zu den gewaltigsten Leistungen der spanischen Mystik gehören. Zur Erinnerung an ihn wählte sie das Pseudonym „Juana Inés de la Cruz“. Ihre Lyrik und Schauspiele wurden von dem Werk des Geistlichen und Dichters Don Pedro Calderon de la Barca (1600– 1681) beeinflusst.
Sor Juana Inés de la Cruz trat mit spitzer Feder auch für das Recht der Frauen ein, sich zu bilden und in die Auseinandersetzungen der Welt aktiv einzugreifen. Ihre Aktivitäten brachten ihr zwar Ruhm und Ehre, aber auch Neid, Missgunst, Kritik und Intrigen ein. Der Druck auf sie wurde schließlich so groß, dass sie in einem Dokument, das sie ihrer Oberin übergab, auf ihren ganzen Besitz einschließlich Bibliothek verzichtete. Der Erlös hierfür sollte an die Armen verteilt werden. Außerdem gefährdete sie ihre Gesundheit durch Kasteiungen. 1694 unterschrieb Juana Inés mit ihrem Blut ein Bekenntnis der vollständigen und bußfertigen Unterwerfung unter den Willen Gottes. Darin gelobte sie, ihre Studien aufzugeben, um so ihren „Weg zur Vollkommenheit“ fortsetzen zu können.
1695 pflegte Junana Inés während einer Epidemie aufopfernd erkrankte Mitschwestern, bis sie selbst erkrankte und am 17. April 1695 im Alter von 43 Jahren in Mexiko-City starb. 1974 wurde sie in Mexiko zur „ersten Feministin Amerikas“ erklärt. Der mexikanische Nobelpreisträger für Literatur, Octavio Paz, widmete ihr den Essay „Sor Juana Inés de la Cruz o las trampas de fe“ (1982).
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- Arbeit zitieren
- Ernst Probst (Autor:in), 2001, Superfrauen 11 - Feminismus und Familie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133126
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