Was ist das Besondere an dieser Verfilmung? Welche Bedeutung hat für Pasolini der Mythos?
Einen Film zu untersuchen, stellt eine besondere Aufgabe dar, ist er doch im Grunde flüchtig wie das gesprochene Wort. Zwar gebannt auf ein Medium, doch schlecht zu zitieren, zu greifen, festzumachen, wie bspw. die Musik am Notenbild. Der Produktionsprozess eines Filmes ist derart komplex, sowie sein Aufbau selbst, besteht er doch aus minutiös gearbeiteten vielen kurzen sekundenlangen Einstellungen, die vom Regisseur real aufgebaut werden, um anschließend mehrfach postproduced zu werden, dass es kaum möglich, ihn erschöpfend zu analysieren. Ein kleines Sequenzprotokoll als Anlage soll helfen, bestimmte Bilder für eine Analyse greifbar zu machen. Ebenfalls ratsam erschien mir, die Story kurz wieder zugeben, da sie sich doch etwas vom linear spielenden Plot unterscheidet. Des weiteren ergibt sich die Handlung nicht unbedingt aus Worten, sondern drückt sich durch viele verschiedene malerische Bilder aus, die man viel unmittelbarer wahrnimmt, als ein rational verständliches Wort, durch die „objekthafte Konkretheit“ (Pier Paolo Pasolini, Das Kino der Poesie, S. 51.)
Gliederung
1 Einleitung
2 Die Story
3 Gemalte Bilder
4 Die Perspektive als malerisches Element
5 Das Prinzip Opfer
6 Die besondere Markierung des Tones durch die Stille
7 Der Mythos
8 Zusammenfassung
9 Bibliographie
1 Einleitung
[A]llem Bildhaften eignet vornehmlich Mythencharakter[1] und so gibt Pasolini den Mythen neue Bilder, nicht indem er abbildet, sondern indem er neu kreiert.
Was ist das Besondere an dieser Verfilmung? Welche Bedeutung hat für Pasolini der Mythos?
Einen Film zu untersuchen, stellt eine besondere Aufgabe dar, ist er doch im Grunde flüchtig wie das gesprochene Wort. Zwar gebannt auf ein Medium, doch schlecht zu zitieren, zu greifen, festzumachen, wie bspw. die Musik am Notenbild. Der Produktionsprozess eines Filmes ist derart komplex, sowie sein Aufbau selbst, besteht er doch aus minutiös gearbeiteten vielen kurzen sekundenlangen Einstellungen, die vom Regisseur real aufgebaut werden, um anschließend mehrfach postproduced zu werden, dass es kaum möglich, ihn erschöpfend zu analysieren. Ein kleines Sequenzprotokoll als Anlage soll helfen, bestimmte Bilder für eine Analyse greifbar zu machen. Ebenfalls ratsam erschien mir, die Story kurz wieder zugeben, da sie sich doch etwas vom linear spielenden Plot unterscheidet. Des weiteren ergibt sich die Handlung nicht unbedingt aus Worten, sondern drückt sich durch viele verschiedene malerische Bilder aus, die man viel unmittelbarer wahrnimmt, als ein rational verständliches Wort, durch die „objekthafte Konkretheit“[2].
„Pasolini sagte, daß der Mensch sich hauptsächlich in seinem Handeln ausdrückt, weil unsere erste und reine Sprache unser Dasein ist, Realität in der Realität.“[3] Aus diesem Grund ist für Pasolini der Film auch das Medium, welches am geeignetsten erscheint, um Menschen zu erreichen, weil dieses Medium eine Art Realität erzeugt.
Aus diesem Grundgedanken ergibt sich auch seine Theorie vom „poetischen Kino“, das klassische Kino spreche durch Narration, sein neues, poetisches Kino arbeitet jedoch mit einer Aufwertung aller anderen filmischen Mittel und stellt nicht mehr die Narration hierarchisch über andere Ausdrucksmittel[4].
„Vier Gründe sind für den internationalen Erfolg dieses Films, [...] ausschlaggebend: Erstens die Hauptdarstellerin Maria Callas, die als Sängerin mit der Figur der Medea in der öffentlichen Wahrnehmung bereits seit längerer Zeit quasi zu einer Einheit verschmolzen war, zweitens die exzessive und schockierende Inszenierung von Gewalthandlungen, drittens die grandiosen Landschaftsbilder und viertens die umstrittene Persönlichkeit des Regisseurs, der [...] als enfant terrible immer wieder für Skandale in der Öffentlichkeit sorgte.“[5]
2 Die Story
Pasolini arbeitet zunächst mit zwei Erzählsträngen, in einem ist das Aufwachsen Jasons bei dem ihn unterrichtenden Zentaur Chiron zu sehen und im anderen die bereits erwachsene Medea in Kolchis bei einem Menschenopferungsritual. Beide Stränge werden zusammengeführt, als Jason in Kolchis landet, um das Goldene Vlies zur Wiedererlangung seines rechtmäßigen Thrones zu rauben und dabei flüchtig auf die Priesterin Medea trifft, die daraufhin das Vlies mit ihrem Bruder Absyrtos stiehlt. Um die Verfolger abzulenken, wird der Bruder geopfert und man flieht nach Thessalien, wo Pelias jedoch nicht bereit ist, den Thron freizugeben. Medea und Jason, nunmehr offiziell ein Paar begeben sich nach Korinth, wo schließlich eine Verlobung zwischen Jason und der Königstochter Glauke zu Stande kommt. Medea, die mittlerweile ausgestoßen am Rande der Stadt mit ihren beiden Söhnen lebt soll zum Schutze Glaukes und deren schlechtem Gewissen verbannt werden. Hieraufhin sinnt Medea auf Rache und täuscht ein Einverständnis mit allem, so wie die Übergabe eines Brautgeschenkes durch ihre Söhne vor, woraufhin Glauke sich, gefolgt von ihrem Vater, von einem Stadtsims stürzt. Schließlich tötet Medea ihre Kinder, steckt ihr Haus in Flammen und zeigt sich so ein letztes Mal ihrem Jason.
Mauro Ponzi entdeckt in der Zeichnung der Figuren einen radikal existenzialistischen Standpunkt. Den Figuren wohnt von Anfang an der Wille zur Selbstzerstörung inne[6], d. h.nicht allen, sondern den agierenden Hauptfiguren. Medea ist klar eine Außenseiterin, die durch falsche Hoffnungen und ihren Gefühlen für Jason ihre Welt verlässt, um nie wirklich in der anderen Welt mental anzukommen.
„Das Unbehagen des Individuums an der Moderne entspricht einem Identitätsverlust, dessen Ursache in jenen fehlenden Antworten [...] liegt.“[7] und Nietzsche-zitierend, den Pasolini vor den Dreharbeiten zu Medea intensiv rezipiert hatte, fährt er fort: „Das zu-Grunde-gehen präsentiert sich als ein Sich-zu-Grunde-richten, als ein instinktives Auslesen dessen, was zerstören muß.“[8]
Hierdurch scheint Medeas Schicksal schon besiegelt zu sein, noch bevor die eigentliche Handlung in Gang gesetzt ist. Als sie das erste Mal auf Jason trifft, fällt sie in Ohnmacht, übermannt von einer Ahnung des Schicksals. Diese Szene wird analog wiederholt, ein weiteres Mal verliert sie die Macht über sich und gleitet zu Boden, als sie ihre Rachepläne beschließen muss, denn im Grunde ist ihre Ohnmacht ein Symbol ihrer ohn-Macht gegen das Schicksal, das schon vor ihrer Flucht aus Kolchis ihr Scheitern bestimmt.
Auffällig an Pasolinis Fassung ist, dass auf magische, zauberhafte Darstellungen vollkommen verzichtet wird. Medea wird durch ihre Gewänder und Stellung beim Opferungsritual als Priesterin etabliert, der einzige Moment, wo sie als „übernatürliche“ Figur auftritt, ist als sie über glühende Steine läuft, dies jedoch unter Schmerzensschreien. Stark realistisch bleibt auch Glaukes Tod, da unklar bleibt, ob Glauke auf Grund ihres schlechten Gewissens, das Geschenk von Medea ist quasi der Tropfen auf den heißen Stein, oder eines Zauberbannes, einer Vergiftung etc. in den Tod springt. Durch diese durch und durch „bodenständige“ Darstellung, bzw. nicht-Darstellung von Zauberei, wirken mythische Figuren wie der Zentaur oder die Stimme des Sonnengottes so natürlich, so als seien sie völlig normale Bewohner der unterbreiteten mythischen Welt.
Auch verzichtet Pasolini darauf den Mord an Medeas Söhnen ausführlich zu zeigen, sondern beschränkt sich überraschenderweise auf das Zeigen einer Mutter, die liebevoll ihre Kinder zu Bett bringt, ein Mord ist nur wegen des blutigen Messers auf dem Fensterbrett zu erahnen.
Ein Großteil der Handlung wird nicht durch einen Text auf sprachlicher Ebene mitgeteilt, agieren die Schauspieler im Grunde kaum, sondern über Pasolinis eigenwillige Zeichensprache.
„Mehr als andere Kinofilme teilen sich die Pasolinis über die gezeigten Gesten und Gesichter mit, entwickeln ihre Handlung aus Zeichen mehr als aus Dialogen. Dabei ist die Abstrahierungs- und Differenzierungsleistung zu beachten, die darin besteht, dass Pasolini sich in keine der bestehenden Traditionen einfügt, sondern vielmehr ein eigenes Zeichensystem schafft.“[9]
Nach Schneider kopiert Pasolini weder die Bildsprache des italienischen Neorealismus, noch orientiert er sich am Alltagsgestus, sondern schafft vielmehr eine Synthese aus „unverfälscht“ agierenden Laiendarstellern[10] mit optisch stark aufgeladenen Symbolen, wie Figurenkonstellationen aus Gemälden des italienischen Manierismus oder bekannter Musik.[11]
Er bedient sich den Sujets seiner Epoche, in dem er die Armen, Verfolgten und Außenseiter aus den unteren Schichten darstellt und deren Misere thematisiert, doch wählt er hierzu eben keine für den italienischen Realismus typischen Ausdrucksmittel, sondern adaptiert sein Geschehen in eine zeitlose, mythische Welt, die es ihm gestattet, zentrale menschliche Konflikte als immer da gewesen zu charakterisieren und gleichzeitig eine scharfe Kritik am aufkeimenden Kapitalismus der 60-70er Jahre zu üben[12].
3 Gemalte Bilder
Pasolinis Film besticht aus heutiger Sicht nicht unbedingt durch seine überraschende Handlung oder den, wie von einem Schriftsteller zu erwartenden, ausladenden Dialogen, - ist Sprache doch eher sparsam verwendet - , sondern vielmehr durch die unglaubliche Dichte der Bilder, auf die es sich durch Ablegen jedweder Erwartung erst einmal einzulassen gilt.
„Ich kann mir kein Bild vorstellen, keine Landschaft, keine Figurenkomposition außerhalb dieser meiner ursprünglichen Leidenschaft für die Malerei... Und wenn das Dargestellte in Bewegung ist, ist dies gleichsam so, als ob das Objektiv über ein Bild schwenkt.“[13]
Und in der Tat, Pasolinis mythologische Filme sind in erster Linie visuell. Charakteristisch – und in den 60er Jahren völlig gegen die durch Hollywood-geprägten Konventionen – sind viele statisch-wirkende Landschafts-fangende Totalen oder extrem lange porträtartige Nahaufnahmen seiner meist ästhetisch sehr schönen Protagonisten.
2:22 Minuten dauert der Vorspann, der zugleich als eine Art „etablishing shot“ dient und doch im Grunde keine Orientierung schafft, sieht man nur eine auf- oder untergehende Sonne in einer kargen Landschaft und ist durch das Licht geblendet. Eine starke Gewichtung erhalten auch die Landschaftsaufnahmen in Weitaufnahme oder Totale, die Jasons Erziehung begleiten. Doch kaum irgendwo ist Umgebung so dominant wie bei der Darstellung Kolchis.
Die eigentliche Opferung beginnt bei 00:13:22, zu sehen ist eine Totale der Höhlenstadt, diesmal quasi ein echter etablishing shot. Im Folgenden wechseln sich nun immer wieder Totalen, die regungslose Stadtbewohner zeigen und Nah- und Großaufnahmen des zu opfernden Jünglings, sowie Absyrtos.[14] Das dargestellte Volk passt sich absolut harmonisch durch erdige Brauntöne oder beige Gewänder, mit wenig blau in der Landschaft ein. Die Bilder dauern durchschnittlich 5 Sekunden. 5 Sekunden, in denen im Bild kein erkennbarer Vorgang von statten geht. So ist zwischen 00:13:26-00:13:29 eine Schlange aus wartenden Menschen zu sehen, die sich nicht bewegt[15], was im Hollywoodfilm jener Zeit absolut undenkbar gewesen wäre.
In den Bildkompositionen fällt auf, dass häufig Menschen aus dem Bild laufen oder nicht ganz zu sehen sind, was für den klassischen Hollywoodfilm der 40-70er Jahre ebenfalls undenkbar gewesen wäre. In der Sequenz 00:17:27-00:17:35, nach der Tötung des Jünglings nimmt die wackelnde Kamera den point-of-view eines Menschen aus dem Volk ein, der eben nicht alles im Blick hat.[16]
Durch diese Zusammenstellung und die unruhige, wackelnde Kameraführung, die sich durch Starrheit, langsame Schwenks oder übermäßig vieler Roll-Bewegungen auszeichnet, erreicht er den Effekt einer besonders realistischen Darstellungsweise. Man hat als Betrachter den Eindruck, durch das „Auge“ der Kamera mitten unter den Handelnden zu stehen.
Pasolinis Montage-Prinzip könnte man als einen Wechsel zwischen Weit- oder Totalaufnahmen und Großaufnahmen bezeichnen, wodurch die Figur immer in ihrer Umwelt verankert erscheint.
[...]
[1] Jean Gebser, Ursprung und Gegenwart, S. 33.
[2] Pier Paolo Pasolini, Das Kino der Poesie, S. 51.
[3] Guiseppe Zigaina, Pasolini und der Tod, S. 90.
[4] Vgl. hierzu: Adelio Ferrero, Il cinema die Pier Paolo Pasolini, S. 83.
[5] Inge Stephan, Medea: multimediale Karriere einer mythologischen Figur, S. 212-213.
[6] Mauro Ponzi, Pier Paolo Pasolini, S. 11.
[7] Ebd.
[8] Ebd.
[9] Oliver Schneider, Der Poet als Semiologe, S. 217.
[10] Denn „[d]er professionelle Schauspieler bringt angelernte Gebärden aus der Schauspielschule mit: Sein Gesicht ist schon [...]bekannt. Hier sollte dagegen die Unvorhersehbarkeitder Existenz ein Stilkennzeichen werden [...]“ vgl. Enzo Siciliano, Pasolini, S. 290.
[11] Vgl. Oliver Schneider, Der Poet als Semiologe, S. 218.
[12] Vgl. hierzu: Inge Stephan, Medea: multimediale Karriere einer mythologischen Figur, S. 213.
[13] Guiseppe Zigaina, Pasolini und der Tod, S. 40.
[14] Vgl. Anhang: Sequenzprotokoll „Opferung“, S. 14-16. .
[15] Ebd., S. 14.
[16] Vgl. ebd., S. 17.
- Arbeit zitieren
- Sina Schmidt (Autor:in), 2008, Eine malerische Medea, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114753
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