Was die Briten auf dem Hauptland vergeblich versuchten, nämlich das Volk der Ureinwohner einfach zu liquidieren, das schafften sie auf Tasmanien in „nur“ 72 Jahren.
Man vermutet, dass bei Beginn der Kolonisation etwa 6000 Ureinwohner auf der Insel lebten. Durch die Insellage war ihr Leben abgeschieden und isoliert. Eigentlich sollen sie friedliche Menschen gewesen sein. Die Auseinandersetzungen mit einigen der frühen Besucher kann durchaus auf Missverständnissen beruhen. Das änderte sich aber mit der Kolonisation und mit den Niederlassungen der Walfänger an den Küsten. Für diese „Straitsmen“, die eben über die Bass Strait als Walfänger, Seehundjäger oder als Piraten ihrem Handwerk nachgingen, waren die Frauen der Ureinwohner willkommene Sklavinnen. Das sich das die Aborigines nicht gefallen ließen ist klar. Nur was konnten sie schon groß ausrichten? Und es dauerte ja nicht lange, bis mit Beginn der konzertierten Vernichtungszüge ein ganzes Volk im Visier hatte.
Tasmanien war bis 1816 eine Insel der Ausgestoßenen, eine abgeriegelte Strafkolonie, die vom Abschaum der britischen Armee bewacht wurde. In dieser Zeit wurden die Einheimischen von entflohenen oder bewaffnet ins Land entlassenen Sträflingen, sowie von Robbenjägern willkürlich erschossen, erschlagen, kastriert, verletzt, entführt und vergewaltigt. Kindern rissen die Barbaren bei lebendigem Leib die Köpfe ab. Kaum einen Europäer zog man für solche Schandtaten zur Rechenschaft. Besonders kritisch wurde die Lage für die Ureinwohner als die Briten wegen der Hungersnot 1806 die Sträflinge frei ließ. Regelrechte Bushranger Banden entstanden, die Schwarze oder Weiße mordeten.
Eine der wenigen menschlichen Stimmen in dieser Zeit verstummte leider schnell. 1810 versuchte Vize Gouverneur David Collins mit seinem Dekret, „ dass jeder, der nachweisbar einem Eingeborenen Gewalt angetan hat oder ihn kaltblütig ermordet hat beziehungsweise einen Mord veranlasst hat, so zu behandeln und bestrafen ist, als sei das vergehen an einer zivilisierten Person verübt worden.“
Wenige Wochen danach starb Collins. Seine Androhung der Todesstrafe für Morde an den Einheimischen blieb unbeachtet. Erst 1817 zerschlug der neue Vize Gouverneur William Sorell die mordenden Banden durch den gezielten Einsatz des Militärs.
Doch was nützte die „Verordnung zum Schutze der Einheimischen“, wenn London immer mehr Menschen nach Tasmanien brachte. 1825 lebten 6.800 Sträflinge und eben so viel Siedler in Tasmanien. 1830 waren unter den 23.000 Weißen 10 Tausend Sträflinge.
Die ursprüngliche Zahl der Aborigines von 4.000 bis 5.000 wurde auf etwa die Hälfte reduziert. Obwohl nachweislich schon 1803 die ersten Siedler eintrafen begann die zivile Besiedlung der Insel um 1816. Mit den über 1 Million Schafen wurde die Notwendigkeit nach Weiden eminent. Die Landübernahme bedingte, dass die Ureinwohner nicht mehr ihre traditionellen Wanderungen vom Landesinneren zur Küste durchführen konnten. Außerdem wurden ihre natürlichen Jagdgebiete jetzt als Weideflächen gebraucht. Das war der Beginn eines Guerillakrieg, in dem die Ureinwohner die weit auseinander liegenden Hütten der Schafhirten nutzten. Aus dem Hinterhalt töteten sie schon 1820 mit ihren auf 100 Meter ziemlich genau treffenden Speeren 13 Schafzüchter. Der „Black War“ (1820 bis 1834), ein Krieg zwischen Weißen und Ureinwohner, der 14 Jahre von beiden Seiten unerbittlich geführt wurde, begann eigentlich schon 1804. Soldaten des 102. Regimentes erschossen bei Risdon Cove ohne Grund, wahrscheinlich aus Angst, friedliche Ureinwohner, die eine Herde Kängurus vor sich hertrieben. Die Welle gegenseitiger unversöhnlicher Gewalt war eröffnet.
Die Antwort der Briten auf den Tod der Schafhirten: Für jeden getöteten Weißen mussten vier Ureinwohner sterben. So reduzierte sich deren Zahl innerhalb von fünf Jahren auf 1200. Da gab es zwar die Londoner Direktive von 1824, die Aborigines gut zu behandeln.
Aber weder Gouverneur Mc Arthur noch die Siedler kümmerte dies. Zumal in diesen fünf Jahren rund 20 Tausend Menschen aus Großbritannien nach Tasmanien kamen. Darunter 6000 freie Siedler, die Land brauchten. Am schlimmsten empfinde ich die Verlogenheit des veramten britischen Landadel, der zusammen mit dem Klerus Kultur und Moral nach Tasmanien bringen sollte. In Auslegung des Bibelwortes „bevölkerten sie Tasmanien und machten es sich untertan“. Darunter verstanden sie die Ausrottung der Ureinwohner im direkten Konflikt, durch Pogrome, durch Hinterhalt und sogar Falleisen.
Durch eine Hetzkampagne der Presse, die die Gräueltaten der Weißen verschwieg und einzelne Übergriffe der Aborigines hoch spielte, verhängte Vize Gouverneur Arthur 1828 das „Standrecht gegen die schwarzen Eingeborenen“. Mehr noch. Es wurden Kopfgelder ausgesetzt. Für jeden lebend gefangenen erwachsenen Eingeborenen fünf Pfund, für jedes Kind zwei Pfund.
Bis 1830 lebten im besiedelten Gebiet nur noch 1900 Aborigines. Doch die Siedler glaubten an eine unvergleichlich höhere Zahl noch lebender „Feinde. Über bewaffnete 2000 Siedler und 3000 Soldaten versuchten in einer Zangenbewegung, die „Operation Black Line“ genannt wurde, die restlichen Feinde aufzuspüren und zu töten. Im Abstand von drei Metern nebeneinander marschierend wollten die über 5000 „Krieger“ die Ureinwohner zur Forestier Halbinsel abzudrängen. Dies misslang gründlich. In zwei Monaten fing man einen Knaben und einen verwundeten älteren Mann.
Die „Befriedung“ des unzugänglichen Hinterlandes erfolgte anders. Per Annonce suchte die Regierung „eine zuverlässige Person mit gutem Charakter“, die mit dem unglücklichen Volk der Ureinwohner Kontakt aufnehmen sollte. Hiefür bewarb sich der Laienprediger George A. Robinson. Er versuchte durch Expeditionen rund um die Insel, die noch überlebenden Eingeborenen zu sammeln und zu missionieren. Er überredete die 150 überlebenden Ureinwohner schließlich zur Umsiedlung auf die Flinderinsel. Und die noch in den Bergen lebenden kleinen Restgruppen wurden von ihm, zum Teil mit Gewalt, aufgebracht. Auf der Insel Flinders Island wurde aus „Wilden“ eine „christliche Gemeinschaft“ gegründet. Die lernten jetzt, an den Gott der Kolonialmacht zu glauben, zu beten, sich „anständig“ zu kleiden und in einem Ghetto Dorf zu leben. Nicht alle Eingeborenen aus den Bergen ließen sich kampflos gefangen nehmen. Diese „renitenten“ und „nicht bekehrbaren“ Schwarzen kamen in die Strafkolonie Macquarie Harbour. Dort quälten sie die britischen Strafgefangenen derart, dass viele Selbstmord begingen. Andere mordeten mit Absicht, um nach zwei Wochen Einzelarrest hingerichtet zu werden. Und eine Epidemie erlöste viele von ihren Qualen. So lebten 1836 nur noch 240 Eingeborene auf Flinders Island.
„Die Geschichte kennt kein Beispiel, wo ein ganzes Volk durch eine so humane und nachsichtige Politik entfern worden ist“ sagte Robinson 1838 auf einem Vortrag in Sydney. Zu dieser Zeit lebten in seinem Ghetto Dorf noch 86 Tasmanier. Was diese Menschen wert waren? Davon zeugt, dass man 1839 viele Skelette wieder ausgrub und sie an Wissenschaftler verkaufte.
1847 lebten dort noch 47 abgestumpfte, dahin siechende Menschen, die man zurückkehren ließ in das Reservat Oyster Cove bei Hobart. Alkohol und Grippe waren die Haupttodesursachen. So waren es 1858 noch 15 und bald nur noch drei. Und um die entbrannte schon zu Lebzeiten ein Wettlauf der Wissenschaftler um deren Körper.
Es liest sich wie ein Horror Roman, was britische „Ärzte“ mit dem Leichnam von William Lanney, dem letzten männlichen tasmanischen Ureinwohner machten:
Vorsichtig skalpierte Doktor Crowther den Kopf des verstorbenen William Lanney und reichte den enthäuteten Schädel des Schwarzen wie verabredet durchs Fenster an einen Kumpan. Dann ging er in den benachbarten Sektionsraum, köpfte die Leiche eines Weißen, griff wieder zum Skalpiermesser, schnitt den Schädelknochen heraus und steckte ihn in die Kopfhaut des Schwarzen. Kurz nachdem Crowther das Krankenhaus verlassen hatte, betrat der Chirurg Doktor Stokell die pathologische Abteilung. Dort fand er Lanneys blutverschmierte Leiche "mit einem Schädel, der locker in der Haut rollte", wie er später vor einem Untersuchungsausschuss aussagte. Das geschah am Freitag, dem 4. März 1869, in Hobart, de Hauptstadt Tasmaniens.
Am Samstag kehrte Doktor Stokell ins Leichenhaus zurück und hackte dem toten Lanney Hände und Füße ab, und noch am selben Tag wurde die verstümmelte Leiche beerdigt. Doch schon am Abend begab sich der Chirurg zum Friedhof, um sie wieder auszugraben und auf einer Schubkarre wegzuschaffen. Am Montag danach, so berichtete Stokells Kollege Crowther nun seinerseits dem Untersuchungsausschuss, habe das Hinterzimmer der Pathologie ausgesehen wie ein Schlachthaus, überall Blut und Fett: Stokell hatte William Lanney auf sein Skelett reduziert.
Grund des makabren Zanks zwischen den beiden Ärzten war die Leiche des letzten männlichen tasmanischen Ureinwohners. Crowther arbeitete für das Royal College of Surgeons in London, das vor allem an dem Schädel interessiert war. Sein Widersacher Stokell stand im Dienst der Royal Society of Tasmania, die für ihr Museum in Hobart ein komplettes Skelett begehrte. Anthropologie und Ethnologie steckten in ihren Anfängen. Als sie sich als Wissenschaften etablierten, waren die Tasmanier…“
Die Ehefrau von William Lanney war Truganini, die am 8. Mai 1876, neun Jahr nach ihrem dritten Ehemann, in Hobart verstarb. Damit waren alle reinblütigen Tasmanier ausgerottet. Doch das bewegte Leben von Truganini ließ sich nicht verheimlichen. Mit 17 Jahren von Robbebjägern geraubt und vergewaltigt, Robinson bei den Gesprächen mit den Ureinwohnern geholfen, in NSW aus Robinsons „Obhut“ geflüchtet, Mitglied einer Mörderbande, begnadigt und wieder ins reservat nach Flinders Island geschickt. Und da sie immer mit einem roten Turban durch Hobart ging, Tabak liebte, auf die Jagd ging und nach Muscheln tauchte
Ihr einziger Wunsch auf dem Totenbett war, nicht zerschnitten zu werden. Das entsprach nicht dem Willen der Royal Society of Tasmania. Doch der Kolonialminister ließ sie heimlich am 11. Mai kurz vor Mitternacht beerdigen. Tausende Menschen, die am 12. Mai an den Straßen von Hobart standen, um sich von der letzten Tasmanierin zu verabschieden, warteten vergeblich.
Doch die Achtung vor dem letzten Willen einer Aborigine ist wohl nicht das Ding der Briten. 1878 wurde Truganini exhumiert. Das Skelett war bis 1947 im Museum der Royal Society in Hobart in einer Vitrine ausgestellt. Der zunehmende Widerstand unter der schwarzen und weißen Bevölkerung veranlasste die Regierung dann doch, einer Feuerbestattung am 30. April 1976 zuzustimmen. Die Asche der letzten echten Tasmanierin wurde kurz vor ihrem hundertsten Todestag von einem Schiff der Marine nahe Bruni Island, wo sie geboren wurde, ins Meer gestreut.
Damit endet die für die Briten unrühmlich Geschichte der Ureinwohner Tasmaniens.
Heute leben rund 4000 Nachfahren der Aborigines in Tasmanien und den Inseln der Bass Strait. Alle Ansprüche auf Landrückgabe, auf Entschädigung, auf die Rückgabe der heiligen und historischen Stätten wurden entweder nicht beantwortet oder mit dem Hinweis, dass die Antragsteller keine vollblütigen Aborigines sind, abgelehnt.
Dieter Tischendorf
www.the-apple-island.de
- Arbeit zitieren
- Dr. med. Dieter Tischendorf (Autor:in), 2007, Das Halali des weißen Mannes - Schicksal der letzten Tasmanier, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111068