Ziel dieser Arbeit war die Bestimmung des Zetapotentials von Calciumphosphaten, um Aussagen über die elektrostatische Stabilisierung der Partikel in flüssiger Phase und damit verbundener Prozesse, wie Agglomeration, Adsorption oder die rheologischen Eigenschaften von Pulversuspensionen machen zu können.
Für den Herstellungs- und Verarbeitungsprozess feinkörniger Calciumphosphat-Zementmischungen spielt das Zetapotential eine entscheidende Rolle. Die Mahlung der Edukte, beispielsweise DCPA, muss zur Erreichung hoher Endfeinheiten in flüssiger Phase erfolgen. Verwendung finden hierbei verschiedene Suspensionsmedien, wie Methanol, Ethanol oder Isopropanol. Suspensionsmedien, die zu einem hohen Zetapotential der Partikeloberfläche führen (Wasser, Alkohol/H3PO4), minimieren die Agglomeration der Partikel und führen zur gewünschten Spaltung von Partikeln und nicht von Agglomeraten. So kann DCPA in Wasser (Zetapotential -18.4mV) bis zu einer mittleren Korngröße von 0.6µm nach 24h aufgemahlen werden, während Isopropanol (Zetapotential -2.8mV) nur eine Endfeinheit von ca. 2µm der mittleren Korngröße ergibt.
Das Zetapotential spielt auch bei der anschließenden Verarbeitung der Zementpasten im Hinblick auf die rheologischen Eigenschaften eine große Rolle. Durch Modifikation der Zementpaste mit mehrwertigen Anionen, etwa Alkaliphosphaten, können hohe Potentiale der Partikeloberfläche im Bereich von -30mV bis -45mV eingestellt werden. Die Partikelaufladung führt zu einer verbesserten Dispergierung feiner Partikel und zu einer Viskositätsabnahme der Zementpaste analog zur Wirkung von Alkalicitraten. Auch die Modifikation der Zemente mit Antibiotika führt teilweise zu starken Änderungen des Zetapotentials. Bei Verwendung von Gentamicinsulfat ist sie sogar mit einer Ladungsumkehr der Partikeloberfläche verbunden. In nachfolgenden Untersuchungen konnte dieses Verhalten mit Änderungen der Abbindeeigenschaften der Zemente in Zusammenhang gebracht werden.
Die Bestimmung des Zetapotentials stellt somit einen nützlichen Parameter zur Abschätzung der Verarbeitungseigenschaften von Calciumphosphat-Pulversuspensionen dar. Durch Modifikation der flüssigen Phase mit Additiven kann Einfluss auf das Zetapotential genommen und so die rheologischen Eigenschaften der Suspension eingestellt werden, etwa um injizierbare Calciumphosphat-Zemente für eine minimal-invasive Applikation der Zementpaste herstellen zu können.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Problemstellung
2. Kenntnisstand und Grundlagen
2.1 Calciumphosphate
2.1.1 Calciumhydrogenphosphat-Anhydrid (DCPA)
2.1.2 Tricalciumphosphate (TCP)
2.1.3 Tetracalciumphosphat (TTCP)
2.1.4 Hydroxylapatit (HA)
2.2 Calcium-Phosphat-Zemente (CPC)
2.2.1 Hydroxylapatit (HA) bildende Calcium-Phosphat-Zemente (CPC)
2.2.2 Bruschit (DCPD) bildende Calcium-Phosphat-Zemente (CPC)
2.2.3 Reaktivitätssteigerung durch Mahlung/mechanische Aktivierung
2.3 Disperse Systeme
2.3.1 Allgemeines Suspensionsverhalten
2.3.2 Stabilität einer Suspension
2.4 Zetapotential
2.4.1 Das Schichtenmodell nach Stern, Helmholz und Gouy-Chapman
2.4.2 Potentialverlauf im Schichtenmodell bei der Elektrophorese
2.4.3 Mechanismen zur Zetapotentialerhöhung
2.5 Elektrokinetische Effekte
2.6 In vivo/vitro Untersuchungen
3. Material und Methode
3.1 Zetapotentialmessaperatur (Zetasizer 3000)
3.2 Messdurchführung
3.3 Calciumphosphate
3.4 Suspensionsmedien
3.5 Antibiotika und Albumin
4. Ergebnisse
4.1 Zetapotentiale in wässriger Phase
4.2 Zetapotentiale in organischen Medien
4.3 Zetapotentiale in Gemischen aus wässriger und organischer Phase
4.4 Zetapotentiale in wässriger Phase mit Pufferlösung
4.5 Einfluss von Additiven auf das Zetapotential in wässriger Phase
4.6 Reproduzierbarkeit der Methode
5. Diskussion
5.1 Zetapotentiale in organischen Medien
5.2 Zetapotentiale in wässriger Phase durch Zusatz von Additiven
6. Zusammenfassung
7. Literaturverzeichnis
8. Anhang
Abkürzungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung und Problemstellung
In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach synthetischen Knochenersatzstoffen vor dem Hintergrund der schonenderen und schnelleren Rekonstruktion von Gesichts- und Schädelpartien drastisch gestiegen 1 2 3. Körpereigene Knochensubstanz zu transplantieren ist wegen der guten Bioverträglichkeit derzeit die beste Möglichkeit zur Deckung eines Knochendefekts4. Da in der Regel eine Zweitoperation für die Entnahmestelle notwendig ist, aber auch eine begrenzte Verfügbarkeit des Knochens, sind die Bemühungen verständlich, den Kieferchirurgen verbesserte Ersatzfabrikate und optimierte Verarbeitungsmethoden anzubieten. Versuche mit nicht körper- eigenen Knochenersatzwerkstoffen, beispielsweise mit Polymethylmethacrylat (PMMA)-Zementen5 und Keramik-Formkörpern6, führten zwar zum Erfolg, jedoch nicht ohne erhebliche Nachteile für den Patienten. PMMA-Zemente bieten zwar eine hohe mechanische Druckfestigkeit, binden aber unter einer exothermen Reaktion ab. Das kann zu Nekrosenbildung des umliegenden Gewebes führen. Darüber hinaus sind die Zemente vom Körper nicht abbaubar. Vorgeformte Keramikkörper aus gesintertem Hydroxylapatit sind zwar biokompatibel und verbinden sich bindegewebsfrei mit dem Knochen, können jedoch nicht resorbiert, bzw. zu Knochen umgewandelt werden 7, 8. Die starren Körper stellen außerdem ein Problem bei der Anpassung an die Defektgröße dar. Als künstliche Zahnwurzel-Implantate ist ihr Einsatz aber gut vorstellbar9. Es wurde überlegt ein Material einzusetzen, das am Operationsort frei formbar ist und eine gute Bioverträglichkeit besitzt. Zemente auf Calciumphosphat-Basis besitzen diese Fähigkeiten und binden isotherm ohne Volumenänderung zu einer stabilen Zementmatrix ab10.
Seit der Beschreibung der ersten Zementformulierung aus Calciumphosphaten durch Chow und Brown 198611 wurden in den letzten Jahren viele verschiedene Zementtypen charakterisiert und auf ihre physikalischen und biologischen Eigenschaften untersucht. Beispiele dafür sind Pulvermischungen von Į-/ȕ-Tricalciumphosphat (TCP) mit Calciumcarbonat (CC) und primären Calcium-bis-dihydrogenphosphat (MCPA) 12 13 Tetracalciumphosphat mit Calciumhydrogenphosphat (Monetit, DCPA)14, bzw. mit Calciumhydrogen- Phosphat Dihydrat (Bruschit, DCPD)15. Bei einem Vergleich verschiedener Studien untereinander, ergibt sich trotz chemisch identischer Zusammensetzung der Calciumphosphat-Zemente (CPC) eine starke Schwankung der physikalischen Eigenschaften. Die Reaktivität der Zemente hängt hauptsächlich von der Lösungsrate der einzelnen Bestandteile ab. Diese wird in der Regel mit der Korngröße und somit über die spezifische Oberfläche eingestellt. Es ist daher besonders wichtig, eine gleich bleibende Größenverteilung und Durchmischung der Einzelbestandteile zu erreichen. Ergebnisse eigener Überlegungen und die Ergebnisse aus der Literatur lassen vermuten, dass das Zetapotential, das eng mit den Oberflächeneigenschaften verknüpft ist, mit der Reaktivität von Calciumphosphat-Partikeln in flüssiger Phase zusammenhängt. Zetapotential-änderungen von Materialien geben einen Anhaltspunkt über den Ionenaustausch zwischen der Hydratschicht um die Keramikpartikel und der Partikeloberfläche. Zetapotentialverläufe dienten auch dem Studium der Adsorption von Proteinen auf synthetischem HA16 und spielen bei der Wechselwirkung der Werkstoffe mit Wirkstoffen und deren kontrollierten Freisetzung eine Rolle. Antibiotika, wie zum Beispiel Amoxicillinhydrat, Gentamicinsulfat und Vancomycinhydrochlorid, sind solche Wirkstoffe und könnten mit Hilfe der Zemente direkt an den Ort des infektiösen Geschehens transportiert werden 17 18. Änderungen der Ladungs- Verhältnisse an den Oberflächen können aber das Verhalten der Zementpaste während der Aushärtung entscheidend beeinflussen und zu negativen Ergebnissen führen. Die Bestimmung der Oberflächeneigenschaft ist somit die zwingende Voraussetzung für die Weiterentwicklung von Calcium-Phosphat- Zementen (CPC).
Ziel der Untersuchungen war die Bestimmung der Oberflächenladung verschiedener Calciumphosphate in Wasser bzw. organischem Suspensionsmedium. Mit Hilfe einer Zetapotential-Messapparatur der Firma Malvern Industries sollte untersucht werden, inwieweit das zur verwendete Medium eine elektrostatische Stabilisierung der Partikel bewirkt, und somit die Agglomeratbildung vermindert. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, geeignete Lösungen für hochwertige Mahlungen bzw. Mischungen von Calciumphosphatpulvern zu ermitteln, um somit die PartikelgrößenVerteilung der CPC-Zementsysteme entsprechend zu optimieren. Daneben erfolgte eine Bestimmung der Wechselwirkung der Partikel mit Zusätzen, beispielsweise Natriumphosphaten, sowie mit pharmakologisch wirksamen Substanzen, wie Antibiotika, im Hinblick auf Adsorption der Wirkstoffe und Änderungen des Zetapotentials der Partikeloberfläche.
2. Kenntnisstand und Grundlagen
2.1 Calciumphosphate
Orthophosphorsäure H3PO4, eine dreibasige mittelstarke Säure, bildet den Ausgangsstoff für alle Ca-Phosphate. Sie bildet primäre (Dihydrogenphosphat), sekundäre (Hydrogenphosphat) und tertiäre Phosphate (Phosphat). Die Verbindungen mit Calcium lassen sich in unterschiedlichen molaren Ca/P-Verhältnissen differenzieren. Alle in der Tabelle 1 aufgeführten Calciumphosphatverbindungen, außer Fluorapatit, gehören zu dem Dreistoffsystem Ca(OH)2-H3PO4-H2O. Sie sind in der Reihenfolge ihres zunehmenden Ca/P-Verhältnisses und basischen Charakters geordnet. Eine genauere Übersicht über die physikalischen Eigenschaften der verschiedenen Verbindungen und ihrer Herstellung findet sich in der Literatur19.
Tabelle 1: Löslichkeitsprodukte (LP) und Ca/P-Verhältnisse diverser Calciumphosphate (*k.D.= keine Daten vorhanden)
Abbildung in 20 21 22 23 dieser Leseprobe nicht enthalten
2. Kenntnisstand
2.1.1 Calciumhydrogenphosphat-Anhydrid (DCPA)
Verwendung findet 24 25 DCPA (Monetit) hauptsächlich in der Medizin als Schleifmittel, als Calcium- und Phosphatzusatz26 in 27 Lebensmitteln und in Zahnpasten28. Es dient als Ausgangsmaterial zur Herstellung von Calciumphosphat-Zementen 29 30. Die Synthese erfolgt durch simultane Zugabe zweier wässriger Lösungen, bestehend aus Dinatriumhydrogen- /Kaliumdihydrogenphosphat und Calciumchlorid/Kaliumdihydrogenphosphat zu einer Kaliumdihydrogenphosphat-Lösung bei einem pH-Wert von 4-5 und einer Temperatur von über 100ºC innerhalb von 3 Stunden31. Eine andere Möglichkeit, DCPA herzustellen, beruht auf der thermischen Dehydration von DCPD (Bruschit) bei 180 ºC32.
2.1.2 Tricalciumphosphate (TCP)
Tricalciumphosphate haben ein Ca/P-Verhältnis von 1,5. Es werden 3 verschiedene Formen unterschieden: α-TCP, β-TCP und das Mineral Whitlockit. β-TCP kommt nicht in der Natur oder biologischem Gewebe vor. Nur die röntgendiffraktometrisch identische und magnesiumhaltige Verbindung Whitlockit wurde in Zahnstein, Blasensteinen und einigen Verkalkungen im Weichgewebe gefunden7. Da β-TCP nicht aus wässrigen Lösungen gefällt werden kann, erfolgt die Herstellung durch Sintern einer
DCPA/Calciumcarbonat-Mischung, im Mengenverhältnis 2:1, bei 1000ºC über die Dauer von 24h25.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
DCPA + CaCarbonat Æ TCP + Kohlendioxid + Wasser
Eine andere Möglichkeit der Herstellung bietet die Calcinierung von Calcium-
defizitärem Hydroxylapatit oberhalb 800ºC33.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
α-TCP kommt als thermodynamisch instabile Phase ebenfalls in biologischen Calcifizierungen nicht vor und kann nur durch Erhitzen von β-TCP hergestellt werden34. Bei 1125ºC erfolgt die Umwandlung in α-TCP, welche eine metastabile Hochtemperaturphase der Tricalciumphosphate bei Raum- Temperatur darstellt. TCP wird neben der Herstellung von Calciumphosphat- Zementen29auch in der Industrie zur Herstellung von Tierfutterzusätzen und als Düngemittel verwendet28
2.1.3 Tetracalciumphosphat (TTCP)
TTCP ist das basischste Calciumorthophosphat, wobei es die einzige Verbindung ist, die ein höheres Ca/P Verhältnis als Hydroxylapatit aufweist (Tabelle 1). Es kann wie TCP nicht aus Wasser gefällt werden, sondern wird durch eine Festkörperreaktion von Calciumcarbonat und Calciumhydrogenphosphat, in äquimolarer Mischung, oberhalb von 1300ºC hergestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Reaktion muss in trockener Luft, oder in einer Stickstoff-Atmosphäre erfolgen, weil TTCP in Gegenwart von Wasser instabil ist und durch eine langsame Hydrolyse zu Hydroxylapatit und Calciumoxid zerfällt19.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wichtig ist außerdem eine schnelle Abkühlung bei der Herstellung, da sich ansonsten TTCP in α-TCP bzw. Hydroxylapatit umwandelt35.
2.1.4 Hydroxylapatit (HA)
Hydroxylapatit (HA, Ca5(PO4)3OH) ist von allen Calciumphosphaten unter physiologischen Bedingungen die am wenigsten lösliche und somit auch die stabilste Verbindung36. Eine Synthese kann durch mehrtägiges Erhitzen einer stöchiometrischen Calcium- und Phosphatlösung mit einem pH-Wert>9, auf 100ºC in CO2-freier Atmosphäre erfolgen33. Durch eine Festkörperreaktion mit CaO oder CaCO3 und einem Calciumphosphat, wie z.B. OCP, DCPA (Gleichung 5) & DCPD entsteht bei einer Temperatur oberhalb 1200ºC und äquimolarer Atmosphäre aus Wasserdampf und Stickstoff ein mikrokristallines HA33. Einkristalle werden durch Hydrothermal- synthese erhalten19. Auch eine Synthese unter Ausschluss von Wasser ist in Ethanol über den Sol-Gel-Prozess ausgehend von Ca(OEt)2 und H3PO4 möglich 37, 38. Reines stöchiometrisches Hydroxylapatit kommt in der Natur nicht vor, ist aber dem biologischen Apatit in Knochen und Zähnen sehr ähnlich. Deswegen wird es relativ häufig als biologisch aktive Oberflächenbeschichtung auf chirurgischen und zahnmedizinischen Implantaten eingesetzt 39. Der biologische HA weicht von der idealen Stöchiometrie ab und hat eine nanokristalline Struktur, wobei andere Bestandteile, wie Flourid-, Natrium-, Magnesium- und Chloridionen im Austausch gegen Ca2 +- und PO43--Ionen eingelagert sein können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2 Calcium-Phosphat-Zemente (CPC)
Calcium-Phosphat-Zemente bestehen aus einer oder mehreren Pulverkomponenten verschiedener Calciumorthophosphate, die in wässriger Phase zu einem Zement abbinden. Unterschieden werden muss je nach dem Endprodukt der Abbindereaktion zwischen zwei verschiedenen Zementtypen. Die Art des Endprodukts hängt maßgeblich vom pH-Wert der Zementpaste ab. Oberhalb eines pH-Wertes von 4.2 bildet sich Hydroxylapatit (HA) aus. Wenn durch saure Zusätze, wie z.B. primäre Calcium-Phosphate oder Phosphorsäure, der pH-Wert kleiner als 4.2 eingestellt wird, bildet sich Bruschit (DCPD) aus40.
Nach Mischung der Edukte in einer wässrigen Lösung bildet sich eine an Calcium und Phosphat übersättigte Phase aus. Bei dem anschließenden Fällungsprozess ist das unterschiedliche Löslichkeitsprodukt (LP) von Zement- Reaktanden und dem Reaktionsprodukt, die treibende Kraft für die Abbindereaktion von Calcium-Phosphat-Zementen40. Je nach Temperatur und pH-Wert verändert sich das Löslichkeitsprodukt. Die Darstellung der Veränderung des Löslichkeitsprodukts als Kurve, in Abhängigkeit des pH-Wertes bei konstanter Temperatur, wird als Löslichkeits-Isotherme bezeichnet. Beim Vergleich der Löslichkeits-Isothermen verschiedener Calcium- Phosphate bei einer Temperatur von 37ºC miteinander (Abbildung 1), kann festgestellt werden, dass Hydroxylapatit oberhalb eines pH-Wertes von 4.2 das thermodynamisch stabilste Calciumphosphat darstellt. Dies führt auch dazu, dass sich andere Calcium-Phosphat-Salze lösen und als HA geringer Kristallinität ausfallen29. Außerdem erklärt dies auch, warum Hydroxylapatit der Hauptbestandteil des tierischen und menschlichen Hartgewebes ist40. Unterhalb eines pH-Wertes von 4.2 ist Calciumhydrogenphosphat (DCPA) das am geringsten lösliche Calciumphosphat. Da DCPA aber in sauren Zementen nur eine sehr geringe Kristallbildungsrate aufweist, bildet sich daher das Dihydrat DCPD (Bruschit). In der Literatur gibt es zahlreiche Artikel über die verschiedenen Arten der Zusammensetzung von Zementsystemen und deren Eigenschaften 41
Die Reaktivität und die Reaktionsgeschwindigkeit der Calciumphosphate sind von mehreren Faktoren abhängig. Zum einem bestimmt das Löslichkeitsprodukt bzw. die Löslichkeits-Isotherme den Grad der Übersättigung der wässrigen Lösung, und somit auch die Richtung der Reaktion. Zum anderen ist die Reaktionsgeschwindigkeit, bzw. Abbindegeschwindigkeit, von der Lösungsrate der Zementedukte und der Kristallwachstumsrate der Produkte abhängig. Der Grad der Übersättigung muss daher ein Mehrfaches des Löslichkeitsprodukts des Reaktionsprodukts betragen, um eine Aushärtung des Zementes zu bewirken. Mischungen aus TTCP + OCP, α-TCP oder β-TCP ergeben in wässriger Lösung z.B. keinen abbindungsfähigen Zement, da ihre Löslichkeits- Isotherme am singulären Punkt einen zu geringen Abstand zu der Isotherme des Reaktionsprodukts Hydroxylapatit haben40. Die Lösungsrate wiederum ist von der spezifischen Oberfläche der Partikel abhängig und kann über die Partikelgrößenverteilung mittels Mahlung in flüssiger oder fester Phase eingestellt, bzw. optimiert werden 42 43
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Berechnete Löslichkeitsisothermen einiger Calciumphosphate in Abhängigkeit des pH-Werts der Lösung bei 37ºC44
2.2.1 Hydroxylapatit (HA) bildende Calcium-Phosphat-Zemente (CPC)
Die Chemie der Abbindereaktion ist trotz verschiedener Zusammensetzungen der Pulvermischungen miteinander vergleichbar, wobei bisherige Untersuchungen zeigen, dass TTCP-DCPA Mischungen nach Gleichung 6 am erfolgsversprechendsten sind und deshalb im Folgenden näher besprochen werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es zeigte sich, dass diese Mischung in der Lage war, in einer relativ kurzen Abbindezeit ein Zement mit hoher mechanischer Festigkeit zu erzeugen. Als Reaktionsprodukt entsteht nahezu reines Hydroxylapatit ohne Bildung von sauren oder basischen Nebenprodukten45. Diese Tatsache, und dass die flüssige Phase am singulären Punkt einen pH-Wert im physiologischen Bereich hat (7,5-8,0), führt zu der guten Biokompatibilität dieses Werkstoffes. Bei Überschuss beider Komponenten ist die Umsetzung zu HA bei einer Temperatur von 37ºC innerhalb von vier Stunden abgeschlossen46. Während dieser Zeit bleibt die Geschwindigkeit der Abbindereaktion konstant, was darauf schließen lässt, dass die Geschwindigkeit nicht mit der Menge der Edukte und der im Prozess entstehenden Produkte im Zusammenhang steht 47. Die Löslichkeitsprodukte beider Zementbestandteile sind zwar am singulären Punkt gleich, aber die Lösungsraten sind verschieden. Um eine gleichgroße Lösungsrate beider zu erhalten, muss die Partikelgröße bzw. die spezifische Oberfläche von TTCP und DCPA durch Mahlung so angepasst werden, das ein Partikelgrößenverhältnis von etwa 10:1 erreicht wird48. Üblicherweise werden deshalb mittlere Teilchengrößen von 10-20 ȝm bei TTCP und 1-2 ȝm bei DCPA verwendet. Entsprechend ihrem Massenverhältnis von 72,9 % TTCP und 27,1 % DCPA werden sie äquimolar vermischt und unter Feuchtigkeitsausschluss gelagert. Durch Zugabe von Wasser, welches in dieser Reaktion nur ein Transportmedium ist (wird nicht verbraucht), bindet der Zement. Da die Bildungsrate von Hydroxylapatit in wässriger Lösung aber für die Anwendung viel zu gering ist (2.7 x 10-7mol Ca5 (PO4) 3OH min-1m-249 ), kann durch Zugabe von Alkaliphosphaten oder Phosphorsäure die Abbindezeit auf wenige Minuten verkürzt werden 50 51. Durch Zugabe von 0,25 molarer Natriumphosphatlösung kann z.B. die Reaktion auf 5-8 min beschleunigt werden52. Nach 24h Aushärtung ohne Trocknung, erreichen die Zemente je nach Prüfmethode Druckfestigkeiten zwischen 40-60 Mpa und Zugfestigkeiten zwischen 8-10 Mpa. Neben den mehrkomponentigen Zementsystemen ist auch ein einkomponentiges Zementsystem durch Hydrolyse von α-TCP möglich. Es entsteht dabei ein calciumarmes Hydroxylapatit mit einem Calcium / Phosphat Verhältnis von 1.5 (Gleichung 7)53.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Hydroxylapatit, als Endprodukt, kommt in vivo zu etwa 60-70% im Knochen und zu 98 % im Zahnschmelz vor54. Aufgrund der Tatsache, dass Calciumphosphatzemente eine direkte Verbindung mit Knochen ausbilden können55, finden die Zemente Anwendung in der Medizin bei der Wiederherstellung von Knochengewebe im nicht tragendem craniofacialen Bereich bis zu einer Größe von 25 cm23, Rekonstruktion der Gehörknöchelchenkette in der Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie3 und in der Augmentation von zahnärztlichen Implantaten, regenerativen Parodontaldefekten56 und zur Wurzelkanalfüllung57.
2.2.2 Bruschit (DCPD) bildende Calcium-Phosphat-Zemente (CPC)
Durch den Zusatz von sauren Calciumphosphaten oder Phosphorsäure zu den Zementpasten bis zu einem pH-Wert < 4.2 bildet sich als Endprodukt Bruschit aus 58 59. Die Reaktionen werden in Gleichung 8 und 9 dargestellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bruschit besitzt gegenüber Hydroxylapatit ein sehr schnelles Kristallwachstum und die Zemente reagieren zum Teil sehr schnell und heftig innerhalb von Sekunden ab. Zusätze, wie Pyrophosphat-, Sulfat- oder Citrationen bieten die Möglichkeit, die Abbindereaktion zu verzögern und klinisch akzeptable Abbindezeiten von 3-8 min, zu erreichen60. Wie bei den HA bildenden Zementen ist auch hier die Reaktionsgeschwindigkeit abhängig von der Lösungsrate, was die Möglichkeit bringt, die Geschwindigkeit über die spezifische Oberfläche zu minimieren, beispielsweise durch Granulation der Pulver61. Ein weiterer Unterschied zu den HA bildenden Zementen besteht darin, das Bruschit unter physiologischen Bedingungen löslich ist und damit rein chemisch resorbierbar ist. Das Bruschit löst sich also entweder durch Hydrolyse in wässriger Phase auf oder zeigt eine Phasenumwandlung zum thermodynamisch stabileren Hydroxylapatit62. Untersuchungen zeigten, dass bei täglichem Auswechseln der Flüssigkeit, wie es in vitro vorkommt, ein Masseverlust von etwa 60-70% nach 28 Tagen erreicht wird63.
2.2.3 Reaktivitätssteigerung durch Mahlung/mechanische Aktivierung
Das Abbindeverhalten der Calciumphosphat-Zemente wird von der Vorbehandlung der Zementpulver beeinflusst, wobei die Mahlung der Pulver in flüssiger oder fester Phase das geeignete Verfahren für die Einstellung der Korngröße und Reaktivität darstellt. Das Mahlen der Partikel führt zu einer Oberflächenvergrößerung und somit auch zu einer höheren Löslichkeitsrate. Das Löslichkeitsprodukt bleibt dabei aber zunächst so gut wie unverändert. Werden die Pulver aber über einen längeren Zeitraum gemahlen, verändert sich auch die thermodynamische Löslichkeit (Löslichkeitsprodukt). Es kommt zu einer plastischen Verformung der Partikel mit Veränderung der Kristallinität durch Gefügedefekte bis hin zu einer Phasenumwandlung in einen amorphen Zustand. Des Weiteren findet eine mechanische Aktivierung statt, die eine starke Zunahme der Bildungsenthalpie ΔH bewirkt und durch differentielle Thermokalorimetrie und Thermogravimetrie nachgewiesen werden kann44. Ein einphasiges kristallines β-TCP Pulver zeigt wegen seiner thermodynamischen Stabilität unter einer normalen physiologischen Temperatur keine Hydrolyse und Umwandlung zu calciumarmen Hydroxylapatit (CDHA)40. Durch Kugelmahlung in Ethanol über einen Zeitraum von 24h kann eine mechanische Aktivierung des β-TCP und eine teilweise Phasenumwandlung in den amorphen Zustand erfolgen. Dies führte dazu, dass die Zementpaste innerhalb klinisch akzeptabler Zeiten (5-6 min) zu calciumarmem Hydroxylapatit abbindet64 65.
2.3 Disperse Systeme
Bei einem dispersen System liegt ein zwei- bzw. mehrphasiges System vor, in dem eine zusammenhängende Phase (Dispersionsmittel, z.B. Lösungsmittel) ein gewisse Menge an einer weiteren Phase (Dispergent, Disperse Phase, z.B. Tropfen, Partikeln, Blasen) enthält. Eine Einteilung der dispersen Systeme kann nach der Größe der dispergierten Phase, dem Phasenzustand und nach dem Anteil der dispersen Phase am Gesamtsystem erfolgen66:
- Größe der dispergierten Phase
-moleküldispers (z.B. Lösungen) kolloiddispers (z.B. Cremes) feindispers
-grobdispers
- Phasenzustand in
- Fest-Flüssig-Systeme (z.B. Suspensionen)
- Flüssig-Flüssig-Systeme (z.B. Emulsionen)
- Flüssig-Gas-Systeme (z.B. Schäume, Aerosole) Gas-Feststoff-Systeme (z.B. Schüttungen)
- Anteil der dispersen Phase am Gesamtsystem dünne Systeme
-konzentrierte Systeme
-hochkonzentrierte Systeme
In dieser Arbeit stehen jedoch Suspensionen (Flüssigkeit + Feststoff) im Vordergrund, weshalb auf diese im Folgenden näher eingegangen wird.
2.3.1 Allgemeines Suspensionsverhalten
Unter einer Suspension wird eine Verteilung von Partikeln in einer Flüssigkeit verstanden. Erfolgt diese Verteilung homogen, kann die Suspension makroskopisch gesehen als Kontinuum betrachtet werden67. Die Suspension als System betrachtet, liegt phasentheoretisch zwischen den beiden Grenzfällen Feststoff und Flüssigkeit. Dies lässt sich an Hand des Verhaltens unter Deformation beweisen. Die Suspension zeigt sowohl das visköse Verhalten eines Liquids, wie auch das plastisch-elastische Verhalten eines Feststoffes. Je nach Volumenanteil des Feststoffes am Gesamtsystem überwiegt das jeweilige Verhalten. Abbildung 2 zeigt systematisch die Veränderung der Viskosität bzw. der Schubspannung bei Zugabe von Feststoffpartikeln. Zunächst steigt diese linear mit dem Feststoffgehalt durch die Störwirkung der Feststoffpartikel auf das Strömungsprofil des Liquids und der damit verbundenen erhöhten Dissipation. Bei dem anschließenden überlinearen Anstieg der Viskosität spielen Mehrteilcheneffekte eine Rolle. Das Fluidpartikel wird durch die Anwesenheit mehrerer Feststoffpartikel so in seiner Fließbewegung gestört, dass im Vergleich zum Einzelpartikel eine erhöhte Dissipation erfolgt. Des Weiteren spielen hier auch so genannte interpartikuläre Wechselwirkungen eine entscheidende Rolle. Durch anziehende oder abstoßende Kräfte verändern diese die Systeme so, dass bei einer Deformation ein erhöhter Kraftaufwand benötigt wird.
Abbildung 2: Veränderung der Viskosität bzw. der Schubspannung bei Zugabe von Feststoffpartikeln66
2.3.2 Stabilität einer Suspension
Unter Stabilität wird der Widerstand einer Suspension gegen die Entmischung von Feststoff- und Liquidphase verstanden. Feldkräfte wie z.B. die Gravitation und die Van-der-Waals-Kräfte sind die Ursache für dieses Verhalten. Besteht ein Dichteunterschied zwischen Feststoff und Fluid, kommt es durch Sedimentation zur Bildung eines feststofffreien Überstandes und eines Sedimentes mit maximaler Packungsdichte. Die Geschwindigkeit ist dabei von verschiedenen Parametern abhängig. Geringe Dichteunterschiede, kleine Partikelgrößen, hohe Feststoffvolumengehalte und hohe Dispersionsmittel- Viskositäten behindern den Sedimentationsvorgang und wirken somit stabilisierend auf die Suspension67. Einen stabilisierenden Effekt haben darüber hinaus abstoßende Kräfte zwischen den Partikeln. Dabei muss zwischen der elektrostatischen und der sterischen Stabilisierung unterschieden werden. Alle Partikel besitzen Ladungen auf ihrer Oberfläche, und in einem polaren Medium entstehen dadurch elektrostatische Abstoßungskräfte. Es bilden sich über den Partikeloberflächen Grenzflächensysteme (Doppelschichten) heraus (siehe Kapitel 2.4), die bei einer Überlappung zu einer abstoßenden Wirkung führen. Die DLVO-Therorie beschreibt die Stabilität der Suspension durch den Einfluss von abstoßenden und anziehenden Kräften. Entwickelt wurde sie 1941-48 zeitgleich von Derjaguin und Landau68, und von Verwey und Overbeek69. Diese Theorie basiert auf der Annahme, dass Partikel in einem polaren Medium mit einem elektrischen Doppelschicht- Potential (VDS) durch Addition des attraktiven Van-der-Waals-Potentials (VvdW) ein resultierendes Totalpotential (Vtot) ergeben (Gleichung 10).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Van-der-Waals-Kraft zwischen 2 gleich großen kugelförmigen Partikeln wird nach Gleichung 11 berechnet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Van-der-Waals-Kraft kann bei den jeweiligen verwendeten Materialen mit einem bestimmten Radius als konstant angesehen werden. Die Dicke der elektrischen Doppelschicht stellt somit ein Maß für die Stabilität dar. Die Dicke der diffusen Schicht ist gleich dem reziproken Wert des Debye-Hücke- Parameters - κ (Gleichung 12) und lässt sich somit über diesen berechnen 70 6771 (Gleichung 13)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch graphische Auswertung des Totalpotentials kann auf die Stabilität der Suspension geschlossen werden. Dies wird im Näheren an einem Beispiel erklärt (Abbildung 3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Gesamtwechselwirkungskurve VT durch Überlagerung der elektrostatischen Abstoßung VR, der Van-der-Waals-Anziehung VA und der Born’schen-Abstoßung VB71.
Die Überlagerung der elektrostatischen Abstoßung VR, der Van-der-Waals- Anziehung VA und der Born’schen-Abstoßung VB ergibt eine Gesamt- Wechselwirkungskurve VT. Ausgehend von links nach rechts, bildet sich zuerst ein primäres Minimum aus. Dieses Minimum wird durch die Born’sche Abstoßung hervorgerufen und beschreibt den Energieaufwand, der aufgebracht werden muss, um die Hydrathülle der äußeren Helmholz-Schicht zu entfernen (siehe 2.4.1)70. Des Weiteren bildet sich ein primäres Maximum aus, welches eine Energiebarriere Vm für sich annähernde Teilchen darstellt. Je größer diese Barriere ist, desto stabiler ist die Suspension und desto mehr Energie muss ein Teilchen aufwenden, um diese zu durchbrechen. Partikel, die sich zwischen dem prim. Minimum und Maximum befinden, agglomerieren und können trotz hoher kinetischer Energie nicht mehr redispergiert werden (irreversible Agglomeration)71. Je nach der Größe der elektrischen Abstoßung kann es in einem größeren Abstand zum Überwiegen der Van-der-Waals-Kräfte kommen und es bildet sich ein sekundäres Minimum aus. Teilchen, die in diesem Bereich agglomeriert sind, können durch Zuführung geringer Mengen an kinetischer Energie wieder dispergiert werden. Diese agglomerierten Suspensionen werden auch als kinetisch stabil bezeichnet72. In unpolaren, aber auch polaren Medien können die Partikel auch sterisch stabilisiert werden. Durch Anheftung von Makromolekülen über kovalente Bindungen an der Oberfläche, kommt es bei Annäherung zur Durchdringung der Ketten bzw. zu deren Stauchung. Folge ist eine Abstoßungswirkung, bzw. können die Van-der-Waals-Kräfte aufgrund des größeren Abstandes nicht mehr auf die Teilchen einwirken. Wie im obigen Beispiel sichtbar ist, hängt die Stabilität einer Suspension hauptsächlich von dem Potential, bzw. der Dicke der Doppelschicht ab. Durch Zugabe von Tensiden bzw. Polyelektrolyten (Peptisatoren) kann ein Oberflächenpotential erzeugt, bzw. verstärkt werden73. Diese Stoffe adsorbieren auf der Oberfläche und sorgen mit ihren geladenen Kopfgruppen für eine Ladung der Partikel. Genau dieser Effekt wird auch bei einem Waschvorgang ausgenutzt. Da eine direkte Messung der Potentialdifferenz zwischen Partikeloberfläche und neutralem Raum nicht möglich ist, beschränkt man sich auf das so genannte Zetapotential, das elektrokinetischen Messungen zugänglich ist.
2.4 Zetapotential
2.4.1 Das Schichtenmodell nach Stern, Helmholz und Gouy-Chapman
Helmholtz postuliert als erster ein relativ einfaches Modell, bei dem die Doppelschicht analog eines Plattenkondensators angesehen wird74. Dieser imaginäre Plattenkondensator besteht aus zwei ebenen Schichten entgegengesetzter Ladungen, die dem Prinzip der Elektroneutralität gehorchen (Abbildung 4a). Das heißt, jede positive Ladung wird von einer gleichen Zahl negativer Ladung kompensiert. Es existiert in diesem Modell nur eine starre Schicht. Die Differenzen zwischen den berechneten und experimentell bestimmten Differentialkapazitätswerten führten zu dem Modell nach Chapman und Gouy 75 76 77 da das Helmholtz-Modell bezüglich der Temperatur nur am
absoluten Nullpunkt oder bei sehr hohen Elektrolytkonzentrationen real sein kann. Chapman und Gouy gingen von einer diffusen Wolke von Gegenionen aus, welche die Oberflächenladung im Raum gegen unendlich neutralisiert (Abbildung 4b). Tatsächlich kommt es bei Raumtemperatur unter dem Einfluss der thermischen Bewegung der Ladungsträger zu dem Bestreben der Ladungen, sich gleichmäßig über die gesamte Grenzphase hin zur angrenzenden Volumenphase zu verteilen. Dies hat zur Folge, dass im starren Kondensator Ladungslücken entstehen. Auf diese Weise baut sich, ausgehend von der Grenzschicht, in Richtung der Elektrolytvolumenphase eine Raumladungswolke auf. Diese hat die Struktur einer diffusen Wolke. Das Modell, dass nur eine rein diffuse Schicht existiert, könnte für elektrolytfreies Wasser zutreffen, aber nicht bei elektrolythaltigem Wasser. Außerdem muss der Raumbedarf der Teilchen mit berücksichtigt werden. Stern kombinierte deshalb die Modelle von Helmholtz und Gouy-Chapman miteinander (Abbildung 4c)78.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: die 3 verschiedenen Modelle nach Helmholtz, Gouy-Chapman & Stern67
Auf Grund von Van-der-Waals-Kräften und deren Natur, in geringeren Abständen über die elektrischen Kräfte zu dominieren, werden in der Regel negative Ionen von den Teilchen adsorbiert. Bei diesem Vorgang verlieren die Ionen ihre Hydrathülle. Diese erste Adsorptionsschicht besteht also aus fixierten und dehydratisierten negativen Ionen und wird als innere Helmholtz-Schicht bezeichnet. Auf dieser Schicht lagern sich auf Grund von elektrostatischen Kräften positive Ionen auf. Diese Ionen sind ebenfalls fixiert, aber besitzen noch ihre Hydrathülle, da bei dem vergrößerten Abstand die Van-der-Waals-Kräfte nicht mehr so stark ausgeprägt sind, um die Hydrathülle zu verlieren. Diese zweite Schicht ist die so genannte äußere Helmholtz-Schicht. Beide zusammen werden auch als Sternschicht oder Stern’sche Doppelschicht bezeichnet, was dem Prinzip des Helmholtz-Plattenkondensators entspricht74. Die positiven Ionen besitzen durch die Hydrathülle einen größeren Raumbedarf als die adsorbierten negativen Ionen der innern Helmholtz-Schicht und kompensieren daher nicht vollständig diese Ladungen. Die restlichen negativen Ladungen auf der Teilchenoberfläche und der Ladungsüberschuss in der inneren Helmholtz- Schicht werden durch eine diffuse „Wolke“ aus negativen und positiven Ionen kompensiert. Diese Schicht ist als diffuse Schicht, aber auch Gouy-Schicht oder auch Gouy-Chapman-Schicht bekannt 7577. Die positiven Gegen-Ionen sind in der Nähe der Teilchenoberfläche sehr stark konzentriert und nehmen mit zunehmendem Abstand ǻd von der Teilchenoberfläche exponentiell ab. Die Ionenverteilung wird nach dem Boltzmann-Faktor bestimmt, der das Verhältnis zwischen elektrostatischer Energie und thermischer Energie kT eines Ions beschreibt79. Mit folgender Gleichung lässt sich somit die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins eines positiven Ions n+/n in einem bestimmten Abstand berechnen.
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- Arbeit zitieren
- Dr. Kai-Uwe Schimmang (Autor:in), 2006, Bestimmung des Zetapotentials von Calcium-Phosphat-Partikeln in wässriger und organischer Phase, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64331
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