Pluralismus und das Fremde

Der Stimulus des radikalen Fremden


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Fremde und das Eigene
2.1 In der Historie
2.2 In der Moderne
2.3 Der Anspruch des Fremden
2.4 Das Antworten auf den Anspruch des Fremden

3 Der Glaube an eine transzendente Wirklichkeit
3.1 Der Begriff der transzendenten Wirklichkeit
3.2 Die höchste Wirklichkeit und das Heil des Menschen
3.3 Die Unbegreiflichkeit der transzendenten Wirklichkeit
3.4 Die Konsequenzen

4 Die Offenbarung und religiöse Erfahrung
4.1 Die religiöse Rede über Gott
4.2 Die Erfahrung der Offenbarung
4.3 Jesus als Heilsmittler
4.4 Inkarnation als Grundzug göttlicher Immanenz
4.5 Die Möglichkeit zur wechselseitigen Bereicherung

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Durch den kürzlich entfachten Streit, um die Mohammed-Karikaturen wurde der westlichen, von der Aufklärung geprägten Gesellschaft erneut vor Augen geführt, mit welcher Brisanz das Thema Religion in das 21. Jahrhundert hineindrängt. In einer Zeit, in der nicht gerade wenige Menschen Gott bereits für tot erklärt haben[1], sollte der von Papst Johannes Paul II. in Assisi begonnene interreligiöse Dialog mit derselbigen Intensität weitergeführt werden, mit der er seinerzeit begonnen hat. Denn auch nach dem Ableben des Papstes besteht der innige Wunsch der Menschheit immer noch darin, in Frieden miteinander leben zu können. Insoweit sollte es das Bestreben aller Religionen sein, den interreligiösen Dialog zur höchsten Priorität avancieren zu lassen, denn wie Jonathan Sacks treffend formulierte: Wenn die Religionen nicht Teil der Lösung unserer Probleme werden, dann werden sie zweifellos ein Teil dieser Probleme sein.[2]

Um der Forderung nach Frieden gerecht zu werden und in der religiösen Vielfalt kein zu überwindendes Übel, „sondern eine Chance zur wechselseitigen Bereicherung und zum gemeinsamen spirituellen Wachstum“[3] zu sehen, bedarf es schlussendlich einer pluralistischen Sichtweise. Augenscheinlich ist lediglich der Pluralismus zu einer genuinen Wertschätzung religiöser Vielfalt in der Lage[4], denn er vermag, bezogen auf das Christentum, „die anderen Religionen sowohl in dem zu würdigen, was sie mit dem Christentum gemeinsam haben, als auch in ihrer vom Christentum verschiedenen, je eigenen Gestalt.“[5]

Die Aufgabe dieser Seminararbeit besteht darin, aufzuzeigen, dass die pluralistische Religionstheologie prädestiniert dafür ist, eine adäquate Vermittlerrolle im interreligiösen Diskurs einzunehmen, und sie, dessen ungeachtet, ihr bereits vorhandenes Potential weiter ausbauen könnte, wenn sie in Erwägung ziehen würde, die These »der radikalen Fremdheit« konsequent in ihre Überlegungen mit einzubeziehen.

In diesem Zusammenhang werden anfänglich die Begriffe Fremdheit und Eigenheit einer philosophischen Analyse unterzogen. Hierbei wird ersichtlich, dass es keinen Kern des Eigenen gibt, von dem aus das Fremde assimiliert werden könnte. Der Grad der Fremdheit, der hier zum Vorschein kommt, befindet sich außerhalb jeglicher etablierten Ordnung. Diese Form des Außerordentlichen, respektive diese radikale Form der Fremdheit, ist im Bereich der Grenzphänomene wie Eros, Tod, Kunst oder Religion anzusiedeln.

Dem folgt der Versuch, aufzuzeigen, dass es eine theologische Hermeneutik gibt, die mit den verschiedenen Religionen vereinbar ist; das bedeutet schließlich eine Kunst der Interpretation zu finden, „von der her sich die unterschiedlichen Aussagen der Religionen über die transzendente Wirklichkeit so deuten lassen, dass sie nicht länger als kontradiktorische Widersprüche erscheinen.“[6]

Und von nicht minderer Relevanz ist der letzte Punkt, nämlich einen versöhnlichen Beitrag hinsichtlich des Inkarnationsverständnisses zu leisten. Damit trägt man dem Umstand Rechnung, dass die »Christus« genannte erlösende Kraft auch „in anderen historisch konkreten Menschen manifestiert beziehungsweise inkarniert ist.“[7]

2. Das Fremde und das Eigene

2.1 In der Historie

Die Geschichte aller Kulturen ist durch die Auseinandersetzung mit dem Fremdartigen auf verschiedenartige Weise gekennzeichnet. Das Fremde genoss seit jeher eine gewisse Prominenz im Denken und insbesondere in der politischen Praxis des Abendlandes und anderer Weltreligionen. Doch seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert nimmt das Fremde speziell innerhalb des westlichen, abendländischen Denkens eine problematische Stellung ein. Bernhard Waldenfels verankert die markierte Veränderung unter anderem in einer „Mutation innerhalb des westlichen Denkens, für die zweierlei maßgebend ist: die Veränderung der neuzeitlichen Vernunftsauffassung und die der neuzeitlichen Subjektrolle.“[8] Diese Mutationen sind nicht als völlige Entmachtung der Vernunft oder des Subjekts zu verstehen, vielmehr handelt es sich hierbei um eine Relativierung der ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten; sie lassen uns gewissermaßen nüchterner und bescheidener auf ihre Möglichkeiten blicken. Kurz gesagt: „Es gibt keine Welt, in der wir je völlig zu Hause sind, und es gibt kein Subjekt, das je Herr im eigenen Hause wäre.“[9] Auf welche Weise der Begriff des Fremden auch gebraucht wird, so scheint es doch opportun zu behaupten, dass, einen Begriff von Friedrich Nietzsche entlehnend, diese Art von »Götzendämmerung« uns mit einem „radikalen Fremden [konfrontiert], das allen Aneignungsbemühungen zuvorkommt und das ihnen widersteht, wie im Falle des fremden Blicks, der uns trifft, noch ehe wir uns dessen versehen."[10]

Bei den antiken Griechen wurde Eigenes und Fremdes stets von einem kosmischen Ordnungsgefüge umgriffen und das Fremde bildete demnach keinen eigenständigen Grundbegriff. So konstatiert Waldenfels zu Recht: „Es gibt nur relativ Fremdes, bezogen auf bestimmte Standorte; ein radikal Fremdes, das das Sein als solches und im ganzen unterhöhlt, suchen wir vergebens.“[11]

2.2 In der Moderne

Mit Beginn der Neuzeit, als die »Kette des Seins« zu zerreißen beginnt und das Subjekt immer mehr aus dem Zentrum rückt, tritt eine fundamentale Veränderung der Situation ein und ab dem 20. Jahrhundert „dringt das Fremde ausdrücklich und unwiderruflich in den Kern der Vernunft und in den Kern des Eigenen ein.“[12] Die Auseinandersetzung mit der an dieser Stelle sichtbar werdenden Zersplitterung der Vernunft und die Dezentrierung des Subjekts gehören zu den großen Herausforderungen der westlichen Moderne, jedoch bleibt prinzipiell zu hinterfragen, ob sie als solche erkannt oder verdrängt werden.

Das Fremde ist nicht bloß, wie in der Hegel-Marxschen Tradition angenommen, als ein Durchgangsstadium zu einem Allgemeinen, in dem die Differenz von Eigenem und Fremden aufgehoben ist, anzusehen, vielmehr soll die Phänomenalität des Fremden an sich untersucht werden, und zwar bis zu dem Punkt, an dem es „sein Fürunssein sprengt und uns selbst in unserer Eigenheit in Frage stellt. Ein solches Phänomen wäre als Hyperphänomen zu charakterisieren, das über die Bedingungen seines Erscheinens hinausgeht. [...] Gemeint sind die Ansprüche seitens des Fremden, die eine Erfahrung des Fremden in Gang setzen und immer schon in Gang gesetzt haben.“[13]

In den »cartesianischen Meditationen« verortet Husserl das Wesen des Fremden in der paradoxen Bestimmung der „bewährbaren Zugänglichkeit des original Unzugänglichen.“[14] Diese widersprüchliche Umschreibung weist den Ort des Fremden in der Erfahrung als einen Nicht-Ort aus. „Der Ort des Fremden ist nicht einfach anderswo, es ist das Anderswo“[15], und zwar wie Merleau-Ponty betont, eine »originäre Form des Anderswo«. Von dieser Warte aus betrachtet, stellt das Fremde kein Defizit im Erkennen dar, wie all jenes, welches wir zwar noch nicht kennen, was aber auf seine Erkenntnis wartet und prinzipiell an sich ja auch erkennbar ist. Es ist auch nicht als eine schlichte Negation eines positiv konnotierten Begriffs zu verstehen, denn die Fremderfahrung ist in der Ferne, vor dem Gegensatz von Ja und Nein anzusetzen. „Das Fremde erscheint hier vielmehr als das originär Unzugängliche und originär Unzugehörige“[16], als eine Art leibhaftige Abwesenheit.

Diese Art von Fremderfahrung impliziert nicht, dass es etwas gibt, das unzugänglich ist, im Gegensatz zu anderem, das zugänglich ist. Vielmehr legt die husserlsche Annahme nahe, dass etwas da ist, indem es nicht da ist und sich uns dadurch entzieht, „[d]arin gleicht das Fremde dem Vergangenen, das nirgends anders zu finden ist, als in seiner Fortwirkung oder in der Erinnerung und das also stets auf Distanz bleibt.“[17] Will man sich keiner petitio principii schuldig machen, sollte es das generelle Bestreben sein, etwaige logische Fehler zu vermeiden. Bezogen auf die hier sichtbar werdende Problematik bedeutet dies, nicht das voraus zusetzen, „was es gerade zu befragen gilt, nämlich den Kontrast zwischen Eigenem und Fremden, ohne den es weder das eine noch das andere geben würde.“[18] Eine demnach durch die Art ihres Zugangs bestimmte Fremdheit, die keine gesicherte Eigenheitssphäre voraussetzt, kontaminiert quasi das Eigene von Anfang an.

[...]


[1] Vgl. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 1999, § 125.

[2] Vgl. Sacks, The Dignity of Difference, 2003, S. 9.

[3] Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen, 2005, S. 18.

[4] Vgl. ebd. Kapitel 4-5.

[5] Ebd. S. 190.

[6] Ebd. S. 191.

[7] Ebd. S. 418.

[8] Waldenfels, Topographie des Fremden, 1997, S. 10.

[9] Ebd. S. 11.

[10] Ebd.

[11] Ebd. S. 16.

[12] Ebd. S. 17.

[13] Ebd. S. 18.

[14] Husserl, Husserliana, 1973, S. 144.

[15] Waldenfels, Topographie des Fremden, 1997, S. 26.

[16] Ebd. S. 27.

[17] Ebd. S. 146.

[18] Ebd. S. 24.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Pluralismus und das Fremde
Untertitel
Der Stimulus des radikalen Fremden
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
25
Katalognummer
V91187
ISBN (eBook)
9783638045926
Dateigröße
558 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pluralismus, Fremde
Arbeit zitieren
Markus Altmann (Autor:in), 2006, Pluralismus und das Fremde, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/91187

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