1931 erschien Marieluise Fleißers Roman „Die Mehlreisende Frieda Geier“. Er war eine Auftragsarbeit für den Kiepenheuer-Verlag, von dem Fleißer eine geringe Rente erhielt. Der Roman verkaufte sich schlecht, wurde aber wohlwollend besprochen. Die Darstellung eines fortschrittlichen Frauentypus reihte sich ein in die Literatur der Weimarer Zeit von Vicki Baum über Irmgard Keun zu Veza Canetti und Anna Seghers. Fleißers „Frieda Geier“ unterscheidet sich bereits auf den ersten Blick in mehrfacher Hinsicht von Frauendarstellungen der oben genannten Autorinnen. Sie lebt nicht (mehr) in der Großstadt, sondern in der bayrischen Provinz und übt keinen besonders modischen, aber randständigen Beruf aus. Und sie ist keine Angestellte, sondern Ein-Frau-Unternehmerin. In dieser besonderen Eigenschaft der unternehmerisch Tätigen soll die Figur hier diskutiert werden. Nach Fleißers „Wiederentdeckung“ durch Fassbinder, Kroetz und andere überarbeitete die Autorin den Roman für die Werkausgabe. Er wurde nach seiner Wiederauflage nochmals breit rezipiert, meist mit einem recht eindeutigen Ansatz. Sowohl von feministischer wie von marxistischer Seite wurde Frieda Geier als Ikone weiblicher und proletarischer Unabhängigkeit und Selbständigkeit dargestellt. So schrieb etwa Karin Abt über die „optimistischste Frauenfigur Fleißers“: „Sie schafft es als eine der wenigen, sich aus den ‚Klauen’ der Männer zu befreien und ihren eigenen Weg zu gehen.“ 2 Und aus marxistischer Perspektive wird Frieda Geier so gelobt: „Frieda Geiers Geschichte ist auch eine Geschichte über den Versuch einer intellektuellen Agentin der roten Front, Aufklärung in die süddeutsche Kleinstadt zu tragen.“ Ich möchte zwei Seiten der Hauptprotagonistin in den Blick nehmen: ihre Unabhängigkeit und ihre Abhängigkeit als Unternehmerin. Meine der Untersuchung voranstehende These ist, dass eines ohne das andere nicht zu denken ist. Das würde bedeuten, dass die wirtschaftliche Selbständigkeit Frieda Geiers nicht vor allem Ausdruck ihrer Emanzipation, sondern ihrer Modernität ist. Der Begriff Emanzipation, im allgemeinen wie im feministischen Sinne, würde die Ausweitung von Handlungsspielräumen und Selbstbestimmung bedeuten. Ich möchte jedoch auch den Aspekt der Einengung von Selbstbestimmung durch die wirtschaftlichen
Existenzbedingungen, die „Zumutungen der Selbstrationalisierung“ deutlich machen. In diesem Sinne wäre die Unternehmertätigkeit nicht Teil der Emanzipation, sondern ihre drastischste Einschränkung. [...]
Inhalt
1. Einleitung
1.1. Frieda Geier – marxistische und feministische Heldin?
1.2. Zur Methode
2. Die Unternehmerin Frieda Geier - Textanalyse
2.1. Die ökonomische Konstitution der Unternehmerin
2.2. Die psychosoziale Konstitution der Unternehmerin
2.3. Alternativen? – traditionelle Frauenrolle und kostenlose Arbeitskraft
3. Figur ohne Ich – Frieda Geier als Konstruktion
3.1. Eine moderne Frau?
3.2. Eine emanzipierte Frau?
3.3. Die Figur Frieda Geier als dialektische Darstellung von Zeitkonflikten
4. Keine Ikone. Nirgends
5. Literatur
1. Einleitung
1.1. Frieda Geier – marxistische und feministische Heldin?
1931 erschien Marieluise Fleißers Roman „Die Mehlreisende Frieda Geier“. Er war eine Auftragsarbeit für den Kiepenheuer-Verlag, von dem Fleißer eine geringe Rente erhielt. Der Roman verkaufte sich schlecht, wurde aber wohlwollend besprochen.[1] Die Darstellung eines fortschrittlichen Frauentypus reihte sich ein in die Literatur der Weimarer Zeit von Vicki Baum über Irmgard Keun zu Veza Canetti und Anna Seghers. Fleißers „Frieda Geier“ unterscheidet sich bereits auf den ersten Blick in mehrfacher Hinsicht von Frauendarstellungen der oben genannten Autorinnen. Sie lebt nicht (mehr) in der Großstadt, sondern in der bayrischen Provinz und übt keinen besonders modischen, aber randständigen Beruf aus. Und sie ist keine Angestellte, sondern Ein-Frau-Unternehmerin. In dieser besonderen Eigenschaft der unternehmerisch Tätigen soll die Figur hier diskutiert werden.
Nach Fleißers „Wiederentdeckung“ durch Fassbinder, Kroetz und andere überarbeitete die Autorin den Roman für die Werkausgabe. Er wurde nach seiner Wiederauflage nochmals breit rezipiert, meist mit einem recht eindeutigen Ansatz. Sowohl von feministischer wie von marxistischer Seite wurde Frieda Geier als Ikone weiblicher und proletarischer Unabhängigkeit und Selbständigkeit dargestellt. So schrieb etwa Karin Abt über die „optimistischste Frauenfigur Fleißers“: „Sie schafft es als eine der wenigen, sich aus den ‚Klauen’ der Männer zu befreien und ihren eigenen Weg zu gehen.“[2] Und aus marxistischer Perspektive wird Frieda Geier so gelobt: „Frieda Geiers Geschichte ist auch eine Geschichte über den Versuch einer intellektuellen Agentin der roten Front, Aufklärung in die süddeutsche Kleinstadt zu tragen.“[3]
Ich möchte zwei Seiten der Hauptprotagonistin in den Blick nehmen: ihre Unabhängigkeit und ihre Abhängigkeit als Unternehmerin. Meine der Untersuchung voranstehende These ist, dass eines ohne das andere nicht zu denken ist. Das würde bedeuten, dass die wirtschaftliche Selbständigkeit Frieda Geiers nicht vor allem Ausdruck ihrer Emanzipation, sondern ihrer Modernität ist. Der Begriff Emanzipation, im allgemeinen wie im feministischen Sinne, würde die Ausweitung von Handlungsspielräumen und Selbstbestimmung bedeuten. Ich möchte jedoch auch den Aspekt der Einengung von Selbstbestimmung durch die wirtschaftlichen Existenzbedingungen, die „Zumutungen der Selbstrationalisierung“[4] deutlich machen. In diesem Sinne wäre die Unternehmertätigkeit nicht Teil der Emanzipation, sondern ihre drastischste Einschränkung. Nach Lethen macht gerade der Kampf Friedas „gegen die illusionäre Aufhebung der Entfremdung“ ihre Menschlichkeit aus.[5] Die Anpassung an moderne ökonomische Grundtendenzen in einer ungleichzeitigen Umgebung ist dann Frieda Geiers hervorstechendes Merkmal, ihre „spezifische Modernität“[6]. In welcher Weise hat dies emanzipierten Charakter?
Die Frage steht auch heute in den Zeiten der Entgrenzung von Arbeit, der Aktivierung und Motivierung des „flexiblen Menschen“ (Sennett) für den Kapitalismus und Prekarisierungstendenzen bei einer Vielzahl der abhängig Beschäftigten und der Selbständigen wieder auf der Tagesordnung. Auch in der heutigen Krise des ökonomischen Systems wird auf mehr Eigenverantwortung und –initiative gedrängt, und dies mit emanzipatorischem Vokabular begründet. Die Parallelen zur Zeit der Weimarer Republik sind - bei vielfältigen Abweichungen - unübersehbar. Die Spannung zwischen moderner Ökonomie und geschlechtlicher wie allgemein humaner Emanzipation ist auch heute mit Händen greifbar. Auslöser ist die Krise des fordistischen Produktionsregimes. „Das Konzept des Dritten Wegs setzt nicht mehr auf die politische Kultur einer solidarischen Arbeits- und Gesellschaftsmoral, sondern rechnet mit rationalen, den individuellen Nutzen maximierenden Akteuren.“[7] Die Frage nach Frieda Geiers Konstitution als emanzipierte, wirtschaftlich selbständige Frau ist also eine höchst aktuelle.
1.2. Zur Methode
Meine Untersuchung stützt sich zuerst auf den Primärtext. Der Roman liegt in zwei unterschiedlichen Ausgaben vor. Obwohl sich eine Untersuchung der Urfassung des Romans unter den oben dargestellten Aspekten lohnen würde, muss dies wegen der schlechten Verfügbarkeit unterbleiben. Auch eine Hinzuziehen historischer Studien und Texte unterbleibt aus Zeitgründen, auch wenn durchaus Erkenntnisgewinne versprochen werden können.[8]
Alle Zitate aus dem Roman beziehen sich auf die in den Gesammelten Werken verwendete Version des Textes und werden mit Seitenzahlen in Klammern belegt.
2. Die Unternehmerin Frieda Geier-Textanalyse
2.1. Die ökonomische Konstellation der Unternehmerin
Frieda Geier ist selbständige Vertreterin für Mehl. Diesen Beruf ergriff sie, „als ihr nichts anderes übrigblieb.“ (38) Frieda teilt dieses Schicksal mit vielen, die aus der Provinz kommen, studiert haben und deren akademische Bildung „sich in dem Maße entwertet hat, als sie sich verbreitert hat.“ (110) Als Reisende oder VertreterInnen auf eigene Rechnung versuchen sie, „um nicht müßig zu gehen,“ (111) ihr Einkommen zu sichern. Diese Berufe charakterisiert der Text als „Gelegenheitsberufe, zu denen man leicht Zutritt findet, weil man in ihnen schwer was erreicht.“ (111) Die Tätigkeiten sind höchst prekär und perspektivlos, weil sie prinzipiell kaum nachgefragt sind. Sie sind „ein existenzieller Seiltanz“.[9] Dies trifft für Friedas Tätigkeit ganz besonders zu.
Sie kauft Mehl bei Großhändlern, das sie dann an „widerspenstige Kleingewerbetreibende“ (Günther Lutz) der weiteren Region weiterverkauft. Die Bäcker müssen nicht bei Vertretern bestellen.[10] Frieda lebt von der Spanne, die mal geringer und mal höher ausfällt. Sie selbst hat mit dem gehandelten Gut nichts zu tun, sie interessiert lediglich ihr Anteil. Hier werden Entfremdungsprozesse sichtbar. Die Spanne muss meist gegen den Willen des Käufers erkämpft werden: „...hin muss er sein.“ (36) Insofern verkauft sie vor allem psychologische Taktik und soziale Anpassungsfähigkeit auf einem gesättigten Markt: „Man muss den Kaufmann um Sinn und Verstand reden, ihn hypnotisieren.“ (38) Dauerhafter Kontakt zum Kunden ist dafür Bedingung. (137) Friedas Tätigkeit stellt moderne kapitalistische Mechanismen in Reinkultur dar. In einer Krisensituation gefangen, ist die Wirtschaft, vom Einzelunternehmer bis zum Großkonzern, genötigt, für ihre Produkte künstlichen Bedarf zu erzeugen und sie in den Markt zu pressen.
Ihr Auskommen ist dementsprechend gering. Sie unterhält ein Auto, mietet eine Garage und wohnt selbst in einer kleinen möblierten Kammer, ohne sich Überflüssiges zu leisten. Vor allem finanziert sie die Ausbildung ihrer Schwester, die in einem Internat wohnt. Aber Frieda ist unabhängig von anderen Geldquellen.
[...]
[1] McGowan, Moray: Marieluise Fleißer. München 1987. S. 88.
[2] Abt, Karin: „Die Männer muß man zugrunde richten...“ Frieda Geier zwischen Tradition und Emanzipation in Marieluise Fleißers Roman „Eine Zierde für den Verein.“ In: Eder, Anna-Maria: „...alles so tief vergraben“. Zu Leben und Werk Marieluise Fleißers. Bamberg 1992. S. 39.
[3] Lethen, Helmut: Neue Sachlichkeit 1924-1932. Studien zur Literatur des „weißen Sozialismus“. Stuttgart 1970. S. 170.
[4] Baureithel, Ulrike: „Einverleibte Notwendigkeiten.“ In: Müller/Vedder (Hrsg.): Reflexive Naivität. Zum Werk Marieluise Fleißers. Berlin 2000. S. 54.
[5] Lethen, Helmut: Neue Sachlichkeit 1924-1932. Studien zur Literatur des „weißen Sozialismus“. Stuttgart 1970. S. 172.
[6] Baureithel, Ulrike: „Einverleibte Notwendigkeiten.“ In: Müller/Vedder (Hrsg.): Reflexive Naivität. Zum Werk Marieluise Fleißers. Berlin 2000. S.50.
[7] Merkel, Wolfgang: Die dritten Wege der Sozialdemokratie in 21.Jahrhundert. In: Perspektivends. Heft 1/2001. S.23.
[8] Siehe dazu Punkt 4.
[9] Licher, Lucia Maria: „Alles ist notwendig“. In: Müller/Vedder (Hrsg.): Reflexive Naivität. Zum Werk Marieluise Fleißers. Berlin 2000. S. 64.
[10] Das legt zumindest die Aussage des Bäckers Stubenrauch nahe: „Bestellen kann unsereiner sowieso nicht mehr.“ (35) Er scheint das Mehl auch über andere Wege zu bekommen. Ähnlich auch: „Er müsste es nicht mit Frieda zu tun haben.“ (36)
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