Der Vortrag beginnt mit einer kurzen Würdigung der politischen Anstrengungen im Bereich Integration seit der deutschen Wiedervereinigung. Mithilfe systemtheoretischer Überlegungen erörtert der Autor sodann die Frage, wie es dazu kommt, dass Integration – in der Sprache der Systemtheorie: „Inklusion“ – überhaupt notwendig wird. Dabei wird deutlich, dass die Integration der Zuwanderer Teil der gesamtgesellschaftlichen Integrationsanstrengungen ist, die sich an den Werten der Freiheit und Gleichheit orientieren und notwendig werden, um in der modernen Leistungsgesellschaft die Chancengleichheit zu gewährleisten und den gesellschaftlichen Frieden zu sichern.
Vor diesem Hintergrund kritisiert der Autor eine Politik, die die Vergabe der Staatsbürgerschaft als eine Art Belohnung für bereits erfolgte Integration handhabt anstatt sie als Schritt zur Gleichstellung und damit als Instrument der Integration zu betrachten und einzusetzen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich sehr, im Rahmen dieses Forums einen Beitrag zur Debatte um eine angemessene Integrationspolitik leisten zu dürfen, in der Hoffnung, dass die Anstrengungen aller Beteiligten denen zu gute kommen, die, menschlich gesehen, die Hauptlast des Globalisierungsprozesses und seiner Nebenwirkungen auf ihren Schultern tragen: den Migranten und insbesondere den Menschen auf der Flucht.
Lassen Sie mich dieses Statement beginnen mit einer kurzen Würdigung dessen, was in Deutschland seit dem Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren an Anstrengungen unternommen wurde, die unter dem Label „Integration“ gefasst werden können.
Da sind zum einen die enormen Leistungen im Bereich der deutschen Wiedervereinigung selbst, die sich zum Teil schwieriger als erwartet gestaltet hat und die ich hier nicht unerwähnt lassen will – denn, wie ich noch ausführen werde, muss Integration stets beide Dimensionen im Blick haben: Die Integration der Staatsbürger und die Integration der Zuwanderer. Erst wenn beide Aspekte angemessene Berücksichtigung finden, kann die Integration der Gesellschaft gelingen.
Der Fall des Eisernen Vorhangs ebnete den Weg für die Entwicklung eines neuen Staatsbürgerschaftsmodells. Das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz von 1992 und die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts aus dem Jahr 2000, das erstmals Elemente des ius-soli- Prinzips enthielt, zeugen von diesen Neuerungen.
Das auf der Grundlage des Berichts der Süssmuth-Kommission erarbeitete Zuwanderungsgesetz von 2005 hat trotz zahlreicher Abstriche im Rahmen der Kompromissfindung eine gesetzliche Grundlage für Integration geschaffen und dem langen Dementi der Einwanderungssituation ein Ende bereitet. Integrationsgipfel, Nationaler Integrationsplan und Deutsche Islamkonferenz sind nur die prominentesten Beispiele der Anstrengungen in diesem Bereich. Das aktuelle Ringen um die konkrete Umsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Aufhebung der Optionspflicht zeugt davon, dass die Politik in Sachen Integration weiterhin „am Ball“ ist. Dass ich mit der Würdigung der integrationspolitischen Maßnahmen nicht alleine dastehe, mag ein Zitat aus dem Jahresgutachten 2014 des unabhängigen Sachverstängigenrats deutscher Stiftungen belegen:
Deutschland hat begonnen, Einwanderung aktiv zu steuern […]. Nachdem das Zuwanderungsgesetz von 2005 als erster Schritt einer aktiven Zuwanderungspolitik wichtige Grundlagen geschaffen hatte, haben Gesetzgeber und Politik in den letzten fünf Jahren weitere und durchaus auch mutige Schritte unternommen. Mit der Umsetzung der EU-Hochqualifiziertenrichtlinie, der Einführung eines kleinen Punktesystems und der Öffnung des Arbeitsmarktes auch für Fachkräfte ohne akademischen Abschluss hat Deutschland einen rapiden Politikwechsel von Einwanderungsabwehr zu Einwanderungswerbung vollzogen. Nach vielen Jahren einer bestenfalls zögerlichen Haltung gegenüber Arbeitsmigration verfügt Deutschland in diesem Bereich seit August 2012 auf der gesetzlichen Ebene über Zuzugsmöglichkeiten, die im internationalen Vergleich liberal und offen sind.[1]
Damit ist der Kontext umrissen, auf den sich die folgenden Ausführungen beziehen. Besonders freue ich mich, dass es der Tagungsleitung gelungen ist, Gesprächspartner aus der Politik zu gewinnen, die für ihr Engagement und ihr Gespür in den Bereichen Zuwanderung und Integration bekannt sind.
Beginnen möchte ich meine Darstellung mit einigen Überlegungen zu der Frage, wie es kommt, dass dem Thema der Integration im Zusammenhang mit Migration so große Bedeutung zukommt. Der Begriff der Integration wird in zahlreichen Kontexten mit je unterschiedlichen Bedeutungen verwendet und wird dadurch unscharf.[2] Die Integrationsskepsis zahlreicher Zuwanderer[3] unterstreicht zudem ein Problem der Rede von Integration, das in deren Ambivalenz begründet ist, die sowohl aus der engen Verquickung mit Assimilation als auch aus dem Umgang der Politik mit dieser Thematik entsteht. Der enge Zusammenhang zwischen Integration als Teilhabe und Assimilation als Anpassung resultiert aus dem Umstand, dass Anpassung sozial belohnt wird und damit Teilhabe erleichtert. Der politische Umgang mit der Integrationsthematik fördert die besagte Ambivalenz in dem Maße, wie sich Integrationspolitik auf symbolische Politik reduziert und durch die Schaffung harter Fakten wie der Erschwerung des Ehegattennachzugs oder der Einbürgerung konterkariert wird.[4] Es lohnt sich also, diesen Prozess näher zu betrachten.
Gestatten Sie mir, dass ich zur Erklärung des Entstehungszusammenhangs der Integrationsthematik auf den systemtheoretischen Begriff der Inklusion rekurriere, wobei ich Inklusion mit Integration gleichsetze. Der Prozess der gesellschaftlichen Differenzierung hat zur Folge, dass die Individuen nicht mehr durch Geburt in den jeweiligen Stand beziehungsweise die Berufsgruppe inkludiert sind. Gesellschaftliche Inklusion weist fortan zwei zentrale Eigenschaften auf: sie erfolgt differenziert nach einzelnen gesellschaftlichen Funktionsbereichen (d.h. die Frage der Integration ist keine Entweder-oder-Frage, sondern eine Mehr-oder-weniger-Frage; so kann ich eine Wohnung haben aber keine Arbeit, eine Krankenversicherung aber kein Wahlrecht) und sie ist fortan an Leistung geknüpft. Die Gesellschaft wird zur Leistungsgesellschaft, Individuen konkurrieren um Inklusionschancen.
Unterschiedliche Voraussetzungen und Lebensbedingungen führen jedoch zur Benachteiligung eines Teils der Staatsbürger. Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der modernen Werte von Freiheit und Gleichheit entsteht der Wohlfahrtsstaat als sozialer Ausgleichsmechanismus.[5] Dadurch etabliert sich zwischen Staat und Staatsbürgern eine Leistungs- und Loyalitätsbeziehung, die durch Zuwanderung tendenziell unterlaufen wird – so wenigstens die Befürchtungen. Dies ist wiederum der Grund dafür, dass, während etwa die Wirtschaft von offenen Grenzen profitiert, die Politik zunächst ein Interesse an Zuwanderungsbegrenzung sowie an der Aufrechterhaltung einer Unterscheidbarkeit beziehungsweise einer rechtlichen Ungleichstellung von Staatsbürgern und Zuwanderern hat. Mit anderen Worten entpuppt sich der moderne Wohlfahrtsstaat im Kontext globaler Migration als Privilegierungseinrichtung für Staatsbürger.
Damit ist über Integration dreierlei gesagt: Zum einen entsteht die Notwendigkeit gesellschaftlicher Integrationsbemühungen unabhängig von der Globalisierung des Migrationsphänomens. Zum anderen orientieren sich die staatlichen Integrationsanstrengungen – wenigstens formal – an den modernen Grundsätzen von Freiheit und Gleichheit. Im Zusammenhang globaler Zuwanderung gewinnt Integration gerade vor diesem Hintergrund eine besondere Brisanz, will heißen: der Grundsatz von Freiheit und Gleichheit bekommt eine völlig neue Dimension.
Der Politikwissenschaftler Axel Schulte, dem ich in den weiteren Ausführungen folge, teilt die Überzeugung „dass für Prozesse und Politiken der Integration von Einwanderern im Prinzip dieselben Grundsätze maßgebend sein sollten wie für die Integration der Gesellschaft bzw. des politischen Gemeinwesens insgesamt“[6].
Die staatliche Ungleichbehandlung von Ausländern „gilt zwar völker- und verfassungsrechtlich grundsätzlich als zulässig und als mit dem Gleichheitssatz vereinbar, gleichwohl wird dieser Sachverhalt mit dauerhafter Niederlassung in einem zunehmenden Maße problematisch“[7], denn der dauerhafte Wohnsitz im Aufnahmeland lässt Ausländer zu Inländern ohne deutsche Staatsangehörigkeit werden.
Das demokratische Prinzip der Volkssouveränität verlangt eine Angleichung der politischen Rechte aller der Staatsgewalt dauerhaft unterworfenen Individuen.[8] Vor diesem Hintergrund impliziert die Perpetuierung des Ausländerstatus eine rechtsstaatlich relevante Diskriminierung des betroffenen Teils der Wohnbevölkerung.
Diese Situation ist für die deutsche Ausländerpolitik geradezu emblematisch. Entgegen den normativen Zielvorgaben einer an Freiheit und Gleichheit ausgerichteten Integrationspolitik zielt die deutsche Ausländerpolitik insgesamt betrachtet weiterhin auf die Aufrechterhaltung der Unterscheidbarkeit zwischen Staatsbürgern und Zuwanderern. Diese Entwicklung, die über die Zeit angesichts der dauerhaften Unterwerfung der Migrantinnen und Migranten unter die Staatsherrschaft bei gleichbleibend eingeschränkten Partizipationsmöglichkeiten zu einem „erheblichen Demokratiedefizit“[9] führt, ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels verschiedener, lose gekoppelter Elemente aus geschichtlichem Erbe[10], moderner Verfasstheit des politischen Systems[11] sowie des neueren wohlfahrtsstaatlichen Umbaus[12].
Grundsätzlich verliert die Unterscheidung zwischen Staatsbürgern und Ausländern in der Perspektive des aktivierenden Wohlfahrtsstaats an Bedeutung – was zählt, ist Leistungsfähigkeit – mit einem entscheidenden Unterschied: über die Stellschraube der zögerlichen Vergabe der Staatsbürgerschaft vermag der Staat auf die Zuwanderer zusätzlichen Druck auszuüben. Dieser Sachverhalt daran sichtbar, dass die Einbürgerung in Deutschland nicht etwa als Anreiz und Instrument der Integration, sondern gewissermaßen als Belohnung für eine bereits erfolgte Eingliederung fungiert. In dieser Konstellation sowie vor dem Hintergrund der weiterhin vorherrschenden ethisch-kulturellen Tradition des deutschen Staatsbürgerschaftsmodells wird Integration letztlich gleichbedeutend mit kultureller Assimilation. Je mehr sich die Zuwanderer faktisch integrieren, desto höher hängt der Staat die Messlatte zur Bestimmung der Integrationsfähigkeit mit Blick auf die Einbürgerung. Damit ist die erfolgreiche Integration in Deutschland einem Loyalitätsbeweis unterstellt, der für die Migrantinnen und Migranten mit hohen persönlichen Kosten wie der Aufgabe mitgebrachter Werte und Traditionen einhergeht.[13]
Diese Entwicklung zeigt sich im Bereich der Migrations- und Integrationspolitik insbesondere an der Diskrepanz zwischen zuwanderungsbegrenzenden Maßnahmen einerseits und der symbolisch überhöhten Inszenierung eines integrationsorientierten staatlichen Engagements andererseits, die vorwiegend dazu dient, den allseitigen Glauben an die Möglichkeit gelingender Integration auch angesichts hoher Hürden aufrecht zu erhalten. In diesem Zusammenhang wird durch entsprechende Selbst- und Fremdzuschreibungsstrategien ein Steuerungsoptimismus verbreitet, der unter empirischen Gesichtspunkten jeglicher Grundlage entbehrt, so etwa Thomas Kunz.[14] Dieser Mechanismus erlaubt es zugleich, die Schuld für Beispiele misslingender Integration auf Seiten der Migrantinnen und Migranten zu verorten und so über die Diagnose anhaltender Integrationsdefizite die Voraussetzungen für die weitere Bearbeitung von Integration durch die entsprechenden Akteure zu garantieren. Vor diesem Hintergrund wäre es nach Thomas Kunz angebracht, die Beschreibungsfolie, auf welcher die Steuerungsszenarien aufruhen, gerade auch institutionenkritisch zu analysieren. Dies schlösse beispielsweise die Frage danach ein, welchen innenpolitischen Gewinn unter anderem die Konstruktion von Zuwandernden als scheinbar homogenes und in großen Teilen integrationsbedrüftiges oder gar -unwilliges Kollektiv bringt – und wer davon und von dem daraus abgeleiteten Steuerungsbedarf profitiert. Im Anschluss wäre ebenso zu fragen, inwieweit die Steuerungsbehauptungen und Wirkungsphantasien politische Handlungsfähigkeit simulieren. So gesehen wäre der Annahme nachzugehen, es handele sich hier um ein Praxisfeld, in welchem unterschiedliche institutionelle Akteure mittels Selbstbeschreibungen Steuerungsansprüche geltend machen, Zuständigkeiten reklamieren und ihr Handeln sowie ihre Existenz (und ihren Fortbestand) legitimieren.[15]
[...]
[1] Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, 2014: Deutschlands Wandel zum modernen Einwanderungsland. Jahresgutachten 2014 mit Integrationsbarometer. URL: http://www.svr-migration.de/content/wp-content/uploads/2014/04/SVR_JG_2014_WEB. pdf [31.05.2014], S. 15.
[2] Vgl. Thomas Kunz, 2006: Integrationskurse auf kommunaler und auf Bundesebene. Eine kritische Auseinandersetzung mit einem neuen Steuerungsinstrument am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main, in: Sigrid Baringhorst, Uwe Hunger, Karen Schönwälder (Hg.): Politische Steuerung von Integrationsprozessen, Wiesbaden, S. 175–193, hier: S. 183.
[3] Vgl. Scheidler Monika (Hg.), 2010: Interkulturelle Katechese. Herausforderungen und Anregungen für die Praxis, München, S. 46.
[4] Vgl. Karl-Heinz Meier-Braun, 2010: Migration und Integration in Deutschland. Chronologie der Ereignisse und Debatten (Mai 2009 – Dezember 2010), in: Marianne Krüger-Potratz, Werner Schiffauer (Hg.): Migrationsreport 2010. Fakten – Analysen – Perspektiven, Frankfurt a.M., S. 271–357, hier: S. 233.
[5] Vgl. Michael Bommes, 2011: Nationale Paradigmen der Migrationsforschung, in: ders. (Hg.): Migration und Migrationsforschung in der modernen Gesellschaft. Eine Aufsatzsammlung (IMIS-Beiträge; Bd. 38), Bad Iburg, S. 15–52.
[6] Axel Schulte, 2006: Integrationspolitik – ein Beitrag zu mehr Freiheit und Gleichheit in der Einwanderungsgesellschaft?, in: Sigrid Baringhorst, Uwe Hunger, Karen Schönwälder (Hg.): Politische Steuerung von Integrationsprozessen, Wiesbaden, S. 27–58, hier: S. 28.
[7] Ebd., S. 31–32.
[8] Vgl. ebd., S. 38.
[9] Vgl. Schulte, 2006, S. 39.
[10] Vgl. Koopmans, 1999.
[11] Vgl. Bommes, Michael, 2011: Migration und Migrationsforschung in der modernen Gesellschaft. Eine Aufsatzsammlung (IMIS-Beiträge; Bd. 38), Bad Iburg.
[12] Vgl. Irene Dingeldey, 2006: Aktivierender Wohlfahrtsstaat und sozialpolitische Steuerung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bd. 56, Heft 8–9, S. 3–9.
[13] So wird bereits das Engagement in einer Migrantenorganisation als segregierendes Verhalten interpretiert, auch wenn es dem Betroffenen lediglich darum geht, auch diese Dimension seiner Identität zu pflegen.
[14] Vgl. besonders den Beitrag von Kunz, 2006.
[15] Ebd., S. 186.
- Arbeit zitieren
- Tobias Keßler (Autor:in), 2014, Integrationspolitik in Deutschland. Hintergründe, Entwicklungen und Desiderate, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/351705
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