Die Tengu gehören heute zu bekanntesten mythologischen Wesen Japans. Im Verlaufe der letzten Jahre war ein stetig ansteigendes Interesse an übernatürlichen Wesenheiten zu beobachten, durch den auch die Vorstellung vom Tengu wieder an Aktualität gewonnen hat. Ihre Erscheinung, die Attribute, mit denen sie dargestellt werden und die Kräfte, die ihnen zugeschrieben werden, gehören heute zum mythologischen Allgemeinwissen und sind auch dem jüngeren Teil der Bevölkerung bekannt. Die bildhafte Darstellung des Tengu, die zu großen Teilen mit der der yamabushi übereinstimmt, kam jedoch erst ab Ende des 13. Jahrhunderts zustande. Davor finden sich nur vereinzelte Erwähnungen von Tengu, die überwiegend in buddhistischen Schriften auftauchen.
Diese Thesis befasst sich mit den Erwähnungen von Tengu in frühgeschichtlicher japanischer Literatur, namentlich im Nihon shoki und im Konjaku monogatari shū. „Tengu“ kann etwa als „himmlischer Hund“ übersetzt werden, eine Bezeichnung, deren Ursprung bis in die chinesische Mythologie zurückverfolgt werden kann. Im Nihon shoki findet sich nur eine einzige Erwähnung des Tengu, was andeutet, dass dieser im Japan der damaligen Zeit nur wenig oder überhaupt nicht bekannt gewesen ist. Gegen Ende der Heian-Zeit tauchen jedoch viele verschiedene Beschreibungen von Tengu auf, in denen diese zumeist als übernatürliche Wesenheiten dargestellt werden, welche versuchen, buddhistische Gläubige an ihren Praktiken zu hindern. Die Tengu versuchen in diesen Darstellungen wiederholt, sich mit mächtigen und einflussreichen buddhistischen Mönchen anzulegen, werden jedoch jedes Mal von der Macht und Weisheit der Vertreter des Buddhismus zurückgeschlagen.
Die in dieser Arbeit analysierten zwölf Erzählungen bieten nicht nur einen wertvollen Einblick in die Gesellschaft der frühen Heian-Zeit, sondern auch in die den buddhistischen Institutionen vom Kaiserhof auferlegte Hierarchie. Im Verlauf der Analyse werden die historischen Personen identifiziert, die als Erzählvorlage für die mit den Tengu aufeinandertreffenden buddhistischen Vertreter gedient haben und es wird herausgearbeitet, dass den Tengu in den analysierten Geschichten zwei zentrale Funktionen zukommen: Einerseits bereiten sie den buddhistischen Vertretern eine literarische Bühne, auf der diese sich profilieren können, andererseits können religiöse Gruppen, die außerhalb des institutionellen Buddhismus stehen, durch die Gleichsetzung mit den Tengu scharf kritisiert werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Frühe Tengu-Erwähnungen in China und im Nihon shoki
3. Das Konjaku monogatari shü
4. Die Tengu-Geschichten im Konjaku monogatari shü
4.1. Die Tengu kommen nach Japan
4.1.1. „Wie ein Tengu aus Indien das Geräusch des Wassers hörte und dieses überquerte“
4.1.2. „Wie der chinesische Tengu Chira Yöju eines Morgens zu uns kam“
4.2. Die wunderlichen Kräfte der Tengu
4.2.1. „Wie ein Tengu in Gestalt des Buddha auf einer Baumspitze erschien“
4.2.2. „Wie ein Tengu-Anbeter an den Kaiserhof gerufen, entlarvt und davongejagt wurde“
4.3. Tengu und Frauen
4.3.1. „Wie Jöten-sö/ö vom Ninnaji einen Ama-Tengu traf“
4.3.2. „Wie ein Tengu von einer Frau Besitz ergriff und Ninsö-a/ari vom Butsugenji in dessen Behausung aufsuchte“
4.4. Die Wiedergeburt als Tengu
4.4.1. „Wie die Kaiserin Somedono von einem Tengu geplagt wurde“ und „Wie Ryögen-sö/ö zu einem Geist wurde, zum Kannon-in kam und dort Yokei-söjö niederstreckte“
4.5. Die Lehrlinge der Tengu
4.5.1. „Wie ein junger Mann von einem Tengu-Anbeter dessen Künste lernen wollte“
4.5.2. „Wie ein Wachmann im Auftrag des Yözei Tennö Geld sammeln ging“
4.6. Der Tengu als Entführer
4.6.1. „Wie ein Drachenkönig von einem Tengu ergriffen wurde“
4.6.2. „Wie Meister Sanshu vom Berg Ibuki von einem Tengu abgeholt wurde“
5. Fazit
6. Karten und Tabellen
6.1. Reiseweg aus Erzählung 20:
6.2. Einteilung von Heian-kyö
6.4. Formelle Rangordnung in buddhistischen Institutionen
7. Glossar
7.1. Begriffe
7.2. Orte
7.3. Namen
7.4. NengO
8. Literatur
1. Einleitung
Die Tengu gehören heute zu bekanntesten mythologischen Wesen Japans. Im Verlaufe der letzten Jahre war ein stetig ansteigendes Interesse an übernatürlichen Wesenheiten zu beobachten, durch den auch die Vorstellung vom Tengu wieder an Aktualität gewonnen hat. Ihre Erscheinung, die Attribute, mit denen sie dargestellt werden und die Kräfte, die ihnen zugeschrieben werden, gehören nicht zuletzt dank zahlreicher Filme, Bücher und Manga heute zum mythologischen Allgemeinwissen und sind auch dem jüngeren Teil der Bevölkerung bekannt. Die bildhafte Darstellung des Tengu, die zu großen Teilen mit der der yamabushi[1] übereinstimmt, kam jedoch erst ab Ende des 13. Jahrhunderts zustande. Davor finden sich nur vereinzelte Erwähnungen von Tengu, die überwiegend in buddhistischen Schriften auftauchen.
Diese Thesis befasst sich mit den Erwähnungen von Tengu in frühgeschichtlicher japanischer Literatur, namentlich im Nihon shoki und im Konjaku monogatari shü. „Tengu“ kann etwa als „himmlischer Hund“ übersetzt werden, eine Bezeichnung, deren Ursprung bis in die chinesische Mythologie zurückverfolgt werden kann. Im Nihon shoki findet sich nur eine einzige Erwähnung des Tengu, was andeutet, dass dieser im Japan der damaligen Zeit nur wenig oder überhaupt nicht bekannt gewesen ist. Gegen Ende der Heian-Zeit tauchen jedoch viele verschiedene Beschreibungen von Tengu auf, in denen diese zumeist als übernatürliche Wesenheiten dargestellt werden, welche versuchen, buddhistische Gläubige an ihren Praktiken zu hindern. Die meisten dieser Darstellungen befinden sich im 20. Kapitel des Konjaku monogatari shü. Die Tengu versuchen in diesen Darstellungen wiederholt, sich mit mächtigen und einflussreichen buddhistischen Mönchen anzulegen, werden jedoch jedes Mal von der Macht und Weisheit der Vertreter des Buddhismus zurückgeschlagen. Die in dieser Arbeit analysierten zwölf Erzählungen bieten nicht nur einen wertvollen Einblick in die Gesellschaft der frühen Heian-Zeit, sondern auch in die den buddhistischen Institutionen vom Kaiserhof auferlegte Hierarchie. Im Verlauf der Analyse werden die historischen Personen identifiziert, die als Erzählvorlage für die mit den Tengu aufeinandertreffenden buddhistischen Vertreter gedient haben und es wird herausgearbeitet, dass den Tengu in den analysierten Geschichten zwei zentrale Funktionen zukommen: Einerseits bereiten sie den buddhistischen Vertretern eine literarische Bühne, auf der diese sich profilieren können, andererseits können religiöse Grup- pen, die außerhalb des institutionellen Buddhismus stehen, durch die Gleichsetzung mit den Tengu scharf kritisiert werden.
2. Frühe Tengu-Erwähnungen in China und im Nihon shoki
Erste Hinweise auf den Tengu finden sich im achten Jahrhundert in chinesischen Erzählungen, in denen der Tengu mal als ein Meteorit, mal als ein himmlischer Fuchs beschrieben wird. Die Charakteristiken, die dem himmlischen Fuchs in der chinesischen Mythologie zugeschrieben werden, haben ebenso wie die Streiche, die er den Menschen spielt, viel mit den späteren Darstellungen und Beschreibungen des Tengu in Japan gemeinsam. Übersinnlich begabte Füchse und Hunde tauchen in der chinesischen Mythologie gleichermaßen auf, werden jedoch unterschiedlich dargestellt und beschrieben. Der Himmlische Hund „tiängöu“ wird dort in verschiedenen Erzählungen unter anderem als ein von Donner Naturphänomen am Himmel beschrieben. De Visser führt bei der Erläuterung der chinesischen Ursprünge des Tengu mehrere Beispiele aus verschiedenen chinesischen Klassikern an[2], die er aus De Groot‘s The Religious System of China im Kapitel „Demonology“ unter dem Abschnitt „Dog- Demons“[3] wie folgt zitiert:
„Evidently, as its name indicates, it is related to the sky. We read indeed that in the second year of the Hwang kien period (A.D. 561) a celestial dog came down, and ceremonies were performed to counteract the ill resulting therefrom, on which occasion the emperor fell from his horse which was seared by a hare, and expired soon after.” - History of the North, ch. 7, l. 30 and Books of the Northern Ts'i Dynasty, ch. 6, l. 7[4]
“It has the shape of a large moving star, and produces a noise. When it descends and reaches the earth, it resembles a dog. Whatever it falls upon becomes a flaming fire; it looks like a fiery light, like flames flaring up to heaven. Its base is round and covers a field of several acres; its upper part is pointed and spreads a yellow colour over a thousand miles; it may defeat armies and kill the commanders.” - Historical Records, ch. 27,1. 31. See also the Books of the Early Han Dynasty, ch. 26, l. 16.[5]
“In the second year of Chung hwo period (A.D. 882), in the tenth month, thunder resounded in the north-west in a cloudless sky, and this was called a descent of the celestial dog. And in the third year of the T’ung kwang period (A.D. 925), in the ninth month, on the day ting-wei, when dark clouds covered the sky everywhere at night, a noise as of thunder was heard in the north, and the wild pheasants screamed. This was what people call a descent of the celestial dog”. - Old History of the five Dynasties, ch. 33. L. 5.[6]
Die Art und Weise, mit der der Tengu in den chinesischen Erzählungen beschrieben wird, legt nahe, dass es sich dabei um die Beobachtung eines Naturphänomens wie das Auftauchen eines Meteoriten gehandelt haben könnte. Eine sehr ähnliche Beschreibung wird im Nihon Shoki, nicht aber im Kojiki wiedergegeben. Die Kompilation beider Werke wurde in den 680er Jahren auf Befehl von Tenmu Tenno (?-686)[7] begonnen und im Falle des Kojiki im Jahr 712 (Wado 5)[8] [9] [10], im Falle des Nihon shoki im Jahr 720 (Yörö 4) abgeschlossen. Beide Werke sollten die zahlreichen in Japan kursierenden Erzählungen über die unzähligen ujigami9 in einer einzigen kohärenten Erzählung vereinigen. Die in Yamato ansässige Dynastie führte in dieser ihre Ursprünge auf die Schutzgottheiten der eigenen Linie zurück und stellte diese als den Gottheiten der anderen uji10 überlegen dar. Durch die so konstruierte Abstammung erstreckt sich diese Überlegenheit auch auf die Yamato-Dynastie selbst, die damit einen säkularen Herrschaftsanspruch über die anderen uji zum Ausdruck bringt.[11] Im Gegensatz zum Kojiki wurde das später fertig gestellte Nihon shoki, das die Ahnengeschichte vom Zeitalter der Götter bis zur Abdankung von Jomei Tenno im Jahr 697[12] nacherzählt[13], vollständig in klassischem Chinesisch geschrieben und orientiert sich stilistisch an den chinesischen Reichschroniken. Der Herrschaftsanspruch, der im Kojiki gegenüber den Menschen im eigenen Land postuliert wurde, sollte der chinesischen Tang-Dynastie durch das Nihon shoki stolz als die Reichsgeschichte einer bis ins Zeitalter der Götter zurückreichenden Dynastie präsentiert werden. Da für die Formulierung dieses Herrschaftsanspruches sowohl auf die damals in China übliche Sprache als auch die dort übliche Gliederung in Form einer Reichschronik zurückgegriffen wurde, liegt der Gedanke nahe, dass auf eine ähnliche Art und Weise auch chinesische Ausdrucksformen und Erklärungsmuster für verschiedene Geschehnisse und Naturerscheinungen übernommen worden sind. Die Tengu-Erscheinung wird Nihon shoki im 23. Buch wie folgt beschrieben:
“In the spring of the ninth year of the Emperor Jomei (637) on the 23rd of the second month a large star shot across the sky from East to West. Then there was sound similar to that of thunder. The people said it was the sound of the shooting star. Others said that it was earth-thunder. Thereupon, the Priest Min said that it was not a shooting star, but a Celestial Dog (=tengu); its barking sounds like thunder.”[14]
“9th year, Spring, 2nd month, 23rd day. A great star floated from East to West, and there was a noise like that of thunder. The people of that day said that it was earth-thunder. Hereupon the Buddhist Priest Bin said: -‘It is not the falling star, but the Celestial Dog, the sound of whose barking is like thunder.’”[15]
Die hier zitierte Erzählung stellt die einzige Erwähnung von Tengu im Nihon shoki dar. Im Kojiki wird sie nicht wiedergegeben.[16] De Visser weist bei der Diskussion über die Ursprünge des Tengu im chinesischen „Himmlischen Hund“ außerdem darauf hin, dass der Priester Bin, der im Nihon shoki das am Himmel beobachtete Phänomen als einen Tengu deutet, ein aus China stammender Priester sei, der den Japanern lediglich das mitteilte, „was er in seinem eigenen Land gehört und gelesen hatte“[17] [18]. Die Annahme, dass es sich hierbei lediglich um eine einmalige, aus China übernommene stilistische Ausschmückung handelt, wird dadurch gestützt, dass die oben beschriebene Deutung des beobachteten Ereignisses ausschließlich im Nihon shoki an nur einer einzigen Stelle Erwähnung findet.
In der Wiedergabe des Nihon shoki in Nihon koten bungaku taikei, Voi. 68 18, aus dem auch Wakabayashi die oben zitierte Passage übersetzt hat, wird in den Annotationen darauf hingewiesen, dass die Kanji für den Begriff „tengu“[19] [20] als „amatsu kitsune“ zu lesen sind. Der Lesung zufolge müsste Tengu deshalb hier eigentlich als „Himmlischer Fuchs“ übersetzt werden. Wakabayashi führt diese Diskrepanz zwischen Kanji und Lesung auf Verwirrungen aufgrund der phonetischen Ähnlichkeit der Begriffe „tengu“ für den „Himmlischen Hund“ und „tenko“20 für den „Himmlischen Fuchs“ zurück.[21] An dieser Stelle lässt sich laut Wakabayashi bereits eine erste Vermischung der Begriffe des „Himmlischen Hundes“ und des „Himmlischen Fuchses“ erkennen, die in der chinesischen Mythologie noch erkennbar voneinander getrennt sind. Die Charakterzüge der „Himmlischen Füchse“, die sich in chinesischen Erzählungen in Buddhas und Bodhisattvas verwandeln, um Menschen zu täuschen[22], werden in den darauf folgenden Jahrhunderten in japanischen Erzählungen, insbesondere im Konjaku monogatari s hü, zunehmend auch den Tengu zugeschrieben, worauf später noch im Detail eingegangen werden soll.
Der Tengu wird auch in der Darstellung im Nihon shoki ähnlich wie in den chinesischen Darstellungen als ein am Himmel auftretendes Naturphänomen beschrieben, dessen Erscheinen von Donner begleitet wird. Eine distinktive Gestalt, die dieser am Himmel in Erscheinung tretende Tengu haben könnte, wird in der obigen Darstellung jedoch nicht beschrieben. Es findet ebenso wenig eine Anthropomorphisierung durch das Zuschreiben von Charaktereigenschaften, einer göttlichen Genealogie oder einem göttlichen Zuständigkeitsbereich statt. Da im Nihon shoki zwar in mehreren Erzählungen von Sternbewegungen am Himmel die Rede ist[23], der Tengu aber allein in der oben zitierten Stelle als Erklärung für das beobachtete Phänomen herangezogen wird, liegt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um eine vereinzelte und ungenaue Übernahme von Konzepten aus der chinesischen Mythologie handelt, bei der die Vorstellung eines „Himmlischen Hundes“, mit der Vorstellung eines „Himmlischen Fuchses“ vermischt worden ist. Im Nihon shoki tritt der Tengu damit als ein weitestgehend gestaltloses Wesen in Erscheinung, das nicht mit den Menschen jener Zeit interagiert und lediglich als Naturphänomen am Himmel beobachtet wird. Unklar ist deswegen auch, ob diese chinesische Vorstellung vom Tengu als eine meteoritengleiche, am Himmel auftretende Erscheinung zu jener Zeit überhaupt in der japanischen Bevölkerung rezipiert worden ist. Da der Tengu in beiden Reichschroniken an nur einer einzigen Stelle in Erscheinung tritt, ist es eher unwahrscheinlich, dass dieser außerhalb der chinesisch gebildeten Bevölkerung in Japan bekannt gewesen war.
Eine weitere Erklärung für die Übernahme der japanischen Lesung „tengu“ für den chinesischen „tiängöu“ liefert Fister in „Tengu, the Mountain Goblin“[24] Dieser führt dort aus, dass der Tengu vor der Einführung des Buddhismus in Japan bereits als ein Berg- und Walddämon in Gestalt eines Vogels existiert habe. Diese Einschätzung wird auch von Naumann geteilt, die im Tengu ein „Waldgespenst“ sieht, „das oft an die Stelle der Berggottheit tritt, wo der Glaube an diese sich verloren hat“[25]. Als buddhistische Mönche bei der Einführung des Buddhismus in Japan die Doktrin honji suijaku[26] entwickelten, wurde für viele indigene japa- nische Gottheiten eine Entsprechung im buddhistischen Pantheon gesucht. Laut Fister identifizierte man die vogelartige Berggottheit demzufolge mit der buddhistischen Schutzgottheit Garuda[27]. Da diese Berggottheit darüber hinaus „mehrere Charakteristiken mit den chinesischen Bergdämonen gemein hatte“, wurde für ihren Namen „die japanische Aussprache für t’ien-kou[28] angewandt“[29]. Die japanische Berg- und Waldgottheit soll so einerseits den Namen der chinesischen, hundeartigen Berggottheit, andererseits aber die vogelartige Gestalt der indischen Gottheit Garuda übernommen haben.
Diese bereits von ersten buddhistischen Ansätzen geprägte Darstellungsweise des Tengu wird in japanischen Erzählungen aus der späten Heian-Zeit und der Kamakura-Zeit schließlich in einen eindeutig buddhistischen Kontext gerückt. In der frühzeitlichen japanischen Literatur nehmen die Tengu insbesondere im Konjaku monogatari shü eine prominente Rolle ein. Im ersten Viertel des 20. Kapitels werden dort nahezu ausschließlich Erzählungen wiedergegeben, in denen die Tengu entweder die Protagonisten der jeweiligen Erzählung sind oder mit den Protagonisten in einen Konflikt treten. Auf das Konjaku monongatari shü und die darin enthaltenen Tengu-Erzählungen soll im folgenden im Detail eingegangen werden.
3. Das Konjaku monogatari shu
Das Konjaku monogatari shü ist eine Schriftsammlung, die vermutlich gegen Anfang des 12. Jahrhunderts zusammengestellt wurde und die über 1000 kurze, auf insgesamt 31 Kapitel[30] verteilte Erzählungen enthält.[31] Bei diesen Erzählungen handelt es sich einerseits um mündlich tradierte Geschichten und Anekdoten, die als Allgemeinwissen jener Zeit betrachtet werden können, und andererseits um sinngemäße Wiedergaben aus buddhistischen Schriften, chinesischer Literatur und zeitgenössischer japanischer Literatur. Die Sammlung, die somit dem Genre der Setsuwa-Literatur[32] zuzurechnen ist, wurde bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts häufig dem in Uji[33] residierenden Adligen Minamoto no Takakuni (1004-1077, Chöho 6 - Jöhö 4)[34] zugeschrieben[35] [36]. Minamoto no Takakuni gilt als Kompilator des heute nicht mehr erhaltenen Uji dainagon monogatari, welches im Vorwort des Uji shui monoga- tari36 erwähnt wird. Mehrere der im Uji shui monogatari enthaltenen Erzählungen sollen Nacherzählungen der im Uji dainagon monogatari enthaltenen Geschichten sein. Darüber hinaus sind etwa die Hälfte der Erzählungen im Uji shui monogatari inhaltliche Nacherzählungen von Geschichten, die sich auch im Konjaku monogatari shu befinden. Demzufolge könnten zumindest einige der Geschichten im Konjaku monogatari shu tatsächlich aus der Hand von Takakuni stammen. Dieser kann jedoch nicht als alleiniger Kompilator in Frage kommen, da die Sammlung Geschichten beinhaltet, bei denen es sich um Nacherzählungen von chinesischer Literatur handelt, die erst nach dem Tod von Takakuni nach Japan gebracht wurden.[37] Es gilt deshalb als wahrscheinlicher, dass das Konjaku monogatari shu erst gegen Anfang des 12. Jahrhunderts zusammengestellt wurde.[38] Da das Originalmanuskript unter Verwendung von sowohl Kanji als auch Katakana verfasst wurde, buddhistische Elemente ein zentrales Thema vieler Erzählungen sind und die Texte ein Grundverständnis sowohl von buddhistischen Konzepten als auch von buddhistischer Literatur erkennen lassen, liegt darüber hinaus die Vermutung nahe, dass der Kompilator entweder ein buddhistischer Mönch gewesen ist oder enge Verbindungen zu buddhistischen Kreisen gepflegt hat.[39]
Entsprechend wird der überwiegende Teil des Konjaku monogatari shü bisweilen nicht als literarisches Werk, sondern als buddhistisches Lehr- bzw. Gebetsbuch verstanden[40]. Dieses Verständnis reicht jedoch für eine adäquate Interpretation des Werkes nicht aus. Kelsey weist beispielsweise bei der Diskussion über die literarischen Qualitäten des Konjaku monogatari shü darauf hin, dass der Hauptzweck von didaktischen Geschichten, d.h. die Überlieferung der buddhistischen Doktrin, gar nicht vollzogen werden könnte, wenn die Geschichten den Leser nicht auf mindestens einer Ebene literarisch ansprechen würden[41]. Das Werk müsse, so Kelsey, dem Leser seine Botschaft zwar einerseits so effektiv wie möglich vermitteln, andererseits aber auch interessant sein, da dieser sonst das Interesse an der Geschichte verliert, bevor das Werk die Chance hat, seine didaktische Wirkung zu entfalten.
Die Sichtweise, dass es sich beim Konjaku monogatari shü um eine für die Übermittlung der buddhistischen Doktrin kompilierte Sammlung, die durchaus literarische Züge trägt, handelt, muss zu folgenden Schlussfolgerungen führen: Da die Schriftfassung der Kompilation nur Personen aus dem buddhistischen Umfeld mit entsprechenden Kanji- und KanaKenntnissen zugänglich war, mussten die Inhalte der Erzählungen demzufolge dem weitestgehend illiteraten Großteil der Bevölkerung mündlich tradiert werden. Daraus lässt sich schließen, dass Teile des Konjaku monogatari shü vermutlich als eine Art Gebetsbuch beziehungsweise als eine Geschichtensammlung fungierten, aus der buddhistische Priester Inspiration und Material für ihre Predigten ziehen konnten. Diese Vermutung sollte allerdings nicht leichtfertig auf das Gesamtwerk ausgeweitet werden. Einzelne Bücher und Geschichten können zwar als von buddhistischen Motiven dominierte Erzählungen identifiziert werden[42], jedoch sollte berücksichtigt werden, dass unter anderem aus China und Indien stammende Geschichten, die ursprünglich in einem eindeutig buddhistischen Kontext erzählt wurden, in anderen Teilen des Konjaku monogatari shü ohne diesen präsentiert werden[43]. Die Annahme, dass das Konjaku monogatari shü als Gesamtwerk unter der Agenda, die buddhistische Doktrin zu tradieren, kompiliert wurde, lässt sich unter Berücksichtigung dieser inhaltlichen Bereinigungen nicht länger vertreten. Es erscheint deshalb sinnvoller, die Sammlung zum Zweck der Analyse unter historischen und religiösen Gesichtspunkten als einen besonders umfangreichen Vertreter der Setsuwa-Literatur zu betrachten.
Dies bringt jedoch einige dem Studium der Setsuwa-Literatur inhärente Probleme mit sich, die bei der Analyse entsprechend berücksichtigt werden müssen.[44] Beim Kompilieren einer Setsuwa-Sammlung war es in der Regel üblich, die Handlung der ausgewählten Geschichten zwar beizubehalten, die darin vorkommenden Zeitangaben, Orte und Personen aber nach Belieben des Kompilators an dessen geografische, kulturelle und zeitgenössische Umgebung anzupassen und dementsprechend zu verändern. Zur nicht vorhandenen Zuschreibung der Autorenschaft gesellt sich durch diese Arbeitsweise deshalb auch noch eine Verschleierung des Erzählstils, die jegliche Interpretationsversuche hinsichtlich der ursprünglichen Autorenschaft wenn nicht scheitern lassen, dann zumindest überaus schwierig machen muss.
Bei der Analyse von Setsuwa-Literatur darf deshalb nicht ausschließlich auf die untersuchten Geschichten fokussiert werden, sondern es muss einerseits immer der Kontext der Sammlung, in der diese Geschichten enthalten sind, und andererseits die Person des Kompilators berücksichtigt werden. Mori zufolge ist die Analyse einer setsuwa-Sammlung zudem unter der Berücksichtigung von drei aufeinanderfolgenden Arbeitsschritten, die während des Aufstellens einer Kompilation vollzogen werden, durchzuführen. Mori teilt diese Arbeitsschritte bei seiner Analyse des 27. Kapitels des Konjaku monogatari shu in „1. den redaktionellen Schritt“, „2. den selektierenden Schritt“ und „3. den narrativen Schritt“[45] ein. Der „redaktionelle Schritt“ besteht laut Mori im Aufstellen einer thematischen Ausrichtung bzw. eines übergeordneten „Planes“ der Sammlung sowie im tatsächlichen Akt des Kompilierens der in der Sammlung zu bündelnden Geschichten. Den so gesammelten Erzählungen wird laut Mori dann im Vollzug des „selektierenden Schrittes“ eine Funktion und Bedeutung innerhalb der thematischen Ausrichtung zugewiesen. Der „narrative Schritt“ besteht schließlich darin, die gesammelten Geschichten durch Festlegung der konkreten Wortwahl und äußeren Gestalt des Textes in einer kohärenten Form zu finalisieren.
Beim Konjaku monogatari shu tut sich zudem das Problem auf, dass die Sammlung im Gegensatz z. B. zum Uji shui monogatari kein Vorwort enthält, das Aufschluss über die Intention des Kompilators geben könnte. Wie Ury im Vorwort ihrer Übersetzungssammlung Tales of Times Now Past anmerkt, „ist der genaue Zweck, für den die Sammlung angefertigt wurde, ebenfalls ein Mysterium, und wenn wir diesen wüssten, hätten wir bessere Antworten
auf weitere Fragen dazu.“[46]. Sie versucht daher, die mögliche Intention des Kompilators aus der Struktur und Reihenfolge der verschiedenen Bücher und der dahin enthaltenen Geschichten zu extrapolieren und vermutet, dass die Sammlung ursprünglich als eine Art „Geschichtenhandbuch für Priester, die damit ihre Predigten auflockern konnten“[47] gedacht gewesen war. Dieses Ziel wurde jedoch entgegen der ursprünglichen Absicht des Kompilators weit übertroffen. Die Sammlung wuchs stattdessen zu einem „Handbuch“, dessen Geschichten „das gesamte Leben, wie es sich der Kompilator vorstellte, umfassten“ und die „alle drei Länder der [damals] bekannten Welt, alle Provinzen Japans und alle Aktivitäten von Personen aus allen sozialen Ständen“[48] wiedergaben. Ury begründet ihr Handbuch-Argument damit, dass alle Geschichten einen eindeutig didaktischen Charakter aufweisen, der sich nicht nur auf die buddhistischen Geschichten in den Kapiteln 11 bis 20 beschränkt, sondern der auch in den säkularen Geschichten der Kapitel 21 bis 30 beobachtet werden kann. Sie führt des weiteren aus, dass die Geschichten innerhalb der einzelnen Kapitel eine überaus sorgfältige Anordnung erkennen lassen und „für gewöhnlich in Paaren auftauchen, die durch ein gemeinsames Thema verbunden sind und die darüber hinaus mit der jeweils anderen Geschichte assoziativ verbunden sind“[49]. Dies träfe weiterhin nicht nur auf die einzelnen Geschichten selbst, sondern auch auf die Kapitel, in denen die Geschichten enthalten sind, zu. Die Tengu-Geschichten im Konjaku monogatari shu sollen für die Analyse unter Berücksichtigung der zuvor genannten Gesichtspunkte als Parabeln in einem Handbuch mit didaktischen Anspruch verstanden werden.
4. Die Tengu-Geschichten im Konjaku monogatari shu
Der Kern der Japan-bezogenen Tengu-Geschichten befindet sich im 20. Kapitel des Konjaku monogatari shu. Dem Verfasser sind drei Ausnahmen dieser „Regel“ bekannt. Es handelt sich bei diesen Ausnahmen um die 35. Geschichte im 10. Kapitel, die 34. Geschichte im 19. Kapitel und die 28. Geschichte im 28. Kapitel.
Die Geschichte 10:35[50] spielt in China und erzählt von einem heiligen Einsiedler aus den Bergen, der sich in die Frau des Kaisers verliebte und versuchte, sich an dieser zu vergehen. Er wird allerdings bei dem Versuch erwischt und zur Strafe weit weg in die Verbannung geschickt. Dort stürzt er schließlich in tiefe Verzweiflung, stirbt und wird als Tengu wiedergeboren. Er sammelte sodann viele Tengu um sich und wurde deren König. Die Tengu in seiner Umgebung mieden aber den Umgang mit ihm, weil er vom Kaiser mit Verbannung bestraft worden war und daraufhin verstarb. Der als Tengu wiedergeborene heilige Mann soll schließlich mit einem Gefolge von 10.000 Tengu in ein anderes Land gezogen sein. Ein ähnliches Motiv findet sich in der in Erzählung 20:7, auf die später noch eingegangen werden soll.
Von der Geschichte 19:34 ist leider nur der Titel bekannt: „Ein Tengu vom Hieizan begleicht bei einem Mönch, der ihn gerettet hatte, seine Schuld“[51]. Die in der Geschichte möglicherweise enthaltenen positiven Konnotationen einer Begegnung von Tengu und Mönchen vom Hieizan hätten einen interessanten Gegensatz zu den düsteren Tengu-Geschichten des 20. Kapitels hätten bilden können, insofern ist es bedauerlich, dass die Geschichte selbst nicht mehr erhalten ist.
In der Geschichte 28:28 wird wiederum erzählt, wie sich eine Gruppe Holzfäller aus der Hauptstadt im Gebirge verirrte und dort auf eine Gruppe tanzender und singender buddhistischer Nonnen traf, die von den Holzfällern zunächst für Tengu gehalten wurden. Die Nonnen hatten sich jedoch ebenfalls im Gebirge verirrt und dort zuvor Pilze gesammelt und gegessen, um nicht zu verhungern. Sie erzählten den Holzfällern, dass sie nach Genuss der Pilze unweigerlich zu tanzen und zu singen anfingen und nicht mehr aufhören konnten. Da die Holzfäller ebenfalls kurz vorm verhungern waren, boten ihnen die Nonnen ihre restlichen Pilze an und so tanzten und sangen sie gemeinsam.[52] Die Erzählung befindet sich unter den säkularen, d.h. nicht-buddhistischen Kapiteln des Konjaku monogatari shä, in denen neben Geschichten über Krieger, Räuber und übernatürliche Wesenheiten unter anderem auch humorvolle Anekdoten aus dem Leben des einfachen Volkes wiedergegeben sind. Die Erzählweise, nach der die berauschten Nonnen von den Holzfällern zunächst für Tengu gehalten wurden, könnte die von Naumann vertretene und bereits im ersten Kapitel angesprochene Lesart stützen, dass es sich bei den Tengu um Waldgeister handelt, die im Volksglauben an die Stelle der alten Berggottheiten getreten sind.
Die zwölf Tengu-bezogenen Geschichten, auf die ich im Weiteren eingehen werde, befinden sich am Anfang des 20. Kapitels. Die Platzierung dieser zwölf Geschichten lässt einige Schlussfolgerungen zu: Anstelle die Tengu-Geschichten etwa im 27. Kapitel unterzubringen, in dem Erzählungen von magischen Tieren und allerlei böswilligen übersinnlichen Wesen und Geistern enthalten sind, hat sich der Kompilator stattdessen bewusst dafür entschieden, mit den Tengu-Geschichten das 20. Kapitel des Konjaku monogatari shu einzuleiten. Die Tengu- Geschichten machen dort die ersten zwölf Erzählungen aus und eröffnen damit das Abschlusskapitel der in Japan verorteten buddhistischen Erzählungen. Da die Platzierung der einzelnen Geschichten des Konjaku monogatari shü in den verschiedenen Kapiteln und im Gesamtwerk mit überaus großer Sorgfalt vorgenommen wurde[53], darf auch hinter der Platzierung der Tengu-Geschichten an den Anfang des 20. Kapitels eine Intention des Kompilators vermutet werden.
Dem 20. Kapitel ist das 19. Kapitel vorangestellt. In diesem wird widergegeben, wie verschiedene bekannte Persönlichkeiten zum Buddhismus konvertieren und in Klöster eintreten und wie Menschen aufgrund ihrer guten Taten im Sinne der karmischen Vergeltung gute Dinge widerfahren[54]. Zu diesen dem buddhistischen Gedanken nach positiv zu bewertenden Erzählungen bildet das 20. Kapitel gewissermaßen die Antithese. Dort finden sich neben den Tengu-Geschichten, die gewissermaßen die Einleitung für das Kapitel bilden, nämlich unter anderem auch Geschichten von schlechten Menschen, die noch zu ihren Lebzeiten karmische Vergeltung für ihre bösen Taten erfahren und Erlebnisberichte von Personen, die noch vor ihrem Tod kurz in die Hölle entrückt werden. Die stärkste Komponente, die das 19. Kapitel und das 20. Kapitel nach dem zuvor diskutierten Verständnis von Ury miteinander verbindet, ist damit das Prinzip der karmischen Vergeltung, deren positiven Aspekte in den Geschichten des 19. Kapitels und deren negative Aspekte in den Geschichten des 20. Kapitels hervorgehoben werden.
Die zwölf Tengu-bezogenen Geschichten des 20. Kapitels sollen im Folgenden genauer betrachtet und inhaltlich analysiert werden. Aus diesen wurden für eine detaillierte Analyse drei Geschichten exemplarisch ausgewählt und übersetzt. Die verbleibenden neun Geschichten wurden anhand der Originaltexte und unter Zuhilfenahme von bestehenden Übersetzungen zusammengefasst, um so die bereits zuvor angesprochene Anordnung in thematisch zusammengehörigen Paaren zu verdeutlichen.
4.1. Die Tengu kommen nach Japan
4.1.1. „Wie ein Tengu aus Indien das Geräusch des Wassers hörte und dieses überquerte“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.[55]
„Es war einmal ein Tengu aus Indien[56]. Als er von Indien aus nach China[57] [58] übersetzte, hörte er unterwegs die Wellen des Meeres in einem fort singen:
Als er das so hörte, war er sehr überrascht und wunderte sich, , Warum gibt das Meereswasser da so ohne Unterbrechung derart tiefgründige Lehren von sich?‘ Er dachte sich, ,Ich will die wahre Gestalt dieses Wassers wissen und es am Weitersingen hindern. ‘ und folgte dem Geräusch des Wassers. So kam er bis nach China und auch dort konnte er das Wasser noch auf die gleiche Weise singen hören.
Er ließ China hinter sich und folgte dem Gesang des Wassers bis nach Japan, wo er schließlich am Hafen von Hakata[59] auf Tsukushi[60] ankam. Von dort aus ging er dann weiter nach Moji[61]. Dort erklang der Gesang dann schon ein klein wenig lauter. Der Tengu begann darauf hin, noch wissbegieriger nach der Quelle zu suchen. In seiner Suche überquerte er viele Länder und gelangte so schließlich nach Kawajiri[62]. Dort folgte er dann dem Lauf des Yodogawa[63], wo der Gesang des Wassers allmählich lauter wurde. Vom Yo- dogawa aus gelangte er an den Ujigawa[64], wo der Gesang noch lauter erklang. Er folgte dem Flusslauf bis an dessen oberes Ende und gelangte dort an den Ömi-See[65], wo er den Gesang noch lauter erklingen hörte. Als der Tengu abermals dem Gesang folgte, gelangte er schließlich an ein Bächlein, das bei Yokawa[66] auf dem Berg Hiei entsprang. Dort ertönten die Verse in donnernder Lautstärke. Als er von dem Wasser des Baches aufblickte, sah er, wie dort die vier Himmelskönige[67] und zahlreiche Schutzgottheiten das Wasser des Baches bewachten. Der Tengu erschrak, wagte nicht, näher zu treten und versteckte sich, grenzenlose Furcht verspürend. Er wartete eine kurze Weile versteckt in der Nähe der tendö[68], näherte sich diesen schließlich schüchtern und fragte, ,Was ist mit diesem Wasser, das hier ununterbrochen von so tiefgründigen Weisheiten singt?‘. Die tendö antworteten ihm, ,Dieser Fluss entspringt aus einer Latrine der zahlreichen Mönche, die auf dem Berg Hiei inbrünstig den Weg Buddhas praktizieren. So unentwegt, wie diese Mönche den Weg Buddhas praktizieren, so unentwegt singt auch dieses Wasser. Und aus diesem Grund wird auch das Wasser von uns bewacht. ‘ Als der Tengu das hörte, verspürte er nicht länger den Wunsch, 26 Der von buddhistischen Mönchen entwickelten Doktrin honji suijaku zufolge handelt es sich bei den kami in Japan um Inkarnationen bzw. Entsprechungen universell gültiger buddhistischer Gottheiten. Eine übersichtliche Einleitung zum historischen Hintergrund der Doktrin findet sich in Teeuwen, Mark, Rambelli, Fabio (2003): „Introduction: combinatory religion and the honji suijaku paradigm in pre-modern Japan“.
[...]
[1] Die Anhänger der auf dem esoterischen Buddhismus basierenden, synkretistischen shugendo-Religion werden als „yamabushi“ bezeichnet. Eine ausführliche Behandlung der Zusammenhänge zwischen Tengu und yamabushi findet sich in Rotermund, Hartmut O. (1968): Die Yamabushi: Aspekte ihres Glaubens, Lebens und ihrer sozialen Funktion im japanischen Mittelalter. Hamburg: Kommissionsverlag Cram, De Gruyter & Co. S. 190210.
[2] Vgl. De Visser, Marinus Willem (1908): “The Tengu”. In: Transactions of the Asiatic Society of Japan 36, 1, S. 219-295. S. 223ff
[3] De Groot, Jan Jakob Maria (1907): The Religious System of China. Its Ancient Forms, Evolution, History and Present Aspect. Manners, Customs and Social Institutions connected therewith. Bd. 5: Book II. On the Soul and Ancestral Worship. Leyden: E.J. Brill. S. 574ff.
[4] Zitiert nach De Groot (1907), S. 575.
[5] Ebenda.
[6] Ebenda, S. 576.
[7] Für das Jahr 686 wird in den Tabellen von Zöllner lediglich das Nengo Shucho bekannt. Da dieses aber nur von Mitte August bis Ende September 686 gültig war und da unklar ist, ob der Tod von Tenmu Tenno in diesen Zei traum fällt, wurde auf eine Nengo-Angabe im Text verzichtet.
[8] Die Umrechnung von Zeitangaben in nengo folgt den Tabellen von Zöllner. Vgl. Zöllner, Reinhard (2003): Japanische Zeitrechnung. Ein Handbuch. München: Iudicium Verlag.
[9] Unter ujigami verstand man eine Schutzgottheit, auf den der entsprechende uji seine Abstammung zurückführte. Der ujigami wurde gleichzeitig als der Urahn bzw. Gründer des uji, aber auch als dessen Schutzpatron verehrt.
[10] Die uji waren hierarchisch organisierte Stammesgemeinschaften, unter denen das japanische Archipelago vor der Nara-Zeit (710-794, Wado 3 - Enryaku 13) aufgeteilt gewesen war.
[11] Die Formulierung des sich auf eine göttliche Abstammung begründenden Herrschaftsanspruches durch die Kaiserfamilie wird u.a. von Konoshi Takamitsu diskutiert. Vgl. Konoshi, Takamitsu (2000): „Constructing imperial mythology: Kojiki and Nihon shoki“. In: Shirane, Haruo; Suzuki, Tomi (Hrsg.): Inventing the classics: modernity, national identity, and Japanese literature. Stanford, California: Stanford University Press, S. 51-67.
[12] Für das Jahr 697 ist in den Tabellen von Zöllner kein gültiges Nengo aufgeführt.
[13] Vgl. Brown, Delmer M. (Hrsg.)(1993): The Cambridge History of Japan. Bd. 1: Ancient Japan. Cambridge: Cambridge University Press. S. 458ff.
[14] Wakabayashi, Haruko (1995): Tengu. Images of the Buddhist Concept of Evil in Medieval Japan. Dissertation. Princeton: Princeton University. S. 1.
[15] Aston, W.G. (1972): Nihongi. Chronicles of Japan from the Earliest Times to A.D. 697. Translated from the original Chinese and Japanese by W.G. Aston, C.M.G. 7. Auflage. Tokyo: Charles E. Tuttle Company, Inc. Vol. 2, S. 167-168.
[16] Dies liegt vermutlich in erster Linie daran, dass das Kojiki nur Ereignisse bis zum Beginn der Herrschaft von Suiko Tenno im Jahr 593 abdeckt. Die im Nihon shoki beschriebene Erscheinung des Tengu am Himmel soll sich jedoch im Jahr 637 ereignet haben und fällt damit in einen Zeitbereich, der nicht vom Kojiki abgedeckt wird.
[17] De Visser (1908), S. 231.
[18] Vgl. Sakamoto Taro (Hrsg.) (1967): Nihon koten bungaku taikei. Bd. 68: Nihon shoki ge. Tokyo: Iwanami shoten, S. 231-232.
[19] »
[20] ».
[21] Wakabayashi (1995), S. 26.
[22] Ebenda.
[23] Siehe u.a. Aston (1972), S. 166-167, S. 169, S. 174, S. 282, S. 333, S. 357, S. 366-367.
[24] Fister, Pat (1985): “Tengu, the Mountain Goblin”. In: Addiss, Stephen (Hrsg.): Japanese Ghosts & Demons. Art of the Supernatural. New York: George Braziller. S. 103-128. S. 103f.
[25] Naumann, Nelly (1963): „Yama no kami - die japanische Berggottheit. Teil I: Grundvorstellungen“. In: Asian Folklore Studies 22, S. 133-366. S. 217.
(Hrsg.), Rambelli, Fabio (Hrsg.): Buddhas and Kami in Japan. Honji suijaku as a combinatory paradigm. London: RoutledgeCurzon. S. 1-53.
[27] Garuda wird im indischen Buddhismus und in der indischen Mythologie als eine mächtige, vogelartige Kreatur beschrieben, die unter anderem ihre Gestalt ändern kann und mit den schlangen- bzw. drachenartigen Naga in permanenten Widerstreit steht. Das Motiv des permanenten Zwistes zwischen dem Vogel (tengu) und der Schlange (Drache) findet sich u.a. auch in der 11. Geschichte im 20. Buch des Konjaku monogatari shü.
[28] Transkribierung nach Fister.
[29] Fister (1985), S. 104.
[30] Im Originaltext werden die Kapitel als maki (dt.: „Rolle”) bezeichnet. Diese können zwar als „Buch“ übersetzt werden, es bietet sich bei der Betrachtung des Konjaku monogatari shü jedoch an, die einzelnen maki als Teil eines Gesamtwerkes zu begreifen und deshalb der von Marian Ury gewählten Übersetzung „chapter“, zu Deutsch „Kapitel“, zu folgen. Siehe Ury, Marian (1979): Tales of Times Now Past. Sixty-Two Stories from a Medieval Japanese Collection. Los Angeles: University of California Press. S. 3.
[31] Von diesen 31 Kapiteln befassen sich die ersten fünf Kapitel mit größtenteils buddhistischen Geschichten aus Indien und die darauf folgenden fünf Kapitel mit Geschichten aus China, die sowohl chinesische Volkserzählungen als auch chinesische buddhistische Erzählungen wiedergeben. Die restlichen 21 Kapitel geben zu etwa gleichen Teilen buddhistische Erzählungen und Volkserzählungen aus Japan wieder. Von den 31 Kapiteln sind eines der chinesischen Kapitel und zwei der japanischen Kapitel heute nicht mehr erhalten.
[32] Bei „Setsuwa-Literatur“ (jap. „setsuwa bungaku“) handelt es sich um einen Sammelbegriff für Schriftsammlungen, die zwischen dem neunten und dem dreizehnten Jahrhundert kompiliert wurden. Die Sammlungen beschäftigten sich häufig mit buddhistischen Themen und behandelten in der Regel ein zentrales Thema, für das entsprechend passende Erzählungen ausgewählt wurden. Neben Anekdoten aus dem Alltag waren in vielen Setsuwa-Sammlungen auch Legenden, Wiedergaben historischer Ereignisse aus China und Japan sowie buddhistisches Schrifttum enthalten.
[33] Uji war eine südlich von der Heian-zeitlichen Hauptstadt Heian-kyö gelegene Provinz.
[34] Minamoto no Takakuni (1004-1077, Chöho 6 - Jöhö 4) war ein Heian-zeitlicher Hofadliger, der im Volk auch unter dem Titel „Uji dainagon“ bekannt gewesen war. Dies rührt vermutlich daher, dass Takakuni in Uji Residenz bezogen hatte, wo er sich von Reisenden Geschichten erzählen ließ, die er sodann niederschrieb.
[35] Eine derartige Zuschreibung findet sich beispielsweise in Tsukakoshi Satoshi (1956): Konjaku. Altjapanische Geschichten aus dem Volk zur Heian-Zeit. Zürich: Max Niehans Verlag. S. 237.
[36] Beim Uji shui monogatari handelt es sich um eine der setsuwa-Literatur zuzurechnende Sammlung, die vermutlich zwischen 1180 (Jishö 4) und 1220 (Jökyü 2) kompiliert wurde. Die Sammlung enthält insgesamt 197 Erzählungen, die auf 15 Bücher verteilt sind.
[37] Die Problematik der Autorenschaft des Konjaku monogatari shu und die möglichen Einflüsse des von Mina- moto no Takakuni kompilierten Uji dainagon monogatari werden insbesondere in der Dissertation von William Michael Kelsey im Abschnitt „Historical Problems“ diskutiert. Siehe Kelsey, William Michael (1976): Didactics in art. The literary structure of Konjaku monogatari shu. Dissertation. Bloomington: Indiana University. S. 38ff.
[38] Wakabayashi verortet die Kompilierung des Konjaku monogatari shu zwischen 1120 (Gen'ei 3) und 1140 (Höen 6). Vgl. Wakabayashi (1995), S. 35.
[39] Ebenda, S. 43f.
[40] Vgl. u.a. Shively, Donald. H. (Hrsg.), McCullough, William H. (Hrsg) (1999): The Cambridge History of Japan. Bd. 2: Heian Japan. Cambridge: Cambridge University Press. S. 447.
[41] Kelsey, William Michael (1975): „Konjaku Monogatari-shû. Toward an Understanding of Its Literary Qualities”. In: Monumenta Nipponica 30, 2, S. 121-150. S. 122ff.
[42] Üblicherweise werden die Kapitel 1 bis 20 als der „buddhistische Teil“ des Konjaku monogatari shü aufgefasst. Vgl. die tabellarische Auflistung in Ury (1979), S. 3-5.
[43] Vgl. Mills, D.E. (1972): “Medieval Japanese Tales, Part I”. In: Folklore 83, 4, S. 287-301. S. 300f.
[44] Die in den Setsuwa-Sammlungen enthaltenen Geschichten waren Teil einer überaus lebendigen literarischen Erzählkultur, deren Prominenz sich nicht aus den oftmals unbekannten Autoren der Erzählungen, sondern aus den Kompilatoren der Sammlungen rekrutierte. Diese Erzählkultur umfasste neben indigenen, mündlich tradierten Anekdoten und Volksgeschichten auch schriftlich fixierte, zumeist buddhistische Erzählungen aus Indien und China. Die Haupttätigkeit der Kompilatoren bestand im Wesentlichen im Festlegen der thematischen Ausrichtung der zu kompilierenden Sammlung sowie in der Auswahl und Zusammenstellung der für die Sammlung bestimmten Geschichten.
[45] Mori Masato (1982): “Konjaku Monogatari-shü: Supernatural Creatures and Order”. In: Japanese Journal of Religious Studies 9, 2-3, S. 147-179. S. 147f und S. 163ff.
11
[46] Ury (1979), S. 2.
[47] Ebenda.
[48] Ebenda.
[49] Ebenda, S.6
[50] Der Übersichtlichkeit wegen werden die Konjaku-Geschichten im Folgenden verkürzt im Format Kapi- tel:Geschichte wiedergegeben.
[51] Yasue Ryösuke (Hrsg.) (1994): Shin nihon koten bungaku taikei (SNKBT). Bd. 36: Konjaku monogatari shu 4. Tokyo: Iwanami Shoten. S. 202.
[52] Eine Übersetzung dieser Geschichte findet sich in Hammitzsch, Horst (Hrsg.)(1965): Erzählungen des alten Japan. Aus dem Konjaku-monogatari. Stuttgart: Reclam. S. 52-53.
[53] Die Sorgfalt des Kompilators zeigt sich nicht nur in der bereits angesprochenen thematischen Gruppierung der Geschichten in insgesamt 31 Kapitel, sondern auch in der Platzierung der einzelnen Geschichten innerhalb der Kapitel. Beispielsweise wird in der Erzählung 20:1, die später noch diskutiert werden soll, die Geschichte eines Tengu erzählt, der in Japan Kontakt mit dem Buddhismus macht und daraufhin selbst ein buddhistischer Mönch werden will. Das Thema der Erzählung knüpft somit an die Geschichten des 19. Kapitels an, die in erster Linie von den Konvertierungen bekannter Persönlichkeiten berichten, und bildet so eine Überleitung vom 19. zum 20. Kapitel.
[54] Die erhalten gebliebenen Geschichten des 19. Kapitels wurden vollständig von William Michael Kelsey übersetzt und exemplarisch für die Didaktik des Konjaku monogatari shü in dessen Dissertation bearbeitet. Siehe dazu Kelsey (1976), S. 300ff.
[55] Übersetzt nach der annotierten Fassung in Yasue (1994): SNKBT, S. 220-221.
[56] Im Originaltext wird dieser als „tenjiku no tengu “ bezeichnet. „Tenjiku“ ist eine alte Bezeichnung für Indien.
[57] Im Originaltext wird China mit dem alten Ausdruck Shindan wiedergegeben.
[58] Für ein besseres Verständnis werden die Sütren hier inklusive Kanji und Lesung wiedergegeben.
[59] „Hakata“ ist sowohl der Name der Bucht vor der Hafenstadt Fukuoka als auch ein Stadtteil von Fukuoka.
[60] Alter Name für Kyüshü.
[61] Moji ist heute ein Stadtteil der Großstadt Kitakyüshü in der auf Kyüshü gelegenen Präfektur Fukuoka. Bis zur Zusammenlegung mit den Städten Tobata, Kokura, Wakamatsu und Yahata zur Großstadt Kitakyüshü im Jahr 1963 war Moji eine eigenständige Ortschaft.
[62] Kawajiri war eine im Einzugsbereich des heutigen Ösaka gelegene Ortschaft.
[63] Der Yodogawa entspringt dem Biwako und fließt u.a. durch die Stadt Ösaka, bevor er in die Seto-Inlandsee mündet.
[64] Anderer Name für den Yodogawa.
[65] Alter Name für den Biwako.
[66] Yokawa ist einer der drei Teilbereiche der Enryakuji-Tempelanlage.
[67] Der Begriff shitennö („Vier Himmelskönige“) umfasst die vier buddhistischen Gottkönige Bishamon-ten, Zöchö-ten, Jikoku-ten und Kömoku-ten, die jeweils über eine Himmelsrichtung Wacht halten.
[68] Buddhistische Schutzgottheiten, die in Gestalt kleiner Kinder auftreten.
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