„Dass ihr Menschen, [...] um von einer Sache zu reden, gleich sprechen müsst: das ist töricht, das ist klug, das ist gut, das ist bös! Und was will das alles heißen? Habt ihr deswegen die inneren Verhältnisse einer Handlung erforscht? Wisst ihr mit Bestimmtheit die Ursachen zu entwickeln, warum sie geschah, warum sie geschehen musste? Hättet ihr das, ihr würdet nicht so eilfertig mit euren Urteilen sein.“
Die Fragestellung für diese Hausarbeit über die Bedeutung und die Gründe des Selbstmords in Johann Wolfgang von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ wird teilweise schon in dem obigen Zitat aus Werthers Brief vom 12. August gegeben. Ich möchte in meiner Hausarbeit untersuchen, wie und warum Werther sich umbrachte und deutlich machen, warum es so und nicht anders geschehen musste.
Im ersten Teil der Hausarbeit werde ich mich mit der Art des Selbstmord beschäftigen, also mit der mit obigen Zitat nicht gestellten Frage: „Wie geschah es?“ Danach werde ich mit Hilfe bereits vorhandener Forschungsliteratur über Goethes Werther Antworten auf die beiden noch wichtigeren Aspekte „Warum es geschah“ und „Warum es geschehen musste“ zu finden, da diese Fragen automatisch aus der Frage „Was bedeutet das?“ entstehen, und mögliche Alternativen zu Werthers Selbstmord beleuchten.
Inhaltsverzeichnis
1. Fragestellung
2. Werthers Selbstmord
2.1 Wie es geschah
2.2 Die Werkzeuge
2.3 Alberts und Lottes Mitschuld
3. Warum es geschah
3.1 Werthers Muttersuche
3.2 Flucht
3.3 Ausweisung aus der Gesellschaft
3.4 Verzweifelte Liebe
4. Warum es geschehen musste
4.1 Werthers präsuizidale Phase
4.2 Die Krankheit zum Tod
4.3 Alternativen zu Werthers Selbstmord?
4.3.1 Eine andere Art der Flucht
4.3.2 Lottes oder Alberts Eingreifen
4.3.3 Genesung
5. Schlussfolgerung
6. Literaturverzeichnis
Werthers Krankheit zum Tod[1]
Fragestellung der Hausarbeit
„Dass ihr Menschen, [...] um von einer Sache zu reden, gleich sprechen müsst: das ist töricht, das ist klug, das ist gut, das ist bös! Und was will das alles heißen? Habt ihr deswegen die inneren Verhältnisse einer Handlung erforscht? Wisst ihr mit Bestimmtheit die Ursachen zu entwickeln, warum sie geschah, warum sie geschehen musste? Hättet ihr das, ihr würdet nicht so eilfertig mit euren Urteilen sein.“[2]
Die Fragestellung für diese Hausarbeit über die Bedeutung und die Gründe des Selbstmords in Johann Wolfgang von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ wird teilweise schon in dem obigen Zitat aus Werthers Brief vom 12. August gegeben. Ich möchte in meiner Hausarbeit untersuchen, wie und warum Werther sich umbrachte und deutlich machen, warum es so und nicht anders geschehen musste.
Im ersten Teil der Hausarbeit werde ich mich mit der Art des Selbstmord beschäftigen, also mit der mit obigen Zitat nicht gestellten Frage: „Wie geschah es?“ Danach werde ich mit Hilfe bereits vorhandener Forschungsliteratur über Goethes Werther Antworten auf die beiden noch wichtigeren Aspekte „Warum es geschah“ und „Warum es geschehen musste“ zu finden, da diese Fragen automatisch aus der Frage „Was bedeutet das?“ entstehen, und mögliche Alternativen zu Werthers Selbstmord beleuchten.
Wie es geschah
„Morgens um sechse tritt der Bediente herein mit dem Lichte. Er findet seinen Herren an der Erde, die Pistole und Blut. Er ruft, er fasst ihn an; keine Antwort, er röchelt nur noch. [...] Als der Medikus zu dem Unglücklichen kam, fand er ihn an der Erde ohne Rettung, der Puls schlug, die Glieder waren alle gelähmt. Über dem rechten Auge hatte er sich durch den Kopf geschossen, das Gehirn war herausgetrieben. [...] Aus dem Blut auf der Lehne des Sessels konnte man schließen, er habe sitzend vor dem Schreibtische die Tat vollbracht, dann ist er heruntergesunken [...] Er lag gegen das Fenster entkräftet auf dem Rücken, war in völliger Kleidung, gestiefelt, im blauen Frack mit gelber Weste [...] Die Lunge röchelte noch fürchterlich, bald schwach, bald stärker; man erwartete sein Ende. [...] Um zwölfe mittags starb er.“[3]
So wird Werthers Tod im Herausgeberteil vom fiktiven Herausgeber beschrieben. Der Leser weiß, dass es die Pistolen Alberts waren, mit denen Werther sich erschossen hat und kommt nicht darum herum, deswegen Albert und auch Lotte eine Mitschuld an Werthers Tod zuzuschreiben.
Werther hatte sich diese Pistolen nicht ohne Hintergedanken ausgeliehen; er wollte den Tod durch etwas aus Alberts und Lottes Haushalt erleiden, wenn er schon nicht von Lotte selbst umgebracht werden konnte. Dies wird in dem Brief deutlich, in dem Werther von der Überbringung der Pistolen berichtet:
„Sie sind durch deine Hände gegangen, [...] ich küsse sie tausendmal, du hast sie berührt, und du, Geist des Himmels, begünstigst meinen Entschluss, und du, Lotte, reichst mir das Werkzeug, du, von deren Händen ich den Tod zu empfangen wünschte und ach! nun empfange.“[4]
Peter Müller schreibt dazu: „In dieser unsichtbaren Umkehrung der Liebesbeziehung, wo die liebende Frau zum Arm des vernichtenden Schicksals wird, dokumentiert sich die ohnmächtige Verkettung des Einzelnen mit dem
notwendigen Gang des Ganzen.“[5] Hierauf muss man sich fragen, ob Albert und Lotte wirklich ohnmächtig verkettet waren oder nicht auch anders hätten handeln können.
Lotte hatte bei der Übergabe der Pistolen deutlich gezögert und geahnt, dass Werther die Pistolen dieses Mal gegen sich selbst anwenden würde, da sie sich an den Ossian-Vortrag Werthers erinnert und die darin enthaltene Todesbotschaft durchaus verstanden hat, und auch Albert sollte man zutrauen, die entsprechenden Gedanken gehabt zu haben. Trotzdem kommen die Pistolen zu Werther – und er bringt sich damit um. Die Beiden hätten es verhindern können, doch zu den Alternativen werde ich weiter unten kommen.
Warum es geschah
Das erste zentrale Problem Werthers ist sein Verhältnis zu den beiden Mutterfiguren: einerseits zu seiner realen, biologischen Mutter und andererseits zu Lotte, die im ersten Buch des Briefromans für Werther mehr Mutterersatz als Objekt der Begierde ist.[6]
Zu seiner biologischen Mutter scheint Werther keine sehr gute Beziehung zu haben. Ihr werden in Werthers Briefen nicht direkt gute oder schlechte Eigenschaften zugeschrieben, doch aus Werthers Briefen kann man eine gewisse Distanz heraus lesen. Werther schreibt immer nur an Wilhelm und nicht an seine Mutter selbst. Dinge, die er ihr zu berichten hat, lässt er ihr immer von Wilhelm ausrichten. Er scheint seiner Mutter immer noch nachzutragen, dass sie nach dem Tod seines Vaters zusammen mit ihm aus
[...]
[1] vgl. Goethe, Johann Wolfgang von. Die Leiden des jungen Werther. In: Goethes Meisterwerke. Band 5. Stuttgart: Mundus Verlag, 1999. S. 100
[2] ebd. S. 99
[3] ebd. S. 149f
[4] ebd. S. 147
[5] Müller, Peter: Zeitkritik und Utopie in Goethes „Werther“. 2.,überarbeitete Aufl. Berlin: Rütten und Loening, 1969. S. 180
[6] Interessant ist hier ein Blick in die psychoanalytische Studie Elisabeth Auers, die auf die Spaltung der Mutterfigur im Werther ausführlich eingeht: Auer, Elisabeth : Selbstmord begehen zu wollen ist wie ein Gedicht zu schreiben. Eine psychoanalytische Studie zu Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“. Stockholm: Almquist & Wiksell International, 1999.
- Citation du texte
- Kim Schelling (Auteur), 2003, Werthers Krankheit zum Tod, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26213
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