„In Ostberlin gab es Mitte der siebziger Jahre richtige Schriftstellertreffen mit Ost- und Westautoren. Wir durften ja nicht in den Westen, also mussten die Westler zu uns kommen. Das fand immer abwechselnd in einer Ostschriftstellerwohnung statt. Regelmäßig dabei waren Grass, Peter Schneider, Hans Christoph Buch. Und von den Ostlern waren da Stefan Heym, Karl-Heinz Jakobs, Klaus Schlesinger, Kurt Bartsch, Dieter Schubert, Eddie Endler und die anhängigen Ehefrauen – wie zum Beispiel Sarah Kirsch und ich“1,
berichtete die Liedermacherin Bettina Wegner über die regelmäßig veranstalteten deutsch-deutschen Autorentreffen in einem Interview im Jahr 2003.
Die Treffen, von denen Wegner erzählt, fanden in dieser speziellen Form hauptsächlich in den 1970er Jahren statt und waren ein möglicher Raum für deutsch-deutsche Kontakte. Selbstverständlich gab es bereits seit der deutschen Teilung und auch im letzten Jahrzehnt der beiden deutschen Staaten Kontakte zwischen Ost- und West-Autoren. Die intensive Phase mit Lesungen und Diskussionsrunden von mehreren ost- und westdeutschen Schriftstellern – bestehend aus einer „Kernbesetzung“ und wechselnden Gästen – fiel jedoch in die 1970er Jahre.
Diese deutsch-deutschen Autorentreffen sollen in der vorliegenden Hausarbeit beleuchtet werden. Dazu wird erfragt, wie es zu den Ost-West-Kontakten kam und wie sich die Treffen organisierten: Wer initiierte und pflegte die Kontakte? Welche Schriftsteller nahmen an den Treffen teil? Und wie verliefen die Begegnungen?
Um das Zustandekommen der privaten Autorentreffen verstehen zu können, wird zunächst ein kurzer Überblick über das Literatursystem der DDR und dessen Folgen für die Schriftsteller gegeben. Es schließt sich das Hauptkapitel zu den Schriftstellerkontakten zwischen Ost und West und speziell zu den deutsch-deutschen Literaturtreffen der 70er Jahre an. Abschließend wird nach der Rolle des Literaturschmuggels innerhalb der privaten Autorenkontakte gefragt.
1„Na, Grass, weißt du noch, damals ...“. Gespräch mit Bettina Wegner am 12. Februar 2003 in Berlin(2005), S. 250.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Literatur in der DDR
Private Schriftstellerkontakte zwischen Ost und West
Privater Literaturschmuggel zwischen Ost- und West-Berlin
Resümee
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„In Ostberlin gab es Mitte der siebziger Jahre richtige Schriftstellertreffen mit Ost- und Westautoren. Wir durften ja nicht in den Westen, also mussten die Westler zu uns kommen. Das fand immer abwechselnd in einer Ostschriftstellerwohnung statt. Regelmäßig dabei waren Grass, Peter Schneider, Hans Christoph Buch. Und von den Ostlern waren da Stefan Heym, Karl-Heinz Jakobs, Klaus Schlesinger, Kurt Bartsch, Dieter Schubert, Eddie Endler und die anhängigen Ehefrauen – wie zum Beispiel Sarah Kirsch und ich“1,
berichtete die Liedermacherin Bettina Wegner über die regelmäßig veranstalteten deutsch-deutschen Autorentreffen in einem Interview im Jahr 2003.
Die Treffen, von denen Wegner erzählt, fanden in dieser speziellen Form hauptsächlich in den 1970er Jahren statt und waren ein möglicher Raum für deutsch-deutsche Kontakte. Selbstverständlich gab es bereits seit der deutschen Teilung und auch im letzten Jahrzehnt der beiden deutschen Staaten Kontakte zwischen Ost- und West-Autoren. Die intensive Phase mit Lesungen und Diskussionsrunden von mehreren ost- und westdeutschen Schriftstellern – bestehend aus einer „Kernbesetzung“ und wechselnden Gästen – fiel jedoch in die 1970er Jahre.
Diese deutsch-deutschen Autorentreffen sollen in der vorliegenden Hausarbeit beleuchtet werden. Dazu wird erfragt, wie es zu den Ost-West-Kontakten kam und wie sich die Treffen organisierten: Wer initiierte und pflegte die Kontakte? Welche Schriftsteller nahmen an den Treffen teil? Und wie verliefen die Begegnungen?
Um das Zustandekommen der privaten Autorentreffen verstehen zu können, wird zunächst ein kurzer Überblick über das Literatursystem der DDR und dessen Folgen für die Schriftsteller gegeben. Es schließt sich das Hauptkapitel zu den Schriftstellerkontakten zwischen Ost und West und speziell zu den deutsch-deutschen Literaturtreffen der 70er Jahre an. Abschließend wird nach der Rolle des Literaturschmuggels innerhalb der privaten Autorenkontakte gefragt.
Als Literaturgrundlage dienten hauptsächlich Interviews mit den damals beteiligten Schriftstellern aus Internetquellen und aus dem Band „Stille Post“ von Roland Berbig und Werke zur Literaturgeschichte und zur Rolle der Literatur in DDR. Einschlägige Literatur, die sich nur mit den privaten deutsch-deutschen Autorenkontakten befasst, existiert bisher nicht.
Literatur in der DDR
„Was Künstler, Intellektuelle und Schriftsteller auch immer taten, sagten, schrieben oder schufen - es war niemals gleichgültig. Selbst wenn Sie in Widerspruch zum Regime gerieten – und sogar gerade dann -, bedeuteten sie den Herrschenden viel, die sie auf ihre Weise mit Privilegien ausstatteten – mit Wanzen unterm Bett, dezenten Bewachern und Schnüfflern jeder Art.“2
Die große Rolle, die Schriftsteller in der DDR innehatten, war ein Resultat des Literatursystems des Staates, welches einer „verordneten Öffentlichkeit“3 desselben unterlag. Die Literatur sollte dabei die Rolle eines „Organ[s] der Selbstverständigung und Bewußtwerdung des (DDR-)Volkes“4 einnehmen. Dieser Leitsatz der SED garantierte der Literatur in der DDR ihren überaus hohen Stellenwert. Sie sollte kommunikativ dem Volk dienen und erzieherisch auf das Volk wirken, doch das Gefahrenpotential, das von der Literatur ausging, erkannte die Staatsführung ebenso. Daher galt es, die Literatur von staatlicher Seite genauestens zu beobachten und, wenn nötig, zu zensieren.5
Alle staatlichen Institutionen unterlagen der bereits genannten „verordneten Öffentlichkeit“ und waren der Opposition versperrt. Der Einsatz von Kontrollen und Strafen sicherte die Einhaltung und Unterwerfung unter die offizielle Meinung. Aufgrund der fehlenden Eigenständigkeit der Literatur bzw. dem Unterliegen unter Partei und Staat bezeichnet der Literatur- und Kulturwissenschaftler Wolfgang Emmerich die (offizielle und öffentliche) Literatur und das Literatursystem der DDR als „Subsystem des gesellschaftlichen Ganzen“6 und führt dazu aus: „Den Autoren machte man Vorschriften, was und wie sie schreiben sollten; den Verlegern und Lektoren, was sie zu veröffentlichen hatten; den Buchhändlern, was sie verkaufen sollten; und den Lesern schließlich, was sie lesen durften und was nicht.“7 Tatsächlich waren 75% der Verlage in der DDR „volkseigen“, also Staatsverlage mit jährlich wechselnden Themenschwerpunkten.8 Wollte ein Schriftsteller in der DDR verlegt werden, hatte er sich und seine Werke der „verordneten Öffentlichkeit“ anzupassen. Um wirklich sicher zu gehen, dass die Inhalte mit den Ideologien und Werten des Staates konform gehen, war von der Staatsführung ein „Druckgenehmigungsverfahren“ vorgesehen, welches zwar die Bezeichnung >>Zensur<< beschönigte, inhaltlich aber ohne Zweifel eine Zensur darstellte. Dennoch wurde die Existenz der Zensur von der SED vehement geleugnet, da sie in der Verfassung des „demokratischen“ Staates nicht vorgesehen war.9 Realiter jedoch durfte „kein Drucker [...] einen Auftrag annehmen, dem nicht eine Druckgenehmigung beigefügt war.“10 Der Gesamtprozess der Zensur bestand aus verschiedenen Zensurarten: der Selbstzensur, der Verlagszensur, der staatlichen Zensur und der Parteizensur. Die Gründe der Zensur waren vielfältig; zum Beispiel positives Schreiben über westliche Gesellschaften und Staaten und über den Kapitalismus, Kritik an der Partei, am Staat, an den Ideologien von Marx, Lenin und Stalin, das Schreiben über „Republikflucht“, NVA, Stasi, Homosexualität, Umweltverschmutzung, Pornographie, Selbstmord, Alkoholmissbrauch u. s. w.11 Freies Schreiben konnte durch diese Einschränkungen nicht gewährleistet werden, was die Schriftsteller der DDR in ihrem Wirken sicher stark beeinträchtigt haben muss. Das „Druckgenehmigungsverfahren“ griff ebenfalls, wenn ein Autor im Ausland, zum Beispiel in der BRD (offiziell) publizieren wollte. Bei Nichtachtung des offiziellen Literaturbetriebs der DDR drohte eine Bandbreite von Strafen, angefangen bei Bußgeldern bis hin zu Gefängnisstrafen.12 Die folgende Einschätzung des Historikers Stefan Wolle beschreibt die daraus resultierenden Missstände: „ Es wimmelte von Lyrikern, die noch nie ein Gedicht veröffentlicht hatten, […] weil kein Verlag sie publizieren wollte.“13
[...]
1 „Na, Grass, weißt du noch, damals ...“. Gespräch mit Bettina Wegner am 12. Februar 2003 in Berlin(2005), S. 250.
2 Wolle, S.(1999): Die heile Welt der Diktatur, S. 236.
3Wolle, S.(1999): Die heile Welt der Diktatur, S. 235.
4Emmerich, W.(1996): Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 41.
5Vgl. Wolle, S.(1999): Die heile Welt der Diktatur, S. 141.
6Emmerich, W.(1996): Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 40.
7Emmerich, W.(1996): Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 42.
8Vgl. Emmerich, W.(1996): Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 48/49.
9Vgl. Emmerich, W.(1996): Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 48/49/52. Vgl. Zisper, R.(Hrsg.)(1995): Dauer im Wechsel, S. 15.
10Emmerich, W.(1996): Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 52.
11Vgl. Zisper, R.(Hrsg.)(1995): Dauer im Wechsel, S. 19/20.
12Vgl. Emmerich, W.(1996): Kleine Literaturgeschichte der DDR, S. 54.
13Wolle, S.(1999): Die heile Welt der Diktatur, S. 231.
- Quote paper
- Marina Franke (Author), 2012, Private Schriftstellertreffen zwischen Ost und West während des Kalten Krieges, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/207944
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