Der Gregorius Hartmanns von Aue ist vor allem seit den 60er Jahren des 20.
Jahrhunderts wieder verstärkt in das Blickfeld und Interesse der Forschung gerückt.
Hierbei ergaben sich zwei große Schwerpunkte, die die Diskussion zum
Gregorius wesentlich geprägt haben.
Untersuchungsgegenstand war zunächst vor allem die Frage nach der Schuld des
Protagonisten. Im Mittelpunkt der Diskussionen stand das Problem, welchen Sinn
die so unverhältnismäßig hart ersche inende Buße, die sich Gregorius selbst nach
dem Inzest mit seiner Mutter aufe rlegt, in der Erzählung hat.
Ein weiteres Forschungsgebiet war die Frage der Gattungszugehörigkeit. Hartmanns
Quelle ist eine altfranzösische Legende eines unbekannten Dichters, die er
vor allem in bezug auf höfische Elemente, wie z.B. das Thema der Ritterschaft,
erheblich verändert und ausgearbeitet hat. Diese offensichtliche Verlagerung des
Schwerpunktes ließ nun in der Forschung die Frage nach der Gattung aufkommen,
denn Hartmann hat mit seinem Gregorius ein Werk geschaffen, das sich keiner
der gängigen Gattungen eindeutig zuordnen läßt. Als Gattungsbezeichnung wurde
schließlich der Begriff der „höfischen Legende“ oder des „Legendenromans“ eingeführt;
beide Begriffe stellen einen Kompromiß dar, erscheinen aber dennoch für
das Werk – wenn man es denn unbedingt einer Gattung zuordnen muß–einigermaßen
adäquat.
Jetzt scheint die Forschung zum Gregorius an einem „toten Punkt“ zu sein, denn
man hat erkannt, daß sich sowohl die Schuld- als auch die Gattungsfrage nicht
eindeutig klären lassen. Jedoch eröffnen sich in der germanistischen Mediävistik
neue Untersuchungsfelder, die sich mit der Übernahme von Themen aus der ant hropologischen
Geschichtswissenschaft ergeben.
Der Gregorius spielt sich in mehreren voneinander sehr unterschiedlichen Welten
ab, die man in einem ersten Zugang entsprechend den Polen „höfisch“ und „außerhöfisch“
bewerten kann.
Zunächst ist dies die höfische Welt, in welcher der Inzest stattfindet, der zur Geburt
des Titelhelden führt, die nächste Passage spielt auf einer Klosterinsel, auf
der das ausgesetzte Findelkind aufwächst, es folgt wiederum eine Passage, die in
der höfischen Welt situiert ist und in der sich Gregorius als Ritter bewährt, nach
der Entdeckung des Inzests mit seiner Mutter zieht sich Gregorius zur Buße auf einen Stein außerhalb der höfischen Welt zurück, um schließlich von Gott zum
Papst erwählt zu werden und am päpstlichen Hof in der höchsten für einen Menschen
erreichbaren Würde zu leben.[...]
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 1.1 Der Gregorius — ein „toter Klassiker"?
- 1.2 Die höfische Welt im Gregorius
- 1.3 Familiäre Strukturen
- 1.4 Zur Vorgehensweise der Untersuchung
- 2. Die Familie im Hochmittelalter und die anthropologische Mittelalterforschung
- 2.1 Der adlige Haushalt und die Verwandtschaft
- 2.2 Der Inzest in der mittelalterlichen Gesellschaft
- 2.3 Das Kloster als Familie
- 2.4 Die mittelalterliche Familie in der literarischen Darstellung und der literarhistorischen Forschung
- 3. Zur Tradition der Inzest-Thematik in der Literatur
- 3.1 Der Ödipus-Stoff
- 3.2 Christliche Inzestlegenden
- 3.2.1 Die Albanuslegende
- 3.2.2 Die Judas-Legende
- 4. Zur Gattungsfrage des Gregorius
- 4.1 Inhaltliche Elemente des höfischen Romans
- 4.2 Strukturelle Elemente des höfischen Romans
- 4.2.1 Dialoge und Monologe
- 4.2.2 Motivkorrespondenzen
- 4.2.3 Das Problem des Doppelwegs
- 4.3 Legenden-Motive
- 4.4 Die Stellung von Prolog und Epilog bei der Gattungszuordnung
- 5. Die höfische Welt im Gregorius
- 5.1 Die Raumstruktur
- 5.2 Die verschiedenen Höfe
- 5.2.1 Aquitanien I
- 5.2.1.1 Der Tugendkatalog des Vaters
- 5.2.1.2 Aquitanien I nach der Geburt des Kindes
- 5.2.1.3 Bewertung des Hofes durch den Erzähler
- 5.2.2 Aquitanien II
- 5.2.3 Der Hof in Rom I
- 5.2.4 Der Hof in Rom unter Gregorius
- 5.3 Höfische Elemente
- 5.3.1 Schönheit
- 5.3.2 Die Ausbildung zum Ritter
- 5.3.3 Die Ritterschaft
- 6. Verwandtschaftsverhältnisse und Familie im Gregorius und in der Vorlage
- 6.1 Verwandtschaft in La vie du pape saint Grégoire
- 6.1.1 Aquitanien: das Kloster, der Felsen und das Papsttum
- 6.2 Herrschaft, Genealogie und Identität in der Adelsgesellschaft des Gregorius
- 6.3 Das Kloster als Familie des heranwachsenden Gregorius
- 6.4 Die Inzesthandlungen im Gregorius
- 6.4.1 Der Geschwisterinzest
- 6.4.2 Der Mutter-Sohn-Inzest
- 6.4.3 Der Inzest als Krise des Gesetzes der Unterschiede
- 6.4.4 Gregorius und Ödipus
- 6.4.5 Der doppelte Inzest (und die Verheimlichung) als Voraussetzung für die Erwählung
- 6.4.6 Die Situierung der Inzesthandlungen in der höfischen Welt
- 6.5 Die Aufrebung der Verwandtschaftsstrukturen als Voraussetzung für die Erwählung?
- 6.6 Die Rolle der weiblichen Hauptfigur
- 7. Fazit
- 8. Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die schriftliche Hausarbeit analysiert die Darstellung der höfischen Welt im Gregorius Hartmanns von Aue. Die Arbeit untersucht die besonderen familiären Strukturen in der Erzählung und ihre Auswirkungen auf den Handlungsverlauf und den Ausgang der Geschichte. Die Untersuchung vergleicht die Darstellung der Familie im Gregorius mit der altfranzösischen Vorlage, La vie du pape saint Grégoire, und beleuchtet den Kontext der mittelalterlichen Gesellschaft.
- Die Darstellung der höfischen Welt im Gregorius
- Die besonderen familiären Strukturen im Gregorius
- Der Inzest als genealogische Störung
- Die Rolle des Teufels in der höfischen Welt
- Die Bedeutung der geistlichen Verwandtschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Gregorius als ein Werk vor, das sich keiner eindeutigen Gattung zuordnen lässt. Die Arbeit fokussiert auf die Darstellung der höfischen Welt und die familiären Strukturen im Gregorius. Die Untersuchung analysiert die Bedeutung der Familie im Hochmittelalter und die anthropologische Mittelalterforschung. Die Arbeit beleuchtet die Tradition der Inzest-Thematik in der Literatur, insbesondere den Ödipus-Stoff und die christlichen Inzestlegenden. Die Gattungsfrage des Gregorius wird im Hinblick auf die inhaltlichen und strukturellen Elemente des höfischen Romans und der Legende diskutiert. Der Prolog und Epilog werden in den Kontext der Gattungszuordnung gestellt.
Das Kapitel „Die höfische Welt im Gregorius" beschreibt die Raumstruktur des Werkes und analysiert die verschiedenen Höfe, an denen die Handlung spielt. Die Untersuchung beleuchtet die höfischen Elemente wie Schönheit, die Ausbildung zum Ritter und die Ritterschaft im Gregorius.
Das Kapitel „Verwandtschaftsverhältnisse und Familie im Gregorius und in der Vorlage" vergleicht die Darstellung der Familie im Gregorius mit der altfranzösischen Vorlage. Die Untersuchung analysiert die Bedeutung von Herrschaft, Genealogie und Identität in der Adelsgesellschaft des Gregorius. Die Arbeit beleuchtet die Rolle des Klosters als Familie des heranwachsenden Gregorius und die Inzesthandlungen im Gregorius. Die Arbeit untersucht den Inzest als Krise des Gesetzes der Unterschiede, die Beziehung von Gregorius und Ödipus und die Bedeutung des doppelten Inzests als Voraussetzung für die Erwählung. Die Untersuchung analysiert die Situierung der Inzesthandlungen in der höfischen Welt, die Aufrebung der Verwandtschaftsstrukturen als Voraussetzung für die Erwählung und die Rolle der weiblichen Hauptfigur im Gregorius.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die höfische Welt, den Gregorius Hartmann von Aue, die Familie im Mittelalter, den Inzest, die Genealogie, die Ritterschaft, die geistliche Verwandtschaft, die Legende und der höfische Roman. Die Arbeit analysiert die Darstellung der höfischen Welt im Gregorius und die besonderen familiären Strukturen in der Erzählung. Die Untersuchung beleuchtet den Kontext der mittelalterlichen Gesellschaft und die Tradition der Inzest-Thematik in der Literatur. Die Arbeit vergleicht die Darstellung der Familie im Gregorius mit der altfranzösischen Vorlage, La vie du pape saint Grégoire, und untersucht die Bedeutung der geistlichen Verwandtschaft als Gegenpol zur natürlichen Verwandtschaft.
- Arbeit zitieren
- Evelyn Overhoff (Autor:in), 2002, Die Darstellung der höfischen Welt im Gregorius Hartmanns von Aue, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13379
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